Protocol of the Session on July 12, 2018

Wer einen anderen Menschen rettet, der oder die ist immer ein Held oder eine Heldin, egal, wo die Rettung stattfindet.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abgeordneten Isabell Zacharias (SPD))

Ich ertrage auch die mangelnde Bereitschaft der Großen Koalition auf Bundesebene nur schwer. Sie sorgt nämlich auf europäischer Ebene nicht für die Seenotrettung und die Aufnahme von Geflüchteten und setzt sich dafür nicht massiv und stärker ein. Ich persönlich, nicht nur ich als GRÜNEN-Abgeordnete, sondern ich als Mensch und als Bürgerin dieses Landes, erwarte, dass die Regierung sichere Fluchtwege im Rahmen des Resettlement-Programms des UNHCR schafft. Ich erwarte eine konsequente Fluchtursachenbekämpfung. Ich erwarte ein europäisch organisiertes und ausreichend ausgestattetes Seenotrettungsprogramm unter Beteiligung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Und ich erwarte nicht nur als GRÜNEN-Politikerin, sondern als Bürgerin und als Mensch, dass den vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern gedankt wird und sie nicht bei ihrer Arbeit behindert werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abgeordneten Isabell Zacharias (SPD))

Ich finde das, ehrlich gesagt, überhaupt nicht zu viel verlangt. Es erschüttert mich eher, dass wir im Jahre 2018 diese Selbstverständlichkeiten so offensiv erwähnen müssen. Und bei diesem Thema geht es nicht nur mir so; unzähligen Menschen in diesem Land kann es nicht passen, wie die Große Koalition gerade agiert.

Wissen Sie, was der Hoffnungsschimmer ist? – Der Hoffnungsschimmer ist, dass dann, wenn die Regierungsparteien nicht handeln, die Bürgerinnen und Bürger es eben selbst machen. Sie haben es wahrscheinlich mitbekommen: Über 400.000 Euro wurden von zwei Prominenten in ganz kurzer Zeit an Spenden gesammelt. Unzählige Menschen packen auf den verschiedenen Seenotrettungsschiffen im Mittelmeer selbst mit an. Das, Kolleginnen und Kollegen, macht mir Hoffnung, das gibt mir Mut, und dafür sage ich im Namen der GRÜNEN-Fraktion heute und hier herzlich Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn jetzt irgendjemand meint, er oder sie müsse weiter die Fratze der Inhumanität zeigen, dann kann ich ihm oder ihr nur zurufen: Es wird weiter ganz viele tapfere, mutige Menschen in unserem Land geben, die sich klar zu Menschlichkeit und Humanität bekennen. Wir, Kolleginnen und Kollegen, schauen nicht weg, wenn Baschar, Leila und all die anderen sich in wackelige Boote setzen müssen, weil sie in ihrer Heimat momentan keine Zukunft mehr haben. Und wir werden Sie auch immer weiter daran erinnern, dass

Sie als Regierung mitverantwortlich sind, wenn Ertrinkenden der Rettungsring verweigert wird.

(Anhaltender Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Gottstein.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! "Seenotrettung": Wenn mir – und ich denke, da bin ich nicht alleine – vor zehn Jahren jemand diesen Begriff genannt hätte und gesagt hätte, dass das ein Thema in den Medien wird, ein Thema in Reportagen, ein Thema in der Politik, ein Thema im Bayerischen Landtag und natürlich vor allem ein Thema in der Wirklichkeit, dann hätte ich mir das nicht vorstellen können.

Ich zitiere einen aktuellen Kommentar aus einer bayerischen Zeitung:

Wir können uns nicht auf Menschrechte, Aufklärung und Humanismus berufen und gleichzeitig die Rettung Ertrinkender kriminalisieren.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Ich zitiere weiter:

Es geht nicht um unterschiedliche Auffassungen, wie man mit Migranten- und Flüchtlingsbewegungen umgehen soll. Es geht nicht darum, dass man "nicht alle aufnehmen" kann. Es geht schlicht um ein Mindestmaß an Zivilisiertheit: Wer gerade dabei ist, zu ertrinken, der ist weder Flüchtling noch Migrant, der ist weder Afrikaner noch Europäer, weder Muslim noch Christ, der ist ein Mensch, der gerade dabei ist, zu ertrinken, und man muss alles unternehmen, um ihn zu retten.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

