Protocol of the Session on April 3, 2014

(Lachen bei der SPD – Markus Rinderspacher (SPD): Ist das so?)

Vielleicht war Ihre Regierungserklärung auch ein Teil dieser Folklore. Aber so eine Folklore wollen wir in Bayern nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir sagen Ihnen: Abschottung löst keine Probleme. Euroskeptiker bieten keine Lösung an, sondern Stillstand. Wir brauchen aber Lösungen für wichtige Zukunftsfragen, die schon lange nicht mehr auf nationalstaatlicher Ebene, geschweige denn auf bayerischer Ebene gelöst werden können.

Wir sagen, Bayern verdankt Europa sehr viel. Bayern muss sich für dieses Europa auch stark machen.

Wir haben jetzt, 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs und 75 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, Frieden in Europa. Es ist wichtig, diesen Frieden zu erhalten und für die Zukunft zu sichern. Dieses Europa war die erfolgreiche Antwort auf den engstirnigen Nationalismus, der in Europa so lange seine zerstörerische Kraft entfaltet hat und zu dem wir nicht zurückkehren wollen. Die europäische Einigung hat Frieden, Freiheit und Demokratie gebracht. Sie hat wichtige Errungenschaften gebracht. Sie hat den Eisernen Vorhang überwunden. Frieden und Freiheit sind für uns jetzt selbstverständlich. Wir müssen aber diese Werte verteidigen und Sorge dafür tragen, dass sie auch morgen und übermorgen selbstverständlich bleiben.

Dazu gehört auch die Stärkung einer europäischen Außenpolitik. Auch in der Frage unserer Beziehungen zur Ukraine und Russland muss Europa klarer eine europäische Sprache sprechen, weil die Interessen Europas und die Interessen der NATO nicht unbedingt immer dieselben sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir sagen, Säbelrasseln ist fehl am Platz. Die Krise muss mit besserem Dialog, besserem Verständnis und besserer Kommunikation gelöst werden. Wir sagen auch: Die Schuldenkrise ist noch nicht gelöst. Dazu brauchen wir mehr als Gedanken über Parallelwährungen, sondern wir müssen sehen, wie die Probleme der Länder, die ihre Schulden nicht begleichen können, gelöst werden können.

Eine Möglichkeit wäre, sich im Rahmen einer internationalen Schuldenkonferenz mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Es ist einfach wahr, dass Griechenland, egal, was Sie machen und was Sie Griechenland alles erklären, 320 Milliarden Euro Staatsschulden nicht begleichen kann. Das wird nicht gehen. Griechenland wird dies auch nicht über die nächsten vier Generationen schaffen. Insofern brauchen wir eine andere Lösung als die jetzige, indem wieder 9 Milliarden Euro aus Rettungstöpfen an Griechenland überwiesen werden, die im Übrigen gleich wieder zur Schuldentilgung an den ESF zurücküberwiesen werden. Es ist notwendig, darüber nachzudenken, wie wir diese Probleme lösen. Da haben wir noch viel zu tun.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte jetzt noch einiges dazu sagen, was wir Europa noch verdanken. Wir verdanken Europa nämlich sehr viel, gerade wir in Bayern. Europa ist Vorreiter bei der Gleichberechtigung. Bürger- und Menschenrechte sind vor europäischen Gerichten einklagbar. Ich bin mir sicher: Bei der Umsetzung der Frauenquote gerade auf den Führungsebenen sowie der Forderung gleicher Lohn für gleiche Arbeit wären wir in Bayern noch weiter hinten, als wir es jetzt leider immer noch sind.

Es geht um das Thema Inklusion. Inklusion muss Schutz vor Diskriminierung bieten. Hier ist noch viel zu leisten. Ohne Europa hätten wir damit aber noch gar nicht angefangen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir öffnen unsere Schulen und Hochschulen. Millionen Studierende stehen für europaweites Lernen. Es ist sehr schön, Schulen zu besuchen, in denen das COMENIUS-Projekt und demnächst auch das ERAS

MUS-Projekt umgesetzt werden. Sie profitieren in enormem Umfang vom grenzüberschreitenden Lernen.

Ich möchte noch etwas zum Thema Umwelt und Naturschutz sagen. Ich habe manchmal den Verdacht, einige von Ihnen könnten Umwelt- und Naturschutz, der durch die europäische Ebene vorangebracht wurde, mit Bürokratie verwechseln. Durch die Bemühungen, die auf europäischer Ebene angestoßen wurden, wurde aber erreicht, dass europaweit die Luft sauberer, die Flüsse gesünder und die Produkte sicherer werden. Auch der ökologische Landbau genießt eine breite Unterstützung. Bei diesen Initiativen, die Europa angeschoben hat, hapert es bisweilen an der Umsetzung, gerade auch in Bayern. Ich nenne zum Beispiel die Wasserrahmenrichtlinie. Nach wie vor muss Bayern seine Hausaufgaben besser erledigen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich nenne die Luftreinhalterichtlinie. Auch hier gäbe es noch viel zu tun. Die Zahl von 500.000 Krankheitsfällen allein in Deutschland und 25 Todesfällen aufgrund chronischer Bronchitis ist alarmierend. Wir müssen mehr zur Sicherstellung der Luftqualität beitragen. Von der Umsetzung ist Deutschland jedoch weit entfernt. Man behilft sich mit Fristverlängerungen – wirksame Maßnahmen fehlen nach wie vor.

