Protocol of the Session on November 24, 2015

Vielen Dank, Herr Kollege Freller. – Jetzt darf ich für die Staatsregierung

Herrn Staatsminister Herrmann das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Staatsminister.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn unserer Sitzung haben wir der Opfer der verheerenden islamistischen Anschläge in Paris gedacht. Zugleich hat die Staatsregierung heute ein Konzept zur Bekämpfung des islamistischen Terrors beschlossen. Hierfür sollen 300 zusätzliche Stellen und 66 Millionen Euro an Investitionen zur Verfügung gestellt werden. Wir werden das Hohe Haus bitten, die dafür notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen.

Selbstverständlich wird gleichzeitig der Kampf gegen Rechts- und Linksextremismus mit gleicher Intensität fortgeführt. Wir müssen feststellen, dass Rechtsextremisten aktuell vermehrt versuchen, Sorgen und Ängste in der Bevölkerung im Hinblick auf die große Zahl von Flüchtlingen für ihre Zwecke zu missbrauchen. Sie nutzen die Situation aus, um ihre rassistischen und fremdenfeindlichen Thesen unter das Volk zu bringen. Dabei müssen wir leider feststellen, dass die Zahlen der Gewaltdelikte gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte ansteigen. Seit Beginn dieses Jahres sind uns – Stand heute – 52 politisch motivierte Straftaten gegen Asylunterkünfte, davon 5 Brandanschläge, bekannt geworden. Die bayerische Polizei und der Verfassungsschutz bekämpfen den Rechtsextremismus ungeachtet aller anderen aktuellen Herausforderungen konsequent.

Frau Kollegin Schulze, die Null-Toleranz-Strategie gegen Rechtsextremismus gibt es bei uns seit Langem und wird auch praktiziert. Den bayerischen Ermittlungsbehörden ist erst im Oktober ein wichtiger Schlag gegen Rechtsextremisten in Oberfranken und Mittelfranken gelungen. Bei einer Durchsuchung von zwölf Objekten wurden unter anderem eine Schusswaffe und weitere gefährliche Gegenstände gefunden. Gegen drei Personen wurden Haftbefehle vollstreckt. Diese Gruppe ordnen wir eindeutig der rechtsextremen Szene zu. Die Aktion zeigt aber auch, dass wir konsequent mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gegen Rechtsextremisten und ihr menschenverachtendes Gedankengut vorgehen.

Auch andere Gruppierungen haben die Sicherheitsbehörden fest im Blick. So werden von den vier PegidaGruppierungen in Bayern drei vom Verfassungsschutz beobachtet. Dazu zählen seit Längerem der Nürnberger Ableger Nügida seit Ende Oktober Pegida Franken und Pegida München. Damit stelle ich fest, dass die Pegida-Bewegungen in keinem Bundesland in einem derartigen Fokus der Sicherheitsbehörden stehen wie in Bayern. Die rechtsextremistischen Kleinstparteien, DIE RECHTE und DER DRITTE WEG, wer

den vom Verfassungsschutz beobachtet. Für das Verbot von Parteien ist allerdings das Bundesverfassungsgericht zuständig. Seit der Einstellung der ersten NPD-Verbotsverfahren 2003 dürfte jedem bekannt sein, dass ein solches Verbotsverfahren nicht einfach ist. Schnellschüsse sind das falsche Mittel. Vielmehr sind Qualität und planmäßiges Vorgehen gefragt. Die bayerischen Sicherheitsbehörden arbeiten auch in dieser Sache eng mit den anderen Ländern und dem Bund zusammen. Wir arbeiten nach wie vor mit Nachdruck zunächst einmal auf das NPD-Verbot hin. Vor fünf Wochen ist unser Verbot des Freien Netzes Süd gerichtlich bestätigt worden. Das ist ein wichtiger Erfolg.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit dem Jahr 2009 gibt es das Bayerische Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus. Darüber haben wir bereits mehrfach diskutiert. Dieses dynamische Konzept legt den Handlungsrahmen des Staates und seiner Behörden gegen rechtsextremistische Umtriebe fest und wird auf der Basis neuer Erfahrungen und aktueller Erkenntnisse stetig weiterentwickelt. Wir haben zuletzt im November 2014 dem Landtag einen ausführlichen aktualisierten Umsetzungsbericht präsentiert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, auch wenn Sie es vielleicht nicht wahrhaben wollen, so sind wir doch ständig an diesem Thema dran. Derzeit sind wir dabei, dieses Handlungskonzept weiterzuentwickeln. So haben wir in diesem Jahr den weiteren Optimierungsbedarf bei den Kommunen, den Landkreisen, den kommunalen Spitzenverbänden und unseren Polizeipräsidien abgefragt. Ein wesentliches Ergebnis dieser Abfrage ist der Wunsch nach einer Intensivierung der sehr gefragten Beratung der Kommunen durch die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus, die sogenannte BIGE. Die BIGE ist der zentrale Ansprechpartner der Staatsregierung für Bürger, Kommunen und Schulen und berät diese im Umgang mit Extremisten. In einer Zeit der zunehmenden Agitation von Rechtsextremisten gegen Flüchtlinge benötigen unsere Kommunen konkrete Hilfestellungen bei der Aufklärungsarbeit und der Information der besorgten Bürgerinnen und Bürger unmittelbar vor Ort. Hierzu wurde vor Kurzem eine umfassende Personalmehrung beschlossen. Das Personal der BIGE wird um weitere 12 Stellen auf insgesamt 20 Mitarbeiter aufgestockt.

