Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 15. Wahlperiode – 47. (außerordentliche) Sitzung am 08. 11. 01 3471
Aber wir arbeiten hier auf Tuchfühlung. Wir sind hier nahe beieinander. Dieser Stadtstaat lebt nicht aus Distanz, sondern aus Nähe. Es ist nach wie vor ein ganz großer Gewinn für die Landesregierung, ich denke auch für die Öffentlichkeit, für das, was wir Freie Hansestadt Bremen nennen, dass es uns gelungen ist, einen so exponierten Unternehmer in die Alltagsarbeit einer Landesregierung und in den Alltag der Bürokratie zu bekommen. Ich kann es mir richtig vorstellen, wie es bei den internen Beratungen geht. Ich war nie dabei, aber ich kann es mir vorstellen, dass es für alle Beteiligten kompliziert ist, weil das alles gewöhnungsbedürftig ist. Jetzt nicken sogar die CDU-Leute, und ich denke, auch Sie haben diese Erfahrung, sich kennen zu lernen und miteinander umzugehen und dann den gemeinsamen Nutzen zu bekommen. Nur Hermann Kuhn schüttelt den Kopf. Er hat keine Gewöhnungsprobleme, aber das muss ich aushalten.
Ich rede über Ihren Misstrauensantrag, wenn Sie das noch nicht mitbekommen haben, und ich rede darüber, dass wir selbstkritisch genug mit dem Kollegen – –.
Lieber Herr Kuhn, Sie müssen aushalten, dass Ihr Misstrauensantrag keinen Erfolg hat, stellen Sie sich das einmal vor!
Ich möchte gern, dass Sie uns im Senat, den Kollegen Hattig in unserer Mitte, als eine Regierung erleben, die natürlich mit dem Parlament, mit den Parlamentsfraktionen, mit der Opposition, natürlich auch in den Gremien der Deputationen, in den Ausschüssen und natürlich auch in den parlamentarischen Begleitungen unserer outgesourcten Unternehmen offen und fair miteinander umgeht. Wir wollen aus Missstimmungen lernen. Wir sind nicht borniert, lieber Jens Böhrnsen. Wir sind nicht auf einem Rechtfertigungstrip und sagen, wir haben noch nie einen Fehler gemacht. Nein, wir wollen voneinander lernen, weil das für uns insgesamt gut ist. Wir können uns an diesem Punkt ein Stück optimieren. Wir können ein Stück vorankommen, und wir können ein Stück zusätzliche Gestaltungsmöglichkeit für das Land und auch für Bremerhaven bekommen.
Wenn der DVU-Sprecher sagt, er sei der Einzige, der für Bremerhaven kämpft, so kenne ich viele andere, die das mit mehr Einsatz, mit Aufrichtigkeit,
Wir wären von allen guten Geistern verlassen, wenn wir den Eindruck erwecken würden, hier gäbe es niemanden mehr, der für Bremerhaven kämpft. Darum ist das mit dem Marketingkonzept auch eine richtige Antwort. Helga Trüpel hat gesagt, das sei ein richtig billiger Koalitionstrick. Wenn Ihnen gar nichts mehr einfällt, greifen Sie in die Propagandaschatulle. Nein, liebe Helga Trüpel, ich habe gehört, Sie wollten sich auf diesem Feld außerparlamentarisch qualifizieren und engagieren. Darum hoffe ich, dass es ankommt, weil ich denke, es ist wichtig. Es gehört mit zu einem guten landespolitischen, stadtpolitischen Wachstumskonzept, wenn wir im Marketing nach außen wie nach innen besser werden. Das gilt insbesondere für Bremerhaven. Wir müssen in Bremerhaven innen wie außen ein positives Klima organisieren. Die Leute müssen sich in der Stadt wohl fühlen. Sie müssen wissen, es geht voran. Wir haben gute Projekte, wir kommen mit den guten Projekten voran. Wir bekommen zusätzliche Leute in die Stadt hinein. Das, was wir in Bremen inzwischen geschafft haben, dass wir einen positiven Wanderungssaldo bekommen haben, das wollen wir genauso in Bremerhaven bewirken. Wir wollen uns doch nicht gegeneinander ausspielen, sondern wir wollen das genauso, wie das bei uns auf den Weg gebracht ist, auch in Bremerhaven.
