Protocol of the Session on September 14, 2000

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Güldner.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Eckhoff hat bereits auf den Anlass dieser Debatte heute hier in der Bremischen Bürgerschaft hingewiesen. Ich möchte noch einmal versuchen, ihn uns in Erinnerung zu rufen. Es sind nicht nur, aber vordringlich Morde, Totschlag, Menschen, die ermordet, die zu––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

sammengeschlagen, -getreten, die durch Städte gehetzt und schwer verletzt worden sind, es ist nicht nur das, es ist in einigen Regionen Deutschlands bei Migranten, bei Menschen, die Minderheiten der unterschiedlichsten Art angehören, bei Juden ein Lebensgefühl entstanden, dass sie in Angst und Schrecken leben, wenn sie bei ihren normalen alltäglichen Dingen, die sie verrichten, auf die Straße gehen müssen, und — und das betrifft insbesondere die gesamte Bundesrepublik, hier können wir überhaupt nicht nur in den Osten schauen, sondern müssen dies auch in den Westen — die Zunahme organisierten Neonazismus, Rechtsextremismus in der gesamten Bundesrepublik mit seinen verschiedenen Formen. Ich werde noch darauf zurückkommen.

Wir haben öfter in der Debatte den Spruch vom Sommerlochthema gehört. Dort, wo — das passiert mir jetzt in meinem politischen Leben zum dritten oder vierten Mal — man sich so intensiv mit dieser Frage beschäftigen muss, weil es sich einfach von dem, was in unserem Land passiert, aufdrängt, kann man wohl kaum von einem Sommerlochthema sprechen. Auch zwischen den Wellen, die wir in den Medien wahrnehmen, weil sie dann dort besonders vorkommen, auch zwischen diesem Auf und Ab, wir hatten Anfang der neunziger Jahre — Stichworte Solingen und so weiter — eine solche Zeit, wir hatten es aber auch in den achtziger Jahren, entwickelt sich das Phänomen, über das wir heute sprechen, weiter und ist nicht verschwunden.

Wenn Sie gerade darauf schauen, welche zunehmende Verbreitung rechtsextremistische Inhalte in den Medien, welche zunehmende Vernetzung diese Gruppen untereinander erreichen und wie sich auch die Gewaltbereitschaft in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten enorm gesteigert hat, kann man wohl kaum von einem Sommerlochthema sprechen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Der Umgang mit dem Thema, und das wird auch durch unseren gemeinsamen Antrag unterstrichen, Herr Eckhoff hat darauf hingewiesen, muss vor allen Dingen eines sein, er muss ernsthaft und glaubwürdig sein, daran messen die Menschen unseren Umgang mit diesem Thema. Was heißt das? Das sind im Wesentlichen drei Punkte.

Erstens, und das sage ich bewusst auch an erster Stelle: keine künstliche Dramatisierung des Themas. Da, wo Demokraten und friedliebende Menschen wie in Bremen das Lebensgefühl und politische Klima bestimmen, gibt es keinerlei Anlass, das Thema künstlich aufzuwerten oder zu dramatisieren. Das muss deutlich gesagt werden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Zweitens: Genauso richtig ist: aber auch keine Bagatellisierung und Verharmlosung des Themas. Wenn wie auch in Bremen und den westdeutschen Bundesländern genügend beunruhigende Phänomene dieser Art existieren, dann ist vollkommen klar, dass wir in ständiger — eben nicht als Sommerlochthema — Wachsamkeit sein müssen und dass es keinerlei Anlass gibt, an welcher Stelle auch immer die Probleme, die wir hier an dieser Stelle haben, zu verharmlosen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Lassen Sie uns, diejenigen also, die in verschiedenen Bereichen davon gesprochen haben, mit dem Gerede vom Sommerlochthema aufhören! Da, wo Menschen getötet und verfolgt werden und wo wie auch in Bremen die geistigen Vorbereiter dieser Hetzkampagnen leben und arbeiten, auch in diesem Hause, ist das Gerede vom Sommerloch völlig deplatziert.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Zu einem Sommerlochthema würde ein schnell wieder weggepackter wohlfeiler Appell gehören. Die drei demokratischen Fraktionen in diesem Hause haben aber stattdessen einen Antrag mit den Bund, aber auch Bremen betreffenden konkreten Schritten vorgelegt und haben damit meiner Ansicht nach genau das Richtige unternommen.

