Protocol of the Session on July 5, 2000

Da gibt Ihnen natürlich nun der Senat Auskunft, mein Vorredner hat das ja schon in einem kleinen historischen Abriss gesagt, dass das so natürlich nicht richtig ist. Auch in der Antwort des Senats erfahren wir natürlich, und jedem von uns, der das beobachtet hat, ist das klar, dass durch den Wegfall der OstWest-Konfrontation, durch den Fall der Mauer, hier ein großer Einschnitt passiert ist, große Veränderungen, nicht zuletzt auch beim Verfassungsschutz. ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Sie behaupten an zweiter Stelle in Ihrer Anfrage, der Rechts- und Linksextremismus hätte zugenommen. Nun müssen wir ja darauf zu sprechen kommen, dass wir hier über Bremen reden, die Große Anfrage wurde in der Bremischen Bürgerschaft gestellt, hier geht es ja um das Landesamt für Verfassungsschutz in Bremen. Für Bremen kann man natürlich auch nur sagen, wenn man sich die letzten zehn bis 20 Jahre anschaut, dass eine Aussage wie „der Extremismus hat ständig zugenommen“ grober Unfug ist! Davon kann überhaupt keine Rede sein!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Es ist also klar, dass hier ein Interesse zunächst einmal vorliegt, quasi durch falsche Grundaussagen, durch falsche Einleitungen Ihrer Fragen bestimmte Antworten zu bekommen. Ich bin ganz froh darüber, dass der Senat Ihnen nicht den Gefallen getan hat, in jedem Punkt auf Ihr Ansinnen einzugehen.

Lassen Sie mich noch einmal so viel sagen, auch angesichts des Gott sei Dank jetzt nicht mehr anwesenden Herrn Tittmann: Das Thema eignet sich, glaube ich, auch im Unterschied zu früheren Jahren und Legislaturperioden nicht so sehr für parteipolitische Grabenkämpfe. Auch das können wir aus der Antwort des Senats lernen. Vom Senat in seiner Antwort lernen wir, dass es sozialdemokratische, freidemokratische und christdemokratische Innensenatoren waren, die den Stellenbestand des Landesamtes für Verfassungsschutz von 83 auf 39, damit um 53 Prozent, geschrumpft haben. Sozialdemokratische, freidemokratische und christdemokratische Innensenatoren haben das angeordnet und haben den Verfassungsschutz mehr als halbiert. Sie sehen also, hier kann gar keine Rede davon sein, dass wir es mit parteipolitischen Grabenkämpfen oder grünen Spinnereien oder sonst etwas zu tun haben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die bisherige Schrumpfung des Landesamtes für Verfassungsschutz macht ja gerade vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung, dem Wegfall der Ost-West-Konfrontation und der Mauer, dem Rückgang der politischen extremistischen Bestrebungen in Bremen, was verschiedentlich in den Beiträgen von Herrn Herderhorst und Herrn Kleen schon gefallen ist, Sinn, denn, und jetzt kommt der andere Aspekt in die Debatte, gleichzeitig haben wir ja eine Sparvorgabe angesichts der Haushaltsnotlage, die uns auferlegt, in den konsumtiven Bereichen über fünf Jahre 25 Prozent einzusparen. Es ist also überhaupt nicht einzusehen, dass das, was sozialdemokratische, freidemokratische und christdemokratische Innensenatoren begonnen haben, hier an diesem Punkt enden soll, wenn wir in den nächsten

fünf Jahren diese Sparvorgaben haben. Das könnte man selbstverständlich in dieser Reihe noch weiter fortsetzen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Es ist klar die Frage, und ich glaube, so können Sie meinen Redebeitrag heute auch verstehen, dass ich gerade nicht die politisch-ideologische Debatte über die Rolle des Verfassungsschutzes führen will, sondern ich möchte heute über den Verfassungsschutz angesichts seiner Kosten-Nutzen-Relation für die Bürgerinnen und Bürger in Bremen diskutieren und in welchem Umfang wir angesichts von Haushaltsnotstand Prioritäten in dieser Stadt setzen. Ich werde darauf zurückkommen.

Ein kleiner Exkurs zu den ostdeutschen Bundesländern muss aber natürlich auch sein, und hier kann ich nur meinen Vorrednern zustimmen. Natürlich ist es unerträglich, dass es inzwischen Bundesländer gibt, in denen Rechtsextremisten quasi Bestandteil der politischen Alltagskultur mit all ihren Schrecklichkeiten sind. Hier ist gesagt worden: Bedrohung der Menschenrechte! Das ist nicht Bedrohung der Menschenrechte, das ist Bedrohung für Leib und Leben der Menschen, die dort wohnen!

