Nehmen wir einmal ein Beispiel: Eine Familie mit drei Kindern und Eltern, die in Deutschland arbeiten oder sich hier aufhalten, erhält 588 Euro an Kindergeldzahlungen. Wenn die Kinder im Ausland leben, erhält die Familie ebenfalls 588 Euro an Kindergeld. Das monatliche Durchschnittsgehalt in Rumänien belief sich aber im Jahr 2015 auf 1.859 Leu oder umgerechnet 418 Euro. Das bedeutet, dass das Kindergeld bei einer fünfköpfigen Familie das Durchschnittseinkom
men in Rumänien erheblich übersteigt. Das bedeutet auch, dass eine Familie, die in Deutschland lebt, vergleichsweise nur in geringerem Maße entlastet wird. Wenn Europa seine Akzeptanz steigern will, muss es genau solche Ungerechtigkeiten ändern.
Den Menschen ist es doch nicht vermittelbar, dass Menschen in einem Land mit niedrigeren Lebenshaltungskosten ein gleich hohes Kindergeld ausgezahlt bekommen wie Eltern in Deutschland. Die Konsumausgaben je Haushalt in Deutschland betrugen im Jahr 2016 2.480 Euro im Monat. In Rumänien waren es im gesamten Jahr 2015 insgesamt 4.597 Euro, also umgerechnet 383 Euro im Monat. In Rumänien lebende Kinder werden mit den Kindergeldzahlungen aus Deutschland also deutlich besser gestellt als Kinder, die in Deutschland leben.
Das dürfen wir nicht länger so praktizieren, weil dafür jegliches Verständnis fehlt. Bisher hat sich der EuGH noch nicht mit dieser Frage befasst, und die Europäische Kommission lehnt eine Anpassung des Kindergeldes an die jeweiligen Lebenshaltungskosten am Wohnsitz des Kindes ab. Wir denken aber, dass die Verordnung 883/2004 eine Indexierung durchaus zulässt; denn dort ist vorgesehen, dass die Familienleistungen an das im Ausland lebende Kind so gewährt werden, als würde es in Deutschland leben. Nach Einschätzung von Juristen ist das "als ob" jedoch nicht rein formal, sondern materiell, also auch wertmäßig zu verstehen. Diese Auffassung teilt auch Prof. Dr. Obwexer, Mitglied des Team Europe der Europäischen Kommission.
Daher hat der Freistaat Bayern im Bundesrat ganz aktuell eine Initiative für diese Indexierung gestartet und einen Gesetzentwurf vorgelegt. In Österreich ist eine entsprechende Regelung bereits auf den Weg gebracht worden; denn dort gibt es mit der sogenannten Familienbeihilfe eine ähnliche soziale Unterstützungsleistung für Familien. Die Indexierung soll noch in diesem Jahr kommen.
In diesem Zusammenhang ist es allerdings auch notwendig, in den Regelungen des EU-Rechts klarzustellen, dass die Mitgliedstaaten eine Indexierung exportierbarer sozialer Leistungen vorsehen können. Eine entsprechende Initiative hat sich übrigens bereits in der Vereinbarung mit Großbritannien im Vorfeld des dann leider erfolgten Brexit gefunden. Das brauchen wir jetzt auch im EU-Recht.
Wer Europa mit seinen unschätzbaren Werten wie Frieden und Freiheit erhalten und in eine gute Zukunft führen will, muss Europa den Menschen verständlich machen. Ungleichbehandlungen, wie die hohen Kindergeldzahlungen ins Ausland, sind den Menschen
dabei nicht zu vermitteln. Leider entwickeln die Menschen auch aufgrund solcher Ungereimtheiten eine zunehmende Skepsis gegenüber Europa. Das kann niemand wollen.