Die Staatsregierung bietet ein umfassendes Aussteigerprogramm zur Deradikalisierung an. Dieses Programm ist bei der BIGE angesiedelt, bietet Rechtsextremisten Hilfen beim Ausstieg aus der Szene an und begleitet sie auf diesem Weg. Mithilfe des Bayerischen Aussteigerprogramms sind bereits gut 100 Personen aus der rechtsextremistischen Szene ausge

stiegen. Auch Präventions- und Bildungsmaßnahmen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus sind uns ein wichtiges Anliegen. Exemplarisch seien nur die Regionalbeauftragten für Demokratie und Toleranz genannt, die im Auftrag des Kultusministeriums an Schulen über neueste Entwicklungen im Bereich des Rechtsextremismus oder über aktuelle Ausprägungsformen des Antisemitismus informieren.

Sehr geehrte Damen und Herren, daraus ergibt sich: Die bayerischen Sicherheitsbehörden führen den Kampf gegen den Rechtsextremismus mit voller Kraft. Ich kann Ihnen versichern, dass wir diesen Weg unbeirrt weitergehen werden. Wir werden uns mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gegen Extremisten jeder Ausrichtung zur Wehr setzen. "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Das ist unser Auftrag aus dem Grundgesetz. Auch die Würde jedes Ausländers und jedes Flüchtlings, auch solcher, die vielleicht nicht auf Dauer bei uns bleiben dürfen, ist unantastbar. Solange sie hier sind, sind sie gegen jeden Angriff zu schützen. Für die Unterstützung unserer Polizei und aller Sicherheitsbehörden, aber auch wichtiger zivilgesellschaftlicher Kräfte danke ich dem gesamten Landtag sehr herzlich. Ich bitte Sie, dabei auch weiterhin zu helfen.

(Beifall bei der CSU und der SPD)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Kolleginnen und Kollegen, damit ist die Aktuelle Stunde zu Ende.

Ich darf jetzt Tagesordnungspunkt 2 aufrufen:

Zwischenbericht des Vorsitzenden der Enquete-Kommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Bayern"

Dazu begrüße ich in der Diplomatenloge sehr herzlich die Sachverständigen nichtparlamentarischen Mitglieder der Enquete-Kommission, nämlich Herrn Professor Dr. Lothar Koppers, Herrn Dr. Reinhard Paesler und Herrn Dr. Detlev Sträter. Willkommen und danke schön für Ihre Mitarbeit in der Enquete-Kommission.

(Allgemeiner Beifall)

Ich eröffne nun die Aussprache. Die Gesamtredezeit der Fraktionen beträgt entsprechend der Vereinbarung im Ältestenrat 60 Minuten. Die Redezeit der Staatsregierung orientiert sich dabei an der Redezeit der stärksten Fraktion. Das bedeutet, die CSU hat 20 Minuten, die SPD 15 Minuten und die Fraktionen der FREIEN WÄHLER und der GRÜNEN haben je 12,5 Minuten. Die Redezeit der Staatsregierung beträgt 20 Minuten.

