Protocol of the Session on January 27, 2000

Das ist der Fall.

Als Erster hat das Wort der Abgeordnete Bürger.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn wir heute über die Bewertung des Lern-, Arbeits- und Sozialverhaltens in Zeugnissen reden, so sind wir der Auffassung, dass diese Begriffe mehr umfassen als die früher gebräuchlichen wie Fleiß, Betragen und Mitarbeit. Auch Fehlzeiten wurden früher penibel genau eingetragen.

Der Reformpädagogik der sechziger Jahre mit ihrem kritisch-emanzipatorischen Ansatz erschien diese Beurteilung als repressiv autoritär, und deshalb ließ man sie später weg. Heute werden, und wir begrüßen das ausdrücklich, deutlich wertende Aussagen über das Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten von Schülern zunehmend stärker aus dem Tabufeld der Bildungspolitik herausgenommen.

(Beifall bei der CDU)

Meinungsumfragen zu den Kopfnoten bestätigen das, meine Damen und Herren. Forsa stellt 62 Prozent Zustimmung zu Kopfnoten fest, der Landesverband Erziehung und Bildung in Nordrhein-Westfa

len hat über 17.000 Eltern, Lehrer und Schüler befragt, Ergebnis fast 90 Prozent dafür. Drei von vier Ausbildungsbetrieben befürworten die Kopfnoten. Bei einer TED-Umfrage in Bremerhaven gab es zirka 90 Prozent Zustimmung.

Wir haben in Bremen seitens der CDU Anfang November 1999 ein Hearing dazu durchgeführt. Das Ergebnis war sehr aufschlussreich: Es reichte im Meinungsspektrum von möglichst schneller flächendekkender Einführung über sehr differenzierte Aussagen in Modellversuchen bis hin zur einzigen Ablehnung durch die GSV.

Ich darf in dem Zusammenhang erwähnen, dass die Schülerinnen und Schüler in Schleswig-Holstein und in Sachsen durchaus den Kopfnoten positiv gegenüberstehen und einer Beurteilung in den Zeugnissen zugestimmt haben. Auch der Berufsverband deutscher Psychologen hat sich Anfang Dezember für eine Beurteilung des Arbeits- und Sozialverhaltens ausgesprochen.

(Unruhe — Glocke)

Herr Kollege Bürger, eine Sekunde bitte! Ich stelle eine große Unruhe und Unaufmerksamkeit fest! Ich bitte, doch dem Redner zuzuhören und die Unterhaltung einzustellen!

Insbesondere bei den Grünen!

(Abg. M ü t z e l b u r g [Bündnis 90/Die Grünen]: Aber nicht wegen Ihres Beitra- ges!)

Danke schön! Dann hören Sie aber doch bitte zu, Herr Mützelburg!

Die von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft erhobene Forderung an die Bildungspolitik, an den Schulen Schlüsselqualifikationen zu vermitteln, und die Lehrpläne tragen dem zunehmend Rechnung, muss zur Konsequenz haben, dass diese erreichten oder auch nicht erreichten Qualifikationen dann auch beurteilt und testiert werden. Wenn Schule ihren Erziehungsauftrag ernst nimmt, muss sie auch die Möglichkeit haben, das Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten von Schülern durchgängig zu bewerten.

Erziehungswissenschaften und Fachdidaktiken haben der Schule eben diesen erweiterten Lern- und Leistungsbegriff näher gebracht. Oft sind diese Bewertungen in den Fachnoten verborgen. Der Senat stellt richtig fest, dass das ungerecht sei. Schüler haben ein Anrecht auf unvermischte Fachnoten. Ein schwacher Schüler kann durchaus durch eine zusätzliche Bewertung ermuntert werden, ein anderer Schüler muss auch einmal schriftlich durch ein Lob angesprochen werden. Warum soll nicht bei einem Schüler mit guten Noten auch gesagt werden dür

fen, dass er nur mit dem geringsten Einsatz arbeitet? Auch das könnte für einen zukünftigen Lehrherrn durchaus sehr aufschlussreich sein.

Neben dem unabdingbaren präsenten fachlichen Wissen und Können gewinnen zunehmend die Fähigkeit und Bereitschaft zu sozialer Kooperation und Kompetenz, zur Teamarbeit, Selbstdisziplin, Selbständigkeit, Selbstverantwortung, Konfliktfähigkeit, zu konzentriertem und ausdauerndem Arbeitsverhalten an Bedeutung, meine Damen und Herren. Das Einfordern von Fachwissen, Grundfertigkeiten und Schlüsselqualifikationen muss Gegenstand von Gesprächen und Verständigung zwischen Schule, Politik und Wirtschaft sein. Die Beteiligten müssen sich gemeinsam auf bewährte Kategorien verständigen. Dieses Vorhaben des Senats begrüßen wir ausdrücklich!

