Protocol of the Session on December 8, 2016

Ist es nicht so, dass wir in Deutschland inzwischen dahin gekommen sind, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass viele Arbeiten, die uns zu schwer, zu dreckig oder zu minder bezahlt sind, von Migrantinnen und Migranten erledigt werden und wir dankbar sein müssen, dass sie diese Arbeit machen? – Sie schieben nun in diesem Gesetz der Wirtschaft die Verantwortung für die Ausbildung zu. Das heißt, die Wirtschaft hat diese Aufgabe. Das ist richtig, das sagt die Verfassung. Sie verhindern aber gleichzeitig, liebe Kolleginnen und Kollegen, über Ausführungsbestimmungen die Durchsetzung dieser Verantwortung. Ich erinnere an den § 18a des Aufenthaltsgesetzes. Ich erinnere Sie an das Bundesintegrationsgesetz, das eigentlich von den Ländern eins zu eins umgesetzt werden sollte. Aber dann kam die bayerische Verwaltung, hat 41 Seiten IMS dazugefügt und damit das Bundesintegrationsgesetz ad absurdum geführt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht die Migrantinnen und Migranten verhindern hier die Integration in den Wirtschaftsbereich und in den Arbeitsprozess. Das sind doch Sie von der CSU, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wenn wir die Menschen dazu bringen wollen, dass sie sich integrieren, brauchen sie etwas, über das sie sich definieren können. Es ist immer noch die Arbeit, über die man sich definiert, und wenn wir ihnen diese vorenthalten, wird es mit der Integration nichts werden. Wenn man diese natürlich nicht will, ist das genau der Knackpunkt, wie man die Menschen daran hindern kann, in Deutschland Fuß zu fassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das Gesetz ist deswegen kein Integrationsgesetz, sondern ein Spaltergesetz. Wir sagen: Zusammenhalt würde uns stark machen. Nur gemeinsam gewinnen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat der Herr Kollege Lotte von der SPD das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie von der CSU schon nichts mehr sagen, dann sagen wir etwas zu dem Gesetzentwurf, vielleicht hören Sie wenigstens zu. Wir sagen: Nicht nur die Wirtschaft hat eine Verantwortung, sondern auch der Staat. Ich gehe sogar weiter als Kollege Mütze, wenn ich sage, wir müssen Unternehmen, die sich um eine Integration

verdient machen, belohnen. Wir müssen also bei der Vergabe öffentlicher Aufträge einen Belohnungsmechanismus für private Unternehmen schaffen. Das ist Integration.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte aber auch darauf eingehen, warum Ihr Gesetzentwurf im Hinblick auf die Verantwortung der Unternehmen verfehlt ist. Das hat drei Gründe: Erstens. die Verantwortung wird einseitig der Wirtschaft auferlegt. Sie machen weder konkrete Ausführungen dazu, wie der Staat diesbezüglich seine Verantwortung wahrnehmen will, noch gibt es finanzielle Zusagen. Im Gegenteil: Sie erschweren sogar die Bemühungen der Wirtschaft.

Einerseits geschieht dies durch den repressiven und abschreckenden Charakter des Integrationsgesetzes. Ein Gesetz, das auf Ausgrenzung setzt, verunsichert auch Unternehmen. Dadurch gibt es dann seitens der Unternehmen keine Investitionen in das Anlernen und in das Ausbilden von Geflüchteten. Andererseits erschwert der Staat die Bemühungen durch entsprechende Verordnungen, die wiederum den Zugang von Migrantinnen und Migranten zur Ausbildung und Arbeit deutlich erschweren. Der Herr Kollege Mütze hat bereits das Beispiel der 3-plus-2-Regelung genannt. Genau das macht die Absichten der Staatsregierung deutlich. Es geht Ihnen nicht um Integration.

Zweitens. Unternehmen sollen laut diesem Gesetz den Migrantinnen und Migranten die Leitkultur vermitteln. Wie sollen denn Unternehmen etwas leisten, wenn nicht einmal Sie, sehr geehrte Damen und Herren von der CSU, richtig erklären können, was Leitkultur ist?

(Beifall bei der SPD – Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): So ist es!)

Das haben doch auch die vielen Diskussionen in den Ausschüssen mehr als deutlich gezeigt, und deswegen möchte ich unabhängig davon einen Vertreter des Wirtschaftsministeriums zitieren, der selbst zugegeben hat: Wir haben uns noch gar keine konkreten Überlegungen dazu gemacht, wie man das eigentlich genau prüft, es wäre aber natürlich bei weiteren Planungen zu berücksichtigen, dass man diese Frage aufnimmt. – Dazu muss ich feststellen: Es ist erschreckend, wenn Sie vor der Einführung eines Gesetzes keine Lösung haben. Auch später wird es keine Lösungen geben, weil es gar nicht möglich ist, und schon gar nicht für Unternehmen. Die Vermittlung einer Leitkultur ist nicht nur Ausdruck einer falschen ideologischen Haltung, sondern sie ist schlichtweg nicht möglich.

