Danke schön, Frau Kollegin. – Als Nächste hat Frau Kollegin Hiersemann von der SPD das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Artikel 12 will Ausländerinnen und Ausländern und in Absatz 2 übrigens auch den Inländern Leistungen kürzen und versagen. Er ist diskriminierend, rechtlich falsch und entspricht konsequent der Drohkulisse, die dieses unsägliche Gesetz aufstellen will. Völlig unklar bleibt zum einen, was Artikel 12 mit landesrechtlichen Regelungen und
Ansprüchen meint. Warum benennen Sie diese Leistungen denn eigentlich nicht konkret? – Ihre Begründung ist völlig vernebelt. Alles, was nicht durch Bundesgesetz determiniert sei, so hieß es in den Ausschussberatungen und in der Gesetzesbegründung, wollen Sie kürzen und streichen können. Aber Sie benennen nicht, was das genau ist; denn Sie wollen drohen. Sie wollen nicht deutlich machen, und Sie wollen nicht begründen. Sie denken, Sie hätten das nicht nötig, weil Sie die Macht haben.
Wie der gesamte Gesetzentwurf baut auch diese Regelung in Sprache und Duktus ein Katastrophenszenario auf, das der Realität nicht entspricht, das aber Angst erzeugen soll. Artikel 12 suggeriert, dass Ausländer und Ausländerinnen ihre Ausweispapiere absichtlich vernichten oder wegwerfen, sich ihrer in irgendeiner Form entledigen würden, um sich bei uns Leistungen zu erschleichen. Für diese von der Staatsregierung unterstellten Fälle werden dann die zu ergreifenden Maßnahmen und Konsequenzen vorgegeben. Diese erzeugen Angst und stellen die Menschen unter Generalverdacht. Die Gesetzesbegründung ergeht sich in diskriminierenden Formulierungen wie zum Beispiel der des sogenannten "Massenansturms von Asylbewerbern ohne Papiere". Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CSU, das ist übelste Stimmungsmache.
Artikel 12 stellt alle, die kommen und gekommen sind, unter den Verdacht des Betrugs. Aber die Staatsregierung weiß selber sehr genau, dass es ziemlich unmöglich ist, einem Menschen zu beweisen, dass er sich absichtlich seiner Ausweispapiere entledigt hat, um sich hier Leistungen zu erschleichen, und hat dies in den Ausschussberatungen auch zugegeben. Das sagt die Begründung da nämlich bemerkenswert offen. Sie sagt, dass kein großer Anwendungsbereich denkbar wäre, weil man es eben gar nicht belegen kann. Die Begründung sagt, dass die Vorschrift aber präventiv und psychologisch wirken solle. Psychologische Kriegsführung also, Abschreckung, Drohung. Deshalb also all das, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CSU, weil Sie einschüchtern und abschrecken wollen. Und das nennen Sie Integrationsgesetz.
In Absatz 2 definiert der Entwurf den Gedanken der Verwirkung neu. Artikel 12 sagt nämlich im Klartext, dass jemand, der keinen Pass hat, Leistungsansprüche verwirkt, also Ansprüche auf Leistungen verwirkt, die noch nicht einmal definiert sind. Aber "verwirkt" heißt tatsächlich nichts anderes, als dass der Anspruch weg ist, den man vorher aber zumindest ge
Ob der Ausländer seinen Pass weggeworfen hat, ob er ihn auf der Flucht verloren hat – wie wollen Sie das eigentlich beweisen können? – Mit dieser Vorschrift, der neu eingeführten Verwirkung mit neuer Definition, geben Sie nun der öffentlichen Verwaltung Mittel in die Hand, Schlussfolgerungen aus Sachverhalten zu ziehen, die überhaupt nicht belegt werden können. Die Verwaltung sagt dann: Es gibt eigentlich einen Anspruch; aber den hast du jetzt verwirkt. Der ist für dich nicht mehr durchsetzbar, weil ich – Verwaltung – nicht davon überzeugt bin, dass du eine zuverlässig angegebene Identität hast, und weil ich – Verwaltung – glaube, dass du deine Papiere weggeworfen hast, um hier Leistungen zu erschleichen. – Und wenn der Ausländer nach zwei Tagen vielleicht kommt, weil er seinen Pass nun gefunden hat und endlich einen der wenigen Deutschkurse machen will, dann sagt die Verwaltung: Pech gehabt, lieber Ausländer! Anspruch verwirkt. – Oder die Verwaltung kriegt vielleicht eine Weisung des Sozialministeriums, sie möge es wie die CSU machen und gar nicht mehr sprechen.
Ist das nun Ihre Vorstellung von Werteordnung des christlichen Abendlandes, ist das nun Ihre Vorstellung Ihrer vernebelten Leitkultur? – Und dieser Absatz 2 gilt tatsächlich auch für Inländer; das ist im Ausschuss ausdrücklich wiederholt gesagt worden. Welche praktische Relevanz ist denn hierfür gegeben? Was soll das denn eigentlich? – Schade, lieber Herr Kollege Straub, dass Sie nicht mehr reden dürfen. Sie hätten es mir vielleicht heute Abend noch erklären können.