Wir wollen ein Europa, in dem Schluss ist mit solchen Absurditäten. Wir wollen ein Europa, in dem es gerecht zugeht. Wir wollen ein Europa, das die Menschen verstehen, weil nur dann Europa auch Zukunft hat. Ich bitte daher um Zustimmung zu unserem Antrag.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Jetzt spricht Herr Kollege Aiwanger für die Fraktion der FREIEN WÄHLER. Bitte schön, Herr Kollege.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Ende der heutigen Parlamentsdebatte kommt noch einmal ein Thema der EU-Politik, auf das wir ganz nüchtern schauen sollten und bei dem wir zu der Erkenntnis kommen müssen, dass wir darüber nachdenken müssen, wenn sich die Kindergeldzahlungen innerhalb weniger Jahre, zwischen 2010 und 2017, von 35 Millionen auf 340 Millionen Euro fast verzehnfacht haben. Wir stellen fest, dass das in Ländern wie dem Kosovo und dergleichen wirklich zweite Löhne sind, die teilweise noch über einen Arbeitslohn hinausgehen. Hier ist also Handlungsbedarf gegeben.
Die große Wirtschaft hat vermutlich durchaus Interesse an dieser Regelung, mit der man auf der einen Seite billige Arbeitskräfte hat, die auf der anderen Seite aus der sozialen Kasse über das Kindergeld den doppelten und den dreifachen Lohn bekommen. Ich glaube, dass die große Wirtschaft gar kein Interesse an einer Änderung dieser Regelung hat. Diese Änderung wäre aber dringend nötig.
Ich sehe einen gewissen Paragrafendschungel, bei dem man sich gar nicht einig ist, ob es ohne die EU geht, ob Deutschland das überhaupt tun kann. Ich würde es mir wünschen und appelliere an Sie, dies zu prüfen und auf den Weg zu bringen. Wir stellen immer mehr fest, dass der ursprüngliche Gedanke des Kindergeldes durch diese Praxis der Kindergeldzahlungen immer mehr ad absurdum geführt wird. Es werden nicht mehr in erster Linie die Eltern entlastet, sondern es werden Transferleistungen bezahlt.
Wer in Deutschland lebt und die Debatte verfolgt, die wir in Bayern in den letzten Jahren geführt haben und immer wieder führen, dass man mit höheren Familienleistungen in Bargeld quasi die Entscheidungsfreiheit
der Eltern befördern könnte, welche Kinderbetreuungsplätze sie annehmen oder ob sie das Geld selber behalten wollen und sich selber um die Kinder kümmern oder das Geld verwenden, um damit Kinderbetreuungsplätze zu bezahlen, der kommt immer mehr zu folgender Erkenntnis: Durch solche Maßnahmen, bei denen wir in Deutschland nicht mehr bestimmen können, wohin Gelder überwiesen werden müssen, steigt der Druck, zu sagen: Wir müssen mehr in die Strukturen investieren und weniger in die direkten Familientransfergelder. Das kann am Ende dazu führen, dass wir in Bayern Kindergarten und Kinderkrippe am Ende lieber kostenfrei anbieten, dafür aber nicht mehr so sehr an der Kindergeldschraube drehen. Das ist für die einen Eltern sowieso nur ein Durchlaufposten und reicht nicht aus, während es für andere Eltern ein doppeltes Einkommen darstellt. Das kommt bei vielen Steuergeldzahlern in Deutschland nicht so gut an, nach dem Motto: Ich bin benachteiligt, bei mir ist der Euro nur die Hälfte wert – anders, als wenn ich in Polen, im Kosovo oder sonst wo leben würde.
Deshalb haben sich die FREIEN WÄHLER dazu entschlossen, einen Antrag zu stellen, damit diese Praxis geprüft und nach Möglichkeit korrigiert wird. Das ist der Inhalt unseres Antrags. Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Rosenthal. Bitte schön, Herr Kollege.
Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Erneut wird das Thema Europa aufgerufen, erneut geht es nicht um ein Weiterbauen am gemeinsamen Haus Europa, ein Zusammenführen von Arbeitnehmerrechten, ein Zusammenführen von Kohäsionspolitik, also darum, die Ungleichgewichte, die wir im gemeinsamen Haus Europa haben, zu beseitigen.
Lohn- und Sozialstandards – wie soll es damit in Europa weitergehen? Stattdessen wird ein Thema identifiziert, mit dem man populistische Politik machen kann, tauglich auf Landesebene. Es wird eine Sprachregelung gefunden unter dem Stichwort "Gerechtigkeit". Wir haben unter dem Stichwort "Gerechtigkeit" Debatten geführt, in denen ging es um Subunternehmer, es ging um gleichberechtigte Arbeit. Wir haben im Europaausschuss über Entsenderichtlinien diskutiert. Wir haben auch über den Mindestlohn debattiert. Bei diesen Debatten haben wir über Gerechtigkeit geredet.
