Die Entscheidung über den weiteren Bildungsweg des Kindes hat das Grundgesetz zunächst den Eltern als den natürlichen Sachwaltern für die Erziehung des Kindes belassen. Damit wird jedenfalls dem Grundsatz nach berücksichtigt, dass sich das Leben des Kindes nicht nur nach seiner ohnehin von den Umweltfaktoren weitgehend geprägten Bildungsfähigkeit und seinen Leistungsmöglichkeiten gestaltet, sondern dass hierfür auch die Interessen und Sozialvorstellungen der Familie von großer Bedeutung sind. Diese primäre Entscheidungszuständigkeit der Eltern beruht auf der Erwägung, dass die Interessen des Kindes am besten von den Eltern wahrgenommen werden. Dabei wird sogar die Möglichkeit in Kauf genommen, dass das Kind durch einen Entschluss der Eltern Nachteile erleidet,
die im Rahmen einer nach objektiven Maßstäben betriebenen Begabtenauslese vielleicht vermieden werden könnten. Dieses Bestimmungsrecht der Eltern umfasst auch die Befugnis, den von ihrem Kind einzuschlagenden Bildungsweg in der Schule frei zu wählen.
Ich glaube, das ist doch ein deutlicher Hinweis des Bundesverfassungsgerichtes, dass wir das Verfahren in Bayern zu ändern haben; das Verfahren in Bayern habe ich gerade geschildert. Warum ist die Änderung notwendig? – Das bayerische Verfahren führt dazu, dass wir in den Grundschulen zunehmend einen extremen Druck auf die Kinder in der dritten, hauptsächlich aber in der vierten Klasse haben. Allein 20 Proben, mehr als in jeder Oberstufenklasse des Gymnasiums, müssen durchlaufen werden. Das führt auch zu starken Belastungen im Elternhaus und, finde ich, auch zu unnötigen Belastungen der Lehrerschaft, die zunehmend Burn-outs vieler Lehrkräfte der vierten Klassen zur Folge haben.
Dazu kommt – das ist für mich ein ganz entscheidender Punkt –, dass das bayerische Verfahren nicht rechtsfehlerfrei ist; denn die Entscheidungen, die von den Lehrern getroffen werden, hängen immer noch von der sozialen Herkunft ab oder werden von ihr mitbestimmt. Sie werden vor allem durch das Instrument der Noten gestaltet, die, wie wir alle wissen und wie mittlerweile auch wissenschaftlich bestätigt ist, keineswegs objektiv sein können, da sie von Lerngruppen und Klassen abhängig sind. Objektivität wäre aber die Grundvoraussetzung dafür, dass der Staat nach Artikel 7 des Grundgesetzes in das Elternrecht eingreifen dürfte; denn Artikel 7 – ich erinnere daran – ermöglicht dem Staat die Schulorganisation, wobei aber gewährleistet sein muss, dass sie rechtsfehlerfrei ist.
Daher ist es geboten und an der Zeit, dass wir das EUG an den von mir angesprochenen Punkten ändern, das heißt nicht einfach abschaffen, sondern an ihre Stelle, wie gesagt, eine Empfehlung der Grundschule nach professioneller Beratung setzen und schlussendlich auch das Elternrecht zur Geltung bringen. Das ist der Inhalt des Gesetzentwurfes, und ich bitte Sie alle, ihm zuzustimmen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute geht es wieder um die Freigabe des Elternwillens und das Übertrittsverfahren. Ich unterstelle den Kollegen der SPD natürlich den guten Willen, dass sie sich um Bil
dungsgerechtigkeit bemühen – ein hehres Ziel, gar keine Frage. Doch was ist gerecht? Ist es denn gerecht, wenn sich Leistung nicht mehr lohnt, sondern Eltern vorgeben, welche Schulart nach der Grundschule die richtige ist? – Ich meine nein. Was sagen denn die Eltern selbst? – Laut JAKO-O-Bildungsstudie jedenfalls ist es so, dass das gerechteste Schulsystem in Bayern zu finden ist. Das meinen 72 % der Eltern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Forscher bestätigen uns immer wieder – hier zitiere ich Prof. Dr. Klemm –: "Je freier die Elternwahl, desto größer die soziale Ungerechtigkeit."