(Abg. Frau S t r i e z e l [CDU]: Ist aber ein Menschenrecht!)

Wir erfahren es fast jeden Tag aus der Zeitung. Hier geht es konkret um die Bedrohung von Leib und Leben der Menschen, und das ist in der Tat ein wirklich unerträglicher Zustand, der in diesen Bundesländern herrscht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Aber wir müssen natürlich auch schauen, welchen Beitrag vor allen Dingen die Landesämter für Verfassungsschutz, die es in all diesen Bundesländern ja gibt, die nach der Wende modern und neu aufgebaut worden sind, zur Bekämpfung dieses Problems leisten, wie groß er ist, ob er groß genug ist, ob er effektiver sein könnte oder ob nicht andere Maßnahmen dort mehr leisten könnten.

Ich stimme vielen, die das gesagt haben, zu. Ich möchte an dieser Stelle aber nur den Bundesinnenminister im Vorwort zum Verfassungsschutzbericht des Bundes für 1999 zitieren, der gesagt hat: „Der beste Verfassungsschutz ist die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, sich für unser demokratisches System und für einen toleranten Umgang miteinander einzusetzen. Darum bitte ich Sie.“ Das ist vollkommen richtig, das sagt der oberste Dienstherr der Bundesbehörde für Verfassungsschutz, und das hat selbstverständlich auch für Bremen zu gelten.

Lassen Sie mich unter dem Gesichtspunkt, wenn wir auf Bremen zurückkommen, des Einsatzes der

Mittel und der Prioritätensetzung unserer Haushaltsmittel noch einmal darauf zurückkommen, abgesehen von der historischen Entwicklung! Das Problem ist ja, dass wir in der Parlamentarischen Kontrollkommission vertraulich beraten und daher Einzelheiten aus diesen Beratungen auch nicht als Argument in der Debatte verwendet werden können. Deswegen muss ich etwas allgemein und in Andeutungen sozusagen verbleiben.

Nach einjähriger Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission hat sich bei mir auf jeden Fall nicht der Eindruck verstärkt, dass wir es hier mit, sagen wir einmal, sehr verstärktem und übergroßem Ertrag der Arbeit dieses Landesamtes für diese Aufgaben, wie Sie sie beschrieben haben, zu tun haben. Das liegt teilweise daran, dass schon längst die eingesetzten Mittel aus verschiedenen Gründen nicht mehr eingesetzt werden können. Das liegt, der Senat hat es selbst gesagt, an der personellen Situation dort. Insgesamt, wenn wir alles, aber auch alles in dieser Stadt auf den Prüfstand stellen, muss man zu dem Ergebnis kommen, dass möglicherweise der Ausgang für diesen Posten des Senators für Inneres, Landesamt für Verfassungsschutz, nicht sehr günstig aussieht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die CDU hat die Große Anfrage außerdem benutzt, um quasi dem Verfassungsschutz eine Rolle bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu geben. Ich glaube, das ist ein Zeichen dafür, Herr Herderhorst, dass Sie sich doch nicht so ganz sicher waren, dass die Organisationsform, der Umfang und die Kosten, die wir einsetzen für den Verfassungsschutz, so gerechtfertigt sind, wie das im Moment ist. Wieso würden Sie sonst auf die Idee kommen, neue Aufgaben zu suchen in einem Bereich, wo selbstverständlich, und das muss auch absolut so sein, das bleibt grüne Position, die Polizei ihre Zuständigkeiten hat und wo der Geheimdienst, der Verfassungsschutz, nichts zu suchen hat? Ich glaube, es ist die Unsicherheit über die Arbeit des Verfassungsschutzes heute, der Sie dazu bringt, dieses neue Feld als Aufgabenfeld für den Verfassungsschutz einzusetzen. Ich glaube, es gibt eine Mehrheit hier im Haus, dies zurückzuweisen und nicht mitzumachen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn die Menschen draußen, und damit komme ich abschließend zu Ihrer Überschrift zurück, die Grünen fragen, was angesichts der Haushaltsnotlage im Land Bremen wirklich unverzichtbar ist, dann sage ich hier ganz klar, und wir sagen es auch draußen den Menschen, das Stichwort Schulen, das Stichwort Kindergärten, das Stichwort Jugendfreizeitheime, dazu gehören auch die Polizei und die Wirtschaftsförderung. Verfassungsschutz ist in der Liste

der Top 50 der unverzichtbaren Projekte des Landes Bremens bei den Grünen nicht vertreten! — Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Herderhorst.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Dr. Güldner, den letzten Satz hätten Sie sich sparen können. Wir wissen, welche Haltung die Grünen zu der Verfassung und zu den entsprechenden Staatsorganen haben.

