Protocol of the Session on September 18, 2018

Nein, es hat auch andere gegeben. Entschuldigung, es waren nicht nur Einzelne der EVP-Fraktion, sondern es gab auch viele andere.

Meine Damen, meine Herren, ich stelle hiermit fest: Sie haben von einem "Lackmustest" gesprochen. Ich gehe einmal darauf ein, obwohl ich meine, dass wir nicht über jedes Stöckchen springen müssen. Wir sind – ja, ich bekenne mich dazu – überzeugte Europäer. Wir schätzen das, was uns der Zusammenschluss in der Europäischen Union gebracht hat, sehr hoch ein: dieses Friedensprojekt. Die ersten Schritte wurden bereits gemacht, als sich die Systeme der unterschiedlichen Staaten noch feindselig gegenüberstanden, also sehr früh, in den Nachwirkungen des Krieges und nachdem viele Deutschstämmige auch

aus unseren Nachbarländern vertrieben wurden. Hier gibt es auf beiden Seiten immer noch offene Wunden.

Trotzdem stehen wir hier – ich bekenne mich ausdrücklich dazu – und setzen uns dafür ein, dass wir an einer gemeinsamen Zukunft mit gemeinsamen Werten arbeiten, dass wir die großen Herausforderungen, die wir zu bewältigen haben, gemeinsam bewältigen. Aber jedes Land, jede Regierung, ist zunächst den eigenen Bürgerinnen und Bürgern gegenüber verantwortlich. Wir müssen die Sorgen und Ängste der jeweiligen Bevölkerung ernst nehmen. Man darf diese nicht schüren, aber man muss sie ernst nehmen und entsprechende Lösungen erarbeiten.

Es gibt Herausforderungen – das wird auch den Ungarn klarzumachen sein, damit bin ich bei Ihnen –, die ein Land allein nicht bewältigen kann. Es gibt einige Verbesserungen, die man nur über die Staatsgrenzen hinweg realisieren kann: Die Asylpolitik ist eine Herausforderung, aber auch der Umweltschutz und die Sicherheitspolitik im Gesamten. Einer allein kann hierbei nur wenig bewirken. Gemeinsam kann man weitere Verbesserungen erzielen. Das steht fest.

Deswegen, Kolleginnen und Kollegen, ist es für uns wichtig, an einem Miteinander festzuhalten und dieses Miteinander noch mehr zu verstärken. Die EU ist doch nicht nur ein einzigartiges Friedensprojekt oder eine Wirtschaftsgemeinschaft, weil das irgendwo gesetzlich festgeschrieben ist, sie ist doch nicht nur eine Wertegemeinschaft, weil wir das hier im Parlament – im bayerischen noch dazu – einfach so mal behaupten, nein, in dieser Wertegemeinschaft müssen wir daran arbeiten, das Vertrauen untereinander zu verbessern, respektvoll miteinander umzugehen und nicht zusätzlich einen Keil hineinzutreiben.

Es ist unsere Pflicht, gegen eine Spaltung anzukämpfen. Wenn wir einzelne Staaten an den Pranger stellen, dann sei dahingestellt, ob diese sich nicht noch weiter von uns entfernen. Die Ankündigung Ungarns, Maßnahmen gegen Polen mit einem Veto zu blockieren, zeigen bereits die ersten Auswirkungen einer solchen Politik. Das betrifft die Visegrád-Staaten ganz allgemein in dieser Tendenz.

Es gab einmal einen Begriff, der hieß "Wandel durch Annäherung". Sie erinnern sich sicherlich. Er stammte von der SPD. Wer hat diese Formel als Erstes verfolgt und vorgetragen? – Einige von uns waren damals dagegen, aber – das gestehe ich gern zu – es hat sich nachträglich als richtig erwiesen. Mit Annäherung, meine ich, kommen wir auch heute weiter.

(Zuruf des Abgeordneten Florian von Brunn (SPD))

Wir kommen weiter als mit einer weiteren Spaltung. Wir wollen keinen unserer europäischen Partner an den Pranger stellen, wenn es nicht nötig ist.

