Protocol of the Session on January 30, 2018

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Herr Kollege, nur 36 % der Alleinerziehenden sind in Bayern von der Armut bedroht – wie zynisch!

(Thomas Huber (CSU): "Nur" habe ich nicht gesagt!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hören Sie doch bitte endlich mal damit auf, das Leben der Alleinerziehenden in Bayern permanent als annähernd paradiesischen Zustand zu beschreiben!

(Beifall bei der SPD)

Sie dürften diese ewige Leier von Ihnen, dieses ewige Nach-vorne-Kehren, was denn schon alles gemacht wird, doch langsam selbst nicht mehr hören können! Sie blockieren seit Jahren hier im Hohen Haus jegliche Initiative anderer Parteien, lehnen durch die Bank alles ab, und jetzt im Wahljahr 2018 kündigen Sie im Wahlkampf an, was Sie seit Jahren ablehnen.

(Beifall bei der SPD)

Ich als Sozialpolitikerin der SPD-Fraktion möchte hier wirklich mal infrage stellen, ob das noch glaubwürdig ist.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie mit genau so viel Elan und Eifer endlich Maßnahmen in die Wege leiten würden, anstatt nur zu reden, dann wäre seit Jahren einiges gewonnen. Ja, es gibt die Mütter und Väter, die den Alltag auch als Alleinerziehende annähernd gut bestreiten, aber nur durch Unterstützungssysteme privater Art: durch die Nachbarin, durch die Großeltern, die vielleicht in der Nähe wohnen und zum Babysitten kommen, oder durch hart Erspartes, um finanziell irgendwie über die Runden zu kommen. Dann gibt es aber auch diejenigen, bei denen es nicht gut läuft. Diese werden von der bayerischen Politik viel zu wenig berücksichtigt. Dabei wird die Gruppe der Alleinerziehenden insgesamt größer und größer. Vor allem immer mehr Mütter, aber auch Väter ziehen ihre Kinder ohne Partner groß. 2016 lebten 21 % der Familien in Bayern mit einem alleinerziehenden Elternteil. Das sind annähernd 400.000 Personen mit insgesamt fast 550.000 Kindern, also jede fünfte Familie. Alleinerziehende sind die Familienform, die am stärksten wächst. Das muss sich endlich in unserer Unterstützung dieser Familienform widerspiegeln.

(Beifall bei der SPD)

Die Realität in Bayern sieht aber ganz anders aus. Da sind Alleinerziehende abhängig und werden das Gefühl nicht los, die Verlierer der Nation zu sein. Besonders deutlich wird das zum Beispiel beim Blick auf das Haushaltseinkommen: 26 % der Alleinerziehenden müssen mit einem monatlichen Nettoeinkommen von bis zu 1.500 Euro auskommen. Paare liegen mit gera

de einmal 7 % deutlich seltener unter dieser Einkommensgrenze. Natürlich kann man die Zahlen nicht in den direkten Vergleich stellen, weil bei Alleinerziehenden eine erwachsene Person weniger im Haushalt lebt. Aber Fakt ist, dass gewisse Fixkosten die gleichen bleiben: Miete, Heizung, Telefon, GEZ-Gebühren usw. Es ist logisch, dass die Kinder von Alleinerziehenden dann eine andere Kindheit haben, weil das Geld am Monatsende viel öfter und viel schneller knapp wird. Richtig hart trifft es wieder einmal die Frauen, die Mütter: In neun von zehn Fällen ist der alleinerziehende Elternteil nämlich die Mutter.

(Thomas Huber (CSU): Warum lehnen Sie dann die Mütterrente ab?)

Daraus könnten wir in einer Aktuellen Stunde ein eigenes Thema machen und ein bisschen differenzierter darauf eingehen, Herr Kollege.

(Thomas Huber (CSU): Gern!)