Als erstem Redner erteile ich dem Vorsitzenden der Enquete-Kommission, Herrn Kollegen Rüth, das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 15. September 2013 war ein guter Tag für Bayern; denn an diesem Tag wurden wichtige und gute Entscheidungen getroffen. An diesem Tag wurden auch Volksentscheide durchgeführt. Die Bürgerinnen und Bürger haben mit fast 90-prozentiger Zustimmung beschlossen, dass das Thema "Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen" Verfassungsrang erhält und als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen wird. Das bedeutet, der Staat muss diesem Staatsziel bei seinen Entscheidungen eine ganz besondere Bedeutung zumessen.

Gleichwertigkeit bedeutet aber nicht Gleichartigkeit. In Bayern gibt es sehr unterschiedliche Entwicklungen. Die strukturellen, kulturellen, historischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen sind sehr verschieden. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen: In einer Großstadt wie München gibt es eine U-Bahn. In meiner Heimatgemeinde, die 800 Seelen umfasst, gibt es keine U-Bahn. Dennoch müssen wir dafür sorgen, dass die Bewohner der ländlichen Gemeinden mobil sind. Das bedeutet, wir müssen einen guten öffentlichen Personennahverkehr ausbauen. In meiner Heimatgemeinde gibt es günstige Wohnungen und günstigen Mietraum. In den Großstädten sind die Mieten dagegen teuer, und der Wohnraum ist knapp. - Bei uns gibt es günstige Kinderkrippenplätze in ausreichender Zahl. In großen Metropolen ist dieses Thema eine bedeutende Herausforderung. - Sie sehen also, dass wir es hier mit unterschiedlichen Entwicklungen zu tun haben.

Der Staat muss nicht nur die Mindestvoraussetzungen für die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen in allen Landesteilen schaffen. Er muss auch dafür sorgen, dass die Menschen in allen Landesteilen Bayerns die gleichen Chancen für ihre Lebensentwicklung haben. Meine Damen und Herren, nach diesem Volksentscheid wurde die Verfassung zum 1. Januar 2014 geändert. Das Ergebnis dieses Volksentscheides wurde in die Verfassung aufgenommen. Die Fraktionen im Bayerischen Landtag haben sich anschließend auf den Weg gemacht, diese EnqueteKommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Bayern" zu gründen, indem sie einen Fragenkatalog erarbeitet und diese Kommission schließlich eingesetzt haben.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU, Herr Zellmeier, sagte in seiner Plenarrede vom 1. Juli 2014, er habe die Hoffnung, dass die Fraktionen ge

meinsame Linien finden würden, um dieses Thema voranzutreiben. Herr Kollege Dr. Rabenstein, dem diese Kommission ein wirkliches Herzensanliegen ist, sagte, wir müssten zusammenhalten, es gehe um ganz Bayern. Herr Kollege Muthmann sagte, wir müssten uns auf die Essentials für ganz Bayern verständigen. Herr Kollege Ganserer erklärte, er halte diese Enquete-Kommission für gut geeignet, fraktionsübergreifend Handlungsempfehlungen und Strategien zu entwickeln. Heute, nach einem Jahr, können wir feststellen, dass diese Wünsche in Erfüllung gegangen sind. Diese Kommission arbeitet vertrauensvoll, sehr offen und sehr gut zusammen. Alle Mitglieder orientieren sich an der Sache.

Ich möchte deshalb allen 13 Kolleginnen und Kollegen hier im Plenum sagen: Danke für Ihr Engagement und für Ihre Mitarbeit. Ich danke aber auch allen Experten und Sachverständigen. Schön, dass Sie da sind. Sie kommen aus den Bereichen Geografie, Regionalforschung, Geoinformatik, Stadt- und Regionalmarketing sowie Sozialforschung, ländlicher Raum und ländliche Entwicklung, aus der Wirtschaft und von der IHK. Sie sind Experten auf Ihren Gebieten. Mich beeindruckt aber besonders, dass Sie nicht nur theoretische Ideen haben. Bei allen Ihren Anregungen bemerkt man Ihren großen fachlichen Sachverstand. Alle Ihre Vorschläge sind umsetzbar. Sie denken also weiter und prüfen, ob Ihre Anregungen überhaupt machbar sind. Dafür vielen Dank. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit.

(Allgemeiner Beifall)

Ich glaube, mit diesen Experten und den 13 Abgeordneten haben wir alle relevanten Fachdisziplinen und alle Landesteile abgedeckt. Deshalb können wir eine hervorragende Arbeit leisten.

