Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das kommt jetzt etwas überraschend! Ich hatte mich nämlich noch gar nicht gemeldet, aber gut!
Es fällt natürlich schwer, nach Herrn Tittmann zu reden. Wir haben heute ein fachkundiges Publikum zum Thema Pisa hier, und auf das, was Sie hier gesagt haben, will ich gar nicht eingehen, denn das war völlig am Thema vorbei!
Meine Damen und Herren, ich möchte mich ausdrücklich bei Herrn Mützelburg für seine sehr differenzierte und gute Rede bedanken, der ich in großen Teilen zustimmen kann.
Herr Mützelburg hat die Ergebnisse der Pisa-Untersuchung hier vorgetragen, ohne in den Fehler zu verfallen, gleich zu sagen, darum ist dieses gut und jenes schlecht. Wir brauchen keine Diskussion über Schulformen, wir brauchen nach der Pisa-Untersuchung eine Diskussion über Qualität von Unterricht. Allerdings, in einem halben Jahr werden die Ergebnisse von Pisa E vorliegen, das sind 50 000 weitere Tests. Über 50 000 Schülerinnen und Schüler in Deutschland sind an über 1000 Schulen zusätzlich befragt worden. Die Kultusministerkonferenz hat das Max-Planck-Institut beauftragt, einen Ländervergleich der Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland vorzulegen. Wenn dieser Vergleich vorliegt, meine Damen und Herren, dann werden wir auch sehr dezidiert bis ins Detail hier über das bremische Schulsystem diskutieren und konkrete Veränderungen vorschlagen. Wir haben die Befürchtung, es dürfte niemanden überraschen, dass Bremen da doch nicht in der Spitzengruppe liegen wird, Herr Senator Lemke. Alle anderen Untersuchungen haben gezeigt, dass dort die süddeutschen Bundesländer führend in Deutschland sind. Aber, wie gesagt, konkret werden wir dazu erst Stellung nehmen, wenn die Länderstudie des Max-Planck-Instituts vorliegt. ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
Meine Damen und Herren, die Pisa-Untersuchung hat einen Schock ausgelöst, allerdings darf das nicht überraschend gekommen sein. Altbundespräsident Roman Herzog hat schon vor Jahren in seiner berühmten Berliner Rede gefordert, es müsse ein Ruck durch Deutschland gehen, und er hat auch dezidiert zur Bildungspolitik Stellung genommen. Allerdings, durch die Verschiedenartigkeit der Bildungssysteme in Deutschland, durch den Föderalismus sind diese Veränderungen nicht bis in jedes Bundesland gekommen, und Sie wissen auch, dass wir hier schon darüber diskutiert haben. Auch wir hätten uns andere Veränderungen vorgestellt, als sie in den letzten Jahren im bremischen Bildungssystem eingetreten sind, obwohl wir natürlich mit einigen Ergebnissen schon sehr zufrieden sind.
Wir müssen dazu kommen, dass Schule wieder das Lernen lehrt. Schülerinnen und Schüler müssen mit Beendigung ihrer Schullaufbahn das Lernen gelernt haben, damit sie dann auf ihrem weiteren Ausbildungs- und Berufsweg entsprechend die Kulturfähigkeit vermittelt bekommen haben, die sie für ihr weiteres Leben brauchen. Dazu gehört, dass schon in der Grundschule die Kernkompetenzen vermittelt werden müssen. Wer nach der vierten Klasse nicht lesen, schreiben und rechnen kann, darf eigentlich auch nicht in die fünfte Klasse versetzt werden, denn damit wird das Problem auf die weiterführenden Schulen fortgetragen.
Natürlich ist es ein Problem, wie Herr Mützelburg richtig sagte, dass viele Lehrerinnen und Lehrer gar nicht erkennen, wenn Schülerinnen und Schüler zum Beispiel Leseprobleme haben, gar nicht richtig lesen und schreiben können. Dort müssen wir ansetzen, meine Damen und Herren! Wir müssen in diesem Zusammenhang eine konkrete Maßnahme besprechen, die ich in jeder Rede in der letzten Zeit hier genannt habe, Herr Senator Lemke. Ihr Vorhaben, das Vorhaben Ihrer Behörde, in der Grundschule in der dritten und vierten Klasse die Fächer Deutsch und Mathematik um je eine Stunde zu kürzen, geht auf jeden Fall nach den Pisa-Ergebnissen in die völlig falsche Richtung. Ich kann Sie nur auffordern, nehmen Sie dieses Vorhaben zurück, Herr Senator Lemke!
Wer nach der Pisa-Untersuchung den Deutschunterricht in der Grundschule kürzen will, handelt auf jeden Fall falsch. Da braucht man keine kurzfristigen Handlungen zu verdammen, das kann jeder nach der Pisa-Studie sofort erkennen.
