Übrigens, internationaler Standard! Was Sie da geäußert haben, Herr Röwekamp, als Mitglied des Rechtsausschusses, das ist schon verblüffend, Aufgabe des Strafvollzuges sei nicht die Resozialisierung. Das ist doch sogar beim Strafvollzug für Erwachsene so! Sie sollten sich vielleicht einmal das Gesetz, aber auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1972 dazu durchlesen.
Da hat Resozialisierung Verfassungsrang! Gerade Sie als stellvertretender Vorsitzender des Rechtsausschusses! Wenn Sie aus dem Hafenausschuss kämen – Entschuldigung, ich will dazu nichts sagen –, könnte ich das noch verstehen, dann wird Ihnen das erklärt, aber doch nicht im Rechtsausschuss!
Beim Jugendvollzug ist das noch viel eingehender. Hier sprechen der Vollzug und das Gesetz eben vom Erziehungsvollzug. Das ist nicht nur eine Bremensie und auch nicht nur in Deutschland so, das ist internationaler Standard. Ich darf Ihnen einmal die Mindestgrundsätze des Europarats für die Behandlung von Gefangenen vorhalten, die auf die Vorschriften der Vereinten Nationen von 1955 zurückgehen. Hier ist ausdrücklich verboten, über den bloßen Freiheitsentzug hinaus weitere Übel hinzuzufügen, insbesondere bei Jugendlichen, und es muss alles getan werden, um hier Maßnahmen anzusetzen, damit diese ein straffreies Leben führen.
Die Diskussion über Resozialisierung und Sozialisierung ist sowieso müßig. Die sind in der Regel nicht sozialisiert, hier müssen ganz mühsam Maßnahmen angesetzt werden. Das gibt das Gesetz vor. Hier liegt unsere Verpflichtung, insbesondere der Justizverwaltung, darauf zu achten, dass erstens solche Konzeptionen erarbeitet werden und zweitens auch konsequent durchgeführt werden. Daran mangelt es.
Zu unserer Verblüffung hörten wir in der letzten Sitzung des Rechtsausschusses, Herr Kollege Röwekamp, da waren Sie nicht dabei, von dem Oberanstaltsleiter, Dr. Otto, der übrigens eine sehr gute Figur gemacht hat, ich war nicht das erste Mal da, ich schätze diesen Mann, der ganz nüchtern gesagt hat: Wir haben keine Personalprobleme – das war der Ärger über dieses Urteil des Jugendrichters, der dann plötzlich feststellte, es gibt zu wenig Personal –, sondern es gibt Strukturprobleme.
Lebenssituation und aufgrund des Urteils ein so genannter Erziehungsplan aufzustellen ist, an dem alle Fachkräfte und -dienste mitwirken. Dazu wird mit ihm auch entschieden, ob er in die Schule geht, ob er arbeitet, welchen Therapiemaßnahmen er sich zu unterziehen hat und so weiter. Ganz wichtig ist, dass er auch einmal Freizeitverhalten und Konfliktlösung ohne Faust und Messer kennen lernt. Das ist vorgeschrieben! Dafür ist auch Personal da.
Wir hören aber von dem Anstaltsleiter, dass das überhaupt nicht funktioniert. Diese Erziehungspläne werden gar nicht konsequent durchgehalten. Man weiß gar nicht, warum beispielsweise plötzlich Unterricht ausfällt. Wir haben Sie aufgefordert und warten übrigens seit einem Jahr auf ein Jugendvollzugskonzept, das überarbeitet ist, jetzt endlich einmal im Rechtsausschuss vorzutragen, wie das Konzept aussehen soll, das gerade auch mit dieser schwierigen Klientel umzugehen hat, und wie wir mit diesen Jugendlichen fertig werden.
Keiner gibt sich der Illusion hin, mir müssen Sie das nicht erzählen, ich bin der Einzige, der dreieinhalb Jahre hinter Gittern gearbeitet hat, wie schwierig dieser Eingliederungsprozess ist. Der ist in der Regel mit Rückschlägen verbunden, es gibt keine glatt laufende Resozialisierung, die kommen wieder nach einiger Zeit, und dann wird wieder angesetzt. Fragen Sie doch einmal die Beamten! Aber wenn Sie denen jetzt eine Vorgabe machen, ihr sollt da sortieren, frage ich mich, nach welchen Kriterien eigentlich. Vielleicht wird da gewürfelt!
Vielleicht nur Ausländer! Ich sage aber, es sind auch viele Deutsche da. Vielleicht jeder Zweite soll nicht mehr! Das geht doch gar nicht. Der Versuch ist bei jedem zu unternehmen.
