(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Sie haben noch drei Minuten, Ihr Konzept vorzustellen, Herr Waschler!)
Ihr Konzept des Volksbegehrens bedeutet automatisch eine Qualitätseinbuße des Gymnasiums in Bayern, weil Parallelführungen von G 8 und G 9 auf Kosten der individuellen Lernzeit und der Flexibilisierung, also von Errungenschaften des G 8, gehen. Das kann doch nicht wirklich Ihre Absicht sein.
Eine weitere Frage kann ich auch Ihnen, Herr Kollege Aiwanger, nicht ersparen. Sie müssen sich in diesem Zusammenhang eine Frage zur Zukunft des Gymnasiums insgesamt stellen lassen: Wollen Sie etwa die Absenkung unseres hochwertigen bayerischen Gymnasiums zu einer Gemeinschaftsschule für jedermann auf niedrigerem Anspruchsniveau und mit deutlich höheren Übertrittszahlen als bisher? Ihnen ist doch sicherlich bekannt, dass dies einen massiven Aderlass bei den Realschulen und besonders bei den Mittelschulen zur Folge hätte. Dies würde unserem bewährten dualen System der beruflichen Bildung insgesamt schaden. Das kann doch nicht wirklich Ihr Ziel sein; denn das duale System, für das wir europaweit bewundert werden, darf nicht ausgehebelt werden, auch nicht durch Ihr Volksbegehren.
Wenn Sie meinen, dass wir hier in der Aktuellen Stunde nur ein Wortgeplänkel machen, dann schauen Sie doch einmal in die vielen von der SPD und von den Grünen regierten Länder, in denen man die Hauptschule systematisch zu einer Restschule gemacht, die berufliche Ausbildung abgewertet und einseitig den Weg zur wissenschaftlich orientierten Bildung über das Gymnasium durch Senkung des Niveaus bei massiver Steigerung der Übertrittsquoten versucht hat. Das können Sie doch nicht wollen.
Im Gegensatz dazu hat Bayern mit einer attraktiven Mittelschule die berufliche Bildung als echte und hoch anerkannte Bildungsmöglichkeit eröffnet. Damit wird der gesamte Bereich des Mittelstands mit den Facharbeiterinnen und Facharbeitern, den Meisterinnen und Meistern in allen Berufszweigen unterstützt. Das war bisher der richtige Weg, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Wir bekennen uns ausdrücklich zur Qualität des bayerischen gegliederten Bildungswesens. Die Umsetzung des Volksbegehrens würde diesem Weg entgegenlaufen.
Ich sage Ihnen: Bei uns gibt es keine unüberlegten Schnellschüsse. Wir sind offen für weitere Qualitätsverbesserungen am Gymnasium.
(Zuruf des Abgeordneten Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER) – Weitere Zurufe – Unruhe – Glocke des Präsidenten)
Dies setzt einen ergebnisoffenen Dialog voraus, den wir in aller Ruhe führen müssen und werden. Deshalb brauchen wir eine eingehende Prüfung vorgelegter Eckpunkte. Auf diesem Weg wünschen wir uns auch die Begleitung der Opposition, auch wenn es wehtut. Das Volksbegehren lehnen wir ab.
Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat der Kollege Martin Güll von der SPD-Fraktion das Wort. Nur ein kleiner Hinweis: Es ist nicht gestattet, dass von der Regierungsbank Gespräche mit Abgeordneten geführt werden. - Herr Kollege Güll, Sie haben das Wort.
Verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wo Sie zu dieser Morgenstunde schon die Energie hernehmen, das wundert mich richtig. Sie sind schon um 09.27 Uhr so aufgebracht. Wir schauen einmal, ob wir das vielleicht ein bisschen anders hinbekommen.
Herr Professor Dr. Waschler, wenn man nicht mehr weiterweiß, gründet man einen Arbeitskreis oder erzählt sein Wahlprogramm. Dann braucht man seine eigenen Konzepte hier nicht vorzulegen.
In der Tat: Das Konzept, auf das wir warten, fehlt. Es wäre wirklich spannend zu erfahren, ob man auch im Kultusministerium denkt oder ob man das Denken den Verbänden überlässt.
