Manchmal kommt mir die erhitzte Debatte über die Dokumentationspflichten so vor, als habe Bundesministerin Nahles die Stechuhr persönlich erfunden. Ich kann Ihnen aber versichern: Die Stechuhr gab es lange vor der Ministerin und schon lange vor dem Mindestlohngesetz, nämlich bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Die Stechuhr wurde in der Zeit der Industrialisierung erfunden, als verantwortungsvolle Unternehmen die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sauber dokumentieren wollten, um Klarheit für die Lohnabrechnung zu haben. Genau um diese Klarheit bei der Lohnabrechnung geht es.
Liebe Kollegen, Sie sagen, die Erstellung der Dokumentation einmal im Monat reiche. Was bedeutet das in der Praxis? – Die Arbeitszeit soll ohnehin täglich dokumentiert werden, oder können Sie sich erinnern, wann Sie am Montag vor drei Wochen Ihre Arbeit beendet haben, oder am vergangenen Freitag? – Mir kann keiner erzählen, dass eine Arbeitnehmerin in der Gebäudereinigung ihren Dienst täglich exakt zur gleichen Zeit beendet. Oder lässt ein Mitarbeiter vom Bau heutzutage noch seinen Hammer genau um 17.00 Uhr fallen? – Das ist ein Vorurteil. Ich bezweifle, dass das heute noch der Fall ist. Falls dem aber trotzdem so ist, trägt er eben jeden Tag die gleiche Zeit ein. Wo ist da das Problem?
Warum sollen diese Aufzeichnungen, die eh täglich gemacht werden, erst nach Ablauf eines Monats zur Verfügung stehen? – Faktisch heißt das, dass die Arbeitszeiten für den April bis zum 7. Mai vorliegen müssen, da ein paar Tage für die Erfassung benötigt wer
den. Wenn die Kontrolle dann am 5. Mai kommt, kann nur die Arbeitszeit bis zum 31. März kontrolliert werden. Wenn ein Arbeitnehmer jedoch nur einen Vertrag für wenige Monate hat, kann keine effektive Kontrolle erfolgen, wenn die letzten fünf Monate außer Betracht bleiben müssen.
Liebe Kollegen von den FREIEN WÄHLERN, Sie kritisieren, dass wegen der peniblen Aufzeichnung von Arbeitszeiten auch geringste Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz dokumentiert werden. Genau das ist der Punkt: Sie greifen gar nicht das Mindestlohngesetz an, sondern das Arbeitszeitgesetz. Sie rufen hier zum Rechtsbruch auf, weil jetzt endlich Regelverstöße dokumentiert werden müssen. Wenn Sie das Arbeitszeitgesetz aushebeln wollen, dann sagen Sie das doch klar und deutlich. Ich finde jedenfalls, das ist ein starkes Stück.
Ziel des Arbeitszeitgesetzes ist es, bei der Arbeitszeitgestaltung die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe zur seelischen Erholung der Arbeitnehmer genutzt werden. Das wollen Sie aushebeln. Aber ohne uns GRÜNE.
Auch mit meinem letzten Punkt möchte ich Sie davon überzeugen, dass die Dokumentationspflicht so wichtig ist. In vielen Branchen gelten Rahmentarifverträge, in denen die Vergütung festgelegt wird. Das trifft auch für die Branchen zu, in denen besonders viele schwarze Schafe vermutet werden, die ihre Arbeitnehmer um den ihnen zustehenden Lohn betrügen. Natürlich hat ein Arbeitnehmer das Recht, seinen Lohn einzuklagen; aber in den Tarifverträgen stehen oft Ausschlussfristen für die Möglichkeit einer gerichtlichen Klage. Sie beträgt oft nur wenige Monate. Ohne eine rechtzeitige Klage verfällt der Lohnanspruch. Diese Ausschlussfristen werden häufig von Arbeitnehmern übersehen; denn nach einer Kündigung wird normalerweise über Monate hinweg außergerichtlich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern korrespondiert und dabei übersehen, dass die Ansprüche innerhalb der erwähnten Ausschlussfrist gerichtlich, also vor dem Arbeitsgericht, geltend gemacht werden müssen. Einen solchen Fall hat der SPD-Kollege angesprochen. Dabei geht es um Bosnier, die keinen Lohn bekommen haben.
