Protocol of the Session on August 30, 2001

Nebenbei: Die Familien, die ins Umland ziehen, bauen dort nicht alle Häuser. Mehr als 50 Prozent mieten dort Häuser oder Wohnungen. Die Großwohnanlagen in unserer Stadt, geschaffen in der Nachkriegszeit, damals mit Heizung, Balkon und Bad für viele Familien der Traum schlechthin, entsprechen heute nicht mehr den Anforderungen der Zeit. Die Wohnungen sind für Familien mit Kindern vielfach zu klein und insgesamt unattraktiv. Die Belegungspolitik führte zudem dazu, dass hier soziale Brennpunkte entstanden. Deshalb zieht heute jede Familie aus, die es sich eben leisten kann, und die soziale Entmischung nimmt weiter zu. Es ist dringend geboten, hier alle Möglichkeiten zu nutzen, diesem Trend Einhalt zu gebieten.

(Beifall bei der SPD)

Zu einem familienfreundlichen Umfeld gehört eine entsprechende Infrastruktur. Freiräume und Freizeitangebote, Sport und Kultur, nicht zuletzt Freibäder dürfen nicht aufgrund einer eingeschränkten Sichtweise dem Rotstift geopfert werden. Sie sind Standortfaktoren, wenn es um das Wohnen geht, und sie sind Standortfaktoren für Familien. Ein attraktives Wohnumfeld ist genauso wichtig wie moderne und zukunftsorientierte Arbeitsplätze. Arbeitsplätze haben für meine Fraktion hohe Priorität.

Wir investieren in Projekte, die die Wirtschaftskraft Bremens stärken, und sind für Fördermaßnahmen, die dazu beitragen, Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern. Wir wissen, dass es für junge Menschen hinsichtlich ihrer Lebens- und Familienplanung von entscheidender Bedeutung ist, zukunftsorientierte und relativ sichere, das heißt auch unbefristete Arbeitsplätze zu finden.

Daneben hält die SPD-Fraktion es aus familienpolitischer Sicht für wesentlich, dass Arbeit und Familie besser in Einklang gebracht werden müssen.

Das würde vielen Familien den Ausstieg aus der Sozialhilfe ermöglichen.

(Beifall bei der SPD)

Darüber hinaus ist auch festzustellen: Junge Frauen sind heute überwiegend gut qualifiziert und ausgebildet. Sie möchten Kinder und Beruf.

(Beifall bei der SPD)

Immer noch stehen sie aber allzu oft vor der Entscheidung: entweder Familie oder Beruf und Aufstiegschancen. 41 Prozent der Akademikerinnen, einer Frauengruppe mit besonders ausgeprägter Berufsorientierung, bleiben derzeit in Deutschland kinderlos. Für Frauen in Führungspositionen gilt dies für 51 Prozent. Dabei wollen annähernd 80 Prozent der sechzehn- bis vierundzwanzigjährigen Mädchen und Frauen noch beides, eigene Kinder und Berufstätigkeit.

Wenn wir junge Menschen ermutigen wollen, ihren Wunsch nach eigener Familie zu realisieren, dann müssen wir ihnen eine bessere Perspektive bieten, die es ihnen erlaubt, Familie und Beruf in Einklang zu bringen. Wir brauchen mehr Kinderbetreuungseinrichtungen. Für die Drei- bis Sechsjährigen können wir zwar schon eine sehr hohe Versorgungsrate aufweisen, für die bis Dreijährigen dagegen sieht es auch in Bremen noch viel zu schlecht aus. Hier besteht zweifellos noch großer Bedarf.

