Protocol of the Session on November 24, 2015

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 58. Sitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Ich darf Sie nun bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben, um zweier ehemaliger Kollegen zu gedenken.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am 17. November verstarb der ehemalige Staatsminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Simon Nüssel im Alter von 91 Jahren. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1954 bis 1994 an und vertrat für die CSU-Fraktion den Stimmkreis Bayreuth. Von 1966 bis 1970 war er stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Zweiter Vizepräsident der bayerischen Volksvertretung. Im selben Jahr wurde er zum Staatssekretär im Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten berufen und amtierte dort von 1987 bis 1990 als Staatsminister. Zusammen mit Hans Eisenmann, dem er im Amt nachgefolgt war, entwickelte er den "bayerischen Weg" in der Agrarpolitik und das noch heute geltende Kulturlandschaftsprogramm.

Simon Nüssel hatte sich der Entwicklung und dem Fortbestand der Landwirtschaft mit Leib und Seele verschrieben. Als Landwirt mit eigenem Hof kannte er den Alltag und die Herausforderungen gerade der kleinen und mittleren Betriebe. Sie waren es, die ihm in seiner Politik besonders am Herzen lagen. Sein Handeln war dabei geprägt von Weitblick, Überzeugungskraft und großer Souveränität.

Mit Simon Nüssel verliert unser Land einen bodenständigen und gleichzeitig visionären Politiker, der zu den konstanten Größen der bayerischen Nachkriegspolitik gehörte. Landwirte und Waldbesitzer in ganz Bayern, insbesondere auch seine oberfränkische Heimat haben ihm viel zu verdanken.

Der Staat hat seine Verdienste mit hohen Auszeichnungen gewürdigt, unter anderem mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland und dem Bayerischen Verdienstorden.

Der Bayerische Landtag wird dem Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren. Wir trauern mit den Angehörigen.

Am 14. November verstarb der ehemalige Abgeordnete Dr. Willi Reiland im Alter von 82 Jahren. Er war von 1962 bis 1970 Mitglied des Bayerischen Landtags

und vertrat für die SPD-Fraktion den Stimmkreis Aschaffenburg-Stadt und -Land. Herr Dr. Reiland war von 1966 bis1970 ehrenamtlicher Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Haibach und danach 30 Jahre lang Oberbürgermeister von Aschaffenburg. Zu seinen Leistungen zählen die Aussöhnung mit den ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern im Jahr 1988, 50 Jahre nach der Reichspogromnacht, sowie der Aufbau von Städtepartnerschaften.

Im Bayerischen Landtag engagierte sich Herr Dr. Reiland im Ausschuss für Geschäftsordnung und Wahlprüfung sowie im Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Kommunalfragen. Für seine Leistungen erhielt er unter anderem die Ehrenbürgerwürde der Stadt Aschaffenburg.

Unser Mitgefühl gilt seinen Angehörigen. Der Bayerische Landtag wird dem Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren. – Sie haben sich zum Gedenken an die Verstorbenen von den Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Resolution der Abgeordneten Thomas Kreuzer, Gudrun Brendel-Fischer, Karl Freller u. a. (CSU), Markus Rinderspacher, Inge Aures, Volkmar Halbleib u. a. (SPD), Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Prof. (Univ. Lima) Dr. Peter Bauer u. a. (FREIE WÄHLER), Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Thomas Gehring u. a. (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir stehen an der Seite Frankreichs, der Opfer und ihrer Angehörigen - Gegen menschenverachtenden Terror und für Freiheit, Sicherheit und Demokratie (Drs. 17/9113)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir einige Worte zu den furchtbaren Ereignissen der vergangenen Tage.

Noch immer sind wir fassungslos angesichts der schlimmen Terroranschläge, die am 13. November die französische Hauptstadt Paris erschüttert haben. Wenige Tage später war auch Mali Schauplatz eines schrecklichen Terroraktes.

Wieder einmal mussten wir erfahren, dass blinder Hass und Fanatismus keine Grenzen kennen. Neben der Trauer über das unermessliche Leid spüren wir in diesen Tagen, dass uns das Geschehene die Sicherheit des Alltags zu nehmen droht. Dennoch und gerade deswegen müssen wir uns dem Terror mit vereinten Kräften entgegenstellen; denn es geht auch und vor allem um unsere Werte. Diese Werte lassen wir uns nicht nehmen, von niemandem, erst recht nicht von Mördern. Diese Werte sind nicht verhandelbar.

Wir stehen geeint an der Seite Frankreichs. Wir stehen geeint an der Seite der Angehörigen aller vom Terror betroffenen Opfer. Und wir stehen geeint als Demokraten im Kampf gegen den Terrorismus.

