Protocol of the Session on September 27, 2018

Damit darf ich im Namen des Hohen Hauses allen ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen noch einmal ganz herzlich danken. Sie alle haben sich zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger im Freistaat eingebracht, und das verdient höchsten Respekt und Anerkennung. Wir werden uns noch persönlich verabschieden. Bereits an dieser Stelle wünsche ich Ihnen aber im Namen des Hohen Hauses alles Gute für Ihren neuen Lebensabschnitt, weiterhin Erfolg in Ihrem beruflichen Wirken, sofern Sie an Ihre alte oder an eine neue Arbeitsstelle zurückgehen, oder einen reibungslosen Übergang in eine ruhigere Lebensphase, sofern Sie ab Mitte Oktober in den wohlverdienten Ruhestand eintreten.

Ich danke den Vertreterinnen und Vertretern der Presse und der Medien nicht nur für ihre Arbeit, sondern auch für ihre kritische Begleitung unserer Arbeit während der Legislaturperiode. Ich gestehe, die Rahmenbedingungen sind für Sie in den letzten Jahren auch nicht einfacher geworden. Wir alle wissen – erlauben Sie mir diese Anmerkung –, dass sorgfältiger, ausgewogener und fairer Journalismus gerade mit Blick auf die Veränderungen in der Medienlandschaft heute wichtiger denn je ist. Herzlichen Dank für die Zusammenarbeit.

(Allgemeiner Beifall)

Sehr herzlich danke ich allen, die hier im Hause dafür sorgen, dass das Parlament immer reibungslos arbeiten konnte. Dafür bedanken wir im Präsidium und im Ältestenrat uns vor allem auch bei den Fraktionsvorsitzenden. Ich möchte heute aber auch einen ganz besonderen Dank den Parlamentarischen Geschäftsführern sagen. Sie versuchen schon im Vorfeld, vieles richtig ins Lot und das eine oder andere von vornherein auf eine gute Arbeitsebene zu bringen. Ganz herzlichen Dank dafür.

(Allgemeiner Beifall)

Ich danke unserem Amtschef an der Spitze der Landtagsverwaltung. Sie, lieber Herr Amtschef Peter Worm, tragen viel dazu bei, dass unsere Arbeit gut

gelingt. Darin schließe ich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein. Sie haben wieder in jeder Hinsicht eine hervorragende und professionelle Arbeit geleistet. Es ist einfach immer Verlass auf alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für uns in diesem Hohen Haus ihren Dienst erbringen. Danke schön.

(Anhaltender allgemeiner Beifall)

Ich danke den Damen und Herren der Fraktionsgeschäftsstellen und den Landtagsbeauftragten. Vor allem danke ich unserem Sanitätsdienst. Einen ganz herzlichen Dank vor allem auch unseren Polizistinnen und Polizisten.

(Allgemeiner Beifall)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich persönlich bedanke mich bei Ihnen dafür, dass ich fünf Jahre Vizepräsidentin dieses Hauses und dass ich jetzt fast zehn Jahre die Präsidentin dieses Hohen Hauses sein durfte. Ich darf Ihnen sagen, dass dies nicht in meiner Geburtsurkunde gestanden hat. Deshalb dafür ein ganz herzliches Dankeschön.

(Allgemeiner Beifall – Die Abgeordneten erheben sich)

Danke schön! – Jetzt freuen wir uns auf die Schlussworte unseres Kollegen Herrn Prof. Dr. Peter Paul Gantzer. Bitte schön.

Sehr geehrte, liebe Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine lange Tradition, dass in der letzten Plenarsitzung einer Legislaturperiode ein Vertreter der Opposition für diese das Schlusswort hält. Meine Fraktion hat mir diese Aufgabe übertragen, wofür ich nicht nur dankbar bin, sondern ich bin mir auch der Ehre bewusst, dieses Schlusswort sprechen zu dürfen.