Dafür sind unsere Beamten übrigens auch ausgebildet. Wir haben im Laufe der Jahre eine hervorragende Ausbildung für diese Bediensteten vom Schließer weg hin zu Beamten, die mit diesen schwierigen Jugendlichen umzugehen haben. Die sind inzwischen in Pädagogik ausgebildet, sie haben eine psychologische Grundunterweisung, sie verstehen es häufig vor Ort am besten, mit diesen Jugendlichen umzugehen. Jetzt sollen sie plötzlich nur noch wegsperren? Wissen Sie, was dann passiert? Ich habe die Ausläufer eines solchen Vollzuges noch erlebt: eine erhöhte Selbstmordrate im Jugendvollzug, von den Versuchen ganz zu schweigen, Zellenzerstörungen am laufenden Band! Wir haben Jugendliche gesehen, die mit dem Kopf gegen die Betonwände gelaufen sind, weil sie nicht hinaus konnten. In der Silvesternacht 1973/74 hat Blockland gebrannt, Jugendliche ohne Perspektive, die Rauchvergiftungen erlitten, die schlicht noch nach dem alten Vollzug behandelt worden sind.
sondern wir fordern, und da nehme ich sogar Ihren Begriff auf, Herr Röwekamp, eine härtere Gangart, aber konsequente Durchführung eines Erziehungsvollzugs. Der Jugendliche muss morgens auch aufstehen, und nicht, wenn die Beamten keine Lust haben, lassen sie ihn liegen. Das verstehen wir nicht. Es ist notwendig, dass er sich endlich an einen geordneten Tagesablauf gewöhnt, dass er pünktlich zur Arbeit geht. Das sage ich hier ganz deutlich, wenn er das nicht macht, bekommt er keinen Urlaub, dann kommt er eben nicht vorzeitig aus der Haft heraus, und das machen die Richter auch mit. Aber solch ein Konzept, und darauf kommt es an, muss erstens da sein, die Beamten müssen motiviert sein, und es muss zweitens konsequent durchgehalten werden im Sinne des Forderns dieser Jugendlichen, aber auch des Förderns.
Vielleicht können wir uns darauf verständigen: Bloßes Wegsperren hilft dem Insassen selbst nicht, es demotiviert die Bediensteten, und es stellt eine erhöhte Gefahr für die Öffentlichkeit dar. Ich wiederhole das noch einmal: Wer eingesperrt wird und dann irgendwann entlassen werden muss, der ist dann eine erhöhte Gefahr und birgt ein erhöhtes Sicherheitsrisiko gegenüber der Situation, als er eingesperrt worden ist.
(Abg. T i t t m a n n [DVU]: Dann lassen Sie sie doch gleich laufen! – Abg. E c k - h o f f [CDU]: Sagen Sie doch einmal et- was zu Herrn Mäurer! Sie sagen immer et- was zu Herrn Röwekamp! Sagen Sie doch etwas zu Herrn Mäurer!)
Ich sage schon noch etwas zu Herrn Mäurer, ich bin ja noch nicht fertig. Seien Sie doch nicht so aufgeregt!
(Abg. E c k h o f f [CDU]: Gleich sagen Sie wieder, Ihre Redezeit sei abgelaufen, und Sie haben nicht zum Thema gesprochen! – Abg. T i t t m a n n [DVU]: Unmöglich!)