Darum ist es richtig, wenn wir Bremerhaven einbeziehen in diesen Koalitionskompromiss. Wir wollen das gemeinsam machen. Die Leute werden uns nicht, weil wir gegeneinander Hetzreden halten, in Zukunft unterstützen, sondern sie werden uns weiter unterstützen, wenn sie wissen, dass auf uns Verlass ist und wir auch durchhalten, wenn der Wind von vorn kommt, auch in schwerem Wasser, dass wir kurssicher sind und niemanden über Bord gehen lassen. Ich danke Ihnen dafür, wenn Sie nachher mit dem breiten angekündigten Votum dieses Misstrauensvotum ablehnen!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nur ein Satz! Ich finde nicht, dass es hier in Redebeiträge gehört, wer mit wem zusammenlebt oder zusammen ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
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ist oder wer sich wie beruflich betätigt, vor allen Dingen, wenn es in einem solchen Stil geschieht, auch Leute herabzusetzen. Ich bin damit nicht einverstanden, Herr Bürgermeister, dass Sie das hier über Mitglieder meiner Fraktion so zum Thema machen.
Als Erstes möchte ich mich bei der großen Koalition, also bei Herrn Eckhoff und Herrn Böhrnsen und bei den Mitgliedern ihrer Fraktionen, die unsere Anträge auf Einberufung einer Sondersitzung und unseren Antrag, Herrn Senator Hattig das Misstrauen auszusprechen, unterschrieben haben, bedanken. Es ist fair absprachegemäß ohne zeitliche Verzögerung passiert, und das war für uns eine gute Erfahrung, dass es hier doch noch Sachen gibt, auf die man sich verlassen kann. Im Namen meiner Fraktion möchte ich mich hier noch einmal ausdrücklich bei Ihnen bedanken.
Zu Herrn Tittmann möchte ich nur einen Satz sagen, das andere hat Herr Bürgermeister Scherf schon getan. Sich hier als Retter Bremerhavens aufzuspielen ist das eine, das andere sind die Taten, und Sie nützen dem Standort Bremerhaven nicht, wenn Sie auf falschen Informationen beruhend, bloß um hier üble Nachrede zu betreiben, den Eindruck erwecken, es sei das Versagen des Wirtschaftsressorts gewesen, das die Fährschiffreederei bewogen hat, nach Cuxhaven zu gehen. Die Grünen als Opposition haben keine Hinweise darauf, und wir werden dies hier auch nicht behaupten.
Zur Rede von Bürgermeister Scherf und zu der Ampel: Das spielt hier ja oft eine Rolle. Es ist schon schön, dass die Leute, die dabei waren, sich dann so unterschiedlich entwickelt haben. Dem einen wird das zum Nachteil und dem anderen zum Vorteil ausgelegt, und das Bekenntnis, ich habe mich weiterentwickelt und sehe das jetzt alles ganz anders, wird sozusagen zur Grundlage von Regierungsverantwortung. Das ist schon eine reife Leistung.
Ich sage einmal, aus meiner Sicht hat die Ampel sehr viele Sachen angeschoben und hat aus der Tatsache, dass Bremen in den Jahren davor zu wenig investiert hat, zu wenig neue Sachen angefangen und sich wenig innovativ gezeigt hat, schon die richtigen Konsequenzen gezogen. Teilweise wird uns das ja auch von Vertretern der großen Koalition vorgehalten. Wenn es gerade in den Kram passt, werden lauter Ampelprojekte entdeckt, an denen natürlich die Grünen wieder, das haben Sie jetzt gera
de nicht gemacht, aber mit Vorliebe auch noch allein schuld sind. Da hat die Ampel die richtige Lehre gezogen. Was wir falsch gemacht haben, war, dass wir zu sehr mit Gezänk untereinander beschäftigt waren und damit, der Öffentlichkeit zu zeigen, wie schwer wir es miteinander haben.
Die Ampel sollte ja gerade eine große Koalition verhindern. Das finde ich auch immer noch, dass dies ein richtiges Ziel war. Jetzt ist aber das Problem, dass es viel Reklame gibt, dass es zu große Mehrheiten gibt und dass es zu sehr Arroganz der Macht gibt. Deshalb muss man, wenn man sich die Regierungszeit der großen Koalition anschaut, zu einer anderen Analyse kommen und kann natürlich, so wie Frau Dr. Trüpel das gesagt hat, die Lehre daraus ziehen, das sollte dann aber nicht in das Gegenteil umschlagen.
