Protocol of the Session on April 25, 2017

Antrag der Abgeordneten Susann Biedefeld, Herbert Woerlein, Florian von Brunn u. a. (SPD) 70 Jahre Bayerische Verfassung Unser Bayern. Unsere Verfassung. Unser Auftrag: Tierschutz verbessern (XV) (Drs. 17/14207)

und

Antrag der Abgeordneten Dr. Paul Wengert, Klaus Adelt, Prof. Dr. Peter Paul Gantzer u. a. (SPD) 70 Jahre Bayerische Verfassung Unser Bayern. Unsere Verfassung. Unser Auftrag: Keine kalte Kommunalisierung der Kosten der Integration! (XVI) (Drs. 17/14208)

und

Antrag der Abgeordneten Martin Güll, Kathi Petersen, Dr. Simone Strohmayr u. a. (SPD) 70 Jahre Bayerische Verfassung Unser Bayern. Unsere Verfassung. Unser Auftrag: Demokratische Schulen durch Stärkung der politischen Bildung schaffen (IX) (Drs. 17/14209)

Bevor ich die Aussprache eröffne, gebe ich bekannt, dass die SPDFraktion zu fünf Anträgen – das sind die Tagesordnungspunkte 10, 12 und 18 bis 20 – na mentliche Abstimmung beantragt hat. Ich eröffne die Aussprache. Die Gesamtredezeit der Fraktionen be trägt nach der Geschäftsordnung 36 Minuten; die Ver teilung darf ich als bekannt voraussetzen. – Erster Redner ist der Kollege Halbleib. Bitte sehr.

Herr Präsident, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Es ist jetzt fünf Monate her, dass wir in einer großen Feierveranstaltung am 1. De zember 2016 im Münchner Nationaltheater gemein sam mit der Staatsregierung und vielen anderen des 70jährigen Jubiläums der Bayerischen Verfassung gedacht haben. Es gab viele Reden, viele hohe Töne, viel Weihrauch, aber auch viele Allgemeinplätze. Der Journalist und Publizist Heribert Prantl hat darüber geschrieben:

Die bayerische Verfassung ist zu einer Jubilä umsVerfassung geworden. Es ergeht den Leuten damit wie mit der Oma im Altersheim. Dass man sie hat, merkt man vor allem dann, wenn sie Ge burtstag feiert.

Das ist ein durchaus kritischer Blick auf das Verfas sungsjubiläum. Heribert Prantl geht weiter. Er nennt es die große Tragik dieser Bayerischen Verfassung:

... niemand hat sie gestärkt, niemand hat sie zu einem Hort der Hoffnung und des Vertrauens der Menschen zwischen Garmisch und Hof gemacht.

Heribert Prantl hat recht und zugleich unrecht; denn "niemand" ist in diesem Fall nicht richtig. Die SPD hat die Bayerische Verfassung immer als ständigen Auf trag an Staat, Politik und Gesellschaft verstanden. Das hängt natürlich mit dem Stolz auf den Sozialde mokraten Wilhelm Hoegner zusammen, den Vater der Bayerischen Verfassung. Das hängt aber auch mit der Qualität dieser Verfassung zusammen, mit ihrer Spra

che, mit ihrer Konkretheit, mit ihrer Verständlichkeit, und das hängt natürlich mit den sozialen Grundrech ten und auch Grundpflichten und den sozialen Grund sätzen dieser Verfassung zusammen. Das hängt na türlich auch damit zusammen, dass die SPD als verfassungspatriotische Partei stolz auf diese Verfas sung ist.

Allerdings – und das ist auch Thema der heutigen Be fassung – haben wir über Jahre und Jahrzehnte fest stellen müssen, dass die Mehrheitsfraktion dieses Hauses, vor allem auch die CSUStaatsregierung, diesen Verfassungspatriotismus im Hinblick auf die Bayerische Verfassung nicht geteilt hat. Es gab hohe Töne im Allgemeinen, aber kleine Münze bei der Um setzung der Bayerischen Verfassung. Ich glaube, des wegen ist es richtig, fünf Monate nach der großen Feier im Bayerischen Landtag einmal zu thematisie ren, dass die Bayerische Verfassung ein permanenter Auftrag ist und dass sie