Protocol of the Session on February 23, 2000

(Abg. Frau L e m k e - S c h u l t e [SPD]: Fragen Sie Herrn Hattig!)

Wie ich höre, ist das nicht der Fall.

Auf Große Anfragen folgt eine Aussprache, wenn dies Mitglieder der Bürgerschaft in Fraktionsstärke verlangen.

Ich frage, ob in eine Aussprache eingetreten werden soll. — Das ist der Fall.

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kuhn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Senat wird jedenfalls nach der Papierlage vertreten in der Frage der Juristenausbildung durch den Senator für Justiz. Das ist schon ein Teil des Problems, über das wir heute debattieren!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Nicht wegen der Person des Justizsenators, weil er nicht da ist, aber es ist einfach das Problem, dass hier die Zuständigkeit nach wie vor nicht beim Senator für Bildung und Wissenschaft liegt, sondern beim Fachsenator. Das ist so, als wenn die Zuständigkeit für die Ausbildung von Betriebswirten bei Herrn Hattig läge.

(Senator H a t t i g : Das wäre gar nicht schlecht! — Heiterkeit — Beifall bei der CDU)

Darauf hatte ich gehofft, dass Sie das antworten, aber ich gehe noch einmal auf das Problem ein! Da haben wir jetzt schon zwei Probleme.

Gott sei Dank ist aber inzwischen doch die Ausbildung für höher qualifizierte Berufe nicht mehr bei den jeweiligen Fachbehörden des Staates angesiedelt, sondern sie hat ihre eigenständige Ordnung und Organisation beim Senator für Bildung und Wissenschaft. Das ist gut so, aber die Ausbildung der Juristen ist leider bis heute eine Ausbildung für die öffentliche Verwaltung, für ein Verwaltungsfach, natürlich für höhere und höchste Verwaltungsaufgaben, dafür hat der mächtige Stand der Juristen schon seit vielen Jahren gesorgt. Jede Juristin, jeder Jurist wird im Grundsatz noch heute für das Richteramt ausgebildet, und darauf sind Inhalte und Organisation des Studiums ausgerichtet bis hin zu staatlichen

Prüfungen, und das wahrscheinlich seit ungefähr 100 Jahren.

Die Wirklichkeit des Berufs sieht ganz anders aus. Weniger als fünf Prozent der Absolventen, also fünf von hundert, ergreifen den Beruf, für den sie ausgebildet sind. Der Rest wird Anwalt oder geht in den Apparat der Institutionen, die das Gerüst unserer Gesellschaft bilden, politische wie wirtschaftliche. Man wird eben Senator, man wird Bürgerschaftsdirektor, man wird Geschäftsführer der einen oder anderen Organisation. Überall begegnet man Juristen, und auf diese Tätigkeit sind sie durch das Studium zunehmend wenig vorbereitet.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, der Wissenschaftsrat hat in seiner letzten Empfehlung zur Studienreform die Notwendigkeit zur Differenzierung der Studienangebote in den Mittelpunkt gestellt, weil sich nämlich die gesellschaftlichen Tätigkeiten weiter ausdifferenzieren werden. Darum geht es bei der fälligen Reform der Juristenausbildung. Das ist eine wichtige Frage. Das betrifft sehr viele junge Menschen, und es betrifft vor allem Leute, die an zentralen Stellen unserer Gesellschaft weiterhin sitzen werden. Deswegen debattieren wir das auch.

Wir müssen hier das Zwangskorsett staatlich bestimmter Monokultur aufschnüren. Wir müssen wegkommen vom nur staatlich bestimmten Examen. Wir müssen unterschiedliche Studienabschlüsse und Studiengänge und innerhalb der Studiengänge Schwerpunkte und Differenzierungen anbieten, denn selbst die Wenigen, die in den Richterberuf eintreten, brauchen heute, wie man so sagt, als „Fallmanager“ natürlich auch die Fähigkeit zum Urteil, aber auch sehr viel soziale Fähigkeiten und Verhandlungskompetenzen. Die angehenden Juristen, finden wir, müssen endlich lernen, über den Horizont nur deutschen Rechts hinauszublicken und zur Kenntnis zu nehmen, dass sich europäisches Recht und europäischinternational bestimmtes Rechtshandeln entwickeln und heute auch schon große Chancen bieten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