So stand es in der "Süddeutschen Zeitung vom 5. Juli 2018. Das ist natürlich richtig, und das entspricht auch völlig dem Artikel 98 des Seerechtsübereinkommens. Aber in diesem Seerecht ist natürlich auch reguliert, wie man bei der Seenotrettung letztendlich mit Gesetzen umzugehen hat und dass auch hier ein geordnetes Verfahren nötig ist. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns heute dieses Themas annehmen. Es zeigt sich auch, denke ich, dass dieses Thema jeder Fraktion hier im Haus wichtig ist, weil jede Fraktion zu diesem Thema einen Antrag vorgelegt hat. Ausgangspunkt ist der Dringlichkeitsantrag der GRÜNEN, zu dem gerade Kollegin Katharina Schulze gesprochen hat. Er ist recht einfach, griffig

formuliert; den Seenotretterinnen und Seenotrettern wird gedankt. Diesem Dank schließen wir uns als FREIE WÄHLER natürlich an.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN)

Es gibt nun drei nachgezogene Anträge. Ich meine, es ist positiv in diesem Haus, wenn man seine Nuancen, seine Schwerpunkte zu einem Thema, das eine Fraktion über ihren Antrag vorgibt, auszudrücken versucht.

Die SPD formuliert: "Seenotrettung verstärken, Seenotretter unterstützen und auszeichnen!" Das ist zu unterstützen. Ich sage aber auch gleich: Wir FREIE WÄHLER werden uns wegen des vierten Spiegelstrichs enthalten. Darin werden Äußerungen des Bundesministers des Innern, für Bau und Heimat verurteilt, gegebenenfalls den Kapitän und die Besatzung des Rettungsschiffes "Lifeline" wegen Verstoßes gegen das Seerecht strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen usw. usf. Es läuft ein rechtsstaatliches Ermittlungsverfahren. Der Kapitän ist gegen Kaution freigelassen worden. Wir haben nicht die Informationen, die es zulassen würden, uns hier ein Urteil zu bilden. Deshalb enthalten wir uns.

Zum Dringlichkeitsantrag der CSU "Humanität und Ordnung – Schlüssel einer verantwortungsvollen Migrationspolitik": Wir kritisieren an diesem Antrag, dass letztendlich die Ursachen, zumindest in der Formulierung zur Notwendigkeit der Seenotrettung, in erster Linie bei den Schleppern verortet werden, dass die EU-Außenpolitik aber nicht genannt wird. Wir stimmen dem Antrag trotzdem zu. Er ist in der Grundhaltung natürlich auch in unserem Sinne.

Nun zu unserem eigenen Dringlichkeitsantrag, dem Antrag der FREIEN WÄHLER: Wir fordern ein "Geordnetes Rettungswesen auf dem Mittelmeer – Seenotretter nicht für Handlungsunfähigkeit der EU-Mitgliedstaaten verantwortlich machen!". Wir sind in unseren Forderungen sehr konkret. Wir machen die Beschlüsse des jüngsten EU-Gipfels vom 28. Juni 2018 zum Gegenstand und wollen mit unserem Antrag deutlich machen, dass diese Beschlüsse in den kommenden zwei Monaten, also bis zum Oktober, mit Inhalten gefüllt werden müssen.

Ich möchte betonen: Alle Anträge, zumindest die drei nachgezogenen, die nicht nur den Dank an die Retter zum Ausdruck bringen, wobei "nur" nicht verkleinernd gemeint ist, zeigen ganz deutlich: Die Themen, die wir in diesem Zusammenhang behandeln müssen, sind die Schleuserproblematik, die Fluchtursachenbekämpfung, die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern, der Schutz der EU-Außengrenzen und die soli