(Zurufe der Abgeordneten Markus Rinderspacher (SPD), Florian von Brunn (SPD) und Katharina Schulze (GRÜNE))

Wir wollen, dass man sich gemeinsam an einen Tisch setzt und die Probleme und Herausforderungen offen anspricht und an Lösungen arbeitet. Es ist wichtig, Herr von Brunn, dass man miteinander redet und nicht übereinander.

(Beifall bei der CSU – Zuruf des Abgeordneten Florian von Brunn (SPD))

Wir appellieren ganz deutlich – auch heute noch einmal – an alle politisch Verantwortlichen in Europa – natürlich auch an Ungarn –, die Grundwerte der Achtung der Menschenwürde, der Freiheit, der Demokratie, der Gleichheit, der Rechtsstaatlichkeit und der Wahrung der Menschenrechte, auf denen das gemeinsame Europa fußt, zu respektieren. Diese Grundwerte sind nicht nur zu respektieren, sondern es ist wichtig, sich weiterhin aktiv dafür einzusetzen.

Die europäischen Mitgliedstaaten müssen zusammenstehen und gemeinsam Antworten auf diese drängenden Fragen entwickeln und Lösungen umsetzen. Wie sonst soll die EU die Menschen in Europa erreichen? Nur gemeinsam funktionierende Lösungen können die Menschen von der Europäischen Union überzeugen und europafeindlichem Populismus entgegenwirken.

Wir können auch, meine Damen, meine Herren, Egoismen nicht durch nationalen Aktionismus bekämpfen. Mögliche Verletzungen der Werte der EU können wir nicht bekämpfen, indem wir uns von den Ländern weiter entfernen. Ein Beispiel: Der Bund der Vertriebenen hat in diesem Jahr den Leitspruch "Unrechtsdekrete beseitigen – Europa zusammenführen". Wenn diejenigen, die nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben wurden und ihr Eigentum verloren haben, denen Gewalt angetan wurde, davon sprechen, dass wir Europa zusammenführen müssen, dann müssen wir uns das erst recht auf unsere Fahnen schreiben.

(Beifall bei der CSU)

Beratung und Entscheidung über das Verfahren nach Artikel 7 liegen jetzt beim Rat der Mitgliedstaaten. Es ist nun Aufgabe der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft, das Verfahren in beiden Angelegenheiten, also Polen und Ungarn, weiter zu begleiten.

(Zuruf der Abgeordneten Katharina Schulze (GRÜNE))

Ja, Sie sagen es! Ich bin froh, dass in dieser schwierigen Zeit Österreich den Ratsvorsitz hat. Sebastian Kurz mag der jüngste Regierungschef in der EU sein, doch behält er einen kühlen Kopf, und er ist ein Brückenbauer.

Wir werden den Dringlichkeitsanträgen der SPD und der GRÜNEN nicht zustimmen; denn wir wollen keine weiteren Brücken einreißen, sondern an einem besseren Miteinander arbeiten und nicht gegen, sondern mit den zuständigen Kräften in Polen und in Ungarn den Dialog führen und keine Spaltung bewirken.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön. – Bitte bleiben Sie am Rednerpult. Wir haben eine Zwischenbemerkung vom Kollegen Rosenthal.

Herr Dorow, Sie haben uns Europa vorgestellt und wärmstens empfohlen. Aber das ist nicht das Thema. Mein Fraktionsvorsitzender hat sehr deutlich herausgearbeitet, dass einer, Herr MdEP Weber, sich um das Spitzenamt in Europa bewirbt und die CSU-Abgeordneten der Fraktion dem EVP-Vorsitzenden Weber, dem Bewerber um das Spitzenamt an dieser Stelle, an einer entscheidenden Stelle in Europa nicht folgen möchte. Es ist nicht das erste Mal, dass wir das von Ihnen, der CSU, lernen. Ich erinnere an den Europa-Wahlkampf, wie die CSUFraktion auf beiden Ebenen für und wider argumentiert und strategisch lamentiert hat.