Zuerst einmal möchte ich den schon von der Präsidentin ausgesprochenen Dank wiederholen, der für alle ausgedrückt worden ist, der aber auch von uns, vonseiten der Oppositionsparteien, ausgesprochen wird. Dieser Dank gilt vor allem den Damen und Herren unserer Verwaltung, an ihrer Spitze Herrn Ministerialdirektor Peter Worm. Dieser Dank gilt selbstverständlich aber auch für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung selbst, seien es die Damen und Herren des Plenardienstes, seien es unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Pfortendienst. Der gleiche Dank gilt unseren Polizeibeamten, dem Rettungsdienst, dem Sicherheitsdienst und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landtagsgaststätte und der Kantine. Sie alle haben es ermöglicht, dass wir hier erfolgreich zusammenarbeiten konnten.

Mein Dank gilt auch besonders den Medien, der Presse, dem Rundfunk und dem Fernsehen. Sie haben zwar über die Opposition nicht immer so gut berichtet wie über die Regierungspartei. Trotzdem haben Sie immer fair berichtet. Ich verbinde das mit dem Gedanken, wie wichtig die Pressefreiheit ist. Wir sehen das an anderen Staaten dieser Erde.

(Allgemeiner Beifall)

Vielen Dank für Ihre Arbeit. Wo es keine Pressefreiheit gibt, gibt es letztlich auch keine Demokratie. Das müssen wir so klar und deutlich ausdrücken. Deswegen haben Sie in einer demokratischen Gesellschaft eine ganz wichtige Aufgabe. Dafür, dass Sie diese Aufgabe so engagiert wahrgenommen haben, einen recht herzlichen Dank.

Ein besonderer Dank, der mir aus dem Herzen kommt, gilt unserer Präsidentin. Liebe Barbara, hast du schon Tränen in den Augen? – Fast 15 Jahre lang habe ich als Präsidiumsmitglied mit unserer Präsidentin Barbara Stamm intensiv zusammengearbeitet. Barbara Stamm hat für diesen Freistaat eine erfolgreiche und unermüdliche Arbeit geleistet. Sie hatte vor dem Präsidium auch eine Vorgeschichte. Ich gehe davon aus, dass das an anderer Stelle noch gewürdigt wird. Ich sage aber ganz einfach: In der Zeit als Vizepräsidentin und Präsidentin des Landtags wurdest du sozusagen die Mutter der Abgeordneten, aber auch – und das ist ganz wichtig – die Mutter der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die sozialen Errungenschaften der letzten zehn Jahre für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Landtag haben wir zuallererst unserer Präsidentin zu verdanken. Die Verdienste von dir sind so umfangreich, dass ich darüber eine eigene Rede halten könnte. Ich sage einfach nur: Vielen, vielen herzlichen Dank, Barbara Stamm, für das, was du für uns und für den Freistaat getan hast.

(Allgemeiner Beifall)

Dann erlaubt mir bitte noch eine kleine Abweichung. Als Überraschungsgast ist meine Ehefrau Elisabeth da. Unsere Präsidentin hat es gesagt: Unser Beruf erlegt uns mehr als eine 48-Stunden-Woche auf. Das geht auch immer wieder auf Kosten der Familie, und deswegen müssen wir sagen: Wir können nur froh sein, wenn wir eine funktionierende Familie haben. Ich sage es einfach einmal so: Liebe Elisabeth, wenn ich nicht schon mit dir verheiratet wäre, würde ich dir heute einen Heiratsantrag machen!

(Allgemeine Heiterkeit – Allgemeiner lebhafter Beifall – Zurufe: Bravo!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, und jetzt noch einige ernste Worte. Ich bin jetzt seit 40 Jahren im Landtag –

40 Jahre, die sehr schöne Jahre waren und die mir viel Spaß gemacht haben. Natürlich wäre es reizvoll, zu fragen: Was ist in diesen 40 Jahren politisch alles schiefgelaufen? Es wäre jetzt aber der falsche Ort und der falsche Zeitpunkt, das zu fragen.

Lassen Sie mich deswegen einige Dinge der letzten 40 Jahre hervorheben; gerade die Jungen wissen das nicht mehr oder können sich das gar nicht mehr vorstellen. Es sind einige Ereignisse, die mich tief berührt haben und die auch die Gesellschaft tief berührt haben. Eines der einschneidendsten Erlebnisse war für mich 1989, der Fall der Mauer und die anschließende Wiedervereinigung. Mit welcher Hoffnung sind wir damals sozusagen neu gestartet! Es war fast ein Reset, den wir in der Politik hatten, und wir hatten alle das Gefühl und auch die Hoffnung, dass durch den Zusammenbruch des Kommunismus ein weltweiter Siegeszug der Demokratie eintreten würde.