Neben der parlamentarischen Befassung, die wir heute üben, müssen wir bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus selbstverständlich auch in unsere beiden Städte hinausgehen und draußen informieren, Flagge zeigen und überzeugen. Wir haben als Fraktion, die anderen beiden Fraktionen tun dies auch, in den letzten Wochen zahlreiche Einrichtungen und Gruppen besucht, die sich dieses Themas annehmen.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal den Verantwortlichen des Roland-Centers in Huchting danken, das ist ja nun ein Ort, an dem nicht große Reden gehalten werden, sondern an dem das Alltagsgeschäft stattfindet, dass sie eine Kampagne gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz vorgelegt haben. Ich habe in dem Programm gesehen, dass viele von uns dort präsent sind. Ich denke, genau dahin gehören wir auch, und das ist auch ein weiterer richtiger Schritt, dass wir dort präsent sind.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Bevor ich zu einigen konkreten, das Land Bremen betreffenden Punkten komme, lassen Sie mich noch einmal eines sagen, was mir besonders wichtig ist,

und da hat es verschiedentlich auch Misstöne gegeben. Wir erwarten zu Recht als Land Bremen vom Bund und den anderen Ländern Solidarität in vielen finanziellen und auch anderen Fragen, wenn wir an bestimmten Punkten Schwierigkeiten haben. Deswegen erscheint es mir selbstverständlich, dass wir als Bremische Bürgerschaft, als bremischer Landtag dann, wenn in anderen Ländern diese bedrohlichen und hochschwappenden rechtsextremistischen Ausschreitungen stattfinden, unsere uneingeschränkte Solidarität in allen in Frage kommenden Arbeitsbereichen, wo Bund-Länder-Arbeitsgruppen oder gesetzliche und andere Regelungen gefragt sind, aussprechen. Es gibt viel zu tun, Bremen ist dabei an der Seite der anderen Länder. Das ist auch die Botschaft unseres gemeinsamen Antrages.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Zu diesen Aktivitäten, und da sind ja schon entsprechende Schritte eingeleitet worden, gehört natürlich auch die Frage des Verbotes der NPD. Hier sagen wir im Antrag ja auch, dass dies auf jeden Fall umgehend geprüft werden muss. Ich will nicht verhehlen, dass meine Fraktion und ich zu denjenigen gehören, die im Parteienverbot, auch der NPD, nicht das Allheilmittel, vielleicht noch nicht einmal das vordringlichste Mittel im Kampf um die Köpfe der Menschen, nicht um ihre Parteibücher, verstehen. Dennoch müssen wir hier in eine gründliche Prüfung gehen.

Es ist glasklar, wenn die NPD oder andere Parteien wie zum Beispiel auch die in diesem Haus vertretene DVU die Kriterien, die von der Verfassung sehr hoch angelegt sind und eine relativ hohe Schwelle darstellen, eines solchen Parteienverbotes erfüllen, dann kann und darf es keine andere Lösung als einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht geben, denn hat man diese Debatte erst einmal losgetreten und kommt zu einer solchen rechtlichen Prüfung, wäre es fatal, dann auf halbem Wege stehen zu bleiben, weil wir uns alle unglaubwürdig machen würden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Die zweite, bundesweit, ja man muss sagen, aufgrund des Mediums weltweit geführte Debatte betrifft die Frage des Umgangs mit der rechtsextremistischen Propaganda, mit der sehr stark zunehmenden hässlichen Propaganda, die über das Internet betrieben wird. Wir waren uns in den Vorgesprächen zwischen den Fraktionen einig, dass das, was an anderer Stelle vom Strafgesetz in schriftlicher, mündlicher und anderer Form verboten ist, unmöglich im Internet oder in anderen Medien erlaubt sein kann. Hier muss es eine einheitliche rechtliche Si

tuation geben, damit das, was hier verboten ist, natürlich auch für das Internet gilt und im Internet selbstverständlich auch verboten ist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Wir haben aber, und da haben wir im Moment auch keine Lösung, das haben wir auch in den Vorgesprächen festgestellt, auch wenn Sie in die Medien schauen, ein technisches Problem. Um eine vollständige Eliminierung dieser Inhalte aus dem Internet erreichen zu können, müsste man eine totale Kontrolle über Filterprogramme und Ähnliches für das Internet in Erwägung ziehen. Ich glaube, dass wir in diesem Fall sehr genau zwischen verschiedenen Rechtsgütern abwägen müssen. Der Kampf gegen die rechte Dummheit und Gewalt darf gerade nicht dazu führen, dass deswegen zentrale Freiheiten und Rechte der Bürger aufgegeben werden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Es wäre ein Sieg und keine Niederlage für die Rechtsextremen. Es wäre gegen die von uns vertretene Liberalität, wenn wir uns zu solchen Schritten, zum Beispiel einer zentralen Kontrolle des Internets, treiben lassen.

Lassen Sie uns kurzfristig lieber auf die vielen bunten Aktivitäten der Internetgemeinde setzen, die gerade mit den Mitteln des Mediums selbst, nicht gegen das Medium, versuchen, die rechten Bits und Bytes zu entern und gegen ihre Verbreiter umzufunktionieren! Hier liegt ein große Chance.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Langfristig müssen wir uns aber, glaube ich, das haben die Gespräche auch gezeigt, dieser Frage stellen, wie wir mit dem Internet umgehen, und das ist ja nicht nur der Rechtsextremismus, das ist Kinderpornographie und anderes, welche technischen Möglichkeiten es gibt und wo die Bemühung endet, das Internet von diesen Dingen zu befreien.

Lassen Sie mich zum Abschluss auch zu einigen konkreten Punkten kommen, die Bremen betreffen! Es ist keineswegs so, dass wir überhaupt keine rechtsextremistischen Aktivitäten hier in Bremen hätten. Wir haben unterhalb der Schwelle, die wir in einigen anderen Ländern erlebt haben — Gott sei Dank haben wir das hier in Bremen nicht erlebt —, eine ganze Menge von rechten Aktivitäten.