So sehen wir vom Bündnis 90/Die Grünen die Aufgaben einer durchgreifenden Reform der Juristenausbildung. Wir haben nun den Senat gefragt, ob er das auch so sieht und wie sich das in seinem Handeln auf Bundesebene und hier im Land Bremen niederschlägt. Die erste halbwegs positive Nachricht, die ich Ihnen geben kann, ist, der Senat sieht auch irgendwie Reformbedarf, ist aber in seiner Antwort ein bisschen schreibfaul. Das fällt sehr knapp aus. Man weiß nicht so ganz genau, was er darunter versteht, in welche Richtung das geht.

Die Situation ist dadurch kompliziert, dass die Grundzüge der Juristenausbildung nicht nur von uns

hier gemacht werden, sondern Bundes- und Länderangelegenheiten sind. Das ist ein schweres, langsames Schiff. Man sagt ja, der Fortschritt sei eine Schnecke, aber selbst Schnecken machen, so scheint es ab und zu, Sprünge, wenn das Bild erlaubt ist. So haben tatsächlich die Justizminister nach langem Verhandeln im letzten November sich auf Reformeckpunkte verständigt, die unter anderem heißen: Gliederung des Studiums durch eine Zwischenprüfung, teilweise Abnahme von Prüfungen durch die Hochschule, Integration von Praxisteilen in das Studium, also im Klartext eine einphasige Ausbildung mit anschließender berufspraktischer Einarbeitung, dann wieder mit unterschiedlichen Schwerpunkten, nicht alles auf den Richterberuf ausgerichtet.

Da kann man sich in Bremen nur trösten. Manchmal kommt man mit guten Ideen offensichtlich zu früh. Heute stehen die alten Prinzipien der Bremer Juristenausbildung ganz oben in der Reformdebatte, also Interdisziplinarität, soziale Verantwortung, Europäisierung, Berufsfeldorientierung, inhaltliche und methodologische Vertiefung statt Ausuferung. Das waren die Grundsätze der Bremer Ausbildung, und wenn man die Papiere liest von dem, was jetzt die Justizminister und auch die Kultusminister machen wollen, dann findet man genau diese Beschreibung, diese Stichpunkte überall wieder.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Von dem, was im Beschluss der Justizminister jetzt schon niedergelegt ist, ist vieles nach unserer Auffassung halbherzig, greift zu kurz und ist natürlich auch noch nicht ausgereift und geklärt. Es wird darüber noch einige Zeit vergehen. Aber wir glauben, die Vorschläge gehen in die richtige Richtung, und wir werden auch den Senat unterstützen, wenn er diese Richtung in den kommenden Beratungen vorantreibt und da auch drückt, damit es vorangeht.

Wir warnen aber heute schon davor, dass wir damit eine Auseinandersetzung über die Finanzierung dieser Reform zwischen den verschiedenen Ressorts anzetteln, die am Ende dann mit einem scharfen Numerus clausus endet. Damit liebäugeln nämlich die Anwaltsverbände, die seit langem davon reden, dass es eine so genannte Juristenschwemme gäbe und dass man die unbedingt eindämmen müsse. Sie werden versuchen, diese Gelegenheit beim Schopf zu greifen und einen Numerus clausus sehr scharf einzuführen.

Der zweite Punkt: Was soll und kann man in Bremen tun, wenn die große Reform zwar in Konturen sichtbar wird, aber noch keineswegs klar ist, wann sie kommt und wie sie umgesetzt wird? Man kann, glauben wir, und soll alle Elemente der juristischen Ausbildung fördern, die in die Richtung dieser Reform gehen. Man soll alles unterlassen, was Schritte zurück zum alten System wären. Wir können und sollen die Hochschulen ermutigen zur Einrichtung

neuer Studiengänge und Abschlüsse neben den althergebrachten.

Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität hat, glaube ich, beste Voraussetzungen, sich bei den anstehenden Reformschritten führend zu beteiligen. Das, worauf Altfakultäten und die Althergebrachten, die man immer in den Hochschullehrerrankings ganz oben sieht, immer hochnäsig herabgesehen haben, erweist sich jetzt nämlich als Vorteil: Erfahrung mit einphasiger Ausbildung, Schwerpunktbildung am Ende des Studiums, internationale Ausrichtung.

Der Senat hat zwar zur Evaluation im so genannten Nordverbund nicht Stellung genommen, aber man kann durchaus einiges davon schon sagen. Auch wenn der Abschlussbericht noch nicht vorliegt, darf ich Ihnen doch aus dem Protokoll der ersten Präsentation der Gutachter einiges zitieren, und das waren durchaus in ihrem Fach eher konservative Gutachter. Professor Battes hat erklärt, ich darf zitieren: „Wir sind außerordentlich beeindruckt von dem Aufbruchsgeist, der in dieser Fakultät herrscht.“ In Bremen werde eine beeindruckend schwerpunktorientierte, problemorientierte und exemplarische Arbeitsweise geübt, und „die Kommission ist der Meinung, sie sollten nicht das Gefühl haben, dass sie einen Sonderweg in Bremen beenden müssen. Sie sollten für die Zukunft ihr Profil wahren.“ Das trifft sich übrigens auch mit dem Urteil der Studierenden, die hier in Jura die Universität ganz hoch ansetzen.

Der Fachbereich der Universität Bremen plant seit einiger Zeit gemeinsam mit der Universität Oldenburg und vor allem Groningen eine Hanse Law School, an der ein Doppeldiplom Meester und Master vergeben werden soll. Die Absolventen sollen für internationale europäische Rechtsfragen ausgebildet werden, und im europäischen Geflecht von Institutionen werden diese Absolventen auch gebraucht und werden gute Chancen haben. Dieses Projekt ist in unseren Augen so bedeutsam, wird so positive Auswirkungen rückwirkend haben, dass wir dabei auch in Kauf nehmen, dass dies zunächst einmal privat durch Gebühren finanziert werden soll.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir freuen uns nun sehr, dass der Senat seine prinzipielle Unterstützung für die Hanse Law School hier erklärt hat, nachdem im Rechtsausschuss Herr Staatsrat Mäurer sich eher sehr skeptisch und ablehnend verhalten hat. Wir unterstützen die Universität bei allen Bemühungen, den Stoff noch mehr zu konzentrieren, über den Tellerrand zu blicken, auf die Berufstätigkeit zu orientieren und auch soziale Kompetenz zu vermitteln. Wir unterstützen sie auch bei Überlegungen, schon heute neben dem Staatsexamen andere Abschlüsse wie Master oder Magister anzubieten, und wir fordern die Hochschule Bre

men ausdrücklich auf, eine juristische Ausbildung, auch in Kombination mit anderen Fächern, zu planen und einzuführen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Angebote an der Fachhochschule Lüneburg, die es schon gibt, werden hervorragend genutzt, angenommen, und was die Universität offensichtlich in vielen Fällen nicht kann, wozu dann die Studierenden zum Repetitor rennen müssen, das kann, behaupte ich im Ernst, die Hochschule Bremen sehr gut, wenn wir sie denn lassen.

Abschließend noch wenige Sätze zur zweiten Phase der Juristenausbildung und dem Referendariat: Die Anhörung unserer Fraktion im vergangenen Herbst hat dazu geführt, dass eine Arbeitsgruppe zur Verbesserung der Ausbildungsphase eingesetzt wurde und die vielen Beteiligten wieder an einen Tisch kommen. Die Ergebnisse wird man dann später ansehen müssen.