(Beifall bei der CDU)

Zweitens empfehle ich den beiden Vorrednern, den Zwischenbericht der beiden Arbeitsgruppen des AK 2 durchzulesen. Dann werden Sie nämlich feststellen, dass das, was Herr Kleen insbesondere hier hervorgehoben hat unter dem Stichwort Trennungsgebot, durchaus nicht so ist, wie Sie es eben, Herr Kleen, hier dargestellt haben, sondern da gibt es durchaus ganz andere Auffassungen, die da zugrunde gelegt sind. Die will ich aber jetzt hier, schon aus Zeitgründen, nicht vortragen. Das Nächste ist: Den Satz, den Sie hier aus dem Verfassungsschutzbericht 1999 zitiert haben, kann ich nur unterstreichen. Ich weise aber gleichzeitig auch darauf hin, dass der Bundesinnenminister in seinem Vorwort nicht nur das gesagt hat, sondern auch, dass die Aufgabenstellung zur Bekämpfung des Rechtsund Linksextremismus nach wie vor notwendig und zielgerichtet durchgeführt werden müsse.

(Beifall bei der CDU)

Nun will ich Ihnen als Letztes nur noch den Grund unserer Großen Anfrage nennen: Er war in der Tat nicht, ob Verfassungsschutz über Vorfeldermittlungen und sonstige Erkenntnisse bei der Bekämpfung von organisierter Kriminalität im Zusammenspiel mit Polizei und Staatsanwaltschaften tätig wird. Der Kernpunkt war in der Tat, dass Herr Kleen diese Veröffentlichung gemacht hat. Sie steht nun einmal im Widerspruch, ich habe es vorhin gesagt, zur Koalitionsvereinbarung. Dann müsste Herr Kleen hier erklären, dass er ganz neue Erkenntnisse hat, die diesen Passus in der Koalitionsvereinbarung hinfällig werden lassen. Diesen Grund erkenne ich zurzeit allerdings nicht.

(Abg. T e i s e r [CDU]: Also reine Wich- tigtuerei!)

Deswegen denke ich auch, dass es in dieser Konstellation im Verfassungsschutz zunächst einmal so weitergehen wird.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Herr Senator Dr. Schulte.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bedanke mich für die Debatte, die im Wesentlichen doch unterstrichen hat, dass die Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz gewürdigt wird, dass gesehen wird, dass dort für unsere verfassungsrechtliche Grundordnung vernünftige Arbeit geleistet und dass dies auch nicht bezweifelt wird. Ich lasse jetzt einmal die Rede von Herrn Tittmann weg, die kann man auch weglassen, deshalb brauche ich nicht darauf einzugehen.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Wenn Ihr Herr Herderhorst die Grünen als Verfassungsfeinde bezeichnet! — Abg. T e i s e r [CDU]: Das hat er nicht gemacht!)

Sie sind sicherlich in der Lage, sich selbst zu wehren! Frau Linnert, ich möchte feststellen, dass auch Herr Güldner gesagt hat, dass es hier keine Grabenkämpfe gibt, es soll aber auch keine semantischen Spitzfindigkeiten geben.

Herr Güldner, wenn Sie die Antwort des Senats so verstehen, dass sozialdemokratische, christdemokratische und liberale Innensenatoren dafür gesorgt haben, dass sich die Personaldecke um 50 Prozent

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: So war es!)

reduziert hat und daraus abzuleiten ist, dass ein geringerer Stellenwert dieses Amtes zu erkennen ist, dann muss ich das eindeutig zurückweisen. Das Landesamt leidet genauso unter den Personalentwicklungszahlen, wie wir sie in anderen Ämtern haben.