Es muss, und das ist der Trend, der sich herausschält, das ist ganz wichtig, zu einer länderübergreifenden Zusammenarbeit, vor allen Dingen zwischen den bremischen und niedersächsischen Stellen kom

men, weil wir immer mehr beobachten, dass solche Kräfte aus dem direkten Umland nach Bremen und aus Bremen in das direkte Umland hin und her diffundieren und die Landesgrenze, die natürlich die behördliche Zusammenarbeit auch in einigen Fällen bestimmt, quasi ausnutzen. Hier muss eine ganz enge länderübergreifende Zusammenarbeit stattfinden. Das ist uns sehr wichtig.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Lassen Sie uns auch weiter gemeinsam an der Verbesserung der Wohn-, Lebens- und Arbeitssituation in einigen, sagen wir einmal, weniger begünstigten Stadtteilen Bremens und Bremerhavens arbeiten. Es ist ein ganz wichtiger Punkt für die Vorsorge, in diesen Stadtteilen dafür zu sorgen, dass menschenwürdige Wohn-, Lebens- und Arbeitsbedingungen für alle Menschen existieren. Auch hier machen wir einen gehörigen Schritt in die richtige Richtung.

Lassen Sie uns drittens die präventive Jugendarbeit, die in Bremen Hervorragendes leistet, unbedingt erhalten, unterstützen und ausbauen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Ein Besuch beim Verein für aufsuchende Jugendarbeit mit seinem Projekt Jugendarbeit mit rechten Jugendcliquen — übrigens zeigt uns die Existenz dieses Projektes ja, dass es diese rechten Jugendlichen auch in Bremen gibt, sonst würden wir dieses Projekt nicht auch mit staatlichen Mitteln finanzieren — hat gezeigt, dass wir gerade in diesen Zeiten, in denen zum Beispiel die so genannte akzeptierende Jugendarbeit in Ostdeutschland durch einige, wirklich aus dem Ruder geratene Dinge in Misskredit geraten ist, die hervorragende Arbeit, die in Bremen geleistet wird und die unter Bremer Bedingungen auch Sinn macht, hier tatkräftig unterstützen und auch mit den nötigen Mitteln und dem nötigen Rückhalt versehen müssen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ein Besuch beim Fanprojekt von Werder Bremen hat ergeben — für viele von uns, die wir eher auf der Haupttribüne als in der Ostkurve den Spielen zuschauen, nicht merkbar —, dass die, die dort ganz nah an den Fans sind, sagen, dass es gerade bei jüngeren Fans zunehmend ein Problem gibt, dass dort rechtsradikale Sprüche kommen. Das hatten wir auch früher im Bereich des Fußballs, auch bei Werder Bremen einmal, das haben wir aber sehr weit und sehr erfolgreich wieder eingedämmt. Jetzt kommt das gerade bei ganz jungen Fans wieder hoch.

Lassen Sie uns das nicht überbewerten, gerade bei diesen ganz Jungen, das sage ich auch hier an

dieser Stelle, weil vieles wahrscheinlich gedankenlos und nicht organisiert ist! Der Ruf „Schiri nach Auschwitz“, den es in letzter Zeit öfter gegeben hat, darf sich aber auf gar keinen Fall in unserem Stadion einnisten und muss schleunigst wieder aus unserem Fußballstadion heraus.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Auch wenn in Bremen und Bremerhaven keine Banden durch die Innenstadt ziehen und Ausländer, Juden oder andere Minderheiten vor sich hertreiben, obwohl es unterhalb dieser Schwelle schon genug Beunruhigendes gibt, gehen auch in Bremen Menschen ihrem schmutzigem Geschäft nach, geistigen Bodensatz für diese Aktivitäten in Form von Konzerten, CDs, Schrifttum in einer ganzen Reihe von nicht ganz unbedeutenden Verlagen und Musikverlagen zu betreiben.

Wir werden uns schwer tun, all das zu verbieten, weil vieles geschickt unterhalb der Schwelle strafrechtlicher Eingriffsmöglichkeiten betrieben wird. Das ist wahr! Aber lassen Sie uns als Zivilgesellschaft genau hinsehen, und lassen Sie uns aufdecken, wo die Phänomene existieren, wer sie betreibt! Lassen Sie uns dafür sorgen, dass diese Nachfolger der „Böhsen Onkelz“ hier in Bremen nicht noch weiter Fuß fassen können!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Ich möchte abschließend den Bremer Bürgerinnen und Bürgern danken, denn sie sind es in erster Linie gewesen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten das freiheitliche, friedliebende und demokratische Klima in dieser Stadt geprägt haben. Wir alle stehen ihnen in diesen Fragen bei. Wir alle sind auch gewillt, die konkreten Punkte dieses Antrages weiter zu verfolgen und auf die Umsetzung zu drängen. Dann bin ich sehr hoffnungsfroh, dass es uns gelingt, in Bremen dieses Klima zu erhalten. — Danke schön!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)