Herr Kollege Güll, ich stelle fest: Nicht alle Mitglieder Ihrer Fraktion sind an dem Dialog interessiert, den Sie doch in Ihrer Rede eingefordert haben. Das macht aber nichts.
(Beifall bei der CSU – Volkmar Halbleib (SPD): Wenn das Ihre Vorstellung von Dialog ist, dann ist mir alles klar!)
Ich setze mich mit Ihrem Gutachten in dieser Rede wahrscheinlich intensiver auseinander, als es Herr Kollege Güll vorhin gemacht hat. Das ist jedoch ein anderes Thema. – Sie misstrauen der Bewertung der Grundschullehrer. Das ist der wahre Hintergrund Ihrer Überlegungen. Das ist das, was drinsteht. Die Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer, die die Schülerinnen und Schüler in der dritten und vierten Klasse begutachten, sie testen und mit ihnen zwei Jahre ihrer Schullaufbahn verbringen, geben eine Empfehlung ab. In Ihrem Gutachten steht, dass die Lehrerinnen und Lehrer nicht in der Lage seien, nach diesen zwei Jahren zu entscheiden, ob ein Kind grundsätzlich für die Schullaufbahn am Gymnasium, an der Realschule oder der Mittelschule geeignet ist. Im Gutachten wird daran gezweifelt, dass die Lehrkräfte das richtig beurteilen können. Deshalb wollen Sie den Elternwillen freigeben. Das zeugt von einem tiefen Misstrauen ge
(Beifall bei der CSU – Dr. Simone Strohmayr (SPD): So ein Schmarrn! Setzen Sie sich mit dem auseinander, was im Antrag steht!)
Das unterstelle ich Ihnen nicht, das steht in Ihrem Gutachten. Sie schreiben sogar extra, dass die Bewertungen von den unterschiedlichen Effekten getragen werden. – Herr Kollege Güll, im Übrigen geht es nicht nur um die Noten.
Wenn Sie mir zuhören würden, könnte ich es Ihnen erklären. Die Bewertung in Form einer Zahl oder in Form eines Satzes oder zweier Sätze ändert nichts an der Tatsache, dass die Eltern letzten Endes wissen wollen, ob es für ihr Kind geht oder nicht. Wenn Sie anstatt einer Bewertung in Form von Zensuren eine Bewertung in mehreren Sätzen wollen, ändert das nichts an der Tatsache, dass die gleichen Lehrer, denen Sie absprechen, die Kinder mit Zahlen bewerten zu können, diese nun mit Sätzen bewerten. Damit ersetzen Sie das eine Instrument durch das andere. Die Entscheidung, ob die Kinder geeignet sind oder nicht, verbleibt nach wie vor bei den Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Eine komplette Freigabe des Elternwillens, die Sie fordern, gefährdet unser differenziertes Schulsystem.
Genau darum geht es. Letztendlich wollen Sie das differenzierte Schulsystem nicht mehr haben. Dies sollten Sie jedoch nicht auf dem Rücken der Kinder beim Übertrittszeugnis austragen. Sie benutzen die Ängste der Eltern und der Dritt- und Viertklässler, um Ihre Ideologie durchzusetzen. Das ist absolut hanebüchen.
Herr Kollege Güll, ich freue mich auf die weitere Auseinandersetzung im Bildungsausschuss. Ich bin vorbereitet, und ich freue mich darauf. Leider habe ich ein wenig zu lange geredet. Hoffentlich sehen es mir die Kolleginnen und Kollegen nach. Wir werden Ihrem Dringlichkeitsantrag nicht zustimmen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde jetzt eine ganz gefährliche Bemerkung machen. Liebe Frau Präsidentin, meine Berufung zum Professor erfolgte in Berlin.
Herr Waschler, es gab eine zweite Berufung in München. Insofern ist es halb richtig. – Ich möchte ein paar wenige Gedanken und Bemerkungen anführen. Das Thema Übertrittsverfahren im Rahmen eines Dringlichkeitsantrags der SPD ist nichts Neues, aber auch nichts Schlimmes, weil das Thema durchaus wichtig ist.