Wir haben mit Ihnen, werte Kolleginnen und Kollegen von der CSU-Fraktion, heftig gestritten. Zehn Jahre haben wir benötigt, um Mindestlohnstandards festzu
setzen. Sie haben immer wieder Gegenargumente gebracht. Bei der Indexierung lösen Sie jetzt etwas aus der Gesamtdebatte heraus. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch Leistungsbezug Kindergeld kommen, zahlen in Deutschland Steuern. Die gestiegenen Zahlen zeigen auch, dass immer mehr europäische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland Steuern zahlen, weil sie in Deutschland arbeiten.
Ohne Not greifen Sie jetzt Familien an und nennen exemplarisch Rumänien. Werte Präsidentin, eigentlich müssten wir an dieser Stelle gemeinsam aufschreien. 75 % der Kindergeldbezüge fließen in die Republik Polen. Als Anhängsel findet sich in Ihrem Antrag: Wir reden über ganz kleine Zahlen. – Wir reden aber über Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in Deutschland einen Arbeitsvertrag haben, die in Deutschland Steuern zahlen, die in Deutschland einen berechtigten Anspruch haben, der durch europäisches Recht gesichert ist.
Wir reden aber auch über Grenzbewohner. Was ist denn mit Siemens in Görlitz und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die zehn Kilometer entfernt auf polnischem Staatsgebiet wohnen? Was ist denn mit den Niederlanden? Die Grenzbewohner im nordrhein-westfälischen Bereich pendeln zu Tausenden täglich über die Nationalgrenzen.
Welches Thema zetteln Sie hier überhaupt an? Indexierung – das bedeutet nicht, dass der Vorgang nur ein einziges Mal stattfindet. Das würde ein permanenter Kaufkraftvergleich werden. Sie sind diejenigen, die immer gegen überbordende Verwaltungsauflagen sind. Sie sind diejenigen, die einfache Lösungen wollen. Sie führen an, dass das gemeinsame Haus Europa weiterentwickelt werden soll, treten aber populistische und nationalistische Themen los, um zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, zwischen Familien in Europa einen Keil zu treiben.
Sie werden sich sicherlich nicht wundern, dass wir diesen Weg nicht mit Ihnen gemeinsam gehen wollen. Es geht um Menschen, die arbeiten, die dieselben Beiträge zahlen. Es geht um die EU als gemeinsames Haus. Da ist die Niederlassungsfreiheit ein mühsam erkämpftes Recht. Wollen wir den Familien vorschreiben, wo sie wohnen? Wollen wir diesen Index auch in Deutschland einführen? Dann könnten wir weitere Indexierungen vornehmen: im Bundesland Bayern, in den anderen Bundesländern, und, und, und.
Wir können noch viele Keile reintreiben. Herr Aiwanger, das hat mit Gerechtigkeit, wie Sie sie im Antrag formulieren, überhaupt nichts zu tun.
Wenn Sie mal beim Vergabegesetz und den Sub-Subunternehmern an unserer Seite stehen würden, dann könnten wir vielleicht über gemeinsame Entwicklungen im europäischen Rahmen reden. Zu Recht ist die EU-Kommission dagegen. Zu Recht hat der ehemalige Finanzminister Schäuble gesagt: Das hat vor den EU-Gerichten keinen Bestand. Zu Recht halten wir dagegen.
Ein Prüfauftrag der SPD-Bundestagsfraktion, wie Sie ihn anführen, geht, wenn Sie ihn genau lesen, in die Richtung, eine gemeinsame europäische Lösung zu finden und keine nationale, egoistische Lösung, um die Stammtischhoheit weiterhin zu verteidigen. Das ist purer Populismus. Wir folgen daher keinem der Anträge, die gerade hier vorgetragen worden sind. – Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Kollegin Kamm, bitte. Bitte schön, Frau Kollegin.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Was ist los? Wie ist die Situation in Bayern? – In Bayern gibt es immer längere Wartefristen, bis Arbeitsplätze wiederbesetzt werden können; mittlerweile betragen sie zehn Monate. Das berichtet der Chef der Arbeitsagentur Nürnberg.