Wie gesagt, rund ein Drittel hat als gesamtes Nettohaushaltseinkommen maximal 1.500 Euro für sich und die Kinder zur Verfügung, davon wiederum 70 % sogar weniger als 1.300 Euro. Ungeplante Ausgaben wie die neue Schultasche, der Ausflug oder die Reparatur des Autos und eben hohe Mietkosten bringen da die verantwortlichen Alleinerziehenden schnell an die finanziellen, aber vor allem an die nervlichen Grenzen. Mit einem Einkommen wird es schwierig, ein gutes Auskommen und eine gute Kindheit zu ermöglichen, gerade in Regionen, wo die Mietpreise einen großen Teil des Einkommens schlichtweg auffressen. Bezahlbarer Wohnraum ist auch aufgrund des Versagens der Staatsregierung Mangelware.

(Beifall bei der SPD)

Kein Wunder, dass im Freistaat so viele Alleinerziehende von Armut betroffen sind und einen überproportional hohen Anteil an den Verschuldeten im Freistaat ausmachen. Finanzielle Armut führt vor allem bei Kindern zu gesellschaftlicher und emotionaler Armut. Das ist das Dramatische, liebe Kolleginnen und Kollegen. Nach wie vor ist es doch so: Zeit- und Geldsorgen treffen Familien insgesamt, wie wir häufig festgestellt haben. Alleinerziehende Mütter und Väter trifft es aber doppelt so hart.

(Beifall bei der SPD)

Sie stehen viel zu oft nahe ihrer Belastungsgrenze; denn nicht nur Geld ist knapper als in anderen Familien, sondern auch Zeit. Zeit für sich, die Kinder oder Freunde bleibt kaum. Das Sozialleben leidet. Alleinerziehende stehen unter Stress und hetzen sich ab zwischen der Kita, der Elternsprechstunde, der S-Bahn

und dem Bürostuhl, auf dem sie wirklich Hervorragendes leisten. Diese knapp 400.000 Menschen in Bayern fühlen sich extrem gefordert, häufig sogar überfordert. Wer, wenn nicht sie, hätte nun endlich die notwendige Unterstützung verdient? Alleinerziehende Mütter und Väter haben niemanden, der irgendwann nach Hause kommt. Sie wissen, dass sie mit ihrem Alltag alleine fertig werden müssen. Ihnen fehlt die gegenseitige Unterstützung. Verantwortung und Sorgen lasten nur auf zwei statt auf vier Schultern. Das können wir ihnen politisch gesehen natürlich nur schwer abnehmen. Aber anstatt genau diese Familien in ihrer besonderen Situation wenigstens von außen nach Kräften im Alltag zu unterstützen, gibt es nur leere Phrasen. Umso schlimmer ist es; denn Maßnahmen liegen längst auf der Hand. Auch wir als SPDLandtagsfraktion haben in den vergangenen Jahren mehrfach Ideen und Initiativen in die Diskussion eingebracht. Gern erkläre ich noch einmal in Richtung der CSU-Landtagsfraktion: Wir brauchen Chancengerechtigkeit für alle Kinder, und zwar von Anfang an, zum Beispiel mit einer eigenen Kindergrundsicherung als Grundlage für Bildung und Gesundheit der Kinder.

(Beifall bei der SPD)

Und wir brauchen ausreichend Kita-Plätze. Das wurde gerade eben auch vom Kollegen nach Jahren der Ablehnung und des Nichtstuns hier im Hohen Haus erwähnt.

(Lachen der Abgeordneten Petra Guttenberger (CSU))

Da brauchen Sie nicht so zu lachen, Frau Kollegin!

(Petra Guttenberger (CSU): Das stimmt aber nicht, Frau Kollegin!)

