Die Rechtslage ist nämlich keineswegs eindeutig. Wir reden in unserem Gesetzentwurf nicht von "Regierungsbezirken"; das zeigt einmal mehr, wie wenig Sie sich mit dem Thema beschäftigt haben und wie oberflächlich Sie damit umgehen. Es geht überhaupt nicht um die Regierungsbezirke als Verwaltungsebene unterhalb der Ministerialebene – die gibt es in anderen Bundesländern natürlich auch –, sondern es geht um den Bezirk bayerischer Prägung, und den gibt es eben sonst nirgends mehr.
Sie können doch nicht grundsätzliche Rechte wie das Recht zu wählen an technischen Fragen scheitern lassen, wie etwa der Stimmabgabe am Tag der Landtagswahl. Sie zitieren Artikel 20 des Grundgesetzes, den wir natürlich alle kennen und auch respektieren. In dem Zusammenhang darf ich doch noch einmal darauf eingehen, dass unserer Auffassung nach verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere aus dem Grundgesetz, unserem Bestreben, den in unserem Land lebenden Unionsbürgern das Wahlrecht zum Bezirkstag einzuräumen, nicht entgegenstehen.
Das gilt weder für Artikel 28 des Grundgesetzes noch für Artikel 20 des Grundgesetzes. Nach Artikel 28 Absatz 1 Satz 3 des Grundgesetzes sind bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaft besitzen, wahlberechtigt und wählbar.
Die noch vorherrschende Meinung – ich betone: noch vorherrschende Meinung – macht es sich meines Erachtens zu einfach, wenn sie die Auffassung vertritt, dass EU-Ausländern dieses Recht deshalb nicht zustünde, weil in dieser Grundgesetzbestimmung die bayerischen Bezirke nicht ausdrücklich enthalten sind.
Aber lassen Sie uns doch bitte den Willen des Grundgesetzgebers erforschen. Lassen Sie uns die dortigen und die Regelungen der Bayerischen Verfassung zusammengehen. Artikel 10 Absatz 1 unserer Verfassung bestimmt, dass für das Gebiet jedes Kreises, jedes Bezirks, ein Gemeindeverband als Selbstverwaltungskörper besteht. Nach Artikel 9 Absatz 1 gliedert sich das Staatsgebiet in Kreise, womit die Regierungsbezirke gemeint sind, die wiederum nach Artikel 9 Absatz 2 Satz 1 in Bezirke eingeteilt sind. Unter Bezirken sind wiederum die Landkreise zu verstehen. Das ist etwas kompliziert von der Begrifflichkeit her, aber es ist eben so. Die Bezirke im hier diskutierten Sinn tauchen dabei gar nicht auf. Sie sind aber unter den Begriff "Gemeindeverband" zu subsumieren. Sie sind allerdings keine ursprünglichen Gebietskörperschaften wie die Gemeinden, sondern zu Verwaltungszwecken zusammengefasste Gebiete, denen die Selbstverwaltung nur institutionell und nicht wie den Gemeinden auch als grundrechtsähnliches Recht von der Verfassung wegen gewährleistet ist. Die bayerischen Bezirke sind zweifellos ein bayerisches Spezifikum, aber sie sind eben ohne jeden Zweifel neben Gemeinden und Landkreisen eine kommunale Gliederungsebene, nämlich die dritte in Bayern.
Der Gemeinschaftswille in der EU ist auch klar. Auf der kommunalen Ebene sollen alle EU-Bürgerinnen und -Bürger wählen dürfen.
Ich halte solche politischen Partizipationsmöglichkeiten gerade aus Gründen der Integration für dringend geboten. Wer sich integrieren will und soll, muss politische Mitwirkungsmöglichkeiten bekommen. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt.
In den Erwägungsgründen der Richtlinie 94/80 der Europäischen Gemeinschaft – ich habe es vorhin schon angesprochen – wird ausgeführt, dass Artikel 8b Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union darauf abzielt, dass alle Unionsbürger, unabhängig davon, ob sie Staatsangehörige des Wohnsitzmitgliedstaates sind oder nicht, dort ihr aktives und passives Wahlrecht bei den Kommunalwahlen unter den gleichen Bedingungen ausüben können und dass Unionsbürger, die keine Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaates sind, keinen besonderen Voraussetzungen unterworfen sein dürfen, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung von in- und ausländischen Staatsangehörigen wäre durch besondere Umstände Letzterer gerechtfertigt, die sie von Ersteren unterscheiden. Aber gerade solche besonderen Umstände haben wir nicht, und Sie haben auch
keine solchen vorgetragen. Sie konnten auch keine vortragen; denn worin sollten die eigentlich zwischen einem Deutschen und einem Franzosen, der an der Kommunalwahl teilnimmt, bestehen?