(Beifall bei der SPD)

Das Angebot an betrieblicher Kinderbetreuung muss deutlich verbessert werden. Die Kooperation von Unternehmen würde auch kleineren Betrieben solche Möglichkeiten bieten. Gerade angesichts der zunehmenden Flexibilisierung von Arbeitszeiten wird der Bedarf an Betriebskindergärten beziehungsweise betriebsnahen Kindergärten zwingend. Damit würden die beruflichen Möglichkeiten insbesondere für junge Frauen verbessert, aber auch die Unternehmen profitieren davon, denn nur, wer seine Kinder gut und verlässlich betreut weiß, kann seine Leistungsfähigkeit uneingeschränkt im Betrieb entfalten.

(Beifall bei der SPD)

Ebenso muss es mehr Schulen mit Ganztagsangeboten geben. Selbst die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeber fordert inzwischen mehr Ganztagsschulen, weil damit das Potential der qualifizierten Frauen in der Wirtschaft gefördert wird und dies ein entscheidender Beitrag zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist. In fast allen europäischen Nachbarländern sind Ganztagsschulen auch für ältere Kinder und Jugendliche seit

langem selbstverständlich. Auch in anderen Bundesländern sind inzwischen erste Angebote dieser Art angelaufen. Ich bin sicher, dass auch wir damit nicht länger warten dürfen, denn damit schaffen wir nicht nur aus bildungs- und familienpolitischer Sicht ein längst überfälliges Angebot, damit verbessern wir auch deutlich den Standortfaktor unserer Städte, weil dies für den Wirtschaftsstandort von immer größerer Bedeutung wird.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb ist es doch nur angemessen, wenn die Kosten, die nun einmal mit einem zusätzlichen qualitativen Angebot verbunden sind, gemeinsam getragen werden. Wir hoffen hier auf eine spürbare Unterstützung aus dem Wirtschaftsressort. Das Interesse bei den Schulen besteht, die Eltern wollen das Angebot, die Wirtschaft braucht es, also lassen Sie uns anfangen!

(Beifall bei der SPD)

Die Bundesregierung hat nach Zeiten des Stillstands in der Familienpolitik inzwischen einiges auf den Weg gebracht. Mit der Erhöhung des Kindergeldes in drei Schritten von 220 DM auf jetzt 300 DM,

(Beifall bei der SPD)

mit der Einführung des Betreuungsfreibetrags und der noch folgenden Einführung des Erziehungsfreibetrags bis 2002, durch den Rechtsanspruch auf Teilzeitbeschäftigung und einiges mehr.

(Glocke)

Die SPD-Fraktion will eine moderne und vorwärtsblickende Familienpolitik, eine gerechtere Familienpolitik, denn Kinder zu haben, darf nicht gleichzeitig ein hohes Armutsrisiko sein. Wir müssen den Menschen in unserer Stadt wieder Mut und Perspektive geben, sich für Familie zu entscheiden und mit ihren Familien hier zu leben. Ich hoffe, dass dieser Antrag eine breite Zustimmung findet. Ich bin neugierig auf die Antworten und Schlussfolgerungen des Senats. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Stahmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kauertz hat gesagt, Kinder zu haben – ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

und das ist auch richtig, das sagt auch die AWOStudie zur Kinderarmut – beinhaltet das Risiko, soziale Nachteile zu haben, man spricht da auch von sozialer Armut. Ich sage einmal, als Mutter von zwei Töchtern lasse ich es mir nicht nehmen zu sagen, Kinder zu haben, ist auch ein großes Glück und eine ganz wertvolle Sache.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Bremen kann davon nur profitieren, wenn wir Familien ein lebenswertes Umfeld anbieten. Wir Grünen werden Ihren Antrag natürlich unterstützen. Er ist sinnvoll und greift den Familienbericht von 1990 noch einmal auf. Allerdings habe ich auch noch einige Anmerkungen, die, ich denke, die Senatorin auch aufgreifen wird in dem Bericht, der hier vorgelegt wird.