Leider müssen wir aber gerade auch bei europäischen Staaten feststellen, dass sich der Trend zu autokratischen und autoritären Systemen verstärkt hat – ich nenne nur Polen, Ungarn oder Italien. Das liegt natürlich auch an ganz bestimmten Dingen, weil sich die Bezugswerte geändert haben. Um es anders auszudrücken: Vor 1989 war die Welt noch klar eingeteilt. Wir hatten Ost/West, wir hatten Freund/Feind, wir hatten gut/böse. Dieses eindeutige Bild gibt es heute nicht mehr und das ist auch in der DDR passiert: Zusammenbruch. Wenn wir sehen, welche Wahlergebnisse wir in den neuen Bundesländern haben, ist auch hier die Messlatte irgendwie verschoben worden, und wir haben es immer noch nicht ganz geschafft, diese Menschen einzubinden, was sich in den Wahlergebnissen niedergeschlagen hat.

Lassen Sie mich die Verunsicherung, die eingetreten ist, anhand eines persönlichen Beispiels darstellen: Ich selber bin Flüchtling. Ich wurde von den Russen vertrieben, bin als Flüchtling nach Westen gekommen. Mein Vater war fünf Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft. Ich war ein Russenfeind. So habe ich auch meinen Wehrdienst abgeleistet. Dann kam 1989, und das Weltbild, das ich hatte, brach zusammen.

Wir haben vom Landtag aus sehr intensive Partnerschaften gegründet und mit Leben erfüllt, zum Beispiel mit der Duma der Stadt Moskau. Wir sind oft in Moskau gewesen, und die Moskauer Kollegen sind oft bei uns gewesen. Einen Höhepunkt für mich war, dass ich vor sechs Jahren aufgrund meiner militärischen Vergangenheit vom russischen Militär eingeladen wurde und in Pskow war, einem Garnisonsstandort. Dort war ich zur Feier des Weltkriegsendes eingeladen und durfte die Rede halten – Sie wissen, wie das mit Panzern und Flugzeugen ist – über die

Freundschaft zwischen Russland und Deutschland, dass endlich Frieden ist und wir nicht mehr aufeinander schießen müssen.

Vor zwei Jahren war ich in den baltischen Staaten, in Litauen. Ich habe das Bataillon der deutschen Bundeswehr besucht, das dort stationiert ist, um den baltischen Staaten die Angst zu nehmen, dass Russland ihnen gegenüber aggressiv tätig werden würde.

Anhand dieser Beispiele sehen Sie, was sich in diesen ganzen Jahren alles verschoben hat. Bereits dieses führt zu einer Verunsicherung in der Bevölkerung, die nicht mehr genau weiß, wie es vor 1989 war – was ist gut und was ist böse.

Die zweite große Erfindung – sozusagen die große Erfindung –, die in den letzten 40 Jahren stattgefunden hat, war die Internetrevolution. Viele sagen, das war mit der Erfindung des Buchdrucks gleichzusetzen. Auch mich hat das sehr überrascht; denn von Berufs wegen habe ich mit der elektrischen Schreibmaschine angefangen. Heutzutage muss ich in meinem Beruf einen Hightech-Computer benutzen.

Was die Digitalisierung für Auswirkungen auf die persönliche Kommunikation und auf das Miteinander in dieser Gesellschaft hat und welche Auswirkungen diese Digitalisierung überhaupt auf die Arbeit, die Arbeitnehmer und die Arbeitszeit hat, ist bis heute nicht beantwortet worden. Wir knabbern immer noch an den Auswirkungen, gerade auch am Arbeitsmarkt und in der ganzen Arbeitsszene.

Natürlich fragt man sich, wenn man jetzt auch noch die neue Diskussion um die künstliche Intelligenz – KI – sieht, was passieren wird, wenn die KI den Arbeitsmarkt erobern wird. Die Auswirkungen sind überhaupt noch nicht absehbar. Ein sehr renommierter Wissenschaftler, Stephen Hawking, sagte, dass die KI vielleicht die größte Erfindung der Menschheit sein wird; es könnte aber auch die letzte sein.

