Protocol of the Session on November 8, 2001

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Böhrnsen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Kollege Eckhoff hat zu Be

ginn seiner Rede die Leistungsbilanz der großen Koalition vorgetragen. Die kann ich in ihren positiven Aussagen nicht übertreffen. Deswegen will ich Wiederholungen vermeiden und wende mich dem Antrag der Opposition zu, Senator Hattig das Misstrauen auszusprechen. Ich sage am Beginn, Herr Kollege Eckhoff, da kann ich Sie übertreffen: Sie haben 41 Stimmen, wir einige mehr, und wir werden diesen Antrag geschlossen ablehnen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, bevor ich konkret zu diesem Antrag komme, muss ich zunächst diejenigen enttäuschen – und das sind ja nicht viele –, die hier heute von dieser Debatte etwas ganz anderes erwarten. Wir werden heute nicht das Ende der großen Koalition einläuten, wie es sich vielleicht die Opposition erhofft. Diese Koalition hat einen Regierungsauftrag, angelegt durch Wählervotum, beschlossen von den sie tragenden Parteien und besiegelt durch Koalitionsvertrag. Dieser Auftrag umfasst zeitlich die gesamte Legislaturperiode bis 2003 und inhaltlich die Fortsetzung der Sanierungspolitik mit dem Ziel eines verfassungskonformen Haushalts im Jahr 2005. In zeitlicher Hinsicht und in inhaltlicher Umsetzung sind wir an der Mitte angelangt, und von uns beabsichtigt keiner, zur Mitte dieser Legislaturperiode auszusteigen und die Verantwortung für die Zukunft unseres Landes abzugeben.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Das hat, ich habe es schon gesagt, auch für die heutige Abstimmung Konsequenzen, denn in einer Koalition gehört es zu den Grundlagen der Zusammenarbeit, dass jeder Partner sein eigenes Personal bestimmt. Einen Senator des Koalitionspartners wählt man nicht ab ohne die Folge, dass damit die Koalition aufgekündigt ist. Nicht nur, aber auch deshalb wird Josef Hattig heute die Stimmen der SPDFraktion auf sich vereinigen können, weil die SPD ein verlässlicher Partner der Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode ist.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, liebe Frau Dr. Trüpel, auch ein zweites Stück wird hier heute nicht gespielt: das Ende der Sanierungspolitik! Bremen, nicht die SPD oder die CDU, nicht der Senat oder die Bürgerschaft allein, nein, Bremen hat sich gegenüber dem Bund und den anderen Ländern zu etwas verpflichtet, als es um Hilfe ersuchen musste wegen einer unverschuldeten Haushaltsnotlage. Wir haben uns nicht nur verpflichtet, mit den Hilfsmilliarden Schulden abzubauen. Wir haben uns verpflichtet zu sparen und zu sanieren, und wir haben uns auch verpflichtet, in die Zukunft des Landes zu investieren,

Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 15. Wahlperiode – 47. (außerordentliche) Sitzung am 08. 11. 01 3463

die Wirtschafts- und Steuerkraft des Landes zu steigern.

Die große Koalition hat am Anfang ihrer Regierungszeit die Entscheidung getroffen, den volkswirtschaftlich mittel- und langfristig messbaren Erfolg auch über Großprojekte zu erreichen. An der grundsätzlichen Weichenstellung Sparen und Investieren halten wir Sozialdemokraten fest. Allerdings hat sich die SPD-Fraktion zu Beginn dieser Legislaturperiode nach einer kritischen Bestandsaufnahme für eine Neujustierung in der zweiten Phase der Sanierungspolitik ausgesprochen, um jetzt sofort in die Verbesserung der Lebensverhältnisse in der Stadt investieren zu können. Das Motiv: Wir dürfen nicht nur auf touristische Attraktionen setzen, sondern müssen dem anhaltenden Einwohnerschwund gezielt entgegenwirken.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die einhellige Zustimmung des Parlaments zu der von uns initiierten Neubürgeragentur zeigt, dass wir Sozialdemokraten mit unserer Analyse richtig gelegen und offenbar auch die richtigen Konsequenzen im Interesse Bremens und Bremerhavens gezogen haben.