Ich möchte für mich feststellen, dass wir das Landesamt für Verfassungsschutz weiterhin als wichtige Säule in unserem System brauchen. Die Arbeit ist, auf Gefahren, auf links- und rechtsextreme Tendenzen aufmerksam zu machen, aber nicht nur auf die, sondern — alle Mitglieder der PKK wissen das — auch auf andere Tendenzen, die sich hier verfassungskritisch betätigen. Ich denke an die Scientology-Kirche. Auch das wird aufmerksam beobachtet, und das ist gut so!

Ich glaube auch, dass die sachliche Art der Beratung in der PKK dazu beiträgt, dass die Arbeit des Verfassungsschutzes in der politischen Diskussion nicht überdimensioniert wird, und das, glaube ich, tut der Arbeit gut. Deshalb, Herr Abgeordneter Kleen, möchte ich noch einmal unterstreichen, dass ich keine Veranlassung sehe, eine Änderung der Strukturen vorzunehmen. Wir werden darüber aber sicherlich noch einmal diskutieren. ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Ich glaube, gerade in einer Zeit, in der wir auch in anderen Bereichen unserer verschiedenen Dienstleistungsebenen zwischen dem, was ministerielle Aufgaben und was operative Aufgaben sind, differenzieren, ist es gut, wenn bestimmte Aufgaben nicht direkt in einer senatorischen Behörde, sondern in einem Ressort insgesamt wahrgenommen werden. Es ist sicherlich richtig, das Landesamt für Verfassungsschutz da zu lassen, wo es zurzeit ist, nämlich als eigenständiges Amt abseits von einer unmittelbaren senatorischen Behörde. Ich glaube, dass die gute Arbeit, die dort geleistet worden ist, auch ein Beweis dafür ist, dass wir es so belassen sollten.

(Beifall bei der CDU)

Ich sehe insofern keinerlei Anlass, dies zu ändern. Ich möchte aber gern dieses Thema weiterhin mit Ihnen in der PKK diskutieren.

Ich möchte kurz noch einmal auf die Bedeutung der organisierten Kriminalität eingehen! Auch das ist ein Thema gewesen, das die CDU-Fraktion zum Punkt ihrer Großen Anfrage gemacht hat. Ich möchte Sie auf das stoßen, was Bundesinnenminister Schily gerade in den letzten Tagen über die Bedeutung der organisierten Kriminalität in Deutschland veröffentlicht hat. Er hat darauf hingewiesen, dass dort gewaltige Entwicklungen und Gefahren auf uns zukommen und dass wir insgesamt das Thema der organisierten Kriminalität sehr aufmerksam beobachten müssen. Wir müssen uns hier auch darüber klar werden, dass es Lücken gibt. Darauf hat der Senat in seiner Antwort hingewiesen, dass wir Lücken im Bereich des Vorfelds der organisierten Kriminalität haben, die nach dem bisher geltenden Recht die Polizei allein nicht schließen kann.

Wenn wir also feststellen, dass es eine Bundesund eine Landesaufgabe bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität gibt und dass mit geltendem Recht die Polizei diese Vorfeldproblematik nicht allein lösen kann, müssen wir uns die Frage stellen, wie wir Lücken schließen können. Da hat Ihnen der Senat in seiner Antwort gesagt, dass wir gemeinsam prüfen wollen, wie wir diese Lücken schließen können, entweder durch eine Verbesserung der Arbeit der Polizei oder durch eine neue Kompetenzzuweisung an die Verfassungsschutzorgane.

Ich neige, auch nach der Diskussion in der Innenministerkonferenz, der Meinung zu, dass es sinnvoll ist, der Verfassungsschutzbehörde hier mehr Kompetenzen einzuräumen. Ich beobachte mit großem Interesse die Diskussionen, die in anderen Bundesländern geführt werden. Ich glaube, wir sollten uns den Erfahrungen, die in anderen Bundesländern gemacht werden, nicht verschließen. Ich möchte Sie herzlich einladen, sich diese Erfahrungen anzuschauen und dann mit mir gemeinsam darüber nachzudenken, ob es eine Chance gibt, auch hier der Verfassungsschutzbehörde eine neue Kompetenzzu

weisung zu geben. Das muss aber in Ruhe geprüft und diskutiert werden.

Ich sage Ihnen zu, dass wir Ihnen ein novelliertes Verfassungsschutzgesetz in Bremen zuleiten werden, das insbesondere die datenschutzrechtlichen Auflagen, die wir zu erfüllen haben, berücksichtigen soll. Das befindet sich zurzeit in der Vorbereitung mit den anderen Häusern und wird Ihnen sicherlich im Herbst noch zugehen. — Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!