Protocol of the Session on December 12, 2017

Der erste Punkt ist, dass jedes Kind, das in Armut lebt, ein Kind in Armut zu viel ist. Deswegen müssen wir alles tun, damit Armut vermieden werden kann.

(Beifall bei der CSU)

Der zweite Punkt: Es ist wichtig, dass wir uns in diesem Hohen Hause über jegliche Form der Bekämpfung von Armut unterhalten und vor allen Dingen auch entsprechende Maßnahmen – soweit sie in den Zuständigkeitsbereich des Freistaates Bayern fallen – ergreifen. Wir dürfen nicht nur reden, sondern wir müssen auch handeln, meine Damen und Herren!

(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Zu einer solchen Analyse gehört, dass wir uns auch – Sie haben das kurz angesprochen; gestatten Sie, dass ich das etwas intensiviere – die Strukturen und die Zahlen genau ansehen, die wir hier im Freistaat Bayern haben.

Da darf man schon mit Fug und Recht behaupten: Im Freistaat Bayern ist die Situation, was die Kinderarmut anbelangt, wesentlich günstiger als in allen anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland.

(Lebhafter Widerspruch bei der SPD – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Wir haben einen Bundesdurchschnitt von 14,7 %; der bayerische Durchschnitt beträgt 6,8 %.

(Zurufe von der SPD)

Bei Alleinerziehenden ist zugegebenermaßen der Anteil mit 36,7 % aller Alleinerziehenden, die mit ihren Kindern von Armut betroffen sind, besonders hoch.

Fragen wir aber nun einmal nach den Gründen, warum die Lage bei uns in Bayern günstiger ist. Das hängt mit dem zusammen, was die primäre Aufgabe ist. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die Arbeitsbedingungen sind für die Menschen in diesem Lande gut; der Arbeitsmarkt boomt. Da müssen wir alles tun, und da steht Bayern gut da.

(Beifall bei der CSU)

Gleiches gilt im Vergleich zu den Zahlen anderer Länder, was die Veränderungen in den familiären Netzwerken angeht, die bei uns zumindest im ländlichen Bereich stärker ausgeprägt sind als in anderen Regionen.

(Zurufe von der SPD)

Nun komme ich darauf, was aus unserer Sicht zu tun ist. Ich möchte zwei Gruppen in besonderer Weise hervorheben. Das sind zum einen die auch von Ihnen bereits angesprochenen Alleinerziehenden, die zu mehr als einem Drittel von Armut betroffen sind. Die Ursachen hierfür sind vielfältig; sie hängen mit der Arbeit und den Arbeitszeiten zusammen, aber auch mit nicht gezahltem Unterhalt. Sie hängen mit der Wohnungssituation zusammen, und sie hängen durchaus auch damit zusammen, dass die Sätze für Hartz IV bei Kindern nicht so sind, wie sie möglicherweise sein sollten. Wir müssen in diesem Zusammenhang auch feststellen: Wenn Armut aufgetreten ist, ist es schwer, aus ihr herauszukommen. Deswegen ist es unsere Aufgabe, meine Damen und Herren – nicht nur in der Sozialpolitik, sondern das ist eine Querschnittsaufgabe –, präventive Armutsbekämpfung vorzunehmen;

denn das Risiko, arm zu bleiben, ist 11,5-mal höher – das haben Wissenschaftler festgestellt – als das Risiko, arm zu werden. Das sind besondere Herausforderungen. Wir müssen deshalb auch entsprechende Maßnahmen ergreifen.

Neben den Alleinerziehenden sind es die Mehrkinderfamilien, für die finanzielle Entlastungen besonders wichtig sind. Ihr Armutsanteil beträgt 16 %. Wir müssen auch sehen, dass manche Maßnahmen nicht richtig greifen, wie zum Beispiel das Teilhabe-Paket und Maßnahmen für Familien in Trennung und Scheidung. Unsere Aufgabe heißt also, die Instrumente ständig weiter zu überprüfen. Das ist eine klare Botschaft für den Vorrang der Familienpolitik in jeder Lebenssituation, damit Kinder nicht in Armut sind, damit Familien nicht in Armut sind. Das ist eine vorrangige politische Aufgabe, der wir uns alle stellen müssen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat das Wort – – Entschuldigung; Herr Pfaffmann, hatten Sie sich zu einer Zwischenbemerkung gemeldet?

(Inge Aures (SPD): Das gibt es doch nicht in der Aktuellen Stunde!)