Diese zusätzlichen Bewertungen, meine Damen und Herren, sollen kein Disziplinierungsinstrument darstellen, sondern Eltern und Schülern ergänzende Anhaltspunkte über Fortschritte der Persönlichkeitsentwicklung des Schülers geben. Deshalb sollte der Aussagewert dynamisch angelegt sein, so dass Veränderungen von einem zum nächsten Halbjahr erkennbar werden und bei der Lernberatung des Schülers auch genutzt werden können.

Die ergänzende Bewertung, meine ich, meine Damen und Herren, muss zur Alltagskultur von Schule gehören, muss von der Schule auch akzeptiert werden, und die Schüler müssen ihr Verhalten auch darauf einstellen. Es ist zu beobachten, dass die Schüler dies auch zunehmend tun. Gerade gestern Abend gab es in „buten un binnen“ einen sehr interessanten Bericht von einem Schulzentrum, in dem probeweise Kopfnoten verteilt wurden. Da sagte ein Schüler etwa sinngemäß, man versuche, sich besser zu benehmen, wenn man das im Hinterkopf habe. Meine Damen und Herren, wenn wir das erreichen, dann, meine ich, sind wir einen großen Schritt im Sinne von Schülerinnen und Schülern vorangekommen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn der Senat schreibt, die Beurteilungen dienten so auch der Betonung des gemeinsamen Erziehungsauftrags von Schule und Elternhaus und einer darauf gerichteten Zusammenarbeit, meine Damen und Herren, so ist dem nichts hinzuzufügen. Wir unterstreichen das.

Der Senat macht in der Antwort deutlich, dass er die Debatte um Zusatzqualifikationen sehr ernst nimmt, gerade auch im Hinblick auf die Verantwortung gegenüber den Kindern und Jugendlichen und die Anforderungen der gegenwärtigen und zukünftigen Arbeits- und Berufswelt. Deshalb hätte die CDU es begrüßt, wenn die Bewertung des Lern-, Ar

beits- und Sozialverhaltens gleich flächendeckend eingeführt worden wäre.

(Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Echt?)

Das wissen Sie ja, Frau Hövelmann, aber Sie und Ihre Fraktion waren dagegen!

Man hätte auf die geleistete Arbeit und Erfahrungen anderer Bundesländer zurückgreifen können, aber ebenso auf Erfahrungen einiger Schulen, die sich mit dieser Thematik seit geraumer Zeit auch auseinander setzen.

Wir haben uns jetzt auf zirka 30 Schulen geeinigt, die im Rahmen von Modellprojekten Erfahrungen sammeln und diese dann auch auswerten sollen. Ich bin ganz sicher, dass der Druck nachher so groß sein wird, dass man nicht mehr davon Abstand nehmen wird. Wir sind damit einverstanden, dass die Bewertungen der Zusatzqualifikationen als Anlage zum Zeugnis auf einem verpflichtenden Beiblatt als Bestandteil des Zeugnisses geführt werden.

Positiv hervorheben möchte ich, dass auch wieder die unentschuldigten Fehltage vermittelt werden und der Senat hierin sowohl eine positive erzieherische Wirkung als auch einen verbesserten Informationswert der Zeugnisse insbesondere gegenüber den Erziehungsberechtigten sieht. Ich füge hinzu, meine Damen und Herren, auch gegenüber den Ausbildungsbetrieben!

Es ist erfreulich, dass die vorliegende CDU-Initiative, diese Große Anfrage, der sich die SPD dann angeschlossen hat, vom Senat und insbesondere vom Bildungssenator — vielleicht hört er auch einmal freundlicherweise zu — so positiv bewertet und beantwortet worden ist. Bei einigen Antworten, Herr Senator, ist durchaus ein Umdenken innerhalb der Behörde gegenüber der Vergangenheit zu beobachten. Das ist durchaus positiv.

(Beifall bei der CDU)

Einer Sorge möchte ich allerdings Ausdruck verleihen, meine Damen und Herren! Zirka 50 Prozent der Auszubildenden in bremischen Betrieben kommen aus Niedersachsen. Dort werden die Kopfnoten flächendeckend zum 1. August dieses Jahres eingeführt. Hoffentlich führt das nicht zur Benachteiligung der bremischen Schülerinnen und Schüler, die Ausbildungsplätze suchen und möglicherweise dann nicht finden, weil die niedersächsischen Zeugnisse für den einen oder anderen Lehrherrn beziehungsweise Ausbildungsbetrieb aufschlussreicher sein könnten als die bremischen, wenn ein Schüler oder eine Schülerin sich bewirbt ohne diese Beurteilung der Zusatzqualifikation.