Drittens. Wir kritisieren, dass die Potenziale der Migrantinnen und Migranten viel zu wenig Beachtung finden. Diese Potenziale können damit aber nicht gefördert werden. Ich will als Potenzial auch noch einmal die Mehrsprachigkeit oder berufliche Qualifikationen aus dem Herkunftsland nennen. Wir brauchen kein Gesetz, das Migrantinnen und Migranten ausschließlich als Problem begreift. Wir brauchen eines, das Chancen nutzt und uns mit Tatendrang in die Zukunft blicken lässt.

(Beifall bei der SPD)

Genau deswegen haben wir als SPD-Fraktion eigene Lösungen entwickelt und vorgeschlagen, mit denen auch der Staat seiner Verantwortung gerecht wird. Die wichtigste Änderung in dem Antrag der SPD ist die Betonung der beidseitigen Verantwortung, die der Wirtschaft und des Staates sowie der Kommunen. Es geht also darum, die wirtschaftliche Verantwortung zu teilen; denn es ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung und nicht nur eine, die von der Wirtschaft allein zu tragen ist.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen konkret, dass der Staat die Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Migrationshintergrund fördert. Wir wollen, dass eine Zusammenarbeit des Staates mit Akteuren der Arbeitsmarktförderung und der Berufsbildung aktiv stattfindet, und wir wollen, dass die Bemühungen einzelner Unternehmen staatlicherseits positiv berücksichtigt werden können, selbstverständlich ohne einen Bezug zur Leitkultur.

Anknüpfend daran, formulieren wir in unserem Änderungsantrag sogar noch weiter gehend, dass Unternehmen, die sich besonders um die Verwirklichung der Integrationsziele bemühen – ich habe es am Anfang erwähnt –, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bevorzugt werden können.

Fazit: Wir lehnen es ab, der Wirtschaft allein die Verantwortung für die Integration der Geflüchteten auf dem Arbeitsmarkt zu übertragen. Wir brauchen einen handlungsfähigen Staat, der hier unterstützend eingreift und der sich seiner Verantwortung bewusst ist. Der vorliegende Gesetzentwurf kann dies nicht, und Sie wollen das offensichtlich auch nicht leisten.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN)

Danke schön, Herr Kollege. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung. Vorweg ist über die Nummer 8 des Änderungsantrags der SPD-Fraktion auf Drucksache 17/13211 abzustimmen. Mit der Nummer 8 des SPD-Antrags soll Artikel 7 – entspricht dem Artikel 10 neu des Entwurfs der Staatsregierung – neu gefasst werden. Inhaltlich verweise ich auf die Drucksache. Der federführende Ausschuss empfiehlt die Ablehnung. Wer entgegen dem Ausschussvotum der Nummer 8 des SPD-Änderungsantrags zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die SPD, die FREIEN WÄHLER und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen! – Das ist die CSU-Fraktion. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist die Nummer 8 des Antrags abgelehnt.

Zum neuen Artikel 10, bisher Artikel 9, empfiehlt der federführende Ausschuss Zustimmung mit der Maßgabe, dass in Absatz 2 Satz 2 das Wort "hierfür" durch die Wörter "für die Qualifizierung der Migrantinnen und Migranten" ersetzt wird. Inhaltlich verweise ich hierzu auf die Nummer 6 der Beschlussempfehlung. Wer dem neuen Artikel 10 mit dieser Ergänzung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der CSU. Gegenstimmen! – Das sind die Fraktionen der SPD, der FREIEN WÄHLER und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Stimmenthaltungen? – Keine. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe auf:

Artikel 10 bisher "Rundfunk und Medien"

hierzu:

Änderungsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Doris Rauscher, Hans-Ulrich Pfaffmann u. a. und Fraktion (SPD) hier: Nummer 9 (Drs. 17/13211)

Änderungsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Christine Kamm u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hier: Art. 10 - Rundfunkfreiheit (Drs. 17/13419)

Änderungsantrag der Abgeordneten Thomas Kreuzer, Josef Zellmeier, Markus Blume u. a. (CSU) hier: Nummer 6 (Drs. 17/13604)

Der bisherige Artikel 10 "Rundfunk und Medien" wird durch die Einfügung des vorher beschlossenen neuen Artikels 10 zu Artikel 11.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die Frau Kollegin Osgyan von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bayern ist ein Land mit großer Medienvielfalt. Darauf können wir alle stolz sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir haben einen gut funktionierenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wir haben ein fein austariertes privates Mediensystem, private Rundfunk- und Fernsehstationen sowie eine große, vielfältige Presselandschaft, die in den meisten Regionen noch einigermaßen funktioniert. Das heißt, wir haben häufig miteinander konkurrierende Medien, die die Meinungsvielfalt darstellen können. Darauf können wir stolz sein. Gerade in Zeiten, in denen das politische Klima rauer wird, weil rechte Hetzer versuchen, mit Parolen wie "Lügenpresse" die freie Berichterstattung anzugreifen und unabhängige Medien zu diskreditieren, müssen wir uns hinter unsere Medien stellen. Wir müssen sie stärken in ihrem Auftrag, vor allem aber in ihrer Unabhängigkeit.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