Wir haben die Arbeit im Oktober 2014 aufgenommen. Damals haben wir gesagt, dass wir in einem Jahr, also heute, einen Bericht abgeben wollen. Wir haben quasi eine Punktlandung erreicht. Wir haben genau ein Jahr gearbeitet und geben heute einen Zwischenbericht ab. Dabei geht es darum, die in diesem Fragenkatalog aufgeführten 110 Fragen zu beantworten.

Wir haben ein umfangreiches Arbeitsprogramm absolviert. Bisher haben 11 Sitzungen stattgefunden. Wir hatten Vorbereitungssitzungen und Außentermine. Wir waren im Heimatministerium in Nürnberg, und wir waren in Niederbayern unterwegs. Auch die Fraktionen selbst waren im Land unterwegs. Uns geht es darum, einen Überblick über ganz Bayern zu gewinnen und zu sehen, wo es regionale Besonderheiten gibt. Vor allem war uns der Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern wichtig, nicht nur mit den Kommu

nalpolitikern, Landräten und Bürgermeistern. Wir wollten auch mit den Menschen vor Ort und den gesellschaftlichen Gruppen ins Gespräch kommen. Auch die VHS war für uns ein wichtiger Gesprächspartner.

Bei unserem Besuch im Heimatministerium haben wir von Herrn Staatssekretär Füracker einen sehr umfangreichen Bericht bekommen. Er hat uns die Leistungen seines Ministeriums dargestellt und uns gezeigt, wo Handlungsfelder bestehen. Wir konnten feststellen, dass die wirtschaftlichen Unterschiede in Bayern sehr stark abgenommen haben. Das wird an den Arbeitslosenzahlen deutlich. In Niederbayern liegt die Arbeitslosenquote bei 2,9 %, in der Oberpfalz bei 2,9 %, in Unterfranken bei 3,1 % und in Mittelfranken bei 4,1 %. Das heißt, die Zahlen liegen alle sehr nahe beieinander. Die Arbeitslosenquote im Bund ist fast doppelt so hoch wie in Bayern. Schon anhand dieser Zahlen können wir feststellen, dass sich die Wirtschaft in Bayern hervorragend entwickelt hat. Die Unternehmen finden hervorragende Standortbedingungen vor. Die Menschen schätzen die Vorteile des ländlichen Raumes immer mehr, manchmal auch notgedrungen, weil die Lebenshaltungskosten, insbesondere die Mietpreise, auf dem flachen Land günstiger sind als in den großen Städten.

Wir in der Enquete-Kommission müssen dafür sorgen, dass die Entwicklung in Bayern weiter gut verläuft, damit überall gute Lebensverhältnisse vorherrschen; denn wir wissen auch, dass die Geschwindigkeit des Wachstums in Bayern nicht überall gleich ist. Deshalb ist diese Heimatstrategie wichtig. Diese beruht auf fünf Säulen: Strukturentwicklung in ganz Bayern, Nordbayern-Initiative, Behördenverlagerungen, digitale Revolution – Breitbandversorgung - und kommunaler Finanzausgleich.

Meine Damen und Herren, Behördenverlagerungen sind sehr wichtig. Diese Verlagerungen werden über zehn Jahre laufen. Ich will es an einem Beispiel deutlich machen. Wir im Landkreis Miltenberg bekommen im Finanzamt Obernburg 30 neue Stellen, die dorthin verlagert werden. Das ist ein sehr positives Signal. Die Leute freuen sich und werden optimistischer. Wir bekommen in Miltenberg 30 neue Studienplätze in Kooperation mit den Hochschulen Aschaffenburg und Ansbach. Das sind sehr schöne Entwicklungen. Ich will deutlich machen, dass viel Gutes getan wird, aber immer wieder neue Entwicklungen hineinspielen. Wir waren sehr froh und stolz über diese Zusagen. Dann verkündete die örtliche Sparkasse, dass zehn Zweigstellen geschlossen oder in Automatenzweigstellen umgewandelt werden. Auf der einen Seite gibt es also Freude, auf der anderen Seite eine andere Entwicklung, die so vorher nicht zu erwarten war.