Ich habe, denke ich, klar gemacht, was wir fordern. Zu Herrn Mäurer sage ich ganz gern zum Schluss noch einmal, wir sind ja befreundet, ich darf das so sagen: Ulli, gelegentlich einmal ein Interview weniger und dafür ein bisschen mehr den Aufgaben, die ich eben geschildert habe, nachgehen, und die Ver
waltung auf Trab bringen! Wir hoffen, in der nächsten Rechtsausschusssitzung ein Konzept zu sehen. – Danke schön!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es hier mit einem ganz ernsten Thema zu tun. Wer daraus parteipolitischen Nutzen schlagen will, muss sich sehr genau überlegen, womit er spielt. Ich habe dieses Fernsehinterview mit Herrn Hoetzel und Herrn Mäurer nachgelesen. Ich habe gemerkt, dass es da nicht nur, wie Herr Kuhn gesagt hat, um den Strafvollzug ging, sondern insgesamt um Intensivtäter und was wir als Staat, als Öffentlichkeit, als Antwort für Intensivtäter organisieren. Da ist der Strafvollzug ein ganz wichtiger Teil, aber es ist nicht der einzige Teil. Wir müssen insgesamt konsequent sein, und das heißt entschieden sein und nicht nur ankündigen, verstehen und interpretieren, sondern wir müssen dem Einhalt gebieten. Das muss auch schon vor der Strafmündigkeit beginnen. Zu warten, bis sie strafmündig sind, 14 Jahre alt sind und alles, was sie vorher an Straftaten begangen haben, nicht wahrzunehmen, ist ein Fehler. Ich habe wortwörtlich mitgebracht, was er gesagt hat, damit Sie nicht denken, das Einzige, was ich mitgebracht habe, ist das wörtliche Zitat oder das Protokoll seiner Antworten vor dem Fernseher. Ich plädiere nachdrücklich dafür, und da bin ich identisch mit Ulrich Mäurer, dass wir in der Gesamtheit unserer öffentlichen Antworten konsequent werden und die Jugendlichen und Intensivtäter nicht von einem zum anderen weiterreichen und sagen, der hatte einmal eine Chance, als er noch strafunmündig war, und er bekommt mit seiner Strafmündigkeit jetzt eine neue Chance. Das geht nicht. Wir bieten nun ein Sonderdezernat der Staatsanwaltschaft mit einer sehr kompetenten Staatsanwältin an. Dieses Sonderdezernat hat die neue Generalstaatsanwältin schon eingerichtet. Wir bieten an, dass wir diese staatlichen Antworten zusammentragen und koordinieren, auch was die Zeit vor der Strafmündigkeit angeht. Die strafunmündigen Täter einfach laufen zu lassen und wieder in die Familien zurückzugeben ist eine zynische Antwort, nicht für die Jugendlichen, sondern auch für die vielen Opfer. Ich kenne inzwischen viele Jugendliche, die es nicht mehr aushalten, übrigens auch von grünen Eltern, die mir als Kinder sagen, da muss sich endlich einmal etwas ändern, wir können das nicht mehr aushalten.
Man kann sie nicht nach Hause schicken und sagen, dass wir Verständnis dafür haben müssen, weil sie aus schlechten Familienverhältnissen kommen. Wir müssen gegenüber diesen Strafunmündigen konsequent sein. Wir müssen ein neues Konzept für andere Unterbringungen als in diesen Familien, die das offenbar nicht schaffen, finden. Bei einigen habe ich sogar den Eindruck, dass sie eher unterstützend tätig sind, dass dort Intensivtäter arbeiten und immer wieder nach Hause kommen können und ihre geklauten und abgezockten Waren abliefern können. Das geht nicht. Wenn sie aus dem Libanon oder aus der Türkei kommen, geht das auch nicht.
Es geht aber auch nicht, wenn das unsere eigenen Leute sind. Ich will hier nicht Ausländer gegen Deutsche abwägen. Es ist nicht tolerierbar, dass es bei uns Familien gibt, die eine große Zahl von Kindern haben, die sie ganz früh laufen lassen und die unsere Öffentlichkeit terrorisieren. Das geht nicht, dem müssen wir entgegentreten!
Ich bin mit Ulrich Mäurer einer Meinung, dass wir dort eine bessere Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe mit kompetenter Unterbringung haben müssen. Nicht wieder zurückgeben! Wir haben zu wenig Unterbringungsangebote. Das haben wir übrigens auch selbst verursacht. Ich selbst war sehr stolz darauf, dass wir diese Einrichtungen aufgelöst haben. Dann haben wir uns mit Schiffen geholfen. Diese Schiffe haben eben auch nur eine begrenzte Wirksamkeit gehabt. Wir müssen da richtig etwas Neues entwickeln.
Das ist das eine. Das andere sind natürlich die Schulen. Willi Lemke sagt jedes Mal, wenn ich mit ihm zusammenkomme, dass es ein dramatisches Problem ist. Er spricht inzwischen von 2000 Schulverweigerern. Je intensiver er sich damit beschäftigt – er nickt jetzt –, umso intensiver wird für ihn dieses Problem.
Es gibt Lehrer, die ganz froh sind, dass diese Kinder nicht in die Schule kommen, weil dann der Schulalltag ein bisschen einfacher ist. Das verstehe ich sogar. Es ist für uns aber doch keine Antwort und nicht richtig
zu sagen, lasst die durch die Stadt tigern, die Hauptsache ist, sie stören uns nicht. Das geht nicht. Wir müssen auch da enger zusammenrücken und Antworten finden auf wirklich, Horst Isola hat das eben gesagt, nicht sozialisierte Kinder. Sie haben noch keine Sozialisierung erfahren, sie sind gleich in eine solche Desorientierung geraten.
sen schneller sein. Es geht nicht, wenn man jugendliche Straftäter zwei Jahre später im Gericht auf ihre Taten von vor zwei Jahren anspricht, die haben die zum Teil vergessen und verdrängt. Das geht bei Jugendlichen so schnell, sie wissen dann objektiv gar nichts mehr. Das muss schneller laufen. Die Konsequenz ist, dass wir die Jugendlichen in möglichst unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Straftat anklagen und vor Gericht stellen, damit sie nicht zwischendurch andere Geschichten erleben.