Herr Kollege Hofmann hat bereits gesagt, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts unvollständig zitiert worden ist. Wenn man weiterliest, wird das deutlich. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist die Möglichkeit von Bewertungen durch die Schule und den Staat nicht verfassungswidrig. – Sei‘s drum, darüber kann man streiten. Auf der anderen Seite glaube ich – darüber sollten wir uns im Bildungsausschuss intensiv unterhalten –, dass das bayerische Übertrittsverfahren nicht das Nonplusultra ist. Daran kann man viel kritisieren, manches kann man auch ändern. Zumindest ist das sehr diskussionswürdig. Meiner Meinung nach ist das Übertrittsverfahren für viele belastend. Dass das Übertrittsverfahren nicht optimal ist, zeigt sich auch daran, dass es sich in der letzten Zeit verändert hat. Es gab durchaus die Bereitschaft, darüber zu reden und es zu ändern. Diese Bereitschaft setze ich bei den Kolleginnen und Kollegen der CSU grundsätzlich voraus und nehme sie an. Das ist auch durch die Eingangsformulierungen von Herrn Kollegen Hofmann deutlich geworden.
Noch wenige Überlegungen zum Übertrittsverfahren: Zuerst wird immer angenommen, dass es sozial ungerecht und selektiv ist. Dazu liegen jedoch unterschiedliche Studien vor. Darüber haben wir schon das letzte Mal gesprochen. In diesem Zusammenhang nenne ich die Dollmann-Studie. Jeder findet die Studie, die das beweist. Die Dollmann-Studie hat sich auf Nordrhein-Westfalen bezogen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, die ich mir auch immer selber stelle: Besteht im Falle der Freigabe des Elternwillens die Gefahr, dass Eltern, die von ihren Kindern einen Übertritt an das Gymnasium oder die Realschule erwarten, dies auch ermöglichen?
Natürlich tun sie das in Bayern. Die Freigabe des Elternwillens würde dies jedoch noch verstärken. Möglicherweise machen es die anderen Eltern weniger. Darüber müsste man noch einmal reden. Fraglich ist, ob man durch eine Freigabe des Elternwillens oder durch andere Systeme die soziale Selektion wirklich einschränkt. Schließlich stellt sich die Frage, welche Konsequenzen das hätte. Wahrscheinlich werden in Bayern mehr Schüler auf das Gymnasium gehen als bisher. Das ist jetzt meine These, über die wir reden können. Was würde das bedeuten? – Für uns Freie Wähler wäre es dramatisch, wenn aufgrund der Freigabe des Elternwillens wesentlich weniger Schülerinnen und Schüler die Mittelschulen besuchen. Möglicherweise müssen wir dann insbesondere im ländlichen Raum Mittelschulen schließen.
Über diese Punkte und die Konsequenzen muss man nachdenken. Fraglich ist jedoch, ob man alles im Voraus bedenken kann. Ich persönlich spreche für die FREIEN WÄHLER. Wir kritisieren einiges beim Übertrittsverfahren, vor allem den großen Druck. Wir sind gerne bereit, darüber zu reden, wie man den Druck mindern und das Verfahren verbessern kann. Im Moment sehen wir jedoch nicht, dass eine völlige Freigabe des Elternwillens das Schulsystem in Bayern verbessern und zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen würde. Ich lasse mich aber gerne vom Gegenteil überzeugen. Solange das nicht der Fall ist, werden wir FREIE WÄHLER den Dringlichkeitsantrag ablehnen. Selbstverständlich sind wir nach wie vor gesprächsbereit. Wir freuen uns auf die Diskussion im Bildungsausschuss.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident Seehofer hat heute davon geredet, dass die Kinder in Bayern nicht über einen Kamm geschoren würden und die Wahlfreiheit das höchste Gut sei. Herr Kollege Kreuzer hat davon geredet, dass in Bayern Eltern und Kinder nicht bevormundet würden. – Genau das macht jedoch das bayerische Übertrittsverfahren. Die Kinder werden über einen Kamm geschoren. Für die Eltern gibt es keine Wahlfreiheit. Die staatliche Schule bevormundet die Eltern. Das bayerische Übertrittsverfahren sagt die Wahrheit über das bayerische Bildungssystem – mehr als die Worte am Rednerpult.