Ich frage mich: Wie möchte einer das Spitzenamt anstreben, bei dem er die Stimmen von Europa-Parlamentariern aus anderen Fraktionen benötigt, wenn er so verstörende Signale seiner eigenen Fraktionskolleginnen und -kollegen in Europa erhält? Das ist das eigentliche Thema, dass wir die Regierung Orbán, die Europa in den zentralen Fakten, in den zentralen Vertragskulturen wissentlich und willentlich beschädigt, nicht gemeinsam zur Rechenschaft ziehen können. Das ist der Kern, über den wir uns unterhalten müssen.

Es hat mich außerordentlich irritiert, dass sich Herr Weber, den ich sehr schätze, weil er ein klarer, bekennender Europäer ist, sich an dieser Stelle noch nicht einmal in seiner eigenen Fraktion hundertprozentige Zustimmung erarbeiten kann. Das ist das, worüber wir hier in diesem Landtag gemeinsam reden müssen. Wie wollen wir gemeinsam einen Wahlkampf für Europa führen – so habe ich Sie eben verstanden –

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

– wenn wir noch nicht einmal diese Signale senden?

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Rosenthal, ich akzeptiere, dass Sie Ihre Ausführungen als das Thema sehen, über das wir hier sprechen müssen. Das ist aber nicht der Gegenstand der Anträge. Gegenstand der Anträge ist, wie wir mit den Entscheidungen des Europäischen Parlaments umgehen – die nicht infrage zu stellen sind – und wie wir diese in ihrer Wirksamkeit bewerten.

Ich habe es bereits in meinem Redebeitrag gesagt: Es ist nicht ohne Grund, dass das Abstimmungsverhalten in der EVP freigegeben worden ist; und zwar nicht, weil es einen Dissens über die Werte gibt, sondern weil es einen Dissens darüber gibt, ob das eine oder das andere hilfreicher ist. Diesem Dissens in demokratischer Art und Weise nachzugehen, das ist weder irrlichternd noch verstörend, zumindest nicht nach meinem Verständnis, sondern es ist Zeichen einer demokratischen Grundhaltung. Ich bin sehr, sehr froh, dass das in der EVP-Fraktion ebenso möglich ist wie hier im Haus.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Schulze.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bayern liegt im Herzen von Europa. Ganz viele Bayerinnen und Bayern tragen Europa auch in ihrem Herzen. Warum? – Weil Europa ein großartiges Friedensprojekt ist, welches wir gerade in der heutigen Zeit hegen und pflegen müssen. Wir haben eine starke Exportindustrie, und gerade unsere bayerische Wirtschaft profitiert von einem vereinigten Europa. Vor allem aber, weil Bayern schon immer weltoffen und proeuropäisch war. Wir leben doch davon, wir sind doch davon stark geworden, dass wir schon immer Austausch hatten, dass wir miteinander gearbeitet haben, dass wir ein Einwanderungsland sind, dass wir hier in Bayern leben und leben lassen. All das hat Bayern zu einem starken Land gemacht, zu einem liebenswerten Land.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, es gibt einen schönen Spruch, der heißt: Zeig mir deine Freunde, und ich sage dir, wer du bist.

(Unruhe bei der CSU)

Angesichts dessen muss ich Ihnen zurufen: Sie haben sich Ihre Freunde nicht sonderlich gut ausgesucht. Sie treffen sich immer gerne mit Viktor Orbán, mit Sebastian Kurz oder auch mit Herrn Salvini aus Italien, dem Menschenfänger, der immer gern auf der nationalistischen Blockflöte spielt.