Setzen Sie sich einmal in den Sozialausschuss hinein, dann werden Sie mitbekommen, wie hier zu genau diesen Themen entschieden wird.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen auch eine bessere Versorgung der Grundschulkinder. Das haben wir hier im Hohen Haus auch schon mehrfach diskutiert. Wir brauchen eine familienfreundlichere Arbeitswelt; denn wenn nur 38 % der Alleinerziehenden in Vollzeit arbeiten, liegt das nicht ausschließlich daran, dass sie das so möchten. Es fehlt zu oft an den entscheidenden Rahmenbedingungen: flexible Arbeitszeitmodelle, leichterer Wiedereinstieg ins Berufsleben und ein Rückkehrrecht auf Vollzeit. Wer hat das denn auf Bundesebene blockiert? Wir brauchen bessere Aufstiegschancen im Unternehmen trotz Baby- oder Kinderpause. Wir brauchen endlich gleiche Löhne für die Frauen. Wir brau

chen Betreuungsplätze auch zu den Rand- und Ferienzeiten. Genau da liegen die wirklich großen Herausforderungen bei der Unterstützung vor allem der Alleinerziehenden.

(Beifall bei der SPD)

Kolleginnen und Kollegen, mit einem Teilzeit- oder Minijob, der zu den Kita-Zeiten passt, wird es eine Mutter oder ein Vater nie schaffen, ein gutes Einkommen für sich selbst und die Kinder zu erwerben. Es braucht auch finanzielle Entlastungen: bei den Kitagebühren, beim Bücher- und Busgeld für die Schulkinder oder bei den Alltagskosten, wie zum Beispiel bei der Finanzierung der Wohnung. Entlastungen an dieser Stelle würden gerade Ein-Eltern-Familien effektiv unterstützen.

Passiert ist in den vergangenen Jahren aus unserer Sicht viel zu wenig, und wenn doch, dann nicht auf Initiative der Staatsregierung, Herr Huber, sondern auf Bundesebene durch SPD-geführte Ministerien, so zum Beispiel beim Ausbau des Unterhaltsvorschusses, einer Schwesig-Initiative. Übermorgen diskutieren wir im Sozialausschuss wieder einmal über Maßnahmen gegen Armut von Alleinerziehenden und ihren Kindern. Kolleginnen und Kollegen, ich bin gespannt und freue mich auf die Debatte im Sozialausschuss; denn dann können Sie endlich einmal unter Beweis stellen, dass Worte bei Ihnen nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben, sondern dass tatsächlich Taten folgen. Packen wir es doch endlich einmal an!

(Beifall bei der SPD – Volkmar Halbleib (SPD): Bravo! Sehr gute Rede!)

Danke schön, Frau Kollegin. – Als Nächste hat Frau Kollegin Schmidt von den FREIEN WÄHLERN das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Huber, Sie haben Ihre Rede mit der Aussage begonnen, dass in Bayern alles gut ist. In Bayern seien nur 36,7 % der Alleinerziehenden von Armut bedroht. Herr Kollege Huber, auf Bundesebene sind es mehr, haben Sie gesagt. Das kann man nicht kleinreden. Unser Ansatz und auch Ihrer muss es aber sein, dass da irgendwann mal null Prozent stehen. Null Prozent der Frauen und der Männer sollen von Armut bedroht sein, weil sie alleinerziehend sind. Wenn da noch andere Gründe bestehen, ist das etwas anderes. Aber die Kinder leben bei einem, und Familie ist da, wo Kinder sind. Es ist schlimm genug, dass das ein Grund für Armutsgefährdung ist.

Vor diesem Hintergrund reicht es nicht aus, wenn Sie das Pferd von hinten aufzäumen und von der Rente sprechen. Gerade die von Armut bedrohten Frauen, die alleinerziehend sind, sind sehr oft junge Mütter – das ist nachzulesen –, die teilweise keine Ausbildung haben und noch nicht ins Sozialsystem eingebunden sind, die aber noch nicht einmal in die Teilzeitausbildung gehen können, weil es diese so nicht gibt, die teilweise keine Betreuung für ihre Kinder haben, weil nicht überall Kitaplätze vorhanden sind, und die sich, wenn sie zuvor mit dem Partner zusammen waren, Gedanken machen müssen, wie sie denn, wenn sie eine Wohnung bekommen, die Kaution aufbringen, wenn sie noch nicht im Sozialsystem sind.