Wir alle wissen, wie unterschiedlich eine Gruppe von Viertklässlern ist. Es gibt Größere, Kleinere, Vorlaute, Nachdenkliche, Ruhige, Vielfrager, Jungen, Mädchen, Kinder mit türkischem Migrationshintergrund, Kinder mit afghanischem Migrationshintergrund oder mit Allgäuer Migrationshintergrund. Das bayerische Übertrittsverfahren tut jedoch so, als wäre die vierte Klasse ein Bürstenhaarschnitt – man fährt einmal durch und entscheidet, in welche Schublade welches Kind gehört.
Tatsächlich spielt die Freiheit der Eltern keine Rolle. Tatsächlich werden die Eltern bevormundet. Die staatliche Schule sagt: Ich weiß, was gut ist für dein Kind. Ich schick dein Kind dahin, dahin oder dahin.
Wir haben einen Numerus Clausus. Es geht doch nicht, mit einem Notenschnitt von 2,66 zum Gymnasium zu gehen. Erzählen Sie doch kein so dummes Zeug.
Ich rede jetzt vom Notenschnitt, und der Notenschnitt sagt etwas über die Eignung für eine bestimmte Schulart aus. Da sind die sekundären Effekte besprochen worden.
Es gibt sekundäre Effekte. Ich möchte hinzufügen: Es gibt auch die regionalen Effekte. Das bayerische Übertrittsverfahren sagt: Du bist geeignet für eine bestimmte Schulart, Gymnasium 2,33, Realschule 2,66. Jetzt sagen die Zahlen, in Oberbayern sind 55 % für das Gymnasium geeignet, in Niederbayern 47 %. Oberfranken und Schwaben liegen ziemlich gleichauf, Herr Hofmann. Das Übertrittsverfahren sagt: "für eine bestimmte Schulart". Das ist regional sehr unterschiedlich, das ist sozial sehr unterschiedlich. Das können Sie in München Stadtteil für Stadtteil sehen.
Das heißt also, da wird etwas scheinbar objektiv legitimiert, was unterschiedlich ist. Da werden Unter
schiedlichkeiten, die tatsächlich da sind und die Sie nicht wegreden können, sozusagen sozial, politisch, rechtlich legitimiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, insofern wird durch dieses bayerische Übertrittsverfahren eine Scheinobjektivität dargestellt. Es ist aber natürlich ein Problem für viele Schülerinnen und Schüler. Es wird großer Druck und Stress erzeugt. Die Würzburger Studie ist erwähnt worden. Es macht die individuelle Förderung in der Grundschule kaputt, die eigentlich die Stärke der Grundschule ist. Sie müssen sich nur einmal mit Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern unterhalten.
Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Regelung vor Gericht scheitert, auch in Bayern nicht. Es wäre besser, wir regeln das auf politischem Wege. Ich hoffe auf den Dialog im Bildungsausschuss. Lasst uns dieses Übertrittsverfahren in dieser Form abschaffen. – Ich danke Ihnen.
Bitte bleiben Sie am Rednerpult, Herr Kollege Gehring. Es gibt eine Zwischenbemerkung der Kollegin Schorer-Dremel.
Sie haben am Ende Ihrer Ausführungen gesagt, man sollte einmal mit den Lehrern reden. Als ehemalige Schulleiterin und Grundschullehrerin, die 14-mal Übertrittszeugnisse für bis zu 33 Kinder geschrieben hat, weiß ich, wovon ich rede. Das hat eben nichts damit zu tun, dass wir Kinder über einen Kamm scheren, sondern dass wir uns in den meisten Fällen über zwei Jahre konsequent Gedanken machen, nicht darüber, wofür dieses Kind geeignet ist, sondern darüber, wo die Talente des Kindes am besten zum Ausdruck gebracht werden.
Von daher ist meine Zwischenbemerkung mit einer Frage verbunden. Wir reden hier immer über die Kinder und über die Eltern. Im Übertrittsverfahren sind die Entscheidenden Lehrer, Kinder und Eltern. Deswegen würde ich gerne von Ihnen wissen, wie Sie das Dreieck Lehrer, Kinder und Eltern einschätzen. Wir reden hier immer nur von den Eltern, aber es sind immerhin drei Parteien beteiligt.