Das ist genau das, was wir alle eben nicht wollen. Prof. Dr. Maaz vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung hat dazu klar dargestellt: "Die soziale Ungerechtigkeit verstärkt sich in Bundesländern, in denen der Elternwille freigegeben ist."
Es ist doch keinem Elternteil zu verdenken, dass er subjektiv das vermeintlich Beste für das eigene Kind will. Aber leider sind der Trend und die Vorstellung, das Gymnasium alleine sei das Glückseligmachende, ungebrochen. Deswegen neigen gerade Eltern aus eher privilegierten ökonomischen Verhältnissen dazu, die Kinder nicht begabungsgerecht auf weiterführende Schulen zu schicken.
Durch die Überschätzung untergräbt der Elternwille geradezu den Anspruch auf ein sozial gerechtes Bildungssystem. Nein, es ist die Objektivität der Beurteilung und Einschätzung durch die zuständige Lehrkraft, die dem am besten gerecht wird. Natürlich sollen Schülerinnen und Schüler vor unnötiger Stressbelastung geschützt werden. Nur ist der von Ihnen vorgeschlagene Weg denkbar ungeeignet.
Ich betone es noch einmal, weil es mir wichtig ist: Der Übertritt von der Grundschule an weiterführende Schulen in Bayern erfolgt nicht ausschließlich über die Zeugnisnoten, sondern auf der Basis unterschiedlicher Elemente. Wir haben das Übertrittszeugnis mit der Schullaufbahnempfehlung, aber wir bieten auch die Möglichkeit eines Probeunterrichts an der aufnehmenden Schulart und stärken hier den Elternwillen.
Einzelberatungen und Informationsveranstaltungen zu den angebotenen Bildungswegen und zu den einzelnen Schularten sind doch selbstverständlich.
Sie bringen immer wieder ein von Ihnen beauftragtes Gutachten vor und beharren darauf, dieses belege,
dass unser System verfassungswidrig sei und gegen Elterngrundrechte verstoße. Auch hier sind wir unterschiedlicher Auffassung. Wir fühlen uns durch die Erklärung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs aus dem Jahr 2014 bestätigt. Für uns ist und bleibt das Übertrittsverfahren verfassungskonform. Die Beschränkung des Zugangs ist zulässig, sofern jeder die gleichen Chancen hat, die Voraussetzungen zu erfüllen. Der Staat kann keine Gerechtigkeit in Bereichen herstellen, die er nicht beeinflussen kann, zum Beispiel unterschiedliche Sozialmilieus oder Bildungsnähe.
Die in Bayern praktizierte Differenzierung in unterschiedliche Bildungsgänge nach der Jahrgangsstufe vier ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass unsere Kinder möglichst begabungsgerecht gefördert werden. Darum geht es mir. Wir wollen keine unangebrachte Gleichmacherei. Kinder sind nun mal verschieden und haben verschiedene Begabungen und Talente. Und das ist auch gut so. Deswegen sollen sie auch nach ihren Begabungen gefördert werden. Das ist am besten in einem mehrgliedrigen Schulsystem möglich. Die Differenzierung hat sich bewährt.