Über alle Fraktionsgrenzen hinweg wollen wir heute in diesem Sinne ein klares und unmissverständliches Signal setzen. Deshalb haben sich die Fraktionen auf eine gemeinsame Erklärung verständigt, in der die barbarischen Akte der Gewalt aufs Schärfste verurteilt und unsere freiheitlich-demokratischen Grundwerte selbstbewusst verteidigt werden. Die als Antrag von allen vier Fraktionen eingebrachte Resolution hat den Titel:

"Wir stehen an der Seite Frankreichs, der Opfer und ihrer Angehörigen – Gegen menschenverachtenden Terror und für Freiheit, Sicherheit und Demokratie"

Der Text der Resolution lautet:

Der Landtag wolle beschließen:

Die erneuten Anschläge in Paris haben Europa zutiefst erschüttert. Der Bayerische Landtag verurteilt diese menschenverachtenden Terrorakte, die so viele Menschenleben gefordert und Menschen Leid zugefügt haben, auf das Schärfste. Er spricht den Angehörigen der Opfer und der gesamten französischen Nation seine Anteilnahme aus. Bayern steht auch im Angesicht der Verwüstung und des Todes, im Augenblick der Not und der Trauer an der Seite der französischen Freunde.

Der Anschlag galt Frankreich, er galt aber auch einer freien, offenen und demokratischen Gesellschaft. Die Antwort auf die barbarischen Verbrechen islamistischer Terroristen kann nur ihre Bekämpfung mit allen zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln sein. Wir müssen unsere freiheitlich-demokratischen Grundwerte geschlossen verteidigen und jetzt erst recht offensiv für sie einstehen. Das gilt auch für unser Selbstverständnis als pluralistische Gesellschaft. Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden selbstbestimmt, wie sie im Rahmen unserer Gesetze leben wollen und was sie glauben oder auch nicht glauben. Die Werte der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts haben Europa zum größten Friedenswerk der Geschichte gemacht. Alle demokratischen Kräfte müssen jetzt zusammenstehen und beweisen, dass diese Werte stärker sind als die menschenverachtende Ideologie eines islamistischen Fundamentalismus. Das ist auch im klaren Interesse unserer vielen muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die in Bayern und überall in Deutschland friedlich mit uns zusammenleben.

Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sind der machtvolle Gegenentwurf zu einer Welt des Terrors und die verbindende Klammer aller Menschen in Europa.

Die Fraktionen sind übereingekommen, dass es keine Aussprache dazu gibt. Ich lasse jetzt unmittelbar über die als Antrag formulierte Resolution auf Drucksache 17/9113 abstimmen. Wer diesem Antrag, dieser Resolution zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. – Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist dieser Antrag, diese Resolution einstimmig beschlossen.

Ich bedanke mich sehr, sehr herzlich bei den Fraktionen für diese Initiative. Sie war ein gutes und sichtbares Zeichen für uns im Bayerischen Landtag, was die Verteidigung von Freiheit, Recht und Demokratie anbelangt.

Ich darf Sie nun bitten, sich zum Gedenken an die Opfer der Terroranschläge zu einer Schweigeminute zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich - Schweigeminu- te)

Ich danke Ihnen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 BayLTGeschO auf Vorschlag der SPD-Fraktion "Rechtsextremismus konsequent bekämpfen Handlungskonzept erarbeiten!"

Ich darf Herrn Kollegen Ritter für die SPD-Fraktion bitten. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Rechtsradikalismus entsteht nicht im luftleeren Raum. Vorstellungen von Ungleichwertigkeit, rassistische und antisemitische Weltbilder sind die Einstiegsdrogen einer rechtsradikalen Gesinnung. Nicht umsonst versuchen rechtsradikale Gruppen mit den von ihnen angestachelten Debatten genau an solche Vorurteile anzuknüpfen, um mehr Einfluss zu gewinnen. Soziale Netzwerke sind mittlerweile der Katalysator, in denen versucht wird, Verunsicherung in Ablehnung umzuwandeln und mit Falschinformationen bewusst zu Hass anzustacheln. Hier wird zu Gewalt aufgerufen und die Meinung verbreitet, dass Gewalt eine legitime Antwort auf die Debatten über das Asylrecht wäre.

Es gibt eine Spirale der gegenseitigen Verstärkung von extremen Positionen. Hier sind die Politik und der Staat in einer besonderen Verantwortung. Wir dürfen das nicht laufen lassen, Kolleginnen und Kollegen.

Ich begrüße ausdrücklich, dass seit einiger Zeit immer mehr Polizeibehörden Gräuelmärchen und Lügengeschichten, die speziell über Flüchtlinge verbreitet werden, in der Öffentlichkeit richtigstellen. Solche Stellungnahmen sind von einer enormen Bedeutung.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

In München beispielsweise handelt das Polizeipräsidium wirklich vorbildlich. Ich hoffe, dass in ganz Bayern alle Sicherheitsbehörden sich daran ein Beispiel nehmen. Gerade bei Debatten über die Gemeinschaftsunterkünfte vor Ort ist es wichtig, wenn die Polizei aufklärend und mäßigend auftritt.

