Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 90. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt. – Zunächst darf ich Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben und zweier ehemaliger Mitglieder des Hohen Hauses zu gedenken.
Am 6. Dezember verstarb in München-Großhadern Herr Wolf-Dietrich Großer im Alter von 88 Jahren. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1974 bis 1982 und von 1990 bis 1994 an und vertrat für die FDP den Wahlkreis Oberbayern. Im Parlament brachte WolfDietrich Großer sein Fachwissen im Ausschuss für Fragen des öffentlichen Dienstes sowie insbesondere im Ausschuss für Landesentwicklung und Umweltfragen ein, dessen Anliegen er sich in seinem langjährigen politischen Engagement besonders verpflichtet fühlte. Zudem war Wolf-Dietrich Großer mehrere Jahre lang Mitglied des Präsidiums des Bayerischen Landtags und einige Zeit stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion. In besonderer Weise widmete er sich zudem der Kommunalpolitik, für die er sich in jahrzehntelangem Engagement als Gemeinderat, Kreisrat und Zweiter Bürgermeister einsetzte. Seiner Wahlheimat Oberschleißheim blieb er bis zuletzt eng verbunden. Wolf-Dietrich Großer war einer der profiliertesten Vertreter des Liberalismus in Bayern. Er hat für sein beeindruckendes Engagement zu Recht große Anerkennung erfahren, die in zahlreichen Auszeichnungen und Würdigungen ihren Niederschlag gefunden hat. –
Am 7. Dezember verstarb ebenfalls hier in München Frau Dr. Hildegard Hamm-Brücher im Alter von 95 Jahren. Sie gehörte dem Bayerischen Landtag von 1950 bis 1966 und von 1970 bis 1976 an, wobei sie für die FDP zunächst den Wahlkreis Oberbayern und später den Wahlkreis Mittelfranken vertrat. Während ihrer Zugehörigkeit zum Hohen Haus engagierte sich Frau Dr. Hamm-Brücher insbesondere im Ausschuss für kulturpolitische Fragen sowie im Ausschuss für Eingaben und Beschwerden und im Ausschuss zur Förderung des technischen Nachwuchses. Von 1954 bis 1958 war sie stellvertretende und von 1972 bis 1974 Vorsitzende der FDP-Fraktion. Zudem übernahm sie mehrere Jahre lang Verantwortung als Mitglied des Präsidiums des Bayerischen Landtags. Frau Dr. Hamm-Brücher war darüber hinaus sowohl auf kommunalpolitischer als auch auf Ebene der Bundespolitik engagiert. So gehörte sie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg dem Münchner Stadtrat an, in dem sie
bis 1954 wirkte. Nach einer kurzen Zeit als Staatssekretärin im hessischen Kultusministerium von 1967 bis 1969 übernahm sie bis 1972 das Amt der Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft und war von 1976 bis 1982 Staatsministerin im Auswärtigen Amt. 1994 kandidierte Frau Dr. HammBrücher zudem für das Amt der Bundespräsidentin und erhielt dabei über die Parteigrenzen hinaus großen Zuspruch.
In ihrem viele Jahrzehnte andauernden politischen und gesellschaftlichen Engagement hat sich Frau Dr. Hamm-Brücher mit ihrer Prinzipientreue und ihrem authentischen Einsatz für die Werte einer freiheitlichen Demokratie hohes Ansehen und große Verdienste erworben. Diese Anerkennung kam auch in zahlreichen Ehrungen und Auszeichnungen zum Ausdruck. Unter anderem erhielt Frau Dr. Hamm-Brücher die Verfassungsmedaille des Bayerischen Landtags in Gold.
Der Bayerische Landtag trauert mit den Hinterbliebenen und wird den beiden Verstorbenen ein ehrendes Andenken bewahren. – Sie haben sich zum Gedenken an die Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes und anderer Gesetze (Drs. 17/14651) - Erste Lesung
Den Gesetzentwurf begründet Herr Staatsminister Joachim Herrmann. – Bitte schön, Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, Hohes Haus! Die Erfahrungen bei der Durchführung der allgemeinen Gemeinde- und Landkreiswahlen im Jahr 2014 zeigen, dass sich die bestehenden gesetzlichen Vorschriften im Wesentlichen bewährt haben. Einige Klarstellungen, Änderungen und Ergänzungen des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes sind gleichwohl erforderlich. Darüber hinaus enthält der vorliegende Gesetzentwurf auch Änderungen anderer Kommunalgesetze.