Genau solchen Fällen schiebt das Mindestlohngesetz einen Riegel vor. Es sieht vor, dass zumindest der Anspruch auf Mindestlohn genau drei Jahre lang eingeklagt werden kann. Genau damit lassen sich schwarze Schafe leichter erwischen, und genau dafür
Ansonsten gilt für mich das Gleiche wie heute Vormittag: Lassen wir doch einmal die zuständige Kontrollbehörde für Schwarzarbeit zwei Jahre lang dokumentieren, wie viele Verstöße gegen den Mindestlohn sie in ihrer Arbeitszeit gefunden hat. Wenn sie keine Verstöße aufdeckt und sich offensichtlich alle Arbeitgeber an ihre Pflicht halten, den Mindestlohn oder den Branchenlohn zu bezahlen, lasse ich mich gerne überzeugen und verzichte auf die Dokumentationspflichten. Aber bis dahin werde ich sie im Grundsatz im Landtag so lange verteidigen, wie Sie oder die CSU sie zum Thema machen.
Frau Kollegin, Sie stellen die Kritik am Mindestlohn und der Dokumentationspflicht immer als unberechtigtes Gejammer von irgendwelchen Unternehmern dar, die nur zu faul sind oder die Pflicht einfach nicht einhalten. Haben Sie schon einmal in einem mittelständischen oder in einem landwirtschaftlichen Betrieb gearbeitet, und wissen Sie, was das bedeutet?
Ich frage Sie noch eines: Waren Sie schon einmal bei der Lebenshilfe, bei der Caritas oder bei der Diakonie? Gehen Sie dort einmal hin; dann werden Sie lernen, was hinter dem "Gejammer" eigentlich steht. Zum Teil ist die Betreuung von Behinderten durch Praktikanten gefährdet. So steht es in einem Schreiben der Lebenshilfe an mich. Gehen Sie einmal zu solchen Betrieben, auch zur Lebenshilfe und zur Caritas; dann werden Sie lernen, welches "Gejammer" von dort kommt.
Lieber Herr Kollege, ich bin sozialpolitische Sprecherin der GRÜNEN. Caritas, Lebenshilfe und Diakonie können Sie jeweils als meine zweiten Vornamen sehen. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich dort noch nicht war.
Tun Sie doch nicht so, als ob nur die Schwarzen arbeiten würden. Sorry, auf der Grundlage werde ich nicht diskutieren.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute zu Recht schon den ganzen Tag über das Thema Mindestlohn, weil es bewegt. Vielleicht sind die Sichtweisen verschieden. Vielleicht denkt die SPD eher aus Sicht der industriellen Arbeitnehmerschaft und dergleichen mehr. Sie denken, Sie könnten hier die ganze Situation leichter regeln.
Wir FREIEN WÄHLER kommen vor allem aus dem mittelständischen Milieu und haben beispielsweise sehr viele Landwirte in unseren Reihen. Dort schlägt diese Thematik ganz anders auf. Meine Damen und Herren, es kann doch nicht ernst gemeint sein, wenn in einem bäuerlichen Familienbetrieb eine Dokumentation geführt werden muss, sodass zum Beispiel ein mithelfender Sohn von 25 Jahren aufschreiben muss, wann er in der Früh zu arbeiten beginnt, meinetwegen um 6.00 oder 7.00 Uhr; und nach zehn Stunden müsste er die Gabel oder Schaufel fallen lassen, also um 16.00 Uhr am Nachmittag.
Wenn die Ernte losgeht, dauern die Arbeitszeiten bis 22.00 Uhr. Dann müsste er sagen: Lieber Vater, du bist der Betriebsinhaber und darfst mit deinen 70 Jahren weiterarbeiten, bis du umfällst; ich bin dein Angestellter und muss nach zehn Stunden aufhören.