Das sind Dinge – gerade diese zwei Ereignisse –, die natürlich Unruhe in unserer Wählerschaft ausgelöst haben. Es sind aber nicht nur diese Dinge gewesen: Wenn ich die letzten 40 Jahre bedenke, erinnere ich nur, was wir alles erlebt haben und erleben: die Globalisierung, Kriege, Gewalt und Terror, globalisierte Kapitalflüsse, Finanzkrise, Rentenkrise, Eurokrise, Klimakrise, Flüchtlingskrise, Brexit, das Erstarken von rechtsextremen Bewegungen in vielen europäischen Staaten. Wenn Sie abends fernsehen oder täglich die Zeitung lesen, werden Sie feststellen, dass diese Themen, die ich gerade nannte, immer wieder in den Medien sind. Auch das hat Auswirkungen auf das Gefühl – das Sicherheitsgefühl oder das Unsicherheitsgefühl – der Bevölkerung.

Hinzu kommt, dass es in den letzten 40 Jahren – Sie sehen, ich bin immer wieder bei den 40 Jahren – zu sozialer Ungleichheit gekommen ist. Ich weiß, dass viele sagen – wir haben es auch heute Morgen gehört –: "Bayern geht es gut", und das ist unbestritten. Geht es uns aber in Anbetracht dieser vielen Krisen, die ich eben aufgezeigt habe, wirklich gut? – Tatsächlich ist es doch so, dass weite Teile der Bevölkerung vom wirtschaftlichen Fortschritt abgekoppelt sind.

Auf der einen Seite entziehen sich Konzerne und Kapitalbesitzer immer dreister der Besteuerung, während es auf der anderen Seite an Mitteln für Bildung und Sozialsysteme mangelt. Ich sehe, wie Kindergärtnerinnen oder Pfleger bezahlt werden, und lese, dass nach dem Global Wealth Report die reichsten 10 % der Weltbevölkerung fast 80 % des Nettovermögens besitzen. In Deutschland sieht das nicht anders aus. Den reichsten 10 % der Deutschen gehören mit 63 % fast zwei Drittel des Vermögens, und das oberste eine Prozent der Bevölkerung vereint ein Drittel des Besitzes der gesamten Bevölkerung auf sich.

Noch eine Zahl: 1989 bekamen DAX-Vorstände das Vierzehnfache des durchschnittlichen Gehalts ihrer Mitarbeiter, heute ist es das Sechzigfache. Nach einer DIW-Untersuchung bezogen 1995 die obersten 10 % der Bevölkerung noch 32 % aller Bruttoeinkommen, heute sind es bereits 40 %. Gleichzeitig sank der Anteil der unteren Hälfte der Bevölkerung an der Einkommensverteilung von 26 % auf 17 %.

Welche Ausmaße das angenommen hat, können Sie am besten an den Firmen Apple, Amazon, Google, Microsoft und Facebook sehen, diesen sogenannten Big Five. Das sind inzwischen die fünf wertvollsten Firmen der Welt, und dementsprechend ist auch ihr Einfluss – nämlich sehr, sehr groß. Ich sage einfach einmal: Es ist nicht in Ordnung, dass diese Menschen, die wir nicht kennen und die auch nicht gewählt worden sind, die also keine demokratische Legitimation haben, sich anmaßen, über die Welt zu bestimmen.

(Allgemeiner Beifall)

Wir sind entschieden gegen Diktaturen, seien es einzelne politische Führer, oder seien es Wirtschaftsführer, denen es nur noch um den Shareholder Value geht. Aufgabe der Wirtschaft müsste es sein, Armut zu beseitigen, also Wohlstand für alle, nicht Wohlstand für wenige zu schaffen. Und lassen Sie mich klarstellen: Das ist kein Aufruf zu einer sozialistischen Revolution, wie das vielleicht manche glauben werden. Das ist nur eine Aufforderung an die Konzerne und Kapitalbesitzer, sich an den Aufgaben dieser Ge

sellschaft zu beteiligen, der sie ihren Reichtum verdanken.