Meine Damen und Herren, wir haben ein Problem in Deutschland im Vergleich zu den anderen OECDund Nicht-OECD-Staaten, die in der Pisa-Untersu
chung geprüft wurden. Deutsche Schülerinnen und Schüler werden auch zu spät eingeschult. Die 15Jährigen in Deutschland sind zum Großteil ein Jahr hinter denen in den anderen untersuchten Staaten. Von daher müssen wir hier schon dazu kommen, dass wieder frühere Einschulungen durchgeführt werden.
Qualität von Unterricht richtet sich maßgeblich auch nach den Lehrplänen. In den letzten Jahren ist die Behörde weitgehend dazu übergegangen, reine Rahmenlehrpläne zu erstellen. Wir denken, aus der Pisa-Studie ganz klar ableiten zu können, dass die Lehrpläne auch die konkreten Fachinhalte vorgeben müssen, Herr Senator Lemke. Allein an Rahmenlehrplänen können Lehrerinnen und Lehrer zum Teil nur sehr schwer erkennen, was denn der abgeprüfte Wissensstoff sein muss. Hier sagen wir ganz klar, wir müssen weg von den Rahmenlehrplänen, wieder zu Fachinhalten, die verbindlich in den Lehrplänen stehen, damit auch ein Vergleich und eine Gerechtigkeit zwischen verschiedenen Schulen vorhanden ist, auf jeden Fall hier im Land Bremen.
Die Lehrerausbildung ist natürlich sehr wichtig. Wir haben dort erste Schritte unternommen. Wir haben die Praxissemester eingeführt. Wir haben vor, im Rahmen einer Umstrukturierung des Landesinstituts für Schule weitere Schritte zu ergreifen und es insgesamt zu überprüfen. Die Lehrerausbildung in Deutschland muss noch praxisorientierter werden. Sie darf nicht dazu verkommen, dass dort Leute sitzen, die in der Schule waren, in der Universität und dann wieder in die Schule gekommen sind. Dazu haben wir erste Gespräche aufgenommen. Es muss mehr Praxis in den Lehrerberuf hinein, damit die Lehrerinnen und Lehrer das dann auch an die Schülerinnen und Schüler entsprechend weitergeben können. Fragen der Methodik und Didaktik sind ja ebenfalls noch zu klären. Wir haben auch schon erste Schritte in dem Bereich unternommen, dass wieder junge Lehrerinnen und Lehrer an die Schulen kommen, die mit neuen Methoden ausgebildet wurden und neue Methoden in den Unterricht einbringen.
Meine Damen und Herren, die Durchlässigkeit in unserem Schulsystem ist ebenfalls ein Problem. Der Elternwille ist in vielen Teilen zu stark berücksichtigt.
Herr Senator Lemke, Sie haben vor gut zwei Jahren, als Sie Ihr Amt angetreten haben, immer von Leistung gesprochen. Ich möchte Ihnen klar sagen, es geht hier eigentlich nur nach Leistung. Man kann es auf jeden Fall nicht allein den Eltern überlassen, welche Schule das Kind nach der sechsten Klasse besucht. Hier müssen wir uns auch neue Gedanken machen. Wir müssen, denke ich, insgesamt im bre
mischen Schulsystem wieder dazu kommen, dass die Leistung, die in der sechsten Klasse erreicht wurde, dann auch die Empfehlung beinhaltet, welche weiterführende Schule zu besuchen ist.
Es kann natürlich nicht sein, damit komme ich zur Orientierungsstufe, dass die zwei Jahre nach der Grundschule als reine Aufenthaltsklassen benutzt werden. Wir haben – ich will Ihnen gerade etwas sagen, Frau Jansen! – mit der Differenzierung, die wir eingeführt haben, erste Schritte unternommen. Die Orientierungsstufe leidet unter dem Problem, dass sie nach der vierten Klasse die Schüler verschiedener Schulen erst einmal zusammenfasst, angleichen muss und eine entsprechende Förderung und Forderung nicht stattfindet. Aber hier müssen wir uns im Gesamtkontext Gedanken machen. Wir müssen uns – auf den Bereich, den Herr Mützelburg angesprochen hat, muss ich noch einmal eingehen – natürlich Gedanken machen, wie wir mit Schülerinnen und Schülern nicht deutschsprachiger Herkunft umgehen. Sie werden in der Schule, insbesondere in der Primarstufe, zu wenig gefördert.
Meine Damen und Herren, da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Es hängt natürlich mit Klassenzusammensetzungen zusammen. Klassenverbände mit einem Anteil von nicht deutschsprachigen Schülern von zum Teil über 50 Prozent sind natürlich zum einen integrationshemmend, aber sie sind auch für den Unterrichtserfolg hemmend. Hier, denke ich, müssen wir uns auch an der Freien und Hansestadt Hamburg ein Beispiel nehmen. Der neue Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hat in seiner Koalitionsvereinbarung festgelegt, dass Schülerinnen und Schüler der ersten Klasse nur dann eingeschult werden, wenn sie über entsprechende Deutschkenntnisse verfügen. Ich denke, hier sind insbesondere auch der Kindergarten und vorschulische Einrichtungen gefordert, dass vor Schulbeginn schon entsprechende Fähigkeiten in der deutschen Sprache vermittelt werden. Hierüber, auch das ist ein Ergebnis der Pisa-Studie, müssen wir uns natürlich massiv Gedanken machen.