Dazu braucht man, Herr Röwekamp, keine neuen Gesetze. Die vorhandenen Gesetze reichen aus. Wir müssen Polizei, die die Ermittlungen führt, mit der Staatsanwaltschaft, die die Klage aufsetzt, und mit dem Jugendgericht, bitte sehr aus dem gleichen Interesse, enger zusammenrücken. Sie allesamt werden von den Jugendlichen doch gar nicht differenziert wahrgenommen. Wir sind doch allesamt für den Jugendlichen die öffentliche Reaktion auf seine Straftat. Das muss besser werden. Ich finde es richtig, dass wir nach Ulrich Mäurer da konsequenter sein müssen.
Jetzt zum Strafvollzug! Der Strafvollzug – es ist alles richtig, was hier gesagt worden ist – ist bei dem Jugendstrafvollzug in erster Linie Resozialisierung, aber bitte sehr immer auch Schutz der Gesellschaft vor Straftätern!
Das kann man nicht wegdiskutieren. Ich habe lange Zeit die Diskussionen unter den Jugendrichtern darüber miterlebt – ich habe früher auch einmal da gearbeitet –, ob wir die Jugendlichen lange einsperren, damit sie eine gute Ausbildung bekommen oder damit sie wirklich aus dem Verkehr gezogen sind. Diese Diskussionen kenne ich. Das macht der Richter und wird es auch in Zukunft machen. Der Richter ist aber nicht irgendjemand. Er ist einer, der diesen Teil seiner Aufgabe, mit dem wir insgesamt vor den Eltern, Kindern und der Nachbarschaft bestehen müssen, zu erfüllen hat.
Gustav Radbruch – er ist eines meiner ganz großen Vorbilder – hat gesagt, Urteile und Beschlüsse sind die Öffentlichkeitsarbeit der Gerichte und nichts anderes. Sie müssen durch ihre Urteile und Beschlüsse überzeugen, und zwar alle überzeugen und nicht nur die gerade Verfahrensbeteiligten. Es ist nicht schlecht, wenn wir gelegentlich Urteile öffentlich debattieren, weil das dazugehört.
Richter sind öffentlich Handelnde, durch die Gewaltenteilung natürlich Geschützte, aber, bitte sehr, nicht vor öffentlicher Kritik Geschonte. Sie müssen
dazu beitragen, dass die Gesellschaft auch durch ihre Spruchpraxis so etwas wie Vertrauen in unser Handeln entwickelt und sagt, dass wir jedenfalls eine Chance haben, dagegen anzugehen, was wir als tägliche Bedrohung angstmachend erleben. Darum, denke ich, kann man den einen oder anderen Richter auch kritisieren, wenn er sagt, ich lasse den wieder laufen, weil ich finde, dass er, wenn er draußen ist, weniger anstellt, als wenn er im Strafvollzug zur Fahrradwerkstatt gewonnen wird und da Fahrräder reparieren lernt. Warum nicht kritisieren? Jetzt die Sache mit der Abschiebung! Es ist rotgrüne Politik der Bundesregierung – wenn Sie sich das Zuwanderungsgesetz genau anschauen, von dem wir ja immer noch leider nicht wissen, ob es nun durchgeht oder nicht –, dass wir Zuwanderung auch begrenzen. Wer sich hier strafrechtlich nicht korrekt verhält und vom Richter nach zurzeit geltender Rechtslage mit einer Strafe bewehrt von drei Jahren verurteilt wird, wird abgeschoben.
Das ist Gesetzeslage. Das hat nichts mit Verfassungswidrigkeit zu tun. Das ist geltendes Recht, Herr Kuhn. Sie meinen immer, er bricht die Verfassung. Nein! Die Frage ist, ob wir das wirklich machen. Ich verstehe Sie so, wenn Sie sich entrüsten, dass hier etwas Verfassungs- und Rechtswidriges erklärt worden ist. Nein! Wir wollen nicht über das, was in der Zukunft einmal sein muss, reden, sondern wollen eine verbesserte, wirksame Praxis im Rahmen des geltenden Rechts. Ich denke, das darf ich in meiner Rolle als Bürger, Nachbar, Vater und Großvater doch sagen. Ich möchte nicht nur, dass wir gute Gesetze haben, sondern auch, dass wir sie, bitte sehr, auch anwenden und wirksam anwenden