Auch in Bayern hat es eine beängstigende Zunahme von Übergriffen auf geplante und bestehende Flüchtlingsunterkünfte gegeben. Die Antworten auf eine Anfrage von Markus Rinderspacher vom Juli und eine Anfrage von Kathi Petersen vom Oktober belegen den rasanten Anstieg der Zahl von Übergriffen auf bestehende und geplante Flüchtlingsunterkünfte. Bereits Mitte Oktober 2015 hatten wir in Bayern doppelt so viele Übergriffe zu verzeichnen wie im letzten Jahr. Was uns die Sicherheitsbehörden gemeldet haben, umfasst aber noch lange nicht alle Anschläge. Wenn ich die Zahlen in meinen Unterlagen und die Zahlen, die zivilgesellschaftliche Institutionen führen, mit den Zahlen der Sicherheitsbehörden vergleiche, stelle ich fest, dass eine Reihe von Übergriffen fehlt. Dazu gehören zwei Brandanschläge in Wallersdorf und in Burgkirchen. Offensichtlich funktioniert noch nicht einmal eine systematische Erfassung der Vorfälle. Hier muss dringend nachgearbeitet werden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Aber nicht nur diese Zahlen lassen aufschrecken. Die Aufklärungsquote bewegt sich in diesem Jahr bei 20 %. In den letzten Jahren lag sie zwischen 0 % und maximal 50 %, wobei die Quote von 50 % ein echter Ausreißer war. Auch wenn man zugutehalten muss, dass die Ermittler nicht sofort jeden Täter identifizieren, stellt man fest, dass die Quote der Aufklärung im Januar und im Februar nicht besser war als im August und im September.

Kolleginnen und Kollegen, auch wir im Bayerischen Landtag müssen hier achtsam sein und uns die Gründe dieser schlechten Aufklärungsquote überlegen. Was kann, was muss man bei der polizeilichen Ermittlungsarbeit ändern, um diese Aufklärungsquote zu verbessern? – Diese Debatte können wir nicht nur auf

die zuständigen Behörden delegieren, diese Debatte müssen wir hier in diesem Hause führen.

Auch etwas anderes muss uns zu denken geben, Kolleginnen und Kollegen. Die Auswertung des BKA zeigt, dass die Täter nicht nur aus dem Naziumfeld kommen, wie das in früheren Jahren oftmals der Fall gewesen ist. Es zeigt sich, dass viele der Taten von ganz normalen Leuten begangen werden, die keinerlei Kontakt zu rechtsextremen Strukturen hatten. Das zeigt einmal mehr, dass Vorurteile, neonationalistische Positionen und Rassismus nicht erst dann eine Gefahr sind, wenn sie von offen agierenden Naziorganisationen ausgehen. Wir können von Glück reden, dass bei den Brandanschlägen niemand zu Schaden gekommen ist, vom materiellen Schaden einmal ganz abgesehen, der mittlerweile in die Millionen gehen dürfte. Wir dürfen nicht tolerieren, dass aufgrund der aufgeheizten Debatte Leute der Meinung sind, sie könnten das Recht in die eigene Hand nehmen und mit solchen Anschlägen versuchen, ihren Positionen zur Geltung zu verhelfen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

All das hat mit Ängsten und Befürchtungen, die man ernst nehmen muss, lange nichts mehr zu tun. Es ist nicht Aufgabe der Politik, in einer aufgeheizten Debatte Öl ins Feuer zu gießen, um sich selbst oder seine eigene Partei zu profilieren. Es ist aber unsere Aufgabe, in diese Debatte aufklärend und - vor allem - befriedend einzugreifen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ängste und Befürchtungen ernst zu nehmen heißt aber auch, den Menschen ihre Ängste zu nehmen. Das heißt nicht, Befürchtungen einfach hinzunehmen und sie sogar noch zu verstärken.

Der rechte Terror etwa des NSU, der Oldschool Society oder der in Bamberg ausgehobene Terrorgruppe sind nur die Spitze des Eisberges. Die Politik darf kein Stichwortgeber sein und keine Bestätigung für radikale Haltungen liefern.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen, völlig unverständlich aber wird es für mich, wenn Sie bei der Bekämpfung des islamistischen Terrors richtigerweise einen Schwerpunkt auf die Bekämpfung der Radikalisierung legen. Das unterstützen wir ohne Wenn und Aber, auch wenn wir vielleicht das eine oder andere anders machen würden. Die Bekämpfung der Radikalisierung ins Zentrum zu rücken und im Vorfeld anzusetzen, ist ein richtiger Schritt. Völlig irrsinnig und unverständlich ist für uns aber, dass Sie unsere Forderung, es bei

der Bekämpfung des Rechtsextremismus genauso zu machen, ablehnen und sich dieser Frage seit Jahren verweigern. Sie wollen dieses Feld nicht beackern. Wir brauchen aber dringend auch eine Bekämpfung der Radikalisierung im rechtsextremistischen Vorfeld.