darische Umverteilung der Flüchtlinge auf die EUMitgliedstaaten. Ich meine, bei diesem Thema sieht man, dass das hier von niemandem bezweifelt wird. Alle EU-Mitgliedstaaten sind verpflichtet, an der Seenotrettung mitzuwirken und zu kooperieren. Sie sind zudem dazu verpflichtet, alles zu verhindern, was wiederum die Seenotrettung behindern könnte. Ich glaube, wir müssen hier mit Augenmaß vorgehen. Natürlich ist es eine Frage der Ethik, der Humanität; aber natürlich sind wir auch politisch gefordert, und mit unserem Dringlichkeitsantrag wollen wir dies angehen. Wir bitten deswegen um Zustimmung.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön. – Bevor ich dem Kollegen Rosenthal das Wort erteile, möchte ich Ihnen mitteilen, dass die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu ihrem Dringlichkeitsantrag ebenfalls namentliche Abstimmung beantragt hat. – Bitte, Herr Kollege Rosenthal.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieses Thema ist ein ernstes, ein wichtiges, ein zentrales Thema. Deshalb begrüße ich es außerordentlich, auch im Namen meiner Fraktion, dass wir dieses Thema hier im Hohen Haus, im Bayerischen Landtag, besprechen.

Die Rettung von in Seenot geratenen Menschen ist ein zutiefst humanitärer Akt. Ich verweise auf zwei Daten, die uns innehalten lassen sollten in diesem Streit: einmal auf die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, auf die wir uns im Europarat verständigt haben, in Kraft getreten 1953, die Verpflichtung zu Humanität, zur Achtung der Menschenrechte, und zwar als individuelles Menschenrecht. Was sich rund um die "Lifeline" im Bundestag und vor allen Dingen ausgehend vom Bundesinnenminister Seehofer abgespielt hat, ist nach meinem Verständnis und dem Verständnis der Fraktion nicht das, was wir als humanitären Akt, als würdiges Behandeln von Menschen betrachten, die ihr Leben eingesetzt haben, um andere Menschen zu retten. "Lifeline" steht für Humanität. Bei der Indienststellung des Schiffes unter neuem Namen wurde möglicherweise – das wissen wir bis zum heutigen Tag nicht – gegen niederländisches Recht verstoßen. Das mag sein.

(Christine Kamm (GRÜNE): Nein!)

Aber was sich rund um diese Geschichte dort abgespielt hat, ist zutiefst unwürdig und beschämend,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

weil man die Menschen, die aus humanitären Gründen ihr Leben einsetzen, um andere Menschen zu retten, im Prinzip nun einem Shitstorm von Rechtspopulisten aussetzt.

Ich erinnere an ein zweites Datum, das vielleicht in einem sehr engen Zusammenhang steht und uns innehalten lassen sollte: Évian 1938. Es war ein Versuch der Staaten Europas und der internationalen Weltgemeinschaft zu dem Problem der rapide ansteigenden Flüchtlingszahlen von Juden aus Deutschland und Österreich; das ist erst 80 Jahre her. 32 Nationen trafen sich und 24 Hilfsorganisationen. Das Ergebnis war eine moralische Katastrophe. Die rapide ansteigenden Flüchtlingszahlen aus Österreich und Deutschland fanden kein Gehör. Es ist ein moralisches Versagen der westlichen Demokratien gewesen. Die jüdischen Bürgerinnen und Bürger Deutschlands und Österreichs wurden auf der Konferenz als Problem gesehen und nicht als Menschen in Not. Der Aufnahmebereitschaft der meisten Länder waren enge Grenzen gesetzt – oder sollte man sagen: engherzige Grenzen? – Die These war: Wir sind grundsätzlich kein Einwanderungsland. Andere wiesen darauf hin, dass sie lediglich als Transitland für die Geflüchteten zur Verfügung stehen. – Sehen Sie Parallelen zu dem Europa, zu dem wir heute eigentlich stehen sollten, zu einem Europa, das die humanitären Katastrophen, auch Afrikas, als einen Teil der europäischen Aufgabe und Lösung sehen muss?

(Beifall bei der SPD)

Die Situation im Mittelmeer sollte für uns Politiker selbstverständlich Anlass für eine humanitäre Selbstverpflichtung sein, wie sie auch rechtlich in den Richtlinien und Gesetzen, in unserem Strafgesetz, aber auch in den Seerechtskonventionen, niedergelegt ist. Jedes Schiff, das Schiffbrüchige sichtet, ist verpflichtet, zu retten und zu helfen. Ich verweise ausdrücklich auf das Protokoll, das der "SPIEGEL" am 11.07.2018 veröffentlicht hat. Darin berichtet der Kapitän über die Irrfahrt des Rettungsschiffes "Lifeline". Ich verweise darauf, dass es inzwischen organisierte Kriminalität im Mittelmeer gibt. Banden bringen die in Seenot geratenen Flüchtlinge auf und verkaufen sie für 100 Dollar pro Kopf. Menschenhandel im Mittelmeer, im europäischen Meer, und wir schauen weg! Ich verweise darauf, dass Afrika vor unserer Haustüre liegt, dass sich dort jeden Tag eine menschliche Katastrophe ereignet. Ich verweise darauf, dass wir als Europäer eine moralische, eine humanitäre und auch eine wirtschaftliche Verantwortung für diesen Kontinent haben.