(Allgemeiner Beifall)

Ich habe das besonders betont, weil ich eines klarstellen möchte: Die Bevölkerung nimmt dieses Auseinanderklaffen von Reich und Arm sehr wohl wahr. Wer sich in ständigen Gesprächen mit den Bürgerinnen und Bürgern befindet, weiß, dass das immer ein Thema ist. Genau das führt zu einer Entfremdung der Bürger von der klassischen Demokratie. Die Bürger erwarten von den großen Volksparteien Antworten, sie haben aber das Gefühl, dass wir diese Antworten nicht geben. In der letzten Umfrage wurde die Frage gestellt, ob sich die etablierten Parteien und Politiker zu weit von den Wählern entfernt hätten. Drei Viertel, 75 %, haben auf diese Frage mit Ja geantwortet. Das sollte uns zu denken geben.

Diese Entwicklung lässt sich auch an einer weiteren Zahl festmachen, nämlich der Zahl der Nichtwähler. Bei der Bundestagswahl ist die Zahl der Nichtwähler in den letzten 30 Jahren von 15,7 % auf 23,8 % gestiegen, also von 7 Millionen auf 15 Millionen. Noch schlimmer sieht es bei der Zahl der Nichtwähler in Bayern aus. Vor 40 Jahren, im Jahre 1978, als ich zum ersten Mal zur Wahl stand, belief sich die Quote der Nichtwähler in Bayern auf 23,4 %. Das waren 1,8 Millionen Bürgerinnen und Bürger. Im Jahre 2013, bei der letzten Landtagswahl, waren es bereits 36,1 %, das heißt, 3,5 Millionen Wählerinnen und Wähler sind nicht zur Wahl gegangen.

Das sind Zahlen, die uns alle, ganz gleich, in welcher Partei wir sind, beunruhigen sollten. Daneben gibt es nämlich noch das Sozialranking, also die Untersuchung des Vertrauens in Berufsgruppen. Seit den 1990er-Jahren haben wir in Deutschland einen fortschreitenden Verfall des öffentlichen Ansehens von Parteien und Politikern zu verzeichnen. Eine zunehmende Anzahl von Bürgern hat laut Meinungsumfragen das Gefühl, dass die etablierte Politik ihre Interessen überhaupt nicht oder nicht ausreichend vertritt und berücksichtigt. Die Politiker haben europaweit einen schlechten Stand. Am schlechtesten schneiden jedoch die deutschen Politiker ab. Sie befinden sich auf dem letzten Platz des Rankings.

Während wir 1978, also vor 40 Jahren, beim Ansehen noch bei 24 % lagen, sind es heute nur noch 5 %. Das ist der letzte Platz für uns Politiker. Begleitet wurde diese Erscheinung durch einen starken Mitgliederschwund in den letzten 40 Jahren, gerade bei den großen Parteien. Das sind Zahlen, die wir zur Kenntnis nehmen müssen. Lassen Sie mich einmal provokativ fragen: Inwieweit sind wir, die großen Parteien,

schuld daran, dass inzwischen Parteien mit einfachsten Botschaften die Parlamente erobern? Anders gefragt: Wie kommt es, dass in Europa und in Deutschland vermehrt Politiker mit nationalistischen Zielen gewählt werden?

Bis heute ist es den Historikern nicht gelungen zu erklären, wie es den Nazis gelungen ist, die Menschen in wenigen Jahren zu radikalisieren und von menschlichen Werten zu entfremden. Was haben die klassischen Parteien damals falsch gemacht? Ich frage aber auch: Was haben wir heute falsch gemacht? Diese Fragen müssen möglichst bald beantwortet werden. Das wird Aufgabe des kommenden Landtags und der künftigen Politik sein.

(Allgemeiner Beifall)

Wenn ich mir die Ereignisse der letzten 40 Jahre in Erinnerung rufe, kann ich zusammenfassend feststellen: Wir stehen heute an einer entscheidenden Weggabelung, einer Weggabelung, vor der die Politik eigentlich nur alle paar Jahrhunderte steht. Dessen muss sich vor allem der neue Landtag bewusst sein. So sehr wir auf das förderale System pochen, muss uns doch allen klar sein, dass die Globalisierung der Welt keine Rücksicht auf Länderparlamente nehmen wird, die nicht über den Länder-Tellerrand hinausschauen. So stolz wir auf Bayern sind – am 8. November feiern wir 100 Jahre Freistaat Bayern –, so muss uns auch in Bayern und in Deutschland klar sein, dass wir den kommenden Herausforderungen nur in einem vereinten Europa standhalten können.