Ich nenne das Beispiel Artenschutz. Der Rückgang der Arten ist ein schwerwiegendes Problem in allen europäischen Ländern. Bereits 1979 trat die Vogelschutzrichtlinie in Kraft; die Flora-Fauna-HabitatRichtlinie folgte. Wir verdanken dieser Richtlinie, dass mittlerweile immerhin 13 % unserer Landesfläche wenigstens einen irgendwie gearteten Naturschutzstatus genießen. Ohne Europa wäre es nie so weit gekommen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mit der REACH-Verordnung sind bahnbrechende Neuerungen eingetreten. Neue Chemikalien müssen erst auf ihre Gesundheits- und Umweltschädlichkeit geprüft werden, bevor sie eingesetzt werden. Diese Vorsorge ist weltweit einmalig. Damit sind Standards gesetzt worden, und zwar Standards, die nie und nimmer durch die TTIP-Pakete gefährdet oder rückgeholt werden dürfen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Insgesamt haben wir in den letzten Wochen im Europaausschuss schon sehr viel Kritik zum Thema TTIP geübt, sodass ich aus Zeitgründen hier nicht weiter darauf eingehen möchte.

Auch bei der Gentechnikfreiheit brauchen wir Europa. Dazu brauchen wir aber eigentlich auch kluge Politikerinnen und Politiker im Europäischen Parlament, die hierfür Sorge tragen und sich nicht mit starken Enthaltungen vom Acker machen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich sage noch einmal: Europas Skeptiker bieten keine Lösungen an. Wir brauchen aber Lösungen für Zukunftsfragen, und wir werden dafür weiter kämpfen.

Ein weiteres Beispiel ist die Klimaschutz- und Energiepolitik. Ich nenne beispielsweise die entscheidende Rolle des EU-Emissionshandels. Diese darf nicht mehr länger ausgebremst werden, weder durch Rot noch durch Schwarz noch durch die Bundeskanzlerin.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der für Energie zuständige EU-Kommissar Oettinger weiß zwar viel; aber er versagt, wenn es darum geht, Konzepte für eine nachhaltige Energieversorgung für morgen zu entwickeln, und handelt leider als verlängerter Arm der Atom- und Kohlelobby.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die derzeitige Abhängigkeit der Europäischen Union vom Import fossiler Rohstoffe muss beendet werden. Schon heute kosten die Importe von Öl und Gas die Volkswirtschaften der Europäischen Union mehr als 430 Milliarden Euro. Das sind Kosten, die vor allem auch die Finanzen unserer Krisenländer schädigen. Eine Verringerung des europäischen Kohle-, Gasund Erdölverbrauchs trägt nicht nur zum Klimaschutz bei, sondern würde Europas Wirtschaftskraft deutlich voranbringen. Diese 430 Milliarden Euro können sinnvoller eingesetzt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie können es auch deshalb, weil der Energiebedarf in Europa dank der guten Voraussetzungen vollständig aus erneuerbaren Energien gedeckt werden könnte.

Kommen wir zum Thema Atomausstieg. Auch hier gibt es Ankündigungen des Energiekommissars, aber keine Taten – Ankündigungen, dass er den Stresstest voranbringen will, Ankündigungen, dass er für mehr Sicherheit in Atommeilern sorgen will. Diesen Ankündigungen folgen wenige Handlungen. Das sind minimale, langsame Schritte. Zudem hat er zugesagt, dass er auch die Versicherungspflicht für die europäischen Atomkraftwerke voranbringen will und dass Europa endlich angemessen mit dem Atommüll umgehen muss. Aber auch hier ist bis jetzt nicht sehr viel

passiert. Eine realistische Versicherung der möglichen Schäden würde den Atomstrom bereits heute unwirtschaftlich machen. Wir fordern europaweit eine sachgerechte Haftung der Betreiber. Diese ist momentan überhaupt noch nicht in Sicht. Das ist etwas, wozu wir Europa brauchen; denn Atomkraftwerke verursachen auch grenzüberschreitend Schäden. Hier muss in Europa endlich mehr gehandelt werden.