Von der CSU-Fraktion erwarte ich ja gar nicht, dass Sie denken, aber vielleicht vom Kultusministerium.
Ich darf nur daran erinnern: 2004 hat man keine pädagogische Reform gemacht. 2004 hat man eine rein fiskal-ökonomische Reform oder Umsteuerung gemacht. Deshalb – auch daran darf man erinnern – gab es 2004 niemanden in der Schulfamilie, der diese Verkürzung befürwortet hat - niemanden, keine Elternverbände, keine Eltern, keine Schüler, keine Lehrerverbände, die SPD und die anderen Oppositionsparteien logischerweise auch nicht. Der Grund ist ganz einfach: Es gab keine pädagogische Begründung dafür. Man wusste nicht, warum Stoiber das machen wollte.
In der Zeit zwischen 2004 und 2010 galt das Motto: Wenn es schon eingeführt ist, dann machen wir das Beste daraus. – Dann hat man versucht, das Ding irgendwie am Leben zu halten. Mehr war das nicht. Dann gab es noch immer kein Konzept, noch immer keine klare Ansage: Warum muss man gymnasiale Bildung in acht und nicht in neun Jahren machen?
Anschließend gab es Nachsteuerungen. Was hat uns der Herr Minister im Ausschuss dankenswerterweise nicht alles über Monitoring erzählt: nachgesteuert, 1:1-Bewertung, schriftlich. Am Schluss gipfelte das Ganze in dem Flexi-Jahr, das niemand will.
Die Antragspakete, die wir als Opposition und natürlich auch die anderen gemacht haben, wurden wohl diskutiert, aber immer abgelehnt. Der Grund war ganz einfach: Man hat nicht wirklich hingehört, was das Problem dieser Änderung war. Es ist nämlich tatsächlich eine Belastung entstanden, die man durch Ihre Reformschritte oder Ihre Umstellung nicht wirklich aufheben konnte. Die Eltern kamen nicht zur Ruhe, und auch die Schüler sowie die Lehrer kamen nicht zur Ruhe. Im Gegenteil: Die Ablehnung des G 8 wuchs.
Wir haben heute die Situation, dass 50 % der Schüler, die eigentlich fürs Gymnasium geeignet sind, auf die Realschule gehen. Das muss einem doch zu denken geben. Da müssen wir doch nachschauen. - Dann kam eine Qualitätsdebatte. Man sagte uns: Das, was hier an Abitur gemacht wird, ist nicht die Reifeprüfung; das stimmt alles nicht mehr. Bildung braucht Zeit, sagen uns alle Experten, die offensichtlich etwas davon verstehen.
Dann kam das Jahr 2012, der Vorwahlkampf, wenn Sie so wollen. Was hat Christian Ude mit seiner Aussage in Berlin gemacht? Vielleicht war das nur so dahingesagt, aber er hat folgende Situation ausgelöst: Wir müssen reagieren; wir brauchen ein Wahlrecht. Wir brauchen ein Gymnasium der zwei Geschwindigkeiten, so wie es die SPD-Fraktion gefordert hat. Was haben die FREIEN WÄHLER gemacht? Sie haben gedacht, das ist ein gutes Wahlkampfthema, da machen wir gleich ein Volksbegehren draus. – Das war auch ohne Konzept, aber der Druck im Kessel war da. Das Thema hat Fahrt aufgenommen. Wir wussten, dieses Thema kann niemand mehr einpacken. Tatsächlich ist es ja auch so.
Siehe da: Kaum ist die Wahl im Herbst 2013 vorbei – bis dahin waren auch all die Unterstützer der CSULinie, also Philologenverband, LEV, auf Linie -, packen die ihre alten Bedenken wieder aus. Philologenverband Amberg im Dezember: Wir sind fürs G 9!
Den Grund dafür müssen die Philologen selber erklären. Aber es ist wohl auch klar, dass den Philologen nicht entgangen war, dass auch ihre eigenen Mitglieder in der Schule – vielleicht nicht die Verbandsführung ganz oben – mit dem G 8 nicht mehr weitermachen wollten: Die Umstellung ist sozusagen in der Mache.