Das Musicaltheater am Richtweg mit „Jekyll and Hyde“ war eines der angeschobenen touristischen Großprojekte aus der Anfangsphase der Sanierungspolitik, und es war bisher keine Erfolgsgeschichte. Das müssen wir heute erkennen. Ich empfinde es als Stärke und nicht als Schwäche dieser Koalition, das eingestehen zu können und daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen.

(Beifall bei der SPD)

Die große Koalition ist, wenn auch unter gewissen Mühen, in der vergangenen Woche der von uns Sozialdemokraten immer vertretenen Linie gefolgt und hat den Schluss gezogen – –.

(Abg. Frau D r. T r ü p e l [Bündnis 90/ Die Grünen]: Das hört sich bei Herrn Eck- hoff aber tendenziell anders an!)

Das habe ich nicht anders verstanden, Frau Dr. Trüpel! Die Koalition hat in der vergangenen Woche die Schlussfolgerung gezogen, das Musicaltheater ist vor einiger Zeit in die Verantwortung eines privaten Betreibers übergegangen, zusätzliches öffentliches Geld, um den Betrieb aufrechtzuerhalten, gibt es nicht!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wenn der private Betreiber zum Ergebnis kommt, dass am Richtweg ein Musical mit wirtschaftlichem Erfolg anzubieten ist,

dann werden wir uns darüber sehr freuen. Wenn der private Betreiber dagegen zum Ergebnis kommt, dass am Richtweg ein Musical nicht mit wirtschaftlichem Erfolg anzubieten ist, dann müssen wir das akzeptieren.

Das Fazit heißt dann für uns: Mit der Investition in das Musicaltheater ist die Stadt ein Risiko eingegangen, und der Erfolg ist ausgeblieben. Dann, und erst dann, meine Damen und Herren, kann sich die öffentliche Hand in der Pflicht sehen, das Invest am Richtweg nicht zu einer Investitionsruine werden zu lassen, sondern vorbereitete, kluge Alternativkonzepte vorzustellen. Dass das leicht sein wird, soll niemand sagen. „Hair“ ist ja nicht das erste Projekt, das am Richtweg in Not geraten ist, aber der Erfolg und die Zukunft des Sanierungsprogramms hängen nicht vom Erfolg eines einzelnen Projektes wie des Musicals ab. Das werden doch auch die Gegner nicht ernsthaft behaupten wollen. Die Geschichte des Musicals ist aber natürlich nicht geeignet, zu business as usual zurückzukehren. Das werden wir Sozialdemokraten auf keinen Fall zulassen.

(Beifall bei der SPD)

Die letzten Wochen haben wieder einmal deutlich gemacht, dass die parlamentarische Kontrolle bedeutsamer Projekte und Politikbereiche in Bremen unzureichend entwickelt ist.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Der Fall des Musicaltheaters zeigt, dass wir die privatwirtschaftliche Organisation staatlicher Aufgaben womöglich in anfänglicher Euphorie offenbar zu weit getrieben haben. Die HVG beispielsweise agiert für das Wirtschaftsressort. Dennoch haben Parlamentarier erhebliche Schwierigkeiten, die für ihre Entscheidungen erforderlichen konkreten und detaillierten Informationen von dieser Gesellschaft zu erhalten.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Zwar halten wir es unverändert für sinnvoll, dass sich die Legislative nicht mit den Alltäglichkeiten der Exekutive befasst. Der Haushaltssouverän, das Parlament muss aber jederzeit in der Lage sein, sämtliche ihm entscheidungsrelevant erscheinenden Daten einzufordern und zu erhalten.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich füge hinzu, die parlamentarischen Rechte und die parlamentarische Verantwortung müssen alle Be