(Beifall bei der SPD)

Viele dieser Grenzen sind mit dem Lineal von europäischen Staaten gezeichnet worden. Ein Teil der Korruption in diesen Ländern findet in Europa Verstärkung, weil wir wegschauen oder weil wir es zulassen, dass diese Korruption durch unsere Vertragskultur nicht unterbunden wird, weil nicht geholfen wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa kann nur zu einer Einheit zusammenwachsen, wenn die Staaten Europas sich zusammenfinden. Nationale Lösungen sind zum Scheitern verurteilt, und zwar an dieser Stelle ebenso wie an jeder anderen Stelle. Deshalb muss von uns ein klares Bekenntnis zum Multilateralismus ausgehen. Jede nationale Lösung führt zu stärkerem Unglück für Menschen. Sie stärkt auch die Rechtspopulisten. Vielleicht haben Sie, wie ich auch, heute die neuesten Umfragen gelesen. Parolen, Rhetorik – das Den- Rechtspopulisten-Nachlaufen hat Methode. Die Agenda kann nur sein: Europa ist die Lösung.

(Beifall bei der SPD)

Auch ich weiß, das ist nicht einfach. Ich weiß, darum müssen wir kämpfen. Wir sollten es aber mit aufrechtem Gang tun und mit einer Vision, dass dieses Europa ein Europa der humanitären Antworten ist in einer Welt, die zunehmend inhumaner wird. Wir lassen es zu, und durch dieses Zulassen machen wir uns mitschuldig. Durch dieses Weggucken machen wir uns mitschuldig. Unser Antrag hat deshalb zum Ziel, die Seenotrettung zu verstärken, die Seenotretter zu unterstützen. Es kann doch nicht wahr sein, dass wir jeden Tag Hunderte, vielleicht sogar Tausende von Leichen an den Stränden des Mittelmeeres ertragen. Das soll unsere Antwort sein auf die Katastrophen, die sich im Nahen Osten und auf dem afrikanischen Kontinent abspielen? – Nein! Wir sollten innehalten. Wir sollten verstehen: Mit diesem Streit der demokratischen Parteien an dieser Stelle verstärken wir die rechtspopulistischen Bewegungen in Europa und auf der Welt.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie sich die Zwischenbemerkungen der Abgeordneten der AfD im Deutschen Bundestag anschauen, dann wird Ihnen schlecht. Darauf brauchen wir eine demokratische Antwort. Wir brauchen eine Antwort für Europa, und dieser Strom, diese Energie muss von einem Deutschland ausgehen, das Verantwortung für den europäischen Einigungsprozess übernommen hat. Deutschland muss ihn an dieser Stelle erneuern. Wir müssen dafür unsere ganze wirtschaftliche und politische Kraft einsetzen.

Zu den Anträgen. Wir werden den Antrag der GRÜNEN unterstützen. Wir werden auch den Antrag der FREIEN WÄHLER unterstützen, auch wenn Sie sich

bei unserem Antrag enthalten. Wir werden den Antrag der CSU nicht unterstützen, weil er an der Sache vorbeigeht und das Thema nicht so aufgreift, wie wir uns das als gemeinsame europäische Antwort, als gemeinsame Antwort aller demokratisch verantwortlichen Parteien gewünscht hätten.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und den GRÜ- NEN)

Danke schön. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Guttenberger.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bayern ist das Land des gelebten Ehrenamtes. Nirgends setzen sich so viele Menschen ein, um für andere eine Hilfe zu sein. Das hat sich nicht zuletzt bei der Flüchtlingskrise gezeigt. Viele Menschen aus Bayern haben sich aufgemacht, um den Menschen zu helfen. Dafür vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CSU)