Das gibt es bei der Aktuellen Stunde nicht. – Alles klar.

Jetzt hat Frau Kollegin Schmidt von den FREIEN WÄHLERN das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Unterländer, ich weiß nicht, auf welche Zahlen Sie sich bezogen haben. Ich möchte mich jetzt auf den Bayerischen Sozialbericht beziehen, der auf meinem Tisch liegt. Ich würde ihn gerne mit nach vorne nehmen, und ich würde gerne nachschlagen und würde es Ihnen gerne zeigen, Herr Unterländer: Die Armutsgefährdungsquote der unter 18-Jährigen ist auf 12,3 % gestiegen; das ist ein Prozentpunkt mehr als 2013. Im Sozialbericht stehen die Zahlen von 2015.

Sie haben recht: Aufgeschlüsselt nach Haushaltstyp ist es noch viel drastischer. In 36,7 % der Haushalte mit Alleinerziehenden sind die Kinder armutsgefährdet. Dies gilt auch für Familien mit mehr als drei Kindern. Das steht in diesem Riesensozialbericht auf vier Seiten, auf denen die Kinderarmut abgebildet ist.

Was bedeutet Armut bei Kindern? – Das ist der Verzicht auf gesundes Essen. Da gibt es Toastbrot mit Rama zum Frühstück. Das ist Verzicht auf Bildung.

Da gibt es kein zusätzliches Kinderbuch, und die kleine Raupe Nimmersatt wohnt nicht im Kinderzimmer. Erst recht gibt es keine Hobbys, keine Ferien, Einschränkungen bei der Kleidung und, was für Kinder ganz schlimm ist, Einschränkungen in der Mobilität. Da gibt es nicht einen Besuch bei der Freundin und eine Zugkarte oder Busfahrt extra. Nein, das gibt es da nicht.

Wenn es in Bayern so großartig wäre, Herr Unterländer, und wenn wir unterscheiden würden, stellt sich doch die Frage: Warum baut eine Jutta Speidel, die schon jahrelang Frühstücksaktionen für Kinder macht, die arm sind und ohne Frühstück in die Schule gehen

(Unruhe)

also, mir ist das Thema jetzt wirklich zu ernst –, im reichen München ein Haus für 100 obdachlose Mütter und Kinder? Im Glockenbachviertel haben wir Kindertafeln, die Kinder mit Kleidung und Nahrung versorgen. Jedes einzelne Kind, das davon betroffen ist, ist eines zu viel. Wir können das auch mit anderen Ländern vergleichen. Ich weiß nicht, ob Sie Kinder oder Enkelkinder haben, aber Kinder, die keine Weihnachtsgeschenke bekommen – das stellt man sich bei Ihnen in der Familie gar nicht vor; bei mir auch nicht. Ich möchte die Enttäuschung dieser Kinder nicht miterleben.

Was ist, wenn der Zugang zu Bildung durch Armut erschwert wird? – Dann wird diese Armut weitervererbt. Das wissen Sie ganz genau. Wir kennen bestimmte Viertel und wir kennen bestimmte Familien, in denen die Armut einfach weitergegeben wird, weil aufgrund der geringen finanziellen Mittel keiner Zugang zur Gesellschaft hat. Von Kultur sprechen wir in diesem Bereich überhaupt nicht.

Wir brauchen einen Anspruch auf Ganztagsbetreuung, damit die Kinder auch Zugang zu Bildung haben. Wir brauchen Randzeitbetreuung und Ferienzeitbetreuung für Kinder. Wir sagen nicht Betreuung, da dies Kinderbildung und Zugang zu Bildung ist. Wir müssen schon jetzt den Kreislauf unterbrechen.

Herr Unterländer, Sie sagen, wir wollen das alle. Es tut mir leid: Wir haben genau diese Themen neulich im Ausschuss gehabt, als es darum ging, was wir machen können, zum Beispiel eine Teilzeitausbildung für jene Eltern, die bis jetzt keine Berufsbiografie hatten, mehr Unterstützung durch Familienzentren, was auch immer. Sie sagen, wir haben großartige Programme. Der übernächste Punkt ist, glaube ich, das Familienzentrum Bayern. Diese Programme müssen mit Geld ausgestattet werden; sie sind unterversorgt. So sieht es mit der Wertschätzung aus. Da machen wir dann einfach weiter mit Weihnachten im Karton oder sehen

am Freitag die "Sternstunden", wo wir uns dann einen Film über Kinder anschauen, die arm sind.