Hervorzuheben ist insbesondere die Abschaffung des Verbots der Beschränkung der Nachwahl. So ist bisher eine Beschränkung der Nachwahl nicht möglich, wenn ein Kandidat nach der Wahl zurücktritt oder die Wählbarkeit verliert, etwa weil er bei einer Kreistagswahl das Amt des Landrats angenommen hat und deshalb bei einer erforderlichen Nachwahl nicht mehr auf der Liste stehen kann. In einem solchen Fall ist
derzeit bei einer Kreistagswahl eine Nachwahl im gesamten Landkreis zwingend erforderlich, auch wenn Wahlrechtsverstöße nur in einem einzigen Stimmbezirk stattgefunden haben. Das verursacht unnötigen Aufwand und Kosten. Mit der Aufhebung dieses Verbots wird es künftig den Rechtsaufsichtsbehörden möglich sein, für den Umfang der Nachwahl die Umstände des Einzelfalls hinreichend zu würdigen und die Nachwahl gegebenenfalls auf den oder die Stimmbezirke zu beschränken, in denen die Wahlrechtsverstöße stattgefunden haben. Es ist zwar zutreffend, dass das Wahlergebnis der übrigen Stimmbezirke bei der Nachwahl dann bekannt ist und die Wähler dort, wo nachgewählt wird, ihre Stimmvergabe danach ausrichten können. Diese kleine Verzerrung kann aber hingenommen werden, weil die Wahl in den anderen Stimmbezirken ohne Wahlrechtsverstöße durchgeführt wurde und das Wahlergebnis dort den Wählerwillen zutreffend und unverfälscht wiedergibt.
Des Weiteren ist beabsichtigt, die Listennachfolge als Bezugspunkt einer Ungültigerklärung abzuschaffen. Bisher ist eine Wahl auch dann für ungültig zu erklären, wenn durch einen Wahlrechtsverstoß eine unrichtige Listennachfolge möglich ist, die nicht berichtigt werden kann. Es ist nicht erforderlich, dass diese Person ein Mandat erhalten hätte. Vielmehr reicht es nach bisherigem Recht aus, dass sie auf der Nachrückerliste eine Position weiter vorne einnimmt. Hat eine Partei zum Beispiel nur einen einzigen Sitz im Gemeinderat erhalten und betrifft die mögliche Verschiebung die letzten Listenplätze, so ist die Wahl derzeit für ungültig zu erklären, auch wenn es praktisch ausgeschlossen ist, dass die betroffene Person jemals in den Gemeinderat nachrücken wird. Der Gesetzentwurf sieht für die Ungültigkeitserklärung vor, sie entsprechend auf solche Fälle zu beschränken, in welchen sich die Verletzung der Wahlvorschriften unmittelbar auf die Mandatsverteilung auswirkt. So viel zu den wichtigsten Änderungen im Wahlrecht.
Zum Kommunalverfassungsrecht, das heißt zur Gemeindeordnung will ich nur eine Änderung ansprechen. Der Bayerische Landtag hat sich mit Beschluss vom 16. Juli 2013 dafür ausgesprochen, dass in Bürgerversammlungen künftig alle Gemeindeangehörigen Rederecht erhalten sollen. Dem kommen wir jetzt mit der entsprechenden Änderung in der Gemeindeordnung nach.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit den vorgesehenen Gesetzesänderungen entwickeln wir das bayerische Kommunalwahlrecht und das Kommunalrecht in einigen wichtigen Punkten weiter. Damit tragen wir den Bedürfnissen von Praxis und Rechtsprechung Rechnung. Ich bitte Sie um Unterstützung in der anschließenden Beratung in den Ausschüssen.
Danke schön, Herr Staatsminister. Ich eröffne die Aussprache. Die Gesamtredezeit der Fraktionen beträgt nach der Geschäftsordnung 24 Minuten. Die Redezeit der Staatsregierung orientiert sich dabei an der Redezeit der stärksten Fraktion. – Das Wort erteile ich jetzt dem Kollegen Scheuenstuhl von der SPD. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die einführenden kurzen Worte des Innenministers haben gezeigt,
dass in diesem Gesetzentwurf anscheinend nicht viel Pfeffer ist. Dieser könnte aber darin sein. Der Gesetzentwurf zur Änderung des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes sowie der Gemeindeordnung, der Landkreisordnung und der Bezirksordnung ist wieder ein Entwurf der verpassten Chancen. Die Staatsregierung bleibt erneut hinter den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger und aller Ehrenamtlichen in der Kommunalpolitik zurück. Ich möchte auf einige schwere Mängel des Entwurfs eingehen.