Im letzten Jahr hat die Zahl der besetzten Arbeitsplätze um 150.000 zugenommen. Über die Hälfte davon waren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Ausland, zu einem etwas größeren Teil aus der EU. Wenn wir diese Arbeitskräfte nicht hätten, fehlte uns einiges. Wir brauchen sie, um unsere Aufgaben im Gemeinbedarf zu erfüllen.
Wenn beispielsweise ein städtisches Verkehrsunternehmen oder ein privates Busunternehmen Arbeitskräfte sucht und sie in Polen oder in Rumänien oder in Bulgarien findet, dann findet der Betreffende sicherlich nicht sofort eine schöne Wohnung in Deutschland, wo er mit seiner Familie und seinen Kindern Platz hat. Er wird in der Regel relativ sparsam und knapp untergebracht sein, bis er seine Probezeit hinter sich hat, bis er sich hier so weit etabliert hat, dass er eine Wohnung finden kann. Er kann also nicht sofort mit seinen Kindern hierherkommen, und zwar aus ganz praktischen Gründen, obwohl es natürlich wünschenswert wäre, dass Eltern und Kinder zusammenleben. So viel zunächst dazu.
Die Gruppe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Kindern, die derzeit nicht bei ihnen wohnen – aus unterschiedlichen lebenspraktischen Gründen –, haben Sie jetzt als neue Feindgruppe auserkoren. Ich finde das schäbig und ekelhaft. Das Kindergeld für im Ausland lebende Kinder zu kürzen, ist Teil einer europafeindlichen populistischen Kampagne, die sich gegen Arbeitsmigranten aus anderen EU-Ländern richtet. Das fußt in einer Großen Anfrage der AfDBundestagsfraktion. Dort wurde das losgetreten.
Insgesamt fließen 0,5 % der jährlichen Kindergeldleistungen, die Deutschland zahlt, ins Ausland. Die Eltern können auch deutsche Arbeitnehmer sein, die ihre Kinder mit ins Ausland nehmen.
Dieses Projekt der Indexierung der Kindergeldleistung im Ausland, das Sie vorschlagen, würde zu einem erheblichen bürokratischen Aufwand führen, vor allen Dingen, wenn es darum geht, wie man die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten der verschiedenen europäischen Länder indexieren oder berechnen will. Was passiert, wenn Kinder später nachkommen? Die Menschen, die hier arbeiten, zahlen Steuern, und sie zahlen Beiträge in unser Sozialversicherungssystem. Sie haben verdammt noch einmal verdient, nicht ausgegrenzt zu werden, wenn es um soziale Leistungen geht.
Ansonsten warte ich auf Ihre Initiativen zur Kürzung anderer Sozialbezüge von im Ausland lebenden Menschen, wie beispielsweise die der Rentnerinnen und Rentner. Da kommen Sie nicht auf die Idee, Bezüge zu kürzen. Ich bitte Sie daher: Bitte unterlassen Sie einfach diese populistischen Vorstöße.
Wir stellen fest: Die geplante Indexierung des Kindergeldes verstößt gegen geltendes EU-Recht – die Bundesregierung hat deswegen auch einen entsprechenden Antrag wieder zurückgezogen –, und entsprechende Vorstöße werden von der EU-Kommission und vom Europäischen Gerichtshof abgelehnt.
Es gibt weder eine politische noch eine juristische Chance auf Umsetzung dieser Forderung, die sie aufgestellt haben. Sie wollen hier lediglich so tun, als bekäme hier jemand etwas, was jemand anderem nicht zusteht. Wir haben aber auch kein unterschiedliches Steuerrecht für aus dem Ausland kommende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer; darüber könnte Ihrer Argumentation nach ebenfalls nachgedacht werden. Das wäre eine neue Idee, die genau in dieselbe Ecke passen würde wie Ihre Indexierung des Kindergelds.
Ich finde, man muss das im Gesamtkontext sehen und kann nicht einfach irgendetwas herauspicken und sagen: Da schrauben wir mal dran und schaffen es, bestimmte Leistungen für Menschen zu kürzen, die es nicht verdient haben, dass man ihnen letztendlich Geld abzieht.
Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit kommen wir zur Abstimmung; dazu werden die Anträge wieder getrennt.
Der federführende Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie regionale Beziehungen empfiehlt beim Antrag der CSU-Fraktion Zustimmung.