Es kann nicht sein, dass durch das Festklammern an einer offenbar unvollständigen Liste in einer Anlage zu einer Richtlinie zu einem EU-Vertrag die Ende 1992 erfolgte Öffnung des Grundgesetzes durch Aufnahme des EU-Ausländerwahlrechts in Artikel 28 Absatz 1 Satz 3 für eine wichtige kommunale Ebene, nämlich die Bezirke, unterlaufen wird und EU-Bürgerinnen und -Bürger in Bayern damit nur ein eingeschränktes kommunales Wahlrecht haben. Deswegen halte ich das für diskriminierend und für EU-rechtswidrig.
Bei der Richtlinie 94/80 handelt es sich im Vergleich zum Vertrag über die Arbeitsweise der Union als primärem EU-Recht nur um Sekundärrecht, dem gerade keine abschließende Definitionsmacht zukommt. Daher ist der Ausschluss von EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern vom Bezirkswahlrecht als kommunalem Wahlrecht eindeutig rechtswidrig. Sie werden sehen, dass sich die Rechtsprechung ändern wird. Die Lehrmeinung ist bereits dabei, sich zu ändern. Wenn Sie einschlägige Kommentare nachlesen, können Sie sich selbst davon überzeugen.
Daran anschließend wird es darum gehen, einem weiteren Reformbedarf im kommunalen Wahlrecht nachzugehen.
Danke schön. Sie dürfen am Rednerpult verbleiben. Wir haben eine Zwischenbemerkung des Kollegen Lorenz.
Sie möchten im Anschluss noch einmal reden. – Also, danke schön. – Nächster Redner ist der Kollege Hanisch.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Bezirkswahlrecht steht heute zur Diskussion. Einen entsprechenden Antrag mit ähnlichem Inhalt haben die FREIEN WÄHLER bereits in der letzten Periode in diesem Plenum vorgetragen. Wir sind der Auffassung, dass es sich bei den Bezirken in Bayern um eine ganz spezielle Regelung handelt. Unstrittig für alle ist, dass die Bezirke zur kommunalen Ebene gehören. Wenn
wir auf der kommunalen Ebene Regelungen haben, wonach EU-Ausländer, die die sonstigen Voraussetzungen – wie Aufenthaltsdauer, Lebensalter und was hier noch gefordert wird – erfüllen, in den Gemeinderat gewählt werden können und zur Wahl gehen dürfen, dann ist unsere Auffassung, dass das auch für den Bezirk so geregelt werden muss, weil es sich um die kommunale Ebene handelt.
Herr Kollege Wengert, ich kann Ihnen in allem, was Sie gesagt haben, zustimmen. Eines ist jedoch nicht richtig, nämlich dass es diese Regelung nur in Bayern gibt. Es gibt eine ganz interessante Konstellation, sicher aus der bayerischen Geschichte begründet, nämlich in Rheinland-Pfalz. In Rheinland-Pfalz gibt es den Bezirkstag Pfalz; so nennt sich dieser ganz offiziell. Der Bezirkstag Pfalz ist übernommen worden, weil die Pfalz jahrhundertelang – ich meine zwei Jahrhunderte, wenn ich es richtig im Kopf habe – zu Bayern gehört hat oder umgekehrt. Es gab die Bezirke. Die haben das übernommen und behalten. Sie haben das interessanterweise, Herr Kollege Lorenz, auf eine Basis gestellt, zu der wir erst noch kommen müssen. Sie haben nämlich geregelt, dass heute für die Wahl der Bezirkstage, die wie bei uns vom Volk gewählt werden, Kommunalrecht anzuwenden ist. Damit werden dort automatisch die EU-Ausländer wahlberechtigt; sie können wählen und gewählt werden. Damit gilt dort die Regelung, die wir erreichen wollen. Also kann es nicht so unanständig sein, und es kann nichts dabei sein, was gegen irgendwelche Gesetze verstößt. Der Antrag ist in Ordnung und sauber begründet. Wir werden uns diesem Antrag anschließen.