Ich habe bei uns aus dem Regal gefischt, dass es 1996 eine Gevers-Studie gab, ich glaube von der Wohnungsbauwirtschaft, dort wurden abgewanderte und zugewanderte Haushalte befragt. Als Hauptgründe für die Abwanderung wurde in dieser Reihenfolge genannt: Belastungen durch Lärm – das greift noch einmal die aktuelle Debatte „Lärmminderungspläne erstellen“ von gestern auf, das ist ein aktuelles Thema –, Abgase, Schmutz, die alte Wohnung ist zu klein, man hat mehr Kinder bekommen und möchte eine größere Wohnung haben, das Gebäude ist vielleicht zu eng oder hellhörig, und das soziale Umfeld ist schlecht. Hier wird noch einmal besonders die verkehrliche Situation angegeben, die Schulwege der Kinder sind nicht sicher, und man wünscht sich eine stärkere Urbanität in den Stadtteilen. Ich finde, diese Gründe sollte man ganz deutlich im Familienbericht aufnehmen und in politisches Handeln umsetzen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich wollte noch anmerken, dass es auch wichtig ist, aktuelle Entwicklungen in diesem Familienbericht aufzunehmen. Es hat sich ja zum Beispiel einiges verändert, es heißt jetzt nicht mehr Erziehungsgeld und Erziehungsjahre, sondern man spricht von Elternzeit. Dort hat sich auch etwas verändert in der Aufteilungsmöglichkeit hinsichtlich der Zeiten, es gibt zwar noch nicht viele Männer, es sind bisher nur zwei Prozent der Männer, die die Erziehungsoder Elternzeit in Anspruch nehmen. Solche Sachen müssten auch empirisch in einem solchen Bericht aufgenommen werden. Auch der AWO-Bericht zum Thema Kinderarmut sollte als Datenbasis hier hinzugezogen werden.

Es ist weniger, denke ich, der höhere Miet- und Baupreis, der die Familien aus der Stadt sozusagen wegziehen lässt, sondern das Thema Lebensqualität. Ich finde, wenn es gelingt, mit diesem Bericht

eine vernünftige Datenbasis zu erlangen, dann hat das Parlament etwas davon und kann mit diesem Bericht auch politisch arbeiten.

Wünschenswert wäre gewesen, oder wir sollten uns das als Parlament einfach angewöhnen, dass wir für solche Berichte Fristen setzen. Wenn der Bericht vom Senat dann nicht vorgelegt wird, sollte das Parlament trotzdem diese Themen auch auf die Tagesordnung heben, einfach noch einmal, wenn wir so etwas anfordern, dann muss es auch einen gewissen Stellenwert in der Politik haben.

Familie kennt heute viele Formen, wichtig ist aber, was braucht die Familie, in welcher Form auch immer. Es gibt unterschiedliche Formen der Familie und der Gesellschaft. Was brauchen Familien von der Wirtschaft, von der Politik, um ihren eigenen Vorstellungen von Familie entsprechen zu können, ihre Wünsche als Familie leben zu können? Um genau diese Fragestellung geht es eigentlich. Was wird gebraucht? Arbeitszeitmodelle und Arbeitsformen, Kinderbetreuungsmöglichkeiten wie auch Regelungen zur Elternzeit entscheiden über Chancen einer partnerschaftlichen Aufgabenteilung zwischen Mann und Frau und auch über die Entwicklungschancen von Kindern.

Es geht um Kinderbetreuungsplätze, da gibt es unterschiedliche Auffassungen, es geht darum, dass der Kindergarten auch stärker sein doppeltes Mandat wahrnimmt, einmal – das ist ja ein Aspekt, den Frau Kauertz für die SPD angesprochen hat – als Betreuungseinrichtung für Eltern, aber auch auf der anderen Seite als Bildungseinrichtung für Kinder. Ich denke, das ist noch einmal ein ganz wichtiges Thema.