Ganz wichtig ist das Thema Breitbandstrategie. Sie wissen das alle. Es werden 1,5 Milliarden Euro ausgegeben. Die Kommunen erhalten abhängig von der Finanzkraft bis zu 90 % Förderung in Höhe von bis zu 950.000 Euro. Das ist ganz wichtig, um überall gute Voraussetzungen zu schaffen. Wir stellen aber fest, dass einige kleine Gemeinden sich auch mit dem Aufwenden der restlichen 10 % noch schwertun. Auf diese Gemeinden müssen wir ein besonderes Augenmerk richten.

Ein zweiter Außentermin führte uns nach Niederbayern, ins Ilzer Land. Dort hat die Integrierte ländliche Entwicklung hervorragende Arbeit geleistet. Ich will es stichpunktartig erläutern. Wir waren in Grafenau, in Freyung, in Perlesreut und in Passau. Wir konnten dort feststellen, dass die Menschen ein sehr starkes Wir-Gefühl entwickelt haben. Es gibt dort kein Kirchturmdenken. Man arbeitet auf kommunaler Ebene sehr eng zusammen. Man versucht dort, die Zukunft auf Basis der natürlichen Lebensgrundlagen, der heimatlichen Verbundenheit und der kulturellen Identität zu gestalten. Mich hat besonders beeindruckt, dass man dort versucht, den Kontakt zu jungen Menschen zu halten, wenn diese, beispielsweise nach der Schule, zum Studieren oder Arbeiten wegziehen. Man will versuchen, die Leute im Laufe ihres Lebens zurückzuholen, und hält deshalb via Internet Kontakt. Ich denke, das ist eine gute Sache, die man vorantreiben sollte. Wenn die jungen Leute nämlich irgendwann ein Haus bauen wollen, wissen sie, dass in Niederbayern günstige Bauplätze zu bekommen sind, oder sie schätzen die dortigen guten Möglichkeiten bei der Kinderbetreuung.

Wir waren in Grafenau, einer Kommune, die sehr stark vom Tourismus geprägt ist. Dort gibt es mittlerweile weniger Schnee. Das heißt, Langlauf ist nicht mehr so oft möglich. Deshalb hat man sich dort auf den Weg gemacht, alternative touristische Angebote zu schaffen. Ein Erfolgsschlager ist GUTi. GUTi ist das Gäste-Umweltticket. Dieses Gäste-Umweltticket hat zu einer starken Auslastung der Waldbahn geführt. Die Gastronomie und die Beherbergungsbetriebe waren anfangs sehr skeptisch. Mittlerweile gibt es sehr viele positive Rückmeldungen aus diesem Bereich. GUTi hat sich sehr gut angelassen. Wichtig ist auch, dass man dort die Unterkünfte online buchen kann. Die Rad- und Wanderwege sind alle über GPS abrufbar. Das Internet ist hier also ein Segen.

Nun kommen wir aber gleich wieder zur Konfrontation mit den Nachteilen des Internets. Ein Bürgermeister sagte uns, immer dann, wenn Amazon seinen Umsatz steigert, führt das dazu, dass bei uns zwei Geschäfte schließen. Das Internet ist also eine Chance, aber

auch eine Herausforderung. Diese beiden Pole haben wir immer wieder wahrgenommen.

Wir haben festgestellt, wie wichtig die Bildungseinrichtungen sind. Da kann Niederbayern eine sehr gute Qualität vorweisen. - Wir haben festgestellt, dass es dort ein sehr großes West-Ost-Gefälle gibt. Landshut beispielsweise gehört fast schon zum Großraum München. Dort gibt es andere Voraussetzungen als beispielsweise in den Kommunen nahe der tschechischen Grenze. Ganz spannend ist eine Aussage des Regierungspräsidenten gewesen. Er sagte: Niederbayern hat fast so viele Einwohner wie München, aber die Fläche ist dreißigmal so groß. Daran kann man erkennen, wie groß die Herausforderungen für die Schaffung von Gleichwertigkeit sind.

Meine Damen und Herren, aktuell sind wir in den Gesprächen mit den kommunalen Spitzenverbänden. Der Dialog mit den kommunalen Spitzenverbänden, dem Gemeindetag, dem Städtetag, dem Landkreistag und dem Bezirketag, ist uns sehr wichtig, weil sie die Experten sind, die am besten wissen, was vor Ort getan werden muss.