Schließlich ist der Absatz 3 noch zu erwähnen. Hier werden die bußgeldbewehrten unbestimmbaren Verstöße der folgenden Artikel 13 und 14 zusätzlich mit Leistungskürzungen belegt. Das kommt faktisch einer Doppelbestrafung gleich. Der Ausländer, der erstens ein Bußgeld erhalten hat, weil er Ihrer unklaren Leitkultur auch nur gleichgültig gegenübersteht, erhält nun zweitens zusätzlich eine Leistungskürzung, zum Beispiel keinen Deutschkurs. Das ist es also, was Sie unter Integrationsbemühungen verstehen.
Insgesamt weist die Begründung zu diesem völlig unnötigen und falschen Artikel 12 mehrfach darauf hin, dass man die Regelung verfassungskonform auslegen müsse. Ja, was denn sonst, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU? – Offenbar halten Sie die Vorschrift selber für nicht verfassungsmäßig sicher. Sie sagen, der unbedingte, grundrechtlich verbürgte Anspruch bleibe natürlich bestehen. Das tut er aller
dings auch ohne Ihren unsäglichen Gesetzentwurf, und das tut er schon deshalb, weil wir Menschen ohne Pass nach unserer Werteordnung und sogar nach Ihrer Leitkultur nicht verhungern lassen.
Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustand kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.
Das ist Ihre Haltung von der CSU; das zeigt sich in dem gesamten Gesetzentwurf und auch in diesem Artikel 12. Ich kann deshalb nur sagen: Er ist diskriminierend, er ist menschenverachtend und falsch. Er gehört gestrichen. Wenn Sie schon die Rede heute verweigern, heben Sie wenigstens Ihre Hände für unseren Antrag und stimmen Sie zu, dass dieser Artikel 12 Ihres Entwurfs gestrichen wird.
Ich denke, heute Abend ist nicht der Zeitpunkt, zu dem wir noch ernsthaft in verfassungsrechtlich tiefe Diskussionen einsteigen können. Aber ganz sicherlich ist er wie der gesamte Gesetzentwurf hoch problematisch, weil Begriffe gebraucht werden, die völlig unbestimmte Rechtsbegriffe sind. Deshalb wird sicherlich etliches aus diesem Gesetzentwurf, möglicherweise auch Artikel 12, noch diesbezüglich überprüft werden.
Danke schön, Frau Hiersemann. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Der federführende Ausschuss empfiehlt Zustimmung. Wer dem Artikel 12 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der CSU. Gegenstimmen! – Das sind die Fraktionen der SPD, der FREIEN WÄHLER und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Ich gehe zurück zum neuen Artikel 11, bisher Artikel 10, zu dem von der SPD namentliche Abstimmung beantragt worden ist. Der federführende Ausschuss empfiehlt Zustimmung. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Hierfür sind drei Minuten vorgesehen.
Die Abstimmungszeit ist vorbei. Ich schließe die Abstimmung und bitte, außerhalb des Saales auszuzählen. – Wir fahren in der Tagesordnung fort.
Änderungsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Doris Rauscher, Hans-Ulrich Pfaffmann u. a. und Fraktion (SPD) hier: Nummer 15 (Drs. 17/13211)
Änderungsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Christine Kamm u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hier: Art. 13 - Kein bayerisches Sonderstrafrecht (Drs. 17/13420)
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! So schlimm finde ich es gar nicht, wenn die CSUler heute nichts mehr sagen dürfen.
Wie schäbig der Entwurf ist, wird an diesem Artikel 13 besonders deutlich. Überdeutlich wird aber auch, was der Gesetzentwurf für ein Pfusch ist. Er ist handwerklich schlecht gemacht und wird Nebenwirkungen haben, an die die Pfuscher überhaupt noch nicht gedacht haben. Ähnlich wie bei der sogenannten Ausländermaut – das haben wir ja schon erlebt, und darauf zielen Sie ja wieder mit diesem Artikel – wollen Sie vermeintliche oder tatsächliche Ausländer einer Sonderbehandlung unterziehen und diskriminieren. Aber Sie werden damit allen und auch sich selber schaden.
Mit Artikel 13 wollen Sie diejenigen bestrafen, die unsere Rechts- und Werteordnung im öffentlichen Verhalten missachten. Dann werden Sie auch analog zur Scharia-Polizei eine Leitkultpolizei schaffen.
Soll sie dann herumschnüffeln und eingreifen, oder wie wollen Sie durchsetzen und überprüfen, ob es, wie es im Gesetz formuliert ist, demonstrative Regelverstöße gibt? Sie sagen: Das betrifft uns nicht, das geht nur die vermeintlichen und tatsächlichen Ausländer etwas an. – Aber das wird nicht funktionieren. Da haben Sie sich sauber geschnitten.
Das wird auch ein Problem für einige in der Staatsregierung und in der CSU werden. Wenn das Grundgesetz tatsächlich zur Grundlage für das Verhalten in der Öffentlichkeit werden soll, also wenn die demonstrative Missachtung unserer Rechts- und Werteordnung bestraft werden soll, ja, was machen Sie dann? Da können viele von Ihnen schon den vorgesehenen Grundkurs über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung buchen.