Wir bedauern natürlich auch, dass Oettinger beim Thema Energieeffizienz versagt. Die versprochene Energieeffizienzsteigerung um 20 % ist bis jetzt noch nicht erfolgt. Die bisherigen Ansätze werden gerade auch von unseren Unternehmen dazu benutzt, ihre eigenen Lobbyinteressen durchzudrücken, und gebären dadurch bürokratische Monster. Die Ursache dafür ist aber nicht unbedingt Europa, sondern die Ursache sind teilweise unsere Unternehmen, wenn zum Beispiel versucht wird, bestimmte Produkte, zum Beispiel von Siemens, als europäischen Standard zu definieren. Das ist nicht sachgerecht. Europa muss sich mehr gegen den Lobbyismus wehren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wie kann sich Europa stärker gegen den Lobbyismus wehren? - Wir müssen Europa reformieren. Dazu gehören verschiedene Maßnahmen: Zum einen brauchen wir eine Stärkung des Europäischen Parlaments, zum anderen eine Stärkung der Rechte der europäischen Bürgerinnen und Bürger. Die europäische Bürgerinitiative Right2Water hat gezeigt, dass Bürgerinnen und Bürger erfolgreich sein können, wenn sie sich engagieren. Keine Demokratie, auch nicht in Europa, kann ohne kritische Bürgerinnen und Bürger auskommen. Wir müssen ihnen die entsprechenden Instrumente an die Hand geben und für Transparenz sorgen, dafür sorgen, dass die notwendigen Informationen fließen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

So können wir am ehesten diesen überbordenden und zum Teil nicht sinnvollen Regelungen entgegentreten.

Ein weiterer Mechanismus ist die Stärkung der Regionen. Wir sind absolut der Meinung, dass der Subsidiaritätsmechanismus gestärkt werden muss und dass die Einwendungen der nationalen und regionalen Parlamente ernster genommen werden müssen, als dies bisher getan wird. Dazu müssen wir uns gemeinsam anstrengen, und das tun wir auch.

Wir wollen weiter dafür sorgen, dass die Menschenrechte in Europa für alle gelten. In den letzten Monaten gab es einige unschöne Äußerungen, insbesondere zur Situation der Sinti und Roma. Wir meinen, dass

wir diesen Problemen am ehesten durch gemeinsame Anstrengungen gegen die Diskriminierung von Sinti und Roma entgegentreten können. Wir wollen die europäische Roma-Strategie flächendeckend umsetzen, auch hier in Bayern; denn auch in Bayern werden Sinti und Roma leider nach wie vor diskriminiert, beispielsweise in unserem Bildungswesen. Hier müssen wir handeln. Aber wir müssen partnerschaftlich grenzüberschreitend handeln.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Debatten über Einschränkungen der Freizügigkeit lösen das Problem nicht, sondern das Problem kann nur durch gemeinsames Handeln gelöst werden.

Die Kampagne über Sozialhilfebetrug durch Sinti und Roma, die Sie nach Weihnachten unchristlicherweise losgetreten haben, geht aufgrund der Datenlage völlig ins Leere. Wir haben nachgefragt und festgestellt, dass es beispielsweise im Jahr 2012 – für 2013 bekamen wir die Zahlen leider noch nicht – gerade einmal zehn Fälle von Sozialleistungsbetrug durch rumänische und keinen einzigen Fall durch bulgarische Bürgerinnen und Bürger gegeben hat und dass 90 % der Sozialhilfebetrüger schlicht und einfach Bayern sind, deutsche Staatsangehörige. Dies zeigt, dass wir ganz woanders ansetzen müssen. Wir müssen nämlich dort ansetzen, wo Menschen durch Migration von gewissenlosen Immobilienbesitzern, die die letzten Kaschemmen mit Leuten vollpfropfen, ausgebeutet werden. Hier muss mehr gehandelt werden.

Auch beim Missbrauch von Scheinselbstständigen muss mehr gehandelt werden. Wieso haben wir in Deutschland 200.000 selbstständige Regalauffüller, soundso viele selbstständige Baustellenreiniger usw.? - Das liegt einfach daran, dass wir arbeitsrechtliche Regelungen haben, die missbraucht und dazu verwendet werden können, Menschen auszubeuten und an den Rand zu drängen. Gegen diese Regelungen und gegen diese Praktiken müssen wir vorgehen.

Wir müssen auch mehr dafür tun, dass das Gemeinwesen in den Städten gestärkt wird und dass das Programm "Soziale Stadt", das in der letzten Legislaturperiode schändlicherweise abgewürgt worden ist, endlich wieder anständig belebt wird.

Wir wollen nicht, dass in den nächsten Wochen weitere Kampagnen dieser Art von Ihnen losgetreten werden.

Besorgniserregend ist, dass das Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig feststellt, dass beispielsweise beim Thema Ausländerfeindlichkeit und beim Thema Antisemitismus die Werte in Bayern deutlich höher sind