Erstens, Freistellungsanspruch: Beamtinnen und Beamte des Freistaats Bayern und der bayerischen Kommunen, die zu Mitgliedern eines Gemeinderats, Kreistags oder Bezirkstags gewählt wurden, erhalten die zur Ausübung ihres Mandats notwendige Freistellung – sie bekommen frei. Hier wird der Staat seiner Vorbildfunktion hervorragend gerecht.
Arbeiter und Angestellte bei privaten Arbeitgebern sowie im öffentlichen Dienst haben einen solchen Freistellungsanspruch hingegen nicht. Dies haben wir bereits in der Vergangenheit mehrfach aufgezeigt und bemängelt. Es ist schon deprimierend, wenn ein Gemeinderat nicht zu einer Gemeinderatssitzung gehen darf, weil er keine Erlaubnis bekommt. Manchmal ist es schon demütigend für die Demokratie, wenn ein gewählter Mandatsträger betteln gehen muss, um die Erlaubnis zu bekommen, sein Recht wahrnehmen zu dürfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn viele Bürgerinnen und Bürger dann sagen: Nein, ein politisches Ehrenamt ist nichts für mich; das soll jemand anderes machen. Ich glaube, es ist für uns besonders wichtig, dass wir eine Vielfalt von Menschen, von Berufsgruppen in unseren Gremien haben. Deswegen sollten wir darauf schauen, dass wir das durchbringen. Das immer wieder vorgebrachte Argument, die Gemeinderäte könnten ihr
Zweitens, Informationsrecht: Es ist wichtig, dass ein allgemeines, umfängliches Informationsrecht eingeführt wird, und zwar nicht nur für Kreisräte, sondern auch für Bezirksräte und Gemeinderäte. Letztere dürfen zwar ein bisschen im Protokoll nachschauen, was gesagt wurde – wenn es denn aufgeschrieben wurde – und was beschlossen wurde – das steht meistens drin. Aber das reicht doch nicht. Was soll diese Geheimniskrämerei, liebe Kolleginnen und Kollegen? Was haben die Gemeinden und Bezirke zu verbergen? Sind Kreisräte bessere Menschen, bessere Demokraten, weil sie dieses Recht in Anspruch nehmen können? Dass sie es können, ist gut so.
Wir wollen ferner auch, dass die Bürgerinnen und Bürger mehr Einsicht in Informationen und in Vorgänge der Gemeinde nehmen können. Die Entscheidungsprozesse müssen besser nachvollziehbar sein,
sodass durch eine transparente Verwaltung auch mehr Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern entsteht. Ich glaube, es ist auch ein großes Stück Freiheit, die wir wagen sollten, dass sich Bürgerinnen und Bürger umfänglich informieren können. Das ist übrigens keine Frage der Technik mehr, sondern nur noch eine Frage des politischen Willens.
Wir Parteien jammern immer, die jungen Menschen beteiligten sich zu wenig. Dann gibt es eine EnqueteKommission im Landtag, die die Jugend befragen will, was sie denn haben möchte. Die jungen Menschen sagen: Wir möchten mitmachen; lasst uns mittun! Wir haben daraus geschlossen, dass man das Wahlalter von 18 auf 16 Jahre heruntersetzen sollte, damit die Menschen aktiv mitmachen und Politik gestalten können.
So können sie bereits in jungen Jahren erlernen, wie sie sich in der Demokratie zu verhalten haben. Sie können Respekt und Anerkennung erfahren und Verantwortung übernehmen. Das wollen wir den jungen Menschen vormachen und zeigen. Das sollen sie dann auch üben.
Doch nicht nur die jungen Menschen fehlen in diesem Vorschlag, in diesem Gesetzentwurf, sondern auch die Älteren. Mit 67 Jahren sei man zu alt, um Bürgermeister oder Landrat zu sein. Bundeskanzler kann man werden, vielleicht sogar amerikanischer Präsident. Aber in Bayern ist man zu alt. Das muss aufhören; diese Altersdiskriminierung kann so nicht bleiben.