Wir haben hier keinen Staatsfunk, und darauf können wir stolz sein. Das ist unglaublich wichtig. Wir haben eine staatsferne Medienaufsicht mit Rundfunkräten, mit Medienräten, und auch darauf können wir stolz sein. Wenn die Medien nämlich nicht mehr staatsfern gestaltet sind, dann kann ganz schnell der rechte Einfluss wirksam werden. Das sehen wir zurzeit in Ungarn und in Polen. Dort muss man mittlerweile Angst haben, dass die Demokratie entgleitet. Das liegt auch daran, dass die Kontrolle durch die Medien nicht mehr gegeben ist.

Wir sehen auch den Beitrag der öffentlich-rechtlichen Medien und der privaten Medien zur Integration. Das ist unheimlich wichtig, da kann sehr viel getan werden, und zwar sowohl bei der Sprachvermittlung als auch bei der Vermittlung der Kultur hierzulande oder der Politik. Das gilt auch für viele andere Bereiche, die der Integration förderlich sind. Ich habe ein sehr schönes Beispiel gesehen, und zwar die "Ankommen"App, die der Bayerische Rundfunk unter anderem zusammen mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge realisiert hat. Das Goethe-Institut hat Sprachkurse beigesteuert. Das ist eine wunderbare Möglichkeit, um den hier Ankommenden schnell unsere Kultur zu vermitteln, ihnen Anlaufstellen zu geben und ihnen auch konkret weiterzuhelfen. Wir unterstreichen deshalb die Rolle der Medien bei der Integration.

Als sehr gefährlich sehen wir es allerdings an, einen neuen Auftrag in ein Gesetz hineinschreiben zu wollen, das die Medien auf die Leitkultur verpflichtet. Wir haben lange darüber diskutiert, was Leitkultur eigentlich ist. Wir wissen es immer noch nicht. Wir haben noch keine vernünftige Erklärung dazu bekommen. Das verunsichert nicht nur uns, sondern auch viele Journalistinnen und Journalisten. Sie fragen sich: Wie soll die Berichterstattung künftig aussehen? Sollen wir auf die Leitkultur verpflichtet werden? Was ist das, und was passiert, wenn wir zwar ausgewogen berichten, aber das vielleicht nicht der Leitkultur entspricht? – Das kann man so nicht stehen lassen. Ich glaube, dass das nicht nur der Rundfunk- und Pressefreiheit widerspricht, sondern auch unserer Bayerischen Verfassung.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wir haben in Artikel 111a der Bayerischen Verfassung die Rundfunkfreiheit geregelt. Ich finde, das ist ein sehr schöner, klarer und auch sehr kompakter Artikel. Da steht drin:

Die Freiheit des Rundfunks wird gewährleistet. Der Rundfunk dient der Information durch wahrheitsgemäße, umfassende und unparteiische Berichterstattung sowie durch die Verbreitung von Meinungen. Er trägt zur Bildung und Unterhaltung bei.

Es werden auch einige Dinge festgeschrieben, auf die der Rundfunk achten muss: die freiheitliche demokratische Grundordnung, die Menschenwürde, religiöse und weltanschauliche Überzeugungen und vieles mehr. Im Prinzip stehen da die Werte, die in unserem Grundgesetz stehen. Da steht nichts von einer Leitkultur. Ganz am Schluss steht: "Das Nähere regelt ein Gesetz." – Ich glaube aber nicht, dass dieses Gesetz, ein Integrationsgesetz, das eigentlich nicht zur Medienaufsicht gedacht ist, über der Bayerischen Verfassung stehen kann. Es kann deshalb auch keinen Auftrag an die Medien enthalten. Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig. Ich möchte Sie davor warnen, hier ohne Not dem Rundfunk etwas Neues aufzuerlegen, was seinem Auftrag nicht entspricht.

(Jürgen W. Heike (CSU): Sie haben doch keine Ahnung!)

Wir haben deswegen in unserem Änderungsantrag um die Streichung des zweiten Satzes gebeten, nämlich:

(Beifall bei den GRÜNEN)

"Die Angebote in Rundfunk und Telemedien sollen einen Beitrag zur Vermittlung der deutschen Sprache und der Leitkultur leisten." – Wir haben in unser Integrationsgesetz allerdings noch andere Dinge hineingeschrieben, nämlich Aufgaben, die die Medien bei der Integration leisten können. Das ist zum Beispiel die Vermittlung der Medienkompetenz. Es geht nämlich nicht nur darum, wie Rundfunk, Fernsehen und Presse berichten, sondern auch darum, ob die Bürgerinnen und Bürger damit etwas anfangen können, ob sie damit umgehen können und ob sie Quellen richtig bewerten können. Das ist eine Aufgabe, die der Freistaat hat. Dafür sollte er im pädagogischen Bereich sorgen. Darauf müssen wir achten.