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reiche staatlichen Handelns, auch die organisatorisch privatisierten, umfassen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Meine Damen und Herren, ich will dieses Thema an dieser Stelle nicht ausweiten. Ich denke jedoch, es musste genannt werden, weil auch hier Ursachen für die unbefriedigende Einbeziehung des Parlaments in die Entwicklung des Musicaltheaters liegen könnten. Die Struktur dieses Problems findet sich übrigens auch in anderen, allerdings weniger krisenhaften Bereichen. Das von der SPD-Fraktion vor kurzem vorgestellte Gutachten zur parlamentarischen Kontrolle zielt daher auf die Definition und Entwicklung befriedigender und sachgerechter Formen der Zusammenarbeit zwischen Bürgerschaft und Senat. An der Umsetzung der Vorschläge, die die Gutachter gemacht haben, müssen wir nach meiner Überzeugung dringend gemeinsam arbeiten.

(Beifall bei der SPD)

Vor dem Hintergrund der beim Musicalprojekt gemachten schlechten Erfahrungen erscheint mir rasches Handeln unverzichtbar. Ich appelliere daher an dieser Stelle an alle Fraktionen, die zur Sicherung wirksamer parlamentarischer Kontrolle erforderlichen Korrekturen so schnell wie möglich zu beraten und zu beschließen. Das Parlament muss sich endlich ein wirksames Instrumentarium parlamentarischer Kontrolle schaffen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Dazu, meine Damen und Herren, gehört natürlich auch die parlamentarische Kontrolle über bedeutsame Mittelzuwendungen.

(Zuruf vom Bündnis 90/Die Grünen: Und Senatoren, die das ernst nehmen!)

Ich betone noch einmal, dass der Vorgang Musicaltheater, „Jekyll and Hyde“ und „Hair“ nicht mit dem heutigen Tag beendet ist. Noch sind Fragen offen, sind Fehler aufzuarbeiten, damit sie nicht noch einmal passieren. Verträge, die zum großen Teil der heutige Wirtschaftssenator nicht persönlich zu verantworten hat,

(Abg. M ü t z e l b u r g [Bündnis 90/Die Grünen]: Wer denn sonst?)

müssen analysiert werden, ob sie die Rechtspositionen der Stadt, ihrer Gremien und ihrer Haushalte genügend abgesichert oder berücksichtigt haben. Information und Beteiligung sind dabei nicht nur die

Stichworte des allgemeinen Umgangs der Bürgerschaft und des Senats, des Parlaments und der Verwaltung, sondern sie beeinflussen auch den konkreten Umgang mit dem Misstrauensantrag vom Bündnis 90/Die Grünen gegenüber dem Wirtschaftssenator.

Meine Damen und Herren, ich denke, man muss es hier aussprechen, es gibt eine persönliche Dimension, die es manchem im Hause, nicht nur in der Oppositionsfraktion, nicht immer leicht macht, konfliktlos mit Senator Hattig zusammenzuarbeiten. Das ist kein Geheimnis, sondern auch in Debatten in diesem Hause schon erkennbar geworden. Als ehemaliger Vorstandschef eines bedeutenden Unternehmens hat es Senator Hattig der großen Koalition erleichtert, sich in Wirtschaftskreisen einen guten Ruf zu erwerben und das Klima in Bremen als wirtschaftsfreundlich zu gestalten. Das ist von unschätzbarem Wert, denn Politik allein, das wissen wir doch, kann die Zukunft des Landes nicht gestalten.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, im Umgang mit Parlamentariern erweist sich aber der gleiche Stil mitunter als Hürde, weil er von einem Oben und Unten ausgeht, vor allem von Aufträgen und Anweisungen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Eine gute parlamentarische Entscheidung setzt aber voraus, dass man sich im parlamentarischen Umgang auf gleicher Augenhöhe und mit ausreichendem Informationsgerüst begegnet.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Meine Damen und Herren, gegen diese Grundlage des Zusammenwirkens ist in der Tat verstoßen worden. Ich sage es an dieser Stelle noch einmal ganz offen, die SPD-Fraktion ist fassungslos, in welchem Umfang und mit welcher Arroganz und Unverfrorenheit leitende Beamte der Wirtschaftsbehörde parlamentarische Gremien falsch oder gar nicht informiert haben.