Die Sitzungen der Enquete-Kommission sind laut Geschäftsordnung eigentlich nichtöffentlich. Wir versuchen aber immer, die Öffentlichkeit herzustellen. Es geht bei den Sitzungen um die Vorbereitung von politischen Initiativen. Wir möchten sehr offen und sehr öffentlich diskutieren. Wir haben bisher rund ein Drittel der Sitzungen öffentlich durchgeführt. Ich denke, das ist eine gute Quote. Wir glauben, dass die Öffentlichkeit und die Verbände wissen sollten, was wir alles machen.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Genau!)

Wir werden die Spitzenverbände jetzt wieder einladen. Sie werden Vorschläge machen, wie sie sich die künftige Finanzausstattung vorstellen. Ich will festhalten, dass die Spitzenverbände meiner Meinung nach mit der Finanzausstattung im Großen und Ganzen zufrieden sind. Es könnte immer ein bisschen mehr sein. Das ist klar. Aber ich denke, sie sind sehr zufrieden. Wir haben ja einige Dinge eingeführt. Ich nenne die Stichworte Demografiefaktor, Mindestinvestitionspauschale, Bedarfszuweisungen und Stabilisierungshilfen.

Natürlich gibt es auch große Herausforderungen. Ich nenne das Stichwort Wohnungsbau, insbesondere in den Städten, und das Thema Flüchtlinge mit allen seinen Herausforderungen. Ganz wichtig ist mir das Thema der Sanierung von Hallen- und Freibädern. Unsere Hallen- und Freibäder sind in die Jahre gekommen. Wir müssen da etwas tun. Wir müssen ein Sonderprogramm auflegen. Wir werden das noch

spezifizieren. Dabei geht es auch um die Themen Gesundheit und Jugendsport. Ich denke, da müssen wir mal genauer hinschauen.

(Zuruf des Abgeordneten Harald Güller (SPD) – Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Beifall bei der SPD! – Beifall bei der SPD – Zuruf des Abgeordneten Harald Güller (SPD))

- Herr Kollege Güller, Sie wissen: Die wichtigen Anträge sind dem Vorsitzenden der Enquete-Kommission überlassen. – Es gibt natürlich auch Gemeinden mit massivem Strukturwandel und mit einem Rückgang der Einwohnerzahl.

Meine Damen und Herren, wir werden auch aufgrund der aktuellen politischen Entwicklung das Thema Flüchtlinge bei allen Fragestellungen berücksichtigen. - Wir werden im neuen Jahr auch eine intensive Diskussion mit den Jugendverbänden führen. Wir wollen hören, wo die Jugend der Schuh drückt. Sie werden sich ebenso wie die kommunalen Spitzenverbände aktiv einbringen.

Meine Damen und Herren, wir sind alle gespannt, was am Ende des Tages an Lösungen und Handlungsempfehlungen auf den Tisch kommt. Sie müssen keine Angst haben: Es wird nicht zu nichtssagenden Ergebnissen kommen. Der Kollege Muthmann – er ist jetzt leider nicht da – hat irgendwann gesagt, es darf kein 800-seitiger Bericht entstehen, an dessen Erstellung mehr Leute mitgewirkt haben, als ihn dann lesen werden. Das wird nicht passieren. Wir werden unsere Forderungen kurz und knackig darlegen. Wir haben jetzt noch die Themen Lebens-, Arbeits-, Wohnbedingungen, Wirtschaft, Infrastruktur und medizinische Versorgung mit allen Beteiligten zu diskutieren. Wir wollen alle Erfahrungen und Sichtweisen aufnehmen. Das wird im Jahr 2016 geschehen. Im Jahr 2017 werden wir unseren Abschlussbericht erstellen.

Meine Damen und Herren, eine ganz wichtige Frage ist noch nicht beantwortet: Kann man gleiche Lebensverhältnisse messen? Gibt es einen Indikator, um Gleichwertigkeit zu messen? - Es gab schon andere Kommissionen. Es gibt zu diesem Thema viel Literatur. Es gibt in der Tat gewisse Messgrößen, mit denen man versucht, das zu erfassen. Aber all diese Messgrößen sind in gewisser Weise unscharf. Das ist nicht so wie beim Hundertmeterlauf, bei dem man stoppt und dann die genaue Zeit hat, sondern es ist eher wie beim Turnen, wo man Haltungsnoten vergibt. So ähnlich ist es hier auch.