Ich möchte auch noch kurz etwas zum Thema Ganztagsangebote an Schulen sagen. Hier ist ja von der Bundesbildungsministerin Frau Bulmahn um 11.15 Uhr am letzten Dienstag, also 15 Minuten, nachdem die Ergebnisse der Pisa-Studie bekannt waren, gleich verkündet worden, Ganztagsschulen wären einer der leuchtendsten Auswege aus der PisaMisere. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ganz klar, es kommt nicht auf die Dauer des Unterrichts an, es kommt auf die Qualität des Unterrichts an!
Wer einen längeren, aber schlechteren Unterricht macht, der erreicht nicht so viel wie bei einem kürzeren, aber guten Unterricht. Ich sehe, es hat hier geblinkt. Bevor es klingelt, bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich beginne mit meinen allgemeinen Ausführungen und gehe dann auf fast alle Vorrednerinnen und Vorredner ein.
Das deutsche Bildungssystem hat offensichtlich versagt. Hier sind sich alle Redner einig. Es ist nicht nur ungerecht, sondern produziert auch Mittelmaß. Die Gewichtung war unterschiedlich, wenn ich das sagen darf. Auf die Ungerechtigkeit ist Herr Mützelburg schon eingegangen. Es wird ganz offensichtlich zu viel gelehrt, aber zu wenig gelernt. Das heißt, die Übertragung in das tatsächliche Leben, der Transfer erfolgt nicht. Offensichtlich, so könnte man sagen, müssen wir erst in den Abgrund schauen, um dann die Kraft und die Anstöße für eine tief greifende Bildungsreform aufzubringen, die, wie hier von allen Fraktionen gesagt worden ist, jenseits der gestrigen ideologischen Grabenkämpfe durchzuführen ist.
Die Pisa-Studie stellt zentrale Dogmen der deutschen Bildungspolitik auf den Prüfstand, zeigt aber auch, dass Leistung und Gerechtigkeit, die alten Kampfbegriffe der siebziger und achtziger Jahre, nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Auf diesen Aspekt werde ich im Verlauf meiner Rede näher eingehen. So beweisen Länder wie Schweden und Großbritannien, die ihre Schulsysteme schon vor Jahren zu reformieren begonnen haben, dass Schulen spürbar besser werden können. Das geht aber nur, wenn man es zielgerichtet und hartnäckig macht, und wie gesagt, die Ergebnisse sind nicht sofort sichtbar.
Uns muss also klar sein, dass es eine grundsätzliche Reform geben muss, dass es aber keine Patentrezepte gibt. Ich halte auch Schuldzuweisungen für falsch, und ideologische Grabenkämpfe sind ebenso verfehlt. Vielleicht darf ich hier einmal Frau Hohlmeier zitieren, die auf der Intenetseite der CSU deutlich sagt: Parteipolitische Spielchen sind jetzt fehl am Platze. Frau Hohlmeier fordert auch ein Ende des parteipolitischen Taktierens, und Frau Schavan, die ja auch gelegentlich gern von konservativen Politikern zitiert wird, sagt, man solle keine weiteren ideologischen Diskussionen über Schulstrukturen führen. Dies ist nachzulesen, ich gebe Ihnen gern die Quellen, Herr Kollege Rohmeyer.
Erforderlich ist eine ruhige Debatte. Es gibt keine Patentrezepte. Das sagt auch Herr Rohmeyer von der CDU und relativiert das Ganze dann mit seinen
Hinweisen, ohne die Ergebnisse besonders zu beleuchten. Richtig ist, es wird in Deutschland zu spät eingeschult, da sind wir uns einig. Auch ist richtig, dass die Angebote nur mäßig mit der Vorschule abgestimmt sind, und richtig ist auch, dass in der Grundschule bisher zu wenig Unterricht erteilt worden ist. Wir müssen hier mehr machen, denn hier werden die Weichen für die Bildungswege gestellt, hier wird das Fundament gelegt, und insgesamt ist die Bundesrepublik in ihren Investitionen in die Grundschule im unteren Drittel der OECD, und das ist überhaupt nicht gut. Das müssen wir ändern, und das werden wir ändern.
Meine Damen und Herren, ich komme zu einem Punkt, der sehr intensiv diskutiert werden muss. Die Pisa-Studie zeigt klar und deutlich, dass unser System viel zu selektiv ist.
In Deutschland werden die Kinder schon sehr früh getrennt, und wir kennen ja und haben ihn auch wieder gehört den beharrlichen Ruf einiger konservativer Politiker, die gelegentlich sagen, das sei noch nicht früh genug. Heterogene Klassen, also Klassen mit einem sehr unterschiedlichen Leistungsniveau, förderten nicht die Schwachen, sie hemmten angeblich die Starken, und gelegentlich ist auch das üble Wort von Gleichmacherei zu hören. Die Pisa-Untersuchung zeigt, dass das Gegenteil richtig ist.