Ein kleiner Punkt – das aber nur in einem Nebensatz – wäre das Fach Lebenskunde, damit die Eltern dieser Kinder lernen, wie man mit wenig Geld zurechtkommt, nachdem außer dem Sammeln von Spenden und dem Verkauf gebastelter Sterne im Moment anscheinend keine Veränderung vorgesehen ist.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön, Frau Kollegin. – Als Nächste hat Frau Kollegin Schulze von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sorry, Herr Unterländer, ich glaube, das Kind, das mit leerem Magen in die Schule geht, wird nicht dadurch getröstet, dass Sie ihm sagen, dass es in anderen Bundesländern noch ärmere Kinder gibt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ehrlich gesagt beruhigt mich das überhaupt nicht. Das beruhigt auch das Kind nicht, und das beruhigt auch die Eltern nicht. Bei so etwas blutet mein Herz. Mich schmerzt auch sehr, dass gerade Alleinerziehende und Familien mit vielen Kindern besonders häufig arm sind. In einem reichen Land wie Bayern muss man sich doch einmal fragen: Woran liegt das, und was läuft da falsch? Ich kann Ihnen sagen, was falsch läuft: Das ist die Familienpolitik, die Sie als CSU zu verantworten haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ihre Familienpolitik ist aus der Zeit gefallen. In Ihrer Vorstellung ist es ganz oft noch so, dass der Papa arbeitet und die Mama zu Hause bleibt und höchstens halbtags arbeitet; die Kinder gehen bis Mittag in den Kindergarten oder in die Schule. Das ist für Sie der Normalfall, und wer in irgendeiner anderen Form etwas anders lebt, den halten Sie ganz insgeheim für einen Exoten.

(Gudrun Brendel-Fischer (CSU): Ich glaube, Sie haben eine Wahrnehmungsstörung!)

Aber dieses Bild ist ungefähr so zeitgemäß wie das Schwarz-Weiß-Fernsehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir haben Alleinerziehende, wir haben Patchworkfamilien, wir haben Eltern, die beide Vollzeit arbeiten, und alle möglichen anderen Konstellationen. Das ist

die bunte Wirklichkeit in unserem Bayern. Diese Wirklichkeit trifft leider auf eine Familienpolitik von gestern; denn wenn wir uns die Realität ansehen, sieht diese doch so aus, dass sich viele Familien oder Alleinerziehende mit privaten Netzwerken oder durch irgendwie bezahlte Betreuung an der Kluft zwischen dem Beruf und der Familie entlanghangeln. Viele schaffen dies eben leider nicht gut.

Wie soll denn Ihrer Meinung nach eine alleinerziehende Angestellte im Einzelhandel ihre Kinder von einem Halbtagsjob ernähren, den sie aber machen muss, weil es eben keine Ganztagsbetreuung gibt? Wie soll denn bitte eine vernünftige Zukunftsplanung funktionieren, wenn man ständig zittern und bangen muss, ob man den Krippenplatz wirklich bekommt, ob man sich den Kitaplatz leisten kann und ob das mit dem Hortplatz funktioniert? Und das noch, wenn man mehrere Kinder hat, bei jedem Kind. Mit Ihrer Familienpolitik fördern Sie nicht die Wahlfreiheit, sondern die Kinderarmut.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der beste Schutz gegen Armut ist Erwerbsarbeit, vorausgesetzt, sie wird vernünftig bezahlt und lässt sich mit dem Familienleben vereinbaren. Zum Glück haben wir in Bayern sehr viel Erwerbsarbeit, auch wenn es an der Bezahlung in manchen Berufen noch hapert. Bei der Kinderbetreuung fehlt es dagegen an jeder Ecke und an jedem Ende.

Herr Unterländer, in einem Punkt gebe ich Ihnen recht: Sie haben gesagt, man sollte nicht nur reden, sondern man sollte handeln. Ich nehme Sie da einmal beim Wort. Wir brauchen endlich ein Förderprogramm für Kitas mit längeren Öffnungszeiten. Warum? – Damit die Betreuung auch am frühen Abend und in den Ferien gut klappt, wenn sie nötig ist. Würden Sie dafür das Geld investieren, das Sie für das unsinnige Betreuungsgeld ausgeben, könnten Sie damit alleinerziehenden und erwerbstätigen Menschen sehr viel besser helfen.

(Beifall bei den GRÜNEN)