Aachen ist zum Beispiel eine Stadt, die sich mit dem Thema Familienpolitik sehr intensiv auseinander gesetzt hat. Dort wurden innovative Projekte in der Wohnumfeldgestaltung vorgenommen, in der Wohnungs- und Verkehrspolitik. Es ist also ein interdisziplinäres Thema. Es wurden Spielplatzprogramme geschaffen und es wurde sehr viel getan, um die Sicherheit von Kindern im Straßenverkehr zu verbessern.

Ich wollte es nicht zu lange machen, aber einmal kurz aus meiner eigenen Erfahrung als Mutter erzählen, was mir an Kleinigkeiten einfach einfällt, die auch nicht viel Geld kosten, was man hier verbessern könnte. In Bremen ist es so, dass schon Säuglinge im Hallenbad Geld bezahlen müssen, auch wenn sie selbst noch nicht schwimmen. In Niedersachsen bezahlen Kinder erst ab vier oder sechs Jahren in einigen Kommunen. Das, finde ich, ist zum Beispiel eine einfache Sache, über die man sich in der Sportdeputation oder auch mit den Bremer Bädern unterhalten müsste.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Zuruf der Abg. Frau J a n s e n [SPD])

Es geht nämlich ganz schön ins Geld, mit zwei Kindern kostet es elf DM, wenn man nur mit einen Kind hineingeht, bezahlt man immerhin acht DM. Für Familien, die nicht so viel Geld haben, läppert es sich zusammen. Das ist schon die Familienkarte, ich gehe häufiger schwimmen!

Dann zum Beispiel die Öffnungszeiten und Nutzungsbedingungen der Bäder: Letzte Woche war es 30 Grad warm, draußen stand, das Bad öffnet um neun Uhr, wir gingen hinein, da wurde gesagt, das Hallenbad hat um neun Uhr geöffnet, das Freibad erst um zehn Uhr. Sie können auch nicht hineingehen. Wir haben gesagt, wir wollen auch nur auf den Spielplatz und warten dort auf den Bademeister. Nein, das ging nicht. Die Kinder standen weinend an der Kasse. Dann kam der Bademeister ein bisschen früher, und man hatte dann auch ein Einsehen und ließ die vielen Leute hinein.

(Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Da- für ist dann um halb sieben Schluss!)

Dafür ist um halb sieben Schluss, Frau Hövelmann hat völlig Recht!

Ich finde, es gibt ganz kleine Maßnahmen, hier etwas zu verbessern. In Österreich ist es üblich, dass Kindergruppen kostenlos den ÖPNV benutzen können. An der Waller Heerstraße oder in Bremerhaven an der Weserstraße steht man über zwei Minuten an der Ampel, wenn man hinüber möchte – das sind auch Schulwege –, besonders wenn die Straßenbahn kommt.

(Zuruf des Abg. Karl Uwe O p p e r - m a n n [CDU])

Herr Oppermann, Sie müssen einfach auch noch einmal Ihre Verkehrspolitik der letzten Jahre bilanzieren! Sie haben ja gefordert die Gleichberechtigung des individuellen Verkehrs, der Autos, mit dem öffentlichen Nahverkehr. Das heißt aber, dass gerade die Fußgänger, ältere Menschen und auch Familien, länger an der Ampel stehen. Das muss man einfach überprüfen und sehen, ob das zu einer familien- oder menschenfreundlichen Stadt beiträgt. Ich denke, das könnten wir verändern.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Abschließend sage ich noch einmal, die Innenstadt könnte auch noch eine große Auffrischung gebrauchen. Ich finde sie nicht kinderfreundlich. In anderen Städten gibt es in den Innenstädten Spielscheunen oder die Möglichkeit, auch seine Kinder betreuen zu lassen. In Otterndorf oder in Burhave gibt es schöne Spielscheunen, da fahren die Familien aus Bremerhaven hin, weil das einfach ein Highlight ist. Auf dem High-Tech-Spielplatz am Ansgarikirchhof mit dem Karussell mit den Bremer Stadtmusikanten

ist das Karussell seit vier Wochen kaputt, darum kümmert sich einfach keiner.