Nahezu niemand mehr in der pädagogischen Familie – vielleicht können wir die LEV ausnehmen, deren Mitglieder wohl noch nicht genau wissen, wo sie hinwollen – will am G 8 festhalten.
- Ich habe ganz bewusst gesagt: Niemand mehr in der pädagogischen Familie will daran festhalten, weil es wirklich keine pädagogischen Gründe dafür gibt, Schul- und Bildungszeit zu verkürzen. Nein, es gibt vielmehr sehr gute, nachvollziehbare Gründe, warum man Bildungsprozesse entschleunigen und nicht beschleunigen muss, warum man Zeit für Bildung geben und nicht nehmen muss. Es wurde einmal so ausgedrückt: Man kann schon Bildung reinstopfen, aber sie muss halt auch reifen können. Das ist im Moment nicht mehr der Fall.
Und nun, liebe CSU, kommt es zum Schwur. Was machen wir jetzt? Es ist verdammt hart - das weiß ich auch -, so einen Fehler einzugestehen, den Sie gar nicht einmal verantworten müssen, Sie auch nicht, Herr Ministerpräsident.
Also, es ist wirklich das Problem, dass Sie den Fehler eingestehen müssen. Das macht man in der Politik nicht. Dafür habe ich Verständnis. Aber Sie werden nicht darum herumkommen, jetzt einmal hier in diesem Hohen Haus eine klare Ansage zu machen, wie es weitergeht.
Die da oben, also diese zig Medienvertreter, werden Sie so lange fragen, wie Sie zu G 9 oder zu dieser Entwicklung stehen, Herr Ministerpräsident, bis Sie irgendwann einmal das Feld abräumen. Das ist jetzt die große Frage. Sie haben so viel Wahlkampf ge
macht. Jetzt wäre es mir fast lieber, wenn Sie, Herr Ministerpräsident, das in Ihrem eigenen Interesse vorher so regeln. Sonst müssen wir wieder die ganzen Plakatständer hinaustragen.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den FREI- EN WÄHLERN – Zuruf des Abgeordneten Tho- mas Kreuzer (CSU))
- Gemach, Herr Kreuzer. Ich habe noch ein paar Minuten Redezeit. Ich wollte es ja gerade sagen, Herr Kreuzer: Die FREIEN WÄHLER müssen natürlich auch erkennen, dass sie eigentlich ein totes Pferd reiten,
weil sie das, was sie in ihrem Gesetzentwurf schreiben, eigentlich gar nicht mehr wollen; denn sie wollen eigentlich gar kein Wahlrecht, sondern sie wollen das neunjährige Gymnasium. Das ist jetzt blöd, dass das so im Gesetzentwurf steht. Deswegen können wir da auch nicht mitmachen; denn Wahlrecht zwischen G 8 und G 9 besagt, dass in Artikel 9 – das stimmt doch, Herr Staatssekretär? – stehen müsste, dass das Gymnasium acht Jahre oder neun Jahre dauert.
- Sie warten darauf; darf ich das sagen? Wir haben im Wahlprogramm der SPD – das räume ich ein - das Gymnasium der zwei Geschwindigkeiten mit der klaren Ansage gehabt: G 8 im gebundenen Ganztag wie in Rheinland-Pfalz, die anderen im G 9.
Das ist doch eine ganz klare Ansage. Jetzt wissen wir, dass das G 8 im gebundenen Ganztag in Bayern schwer umzusetzen ist, weil es keine Infrastruktur dafür gibt, weil Sie den Ausbau der gebundenen Ganztagsklassen ablehnen. Deshalb gibt es auch für uns keinen Grund mehr, unsere ursprüngliche Einschätzung beizubehalten, neun Jahre seien die bessere Zeit, sondern es ist erneut zu prüfen, ob es zweckmäßig ist, zu einer neunjährigen Grundform zurückzukehren und das im Gesetz auch so festzuschreiben. Das muss noch durch unsere Gremien gehen, das ist ganz klar, aber diese Entwicklung zeichnet sich ab nach den vielen Gesprächen, die wir haben.