Zu Herrn Eckhoff ist es schwer, etwas zu sagen. Sie haben nämlich nur ganz am Ende Ihrer Rede zur Sache gesprochen. Sie haben Ihre Rede hier zum Haushalt und zum Sanierungskurs der großen Koalition gehalten. Sie haben sie recycelt und nehmen auch noch für sich in Anspruch, dass Sie hier Fakten nennen. Das tut Herr Senator Hattig auch immer gern, Fakten, Fakten, Fakten! Das schaut man sich dann genauer an, und dann stellt man fest, auch halbe Wahrheiten sind nicht die ganze Wahrheit. Zum Feiern der Senkung der Arbeitslosenzahlen, sage ich noch einmal, seit Beginn der rotgrünen Bundesregierung sind die Arbeitslosenzahlen in Westdeutschland um 17,8 Prozent gesunken –
natürlich! – und in Bremen nur um 15 Prozent. Sie haben außerdem unterschlagen, dass die Arbeitslosenzahlen in Bremerhaven erheblich gestiegen sind.
Es ist auch Faktenlage, dass es Ihnen bei Ihrer ganzen Sanierungspolitik eben nicht gelungen ist, die Wirtschafts- und Finanzkraft Bremens überdurchschnittlich zu steigern. Es ist auch ziemlich lächerlich, jede einzelne Baustelle, die in Bremen die Leute freut oder ärgert, nun als große Tat der großen Koalition zu feiern.
(Abg. E c k h o f f [CDU]: Dann hätte ich zwei Stunden reden müssen, wenn ich jede Baustelle genannt hätte!)
Die Baustellen, über die gerade geredet wird, werden als Ihr Erfolg gefeiert. Das können Sie auch gern
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Frau Lemke-Schulte hat da leidvolle Erfahrungen. Als Stausenatorin wurde sie von Herrn Pflugradt besonders gefeiert, und als wir uns gerade mit den Misstrauensanträgen beschäftigt haben, wurde uns das wieder in Erinnerung gerufen.
Die Krönung Ihrer Rede, Herr Eckhoff, war, dass Sie die Akteneinsicht als Information des Parlaments gesehen haben. Ist Ihnen das nicht langsam wirklich selbst peinlich? Was haben Sie eigentlich für ein Selbstverständnis als Parlamentarier?
Sie haben hier Rechte und Pflichten! Wir können uns nur die Akten anschauen, von deren Existenz wir wissen. Darüber sage ich gleich noch einmal etwas, wie das mit der Existenz der Akten ist und wie gerade die Opposition darüber informiert wird.
Der Senat ist verpflichtet, von sich aus vollständig, ohne etwas wegzulassen, zu informieren. Parlamentarier müssen ziemlich begabt sein und müssen eine Menge Sachen machen, aber eine Detektivausbildung war bisher nicht die Eingangsvoraussetzung!
Ihr hohes Lob auf Herrn Senator Hattig! Sagen Sie einmal, Herr Eckhoff, haben Sie nicht neulich in der „taz“ gerade selbst gesagt, dass ein jüngerer Senator für die CDU-Klientel eher besser wäre? Ich habe gedacht, auch in Ihren Reihen gäbe es erhebliche Kritik an der Arbeit dieses Senators. Sehen Sie, und das unterscheidet Sie auch einfach von den Grünen –
das stand da, dann müssen Sie es dementieren! –, das unterscheidet Sie von den Grünen: Alter ist für uns nämlich kein Argument, die Qualität der Arbeit allerdings schon.
Herr Böhrnsen, Ihren Redebeitrag fasse ich einmal so zusammen: Herr Hattig ist als Senator gescheitert, als Aushängeschild für die große Koalition wichtig. Irgendwie haben die Kritiker ja im Prinzip an allen Punkten Recht gehabt, aber die große Koalition darf jetzt nicht gefährdet werden. Das kann
ich aus Ihrer Sicht verstehen. Wir bestreiten das auch nicht, dass Sie einen überzeugenden Wählerauftrag bekommen haben. Das heißt aber heute, nach sechs Jahren großer Koalition, der Vorrat an Gemeinsamkeiten ist erschöpft.