Zu den Wählerverzeichnissen: Ich bin lange genug in der Kommunalpolitik gewesen, um zu wissen, dass es durchaus Wahlen gibt, bei denen der Bürger bei einer Wahl wahlberechtigt ist, während er das bei einer anderen nicht ist. Das muss man in Gottes Namen im Wahlverzeichnis vermerken. Schlimmstenfalls legt man ein eigenes Wahlverzeichnis für die EU-Ausländer an, oder man richtet in München ein eigenes Stimmlokal für die EU-Ausländer ein. Das alles ist technisch machbar, und zwar ohne großen Verwaltungsmehraufwand, wenn wir es nur wollen. Es wäre eine saubere Lösung, die kommunale Ebene in allen drei Bereichen mit gleichen Rechten auszustatten. Insofern werden wir dem Antrag in dieser Form zustimmen.
kungen. Herr Kollege Wengert, Ihre Initiative leuchtet mir nicht ganz ein, nachdem wir erst kürzlich über den Erfahrungsbericht im Kommunalausschuss diskutiert haben und die Staatsregierung einen eigenen Gesetzentwurf angekündigt hatte, um die gemachten Erfahrungen in Gesetzesform zu gießen. Wir hatten eigentlich im Kommunalausschuss ausgemacht, auf die Vorlage eigener Gesetzentwürfe zu verzichten. Nichtsdestoweniger handelt es sich um eine Forderung, die auch die GRÜNEN-Landtagsfraktion – Sie haben selber darauf hingewiesen – bereits mehrfach erhoben hat. Ich freue mich natürlich immer, wenn auch die SPD nach reiflicher Überlegung, wie Sie es ausgedrückt haben, nach zweieinhalb Jahren ihre Position ändert und eine Position der GRÜNEN übernimmt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, an den Argumenten des Für und Wider zum Wahlrecht für EU-Bürgerinnen und EU-Bürger bei Bezirkstagswahlen hat sich grundsätzlich nichts geändert. Sie haben darauf hingewiesen. Frau Kollegin Schulze und ich haben eine Schriftliche Anfrage zu diesem Thema auf den Weg gebracht. Entgegen der Staatsregierung, die verfassungsrechtliche und europarechtliche Bedenken geäußert hat, befürwortet der Bezirketag längst – darauf muss man hinweisen – die Erweiterung des aktiven und passiven Wahlrechts auf die EU-Bürgerinnen und EU-Bürger. Herr Kollege Lorenz, die Rechtsauffassung der Staatsregierung muss nicht immer die richtige sein. Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass sich in den Kommentaren einiges tut und die Rechtslage alles andere als eindeutig ist.
Kolleginnen und Kollegen, wir sind vielmehr der Auffassung, dass eine Änderung des Bezirkswahlgesetzes weder dem Grundgesetz noch dem EU-Recht entgegenstehen würde. Nach Artikel 22 des Grundgesetzes sind bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union besitzen, wahlberechtigt und wählbar. In Verbindung mit dem einschlägigen Artikel der Bayerischen Verfassung ist aus unserer Sicht eindeutig, dass die Bezirksebene die dritte kommunale Ebene im Freistaat darstellt. Deshalb ist es folgerichtig, das Wahlrecht nicht wie bisher auf Gemeinde- und Landkreiswahlen zu beschränken.
Auf der Grundlage des Europarechts lässt sich aus unserer Sicht nicht begründen, dass Unionsbürgern bei Bezirkstagswahlen, anders als bei Gemeinde- und Landkreiswahlen, kein aktives und passives Wahlrecht zukommen sollte. Der Ausschluss von der Teilnahme an den Bezirkswahlen ist nicht mit der Gewährleistung des Wahlrechts bei Kommunalwahlen
nach dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union und Artikel 40 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar. Das Kommunalwahlrecht ist Kernstück der Unionsbürgerschaft. Damit es als partizipatorisches Mittel der Integration funktioniert, ist der Begriff der Kommunalwahl weit auszulegen mit der Folge, dass alle in einem Mitgliedstaat existierenden Ebenen der kommunalen Selbstverwaltung in diese Garantie einzubeziehen sind. Nur weil die berühmte Richtlinie 94/80/EG über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei Kommunalwahlen die bayerischen Bezirke nicht explizit als lokale Gebietskörperschaften der Grundstufe aufzählt, sind diese im Umkehrschluss nicht automatisch ausgeschlossen. Das muss man ganz deutlich sagen.
Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ich bitte Sie deshalb, sich nicht länger hinter der fadenscheinigen Auslegung von Gesetzen zu verstecken. Stimmen Sie dieser längst überfälligen Anpassung des Bezirkswahlgesetzes zu.
Verehrte Kollegen, ich wollte noch auf die Ausführungen von Herrn Dr. Wengert eingehen. Sie erwecken den Eindruck, als ob wir das Bezirkswahlgesetz einfach durch landesgesetzgeberische Maßnahmen ändern könnten. Unsere Rechtsauffassung ist eine andere. Selbstverständlich können Sie anderer Meinung sein, aber nach der herrschenden Rechtsauffassung der Bayerischen Staatsregierung, der Mehrheitsfraktion und der öffentlichen Gerichte wäre eine Änderung des Grundgesetzes notwendig. Das wurde auch schon von einzelnen Bürgern beklagt. Selbst wenn wir eine Änderung wollten, könnten wir diese nicht ohne Weiteres umsetzen. Wir bräuchten eine Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag und eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat, um eine Grundgesetzänderung herbeizuführen. Die Hürden sind somit sehr hoch. Es sei dahingestellt, ob andere Bundesländer, die gar nicht so genau wissen, was die bayerischen Bezirke sind, dieser Änderung zustimmen würden.
Wenn Ihnen diese gesetzliche Änderung so wichtig ist, starten Sie doch auf Bundesebene Initiativen oder schlagen Sie den Rechtsweg ein. Wir können bei Ihrem Gesetzentwurf, der verfassungswidrig ist, nicht mitgehen. Möglicherweise kommen Gerichte zu einem anderen Urteil. Aus unserer Sicht ist Ihr Vor
Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lorenz hat meine Ausführungen fast vorweg genommen. Dennoch möchte ich einige Punkte ansprechen. Mit dieser Diskussion werden der Grundgesetzgeber und der Bundesrat in Berlin ins Abseits gestellt und für inkompetent erklärt. Sie können mir nicht weismachen, dass 16 Bundesländer im Bundesrat und der Bundestag als Grundgesetzgeber nicht wissen, dass wir in Bayern einen Bezirkstag wählen. Für mich ist es vollkommen unverständlich, dass dies nicht explizit erwähnt wird. Ich halte die Diskriminierung dieser Institutionen für falsch. Das will ich an dieser Stelle deutlich sagen. Lieber Herr Kollege Dr. Wengert, ich habe für alle Punkte, die Sie angesprochen haben, Verständnis. Wir haben jedoch bereits Ihre Schriftliche Anfrage beantwortet und mehrfach über dieses Thema diskutiert. Machen Sie doch um Gottes willen eine Grundgesetzänderung! Das ist doch überhaupt kein Problem. Dann haben wir die Möglichkeit, alles so zu regeln, wie Sie es wünschen. Ich bitte Sie besonders herzlich, das zu beachten.
Sie befinden sich in Regierungsverantwortung in Berlin. Dort können Sie das gerne in die Hand nehmen – überhaupt kein Problem. Bis dahin brauchen wir die Diskussion hier nicht mehr zu führen.
Mit liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Ich schlage vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuss für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen als federführendem Ausschuss zu überweisen. Besteht damit Einverständnis? – Dann ist das so beschlossen.
Gesetzentwurf der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Dr. Simone Strohmayr, Martin Güll u. a. und Fraktion (SPD) zur Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen
Einführung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbildung an bayerischen Schulen (Drs. 17/10580) - Zweite Lesung
Ich eröffne die Aussprache und möchte darauf hinweisen, dass im Ältestenrat 24 Minuten Redezeit vereinbart wurden. Erste Rednerin ist Frau Kollegin Dr. Strohmayr.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute wollen wir in Zweiter Lesung über den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zum Ganztag reden. Ich möchte Sie aufrütteln. Als berufstätige Mutter möchte ich Ihnen die Sorgen der Eltern aufzeigen, die verzweifelt einen Ganztagsplatz mit Ferienbetreuung für ihre Schulkinder suchen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen mit unserem Gesetz erreichen, dass für jeden Schüler und jede Schülerin in Bayern, der oder die einen Bedarf hat, ein guter Ganztagsplatz zur Verfügung steht.