Herr Huber, das sind deren Probleme, nicht die Rentenpunkte, die eine Rolle spielen werden, wenn sie älter sind. Die Armut wird weiter vorangetrieben, wenn diese Probleme nicht angegangen werden. Wir haben vor Weihnachten – –

(Abgeordneter Thomas Huber (CSU) unterhält sich mit Fraktionskollegen)

Herrn Huber interessiert das nicht; das ist aber egal.

(Thomas Huber (CSU): Natürlich interessiert es mich!)

Ich dachte, Sie wollten etwas ändern. Sie haben doch große Wünsche geäußert, etwas zu verändern. Ich werde selten sauer, aber jetzt werde ich es langsam.

Wo ist denn Ihr Ansatz? Wenn Sie bei der Rente ansetzen, dann ist das zu spät. Es sind junge Familien, es sind junge Mütter, die Ausbildung und Kinderbetreuung brauchen. Wenn Sie bei der Rente ansetzen, dann reicht das wirklich nicht aus.

Es besteht die große Gefahr, dass Armut von Generation zu Generation weitergegeben wird. Man weiß: Kinder von Alleinerziehenden sind stärker als andere von Armut bedroht, und die Bildungschancen eines Kindes, das in Armut lebt, sind schlechter. Wir müssen doch vermeiden, dass auch die Kinder wieder in das "Modell Armut" rutschen.

Was hat sich insoweit getan? – Nichts hat sich getan! Der Bund hat das Kindergeld um zwei Euro erhöht. Im Gegenzug hat man beim Steuerfreibetrag für Alleinerziehende noch nicht einmal den Inflationsausgleich geschafft. Was das angeht, so muss ich auch zu Ihnen von der SPD schauen. Bitte kämpfen Sie dieses Mal stärker!

(Markus Rinderspacher (SPD): Ist bereits beschlossen!)

Bisher hat es anscheinend niemanden gestört, dass der Steuerfreibetrag nicht einmal mehr diese Mehrbelastung ausgleicht.

Die kostenfreie Kinderbetreuung ist das Nächste, was ansteht. Das reicht allerdings nicht aus. Was geschieht? Spätestens in der Schule rennen die Frauen – meist sind es Frauen – wieder mit Vollgas an die Wand. Vielleicht haben sie etwas gefunden, zum Beispiel eine befristete Stelle. Aber dann fehlt der Hort, und es gibt keine Ferienbetreuung. Gibt es einfach nicht!

In den Familienunterstützenden Diensten engagieren sich viele Freiwillige. Wir schaffen es nicht einmal, die Abrechnungen rechtzeitig fertigzustellen, weil das Zentrum Bayern Familie und Soziales unterbesetzt ist. Sie haben mit einer Handvoll Pulverschnee eine Lawine losgetreten; aber diese führt nicht zu einem ausreichenden Ergebnis. Sicherlich freut sich die eine oder andere, wenn es am Ende des Lebens bei der Rente ein paar Euro mehr sind.

Herr Kollege Huber, Sie haben noch etwas vergessen: Alleinerziehende haben es oft noch mit Nebenkriegsschauplätzen zu tun. Mir hat neulich eine Mutter, die noch nicht hilfsbedürftig ist, erzählt, sie streite sich seit einem Jahr mit dem Vater des Kindes herum wegen der Zahnspange oder des Schulwechsels. Eine andere Mutter streitet sich seit einem Jahr herum, weil das Kind eine andere Schule, eine Privatschule mit dem Schwerpunkt Sprachen, besuchen will. Die Eltern müssen in Vorleistung gehen; das kommt hinzu.