In einer Hinsicht sollten Sie nicht länger warten, Herr Senator: Sie sollten bald, am besten heute, klipp und klar sagen, ob Sie dem Beispiel anderer Länder folgen wollen und die Beschäftigungsverhältnisse der Referendare, solange es sie denn noch gibt, auch in Bremen ändern wollen. Andere Länder haben das umgeändert vom Beamten auf Zeit auf ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis. Das ist im Ergebnis, je nachdem, wie man es sieht, fast 1000 DM Ersparnis pro Person für den Staat im Monat. Andersherum gesehen: Die Auszubildenden erhalten fast so viel weniger. Das ist eine Diskussion wert, aber Sie sollten bald sagen, was Sie wollen, und die Karten auf den Tisch legen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Zusammenfassend: Die Hochschulen im Lande Bremen, vor allem der Fachbereich der Universität, können in der in Gang kommenden Reform der Juristenausbildung eine positive Rolle spielen, wenn sie ihre Stärken zur Geltung bringen können und wenn wir sie nicht mit kleinkariertem Herumbasteln im Korsett des alten Systems behelligen, wie dies der Senat offensichtlich mit einer Reform des alten Gesetzes heute noch betreibt. Das betreibt er übrigens nicht mit der Hochschule, wie er in der Antwort behauptet, sondern gegen sie. Ich rate Ihnen, das zurückzustellen, vielmehr alle Kräfte auf das Vorantreiben einer sinnvollen großen Reform der Juristenausbildung zu konzentrieren!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das Wort erhält der Abgeordnete Dr. Lutz.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, in Bremen können wir stolz sein auf die Universität. Dort gibt es Spitzenleistungen: Fallturm mit Professor Dr. Rath, Professor Dr. Peitgen mit dem MeVis, und, meine Damen und Herren, die Sensation auf dem Buchmarkt in mittelalterlicher Geschichte ist Hägermann, „Karl der Große“. Es ist das Werk, das in diesem Jahr herausgekommen ist, eine absolute Spitzenleistung der Universität Bremen!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Wir können also, und das ist ja nicht ganz einfach für einige, heute sagen, wir haben durchaus kompetente Leute für Bremen gewinnen können, die auch Bremen vorangebracht haben im Bereich Universität. Im Fachbereich Rechtswissenschaft scheinen wir da erhebliche Probleme zu haben.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Ach was!)

Herr Kuhn, es nützt doch nichts, wenn wir darüber hinwegreden und schönreden, dass die höchste Durchfallquote im zweiten Examen von den Bremer Absolventen kommt.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Darauf kommen wir noch, das steht doch gar nicht auf der Tagesordnung!)

Es geht um Juristenausbildung in Bremen, Herr Dr. Kuhn. Es ist unverantwortlich, wenn in der Autonomie der Universität Bremen mit der Ausbildungszeit junger Leute so herumgeaast wird, dass junge Leute Schwierigkeiten haben, trotz der aufwendigen Ausbildung ihre Examina zu bestehen. Es ist auch nicht zutreffend, dass die juristischen Rechtsgebiete, Fachwissenschaften, Fakultäten, wie das an sich heißt — —.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das war früher einmal!)

Nein, das heißt in Heidelberg immer noch juristische Fakultät! Das ist auch heute noch so, Herr Dr. Kuhn! Es ist nicht so, dass ich durch eine Umbenennung Modernität hineinbekomme.

Woher kommen denn die Studiengänge Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaftslehre? Sie haben sich doch aus der juristischen Fakultät entwickelt. So ist das nun leider! So ist es auch mit anderen Dingen, die außerhalb der juristischen Ausbildung gefördert werden mögen. Es ist ja nicht zwingend, dass ein Jurastudium reformiert werden muss um der Reform wegen, nur, nach Auffassung der CDU-Fraktion ist es schon so, dass man über Reformen im Studium nachdenken kann.

Es ist überhaupt nicht zu beanstanden, wenn aufgrund der Autonomie der Universität Bremen das rechtswissenschaftliche Studium verschlankt, vereinfacht und spannender gemacht wird durch Schwerpunkte. Nur, eines hilft doch nicht, wir müssen in Bremen die adäquate Ausbildung gewährleisten, so dass junge Leute, die das Studium in Bremen absolviert haben, Wettbewerbschancen auf Bundesebene und in Europa haben.