Ferner darf ich auch Dank dafür aussprechen, dass es jetzt allen Bürgerinnen und Bürgern, die in einer Gemeinde oder Stadt leben, erlaubt wird, bei einer Bürgerversammlung zu sprechen. Das Wort Bürgerversammlung impliziert ja schon, dass die Leute mitreden wollen und mitreden dürfen – und ab und zu sogar einmal einen Antrag stellen dürfen. Deswegen sollte jeder Mensch, der in einer Gemeinde wohnt, dieses Recht haben. Ich bedanke mich, Herr Minister, sehr herzlich, dass dies aufgenommen wurde.
Wir stimmen den redaktionellen Änderungen, die schon genannt worden sind, zum größten Teil zu. Für mich ist das Gesetz ein wenig mittelmäßig. Man hätte schon mehr Akzente setzen können. Das fehlt ein wenig. Deswegen freue ich mich auf die Diskussion in den Ausschüssen, die hoffentlich genauso lebhaft sein wird wie mein Vortrag.
Danke schön, Herr Kollege. Wir können bestätigen, dass der Vortrag lebhaft war. – Als Nächster hat jetzt Kollege Lorenz von der CSU das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Die kommunale Ebene ist eigentlich für den Bürger die wichtigste politische Ebene. Von deren Entscheidungen wird er direkt betroffen. Es geht um konkrete Vorhaben, wie zum Beispiel um die örtliche Schule, um Kindergartenplätze und um den Ausbau von Straßen und den Bau von Wohnungen. Deshalb ist es bedauerlich, dass die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen deutlich geringer als bei Landtags- oder Bundestagswahlen ist.
Kommunalwahlen sind Persönlichkeitswahlen. Das bayerische Wahlrecht ist wirklich vorbildlich. Ich glaube, es könnte gar nicht bürgerfreundlicher sein. Hier hat der Bürger die Möglichkeit, Personen seines Ver
trauens zu wählen, und zwar völlig unabhängig von der Partei. Man kann kumulieren; man kann quer durch die Parteien wählen, also panaschieren. Dieses sehr, sehr ausgeprägte und demokratische Wahlrecht macht das Ganze natürlich auch etwas kompliziert.
Ich darf dies am Beispiel von München erläutern. In München hat der Bürger die Möglichkeit, bis zu 80 Stimmen zu vergeben. Manchmal treten bis zu 20 Parteien an. Das heißt, im Extremfall stehen bis zu 1.600 Namen auf dem Stimmzettel. Von daher sind die Kommunalwahlen natürlich auch sehr, sehr fehleranfällig. Umso wichtiger ist es, dass klare und präzise Vorschriften gemacht werden und dass Kommunalwahlen korrekt und ordnungsgemäß abgehalten werden.
Ich begrüße ausdrücklich – wir haben das bei uns in der Fraktion auch sehr intensiv diskutiert –, dass die Hürden für eine Wahlwiederholung deutlich erhöht werden. Es ist einfach nicht einzusehen – nehmen wir wieder das Beispiel München –, dass, wenn in einem einzigen von etwa 1.000 Wahllokalen ein geringfügiger Fehler passiert, alle anderen Bürger dieser Stadt, die in den anderen 999 Wahllokalen abgestimmt haben, noch einmal zum Wahllokal gehen müssen. Dem vielfach gebrachten Einwand, dass das Wahlverhalten dadurch verzerrt werden würde, dass jemand das Wahlergebnis schon kennt, halte ich entgegen: Der größte Unterschied zwischen einer Neuwahl und der bisherigen Wahl
ergibt sich durch neue politische Situationen, die ein unterschiedliches Stimmverhalten begründen können. Jede Wette: Wenn in einer Gemeinde, in einer Stadt eine neue Wahl durchgeführt wird, werden auch ganz andere Personen als bei der letzten Wahl gewählt. Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer Wiederwahl auf das wirklich absolute Minimum reduziert wird. Die getroffenen Regelungen, insbesondere die rechtlichen Grundlagen, was Nachrücker angeht, sind äußerst zu begrüßen.
Es gab den lange gehegten Wunsch, alle Bürger auf der Bürgerversammlung reden zu lassen. – Das ist nach wie vor eine Bürgerversammlung, wie der Name auch sagt. Jetzt können alle, die dort wohnen, auch reden. Das ist gut und richtig. Das haben wir auch zugesagt. Versprechen und Zusagen werden gehalten und umgesetzt, wie unser Ministerpräsident so schön sagt.