Meine Damen und Herren, unsere Grundschullehrer leisten Großartiges. Ich möchte das heute noch einmal betonen. Ja, wir trauen es ihnen zu, dass sie gerecht bewerten und mit ihrer Erfahrung die richtige Empfehlung für die Anschlussschule aussprechen. Nur Lehrer können dies objektiv leisten. Die Qualität des bayerischen Schulsystems zeigt sich gerade an den Schnittstellen zwischen den Schularten. Bereits 2009 wurde zur Verbesserung der Talentausschöpfung und der Chancengerechtigkeit eine kind- und begabungsgerechte Weiterentwicklung des Übertrittsverfahrens von der Grundschule an die weiterführenden Schularten beschlossen. Kinder und ihre Eltern erfahren so weitere Unterstützung durch die Stärkung der Beratung und die Elternverantwortung bei der Übertrittsentscheidung. Dazu zählen auch Maßnahmen zur Entlastung in der Jahrgangsstufe vier und die verstärkte individuelle Förderung. Natürlich ist auch die Notengebung entscheidend, um die Leistungsfähigkeit eines Schülers für den Übertritt auf eine weiterführende Schule bestmöglich bewerten zu können.
Bitte am Schluss. – Denn was passiert, wenn Sie Kinder ohne entsprechende Eignung zum Beispiel aufs Gymnasium schicken? – Frust wird aufkommen, weil es eben doch nicht die richtige Schulart ist. Es wird sich ein Misserfolg einstellen, und das Kind wird einem noch viel größeren
Druck ausgesetzt. Nein, das ist nicht der richtige Weg, und er ist meiner Meinung nach ganz sicher nicht gerecht. Was soll Schule leisten? – Schule muss doch auf das weitere Leben vorbereiten. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Da gehört auch der Leistungsgedanke mit in die Schule. Alles andere ist doch Träumerei und unrealistisch. Wir dürfen nicht müde werden, angesichts der überzogenen Ansprüche und Ängste mancher Eltern frühzeitig zu informieren, sachlich zu beraten und auf die Vorteile der Durchlässigkeit unseres bayerischen Bildungssystems und die vielfältigen Möglichkeiten hinzuweisen, die sich daraus für jedes Talent ergeben. Die Wahl der weiterführenden Schulart – ich sage es immer wieder – nach der vierten Klasse ist mitnichten ausschlaggebend für den gesamten weiteren schulischen und beruflichen Lebenslauf, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle deswegen kurz den Werdegang eines jungen Mannes erzählen, den ich vor der Sommerpause getroffen habe und der sich in einer ganz anderen Sache an mich gewandt hatte.
Nach der Grundschule besuchte er die Hauptschule und schloss diese mit dem QA ab. Es folgten Wirtschaftsschule und FOS, anschließend erwarb er noch die allgemeine Hochschulreife. Heute ist dieser junge Mann Medizinstudent und gleichzeitig Stipendiat für unser Programm zur Förderung der hausärztlichen Versorgung auf dem Land. Er selbst sagt, dass das Schulniveau im Anschluss an die Grundschule damals genau zu seinem persönlichen Entwicklungsstand passte. So wurde er nach seiner Aussage keiner Überforderung ausgesetzt, die er bei vielen anderen Kindern in der Jugendarbeit beobachten konnte, wenn die Eltern alles daransetzen, ihr Kind auf das Gymnasium zu schicken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bewundere diesen Werdegang und sehe darin ein Musterbeispiel dafür, wie es auch gehen kann. Vielleicht sollten wir öfter solche Wege aufzeigen, um bei Eltern unbegründete Sorgen nachhaltig abzubauen.
Datenerhebungen zum Verbleib der übergetretenen Schülerinnen und Schüler am Ende der Jahrgangsstufe fünf zeigen, dass beispielsweise im Schuljahr 2014/2015 – das ist die aktuellste Datenlage – nur 0,8 % der Kinder mit Gymnasialeignung die Jahrgangsstufe wiederholen mussten. Bei den Schülern, die zweimal die Note vier im Probeunterricht hatten und aufgrund des Elternwillens ans Gymnasium gingen
Ja. –, sind es jedoch 10,3 %, die wiederholen, und 15,4 %, die das Gymnasium wieder verlassen. Wir haben in Bayern exzellente Real- und Mittelschulen, die hervorragende Bildungschancen bieten.