Meine Damen und Herren, Herr Senator, bis zu Beginn des neuen Schuljahres, da waren wir uns einig, dass das auch an den 30 Schulen dann umge

setzt werden wird, gibt es noch eine Menge Arbeit zu erledigen. Ich hoffe, dass Sie und Ihre Behörde möglichst schnell an die Umsetzung gehen, dass es nicht zu Verzögerungen kommt ähnlich wie bei der verlässlichen Grundschule. — Ich bedanke mich!

(Beifall bei der CDU)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Brumma.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Thema Kopfnoten wird in allen Parteien und Bevölkerungsschichten kontrovers diskutiert. Das bestreiten wir nicht. Es gibt auch in Niedersachsen demnächst Beurteilungen der Schlüsselqualifikationen, allerdings sollten wir uns ein Bild machen und selbst darüber entscheiden, denn wir haben immer noch die Kulturhoheit.

(Beifall bei der SPD)

Den Begriff Kopfnoten sollten wir hier in der Bürgerschaft einmal etwas genauer darstellen. Es wird nämlich sehr viel verwechselt. Was sind denn Kopfnoten? Kopfnoten gab es früher im Kopf des Zeugnisses. Da standen die Beurteilungen Mitarbeit, Fleiß, Ordnung und Betragen. Das war in den fünfziger und sechziger Jahren in Westdeutschland. In der ehemaligen DDR gab es diese Benotung bis zur Wende 1989. In den siebziger Jahren wurde diese Benotung bei uns abgeschafft. Seit dem Herbst wird in Sachsen diese Art der Benotung wieder verwandt. Man hofft, damit der gestiegenen Gewalt gegenüber den Lehrern wirkungsvoll begegnen zu können.

Wir als SPD-Fraktion in Bremen sehen diese knappe Art der Beurteilung allerdings sehr kritisch.

(Beifall bei der SPD)

Wir meinen, Kopfnoten in der alten Form nähren Illusionen, denn sie lenken den Blick auf das Bewerten und weit weniger auf die Veränderung des Verhaltens. Sie informieren kaum, ermöglichen Willkür und gaukeln dem Lehrpersonal ein Disziplinierungsmittel vor.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, im Sinne einer europaweiten Entwicklung ist es unserer Meinung nach sinnvoller, individualisierte Lernentwicklungsberichte zu verfassen. Diese Möglichkeiten nutzen in Bremen bereits Gesamtschulen und auch sehr viele Grundschulen.

(Beifall bei der SPD)

In modernen demokratischen Gesellschaften und im Interesse einer neuen betrieblichen Organisation

können aus unserer Sicht Teile der Schlüsselqualifikationen individuell beschrieben werden in der Hoffnung, dass die Schüler in ihrer weiteren Persönlichkeitsentwicklung gestärkt werden.

Was sind nun aber diese Schlüsselqualifikationen? Darüber sollten wir uns einmal klar werden, dieser Begriff taucht häufiger auf — auch auf dem Saarbrücker Bildungsparteitag der CDU —, aber er wird nie deutlich definiert. Es ist erstens die Fachkompetenz, die heute schon beurteilt wird, zweitens die Methodenkompetenz, das heißt selbständig planen, durchführen, kontrollieren, und drittens die so genannte Sozialkompetenz, das heißt Teamfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Toleranz, Hilfsbereitschaft, Fähigkeit zur Selbsteinschätzung, Kreativität, Mitverantwortung und so weiter.

Diese Methoden- und Sozialkompetenzen werden bereits heute in den Fachnoten berücksichtigt. Weil aber diese Kompetenzen immer wichtiger werden, sind wir der Meinung, dass man sie getrennt beurteilen und sie als Gesprächsgrundlage zwischen Eltern, Lehrern und Schülern nutzen sollte, denn, meine Damen und Herren, Erziehung bedeutet Resonanz! Aufgrund dieser verbalisierten Berichte können Reaktionen in Form von positivem Ermuntern oder konstruktiver Kritik bei den am Erziehungsprozess Beteiligten geweckt werden.

(Beifall bei der SPD)

Diese Beurteilungsform verlangt allerdings moderne Lehr- und Lernformen, damit sich die genannten Fähigkeiten zielgenauer beurteilen lassen. Das heißt, der Unterricht muss vor allem handlungsorientiert und fächerübergreifend sein und jederzeit die Möglichkeit eines sinnvollen Methodenwechsels gewährleisten. Die Schule muss weg vom permanenten frontalen Belehren hin zum handlungsorientierten Lernen, denn Lernen benötigt immer wieder Nähe und Distanz zum Handeln. Es besteht aus laufendem Experimentieren, aus Umwegen und Fehlversuchen.