(Unruhe bei der CSU)

Es muss Ihnen doch klar sein, dass Sie mit solchen Treffen immer ein Zeichen setzen. Sie tun es bewusst, wenn Sie Viktor Orbán regelmäßig zu Ihren Klausuren einladen. Damit senden Sie ein Zeichen, und das wollen Sie bewusst machen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Unruhe bei der CSU)

Von einer Bayerischen Staatsregierung erwarte ich, dass sie sich mit Europafreunden und -freundinnen umgibt. Ich erwarte von einer Bayerischen Staatsregierung, dass sie die Stärkung Europaa vorantreibt, nicht die Spaltung befeuert.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Genau das machen Sie aber als CSU, wenn Ministerpräsident Markus Söder vom Ende des geordneten Multilateralismus spricht. Sie sägen an dem Europa der offenen Binnengrenzen, wenn Sie voller Stolz eine eigene Bayerische Grenzpolizei einsetzen. Sie stehen eben nicht für die europäischen Werte, wenn von Ihrer CSU-Gruppe im EU-Parlament vier von fünf Abgeordneten gegen die Einleitung des Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn stimmen. Herr Kollege Dorow, ich muss Ihnen eine Frage stellen zu dem, was Sie gerade hier gesagt haben. Sie stehen hier vorn und sprechen groß von Respekt und davon, dass wir uns jetzt Ungarn annähern müssten. Es ist aber doch genau andersherum: Ungarn hat sich vom demokratischen Wertefundament entfernt. Sie sind doch immer die Law-and-Order-Partei und sagen, der Rechtsstaat und die Gesetze, die müssen gelten. In diesem Fall aber sagen Sie: Ach nein, hier soll die EU lieber nichts machen. Reden wir lieber noch fünfmal miteinander. – Obwohl Sie das doch angeblich ständig tun. Sie scheinen es dabei aber nicht zu schaffen, Ungarn zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu bringen.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

Ich muss feststellen, das zeigt deutlich die Zerrissenheit innerhalb der CSU. Einmal blinken Sie pro Europa, dann blinken Sie wieder gegen Europa. Der eine weiß nicht mehr, was der andere tut. Dann haben wir die Situation, die wir auch heute hier haben. Sie legen einen schön klingenden Antrag vor, in dem Sie davon

reden, wie wichtig Dialog, Solidarität und ein gemeinsames Europa sind. Das zeigt Ihre gesamte Widersprüchlichkeit. Auf der einen Seite hofieren Sie die Orbáns und Co., auf der anderen Seite sagen Sie: Pro Europa ist das, was wir haben möchten. Das ist es doch, was die Menschen heutzutage nicht mehr verstehen. Sie sägen buchstäblich am Stuhlbein von Europa, im nächsten Moment aber legen Sie ein Kissen auf den Stuhl und sagen: Eigentlich finden wir es doch ganz toll. Ich kann Ihnen nur sagen, in der heutigen Zeit brauchen wir eine klare Haltung in der Politik. Vor allem brauchen wir eine klare proeuropäische Haltung.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

Im Jahr 2018 müssten doch alle Europäerinnen und Europäer endlich verstanden haben, dass wir die großen Herausforderungen der heutigen Zeit, von der Bekämpfung der Klimakrise über den internationalen Terrorismus bis zu den Herausforderungen in der Frage, wie wir mit Migration und Integration umgehen, nur gemeinsam lösen können.

Ich bin jetzt 33 Jahre alt. Ich kenne Europa nur als Friedensprojekt. Ich kenne das vereinigte Europa nur so, dass ich in andere Länder fahren kann, dort leben, dort arbeiten oder auch eine Ausbildung machen könnte. Ich kann dort studieren, in Urlaub fahren, und das alles ohne Grenzkontrollen und Schlagbäume. Ich glaube, mir geht es so wie ganz vielen anderen Menschen in unserem Land. Sie alle machen sich große Sorgen. Sie machen sich Sorgen darüber, dass diese Errungenschaft, dass dieses Geschenk, das wir von unseren Eltern und Großeltern nach dem schrecklichen Zweiten Weltkrieg bekommen haben, gerade kaputtgemacht wird, und zwar von Menschen außerhalb, aber auch innerhalb Deutschlands. Das ist aber grob fahrlässig!

(Beifall bei den GRÜNEN)