Bitte kommen Sie zum Ende. Sie haben noch eine Zwischenbemerkung der Kollegin und wieder zwei Minuten Zeit.
Reden wir doch einfach gut über diese, anstatt nur über den Übertritt und den Elternwillen, weil dieser fast ausschließlich auf das Gymnasium abzielt. Der Gesetzentwurf ist abzulehnen.
(Von der Rednerin nicht au- torisiert) Kollegin Trautner, Sie werden es sicherlich nicht wissen: Ich war lange, bevor ich in den Landtag berufen wurde und mit Ehre hier die Arbeit machen durfte, Landesvorsitzende des Bayerischen Elternverbandes. Dadurch bin ich auch bekannt geworden. Ich möchte Ihnen zwei Fragen stellen. Die erste Frage – ich weiß nicht, ob Sie schon davon gehört haben; ich finde Probeunterricht gut, eine klasse Idee –: Haben Sie schon mal Gerüchte gehört, dass dann, wenn die Klassenstärke für die fünfte Klasse eines Gymnasiums XY schon sehr hoch ist, ein Kind nicht aus inhaltlichen Gründen abgelehnt wird, sondern weil die Klassenstärke schon sehr hoch ist?
Die zweite Frage: Wie können Sie sich erklären, warum nicht alle aus der fünften Klasse eines Gymnasiums tatsächlich Abitur machen und warum die Übertrittsquoten in Hof ganz andere sind als in Starnberg? Kann das womöglich am Bildungshintergrund der Eltern liegen? Diese Fragen hätte ich gerne beantwortet.
Liebe Frau Kollegin, zur ersten Frage: Auf Gerüchte möchte ich keine valide Auskunft geben. Bitte beweisen Sie mir doch, wo das so ist.
Zur zweiten Frage: Natürlich entscheiden sich Eltern und Kinder im Laufe einer Schullaufbahn vielleicht mal anders.
Ich habe schon Ahnung. Ich habe auch zwei Kinder, die eine Schule besucht haben. Stellen Sie sich das vor!
Ich bin sehr viel in Bildungseinrichtungen unterwegs und unterhalte mich, wie auch die Kollegen der SPD, regemäßig mit Eltern, Schülern und Lehrern. Auch das können Sie mir nicht absprechen. Daher weiß ich, dass es viele Gründe für die Entscheidung von Eltern gibt, während der Schullaufbahn ihres Kindes die Schule zu wechseln, wenn sie mit der ursprünglichen Entscheidung nicht zufrieden sind.
Aber Sie stimmen mir sicherlich zu, dass der Wechsel dann schwieriger für das Kind ist, wenn ein Misserfolg die Ursache ist, das heißt, wenn das Kind es nicht schafft, das Niveau zu halten. Ich wünsche mir, dass wir ehrlich zueinander sind und andere Wege gehen. Wir sollten die Kinder nicht überfordern, sondern so fördern, wie es ihrem Talent bzw. ihrer Begabung zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihre jeweilige Schullaufbahn beginnen, entspricht. Es muss herausgefunden werden, was für das Kind das Beste ist.
Bitte bleiben Sie am Rednerpult. Wir haben eine weitere Zwischenbemerkung von Herrn Kollegen Gehring.
(Vom Redner nicht auto- risiert) Frau Kollegin, ich habe eine Frage. Mir geht es jetzt gar nicht um die Übertrittsquote, weil das ja auch etwas mit dem Bildungsverhalten der Eltern zu tun hat. Mir geht es nur um die Übertrittsnote. Die Verteilung in Bayern ist sehr unterschiedlich. Im Landkreis München haben etwa 70 % der Schülerinnen und Schüler den Notenschnitt 2,33, der für den Übertritt an das Gymnasium reicht, während in einigen Landkreisen, zum Beispiel in Niederbayern, nur etwa 30 % diesen Notenschnitt erreichen.