- Das betrifft das Thema Mindestlohn und das Arbeitszeitgesetz. - Genau solche Verhältnisse müssen an der Stelle infrage gestellt werden. Deshalb stellen wir FREIEN WÄHLER zumindest für Familienbetriebe den Mindestlohn infrage und sagen: Dort kann er nicht gelten. Man kann doch nicht für einen Bauernbuben mitschreiben müssen, wie viel er arbeitet, und am Nachmittag müsste er aufhören, und der Vater müsste ihm 8,50 Euro zahlen. Und er müsste einen Mietvertrag für die Übernachtung im elterlichen Haus abschließen, und vielleicht müsste er das Essen gegenrechnen.
Meine Damen und Herren, zu dieser Situation kommen wir. Solche Pläne liegen auf dem Tisch. Sie können doch nicht sagen, dass es nicht dazu kommen würde. Das gilt genauso in einem Dorfwirtshaus, in dem die Gastwirtsfamilie mit Oma, Opa und Kindern den Hof und das Wirtshaus bewirtschaftet. Sie sind jetzt mit dieser Thematik konfrontiert.
Ich sage Ihnen ganz klar: Wenn wir dieses Vorhaben durchexerzieren, machen wir den Mittelstand völlig platt. Was war denn immer die Stärke des Mittelstands gerade in Bayern? – Sie bestand darin, dass er auch in schwierigen Wirtschaftsphasen mit billigem eigenem Personal Durststrecken überwinden konnte. Wenn jetzt der Hofbauer, der Dorfwirt und der Metzger seinen Kindern 8,50 Euro zahlen muss, dann ist er pleite. Die Botschaft ist also ganz klar: Dieses Mindestlohnvorhaben wird zum Todesstoß für den Mittelstand. Ich appelliere an Sie: Bitte hauen Sie hier die Bremse rein! Stoppen Sie das Ding! Familienbetriebe dürfen von diesen Regelungen in keiner Form betroffen werden; sonst können wir die Wirtschaft hier in Bayern zusperren. Das sage ich ganz deutlich.
Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund appelliere ich an die CSU, Ihren Fehler zu erkennen und zu sagen: Okay, dieser Tausch gegen die Maut war wohl ein Blödsinn. - Herr Seehofer hat vor der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags gesagt, er wird den Vertrag nur unterschreiben, wenn darin die Maut vorgesehen ist. Darauf ist die Maut hineingewürgt worden. Im Gegenzug hat er gesagt: Dann stimmen wir dem Mindestlohn zu und schauen hier nicht genau hin. – Drohen Sie hier wieder mit Koalitionsbruch! Ich empfehle Ihnen sogar: Ziehen Sie es durch! Denn dort mit dabeizusitzen, können Sie sich sparen. – Bitte, jetzt Ihre Frage.
Werte Frau Präsidentin, der Kollege Aiwanger hat heute so viele Funktionen inne, dass er hin und wieder durcheinanderkommt.
Demgemäß ist er etwas über seine Kompetenz hinausgeschossen. – Genauso schießt er über die Thematik hinaus. Sie malen hier den Todesstoß für den Mittelstand, für bäuerliche Betriebe oder Handwerksbetriebe an die Wand, lieber Kollege, lieber Hubert. Das ist nicht nur überzogen, sondern das ist auch abstrus und abartig.
Das ist abartig und ein Affront gegenüber dem Können und der Kompetenz von Unternehmen, egal, ob sie bäuerlich, gewerblich, industriell oder sonst etwas sind. Sie können das, und wir trauen es ihnen auch zu. Deswegen die Frage: Haben Sie ernstlich die Absicht, in den nächsten Plenarsitzungen und auch in den Ausschusssitzungen immer wieder einen dieser unsäglichen Anträge einzubringen? Bitte schön!
Es ist Ziel der Übung, Sie hier weichzuklopfen, sodass Sie Ihren Kollegen in Berlin sagen, dass diese Regelungen in der wirtschaftlichen Lebensrealität vor Ort massiv aufschlagen. Ich hoffe, dass diese Seite genau das tut.
Zu mir kommen die Mittelständler und Landwirte und sagen: Das kann doch nicht euer Ernst sein, das ist doch Spaß. – So ist die DDR in Grund und Boden gewirtschaftet worden, und so werden wir die Bundesrepublik in Grund und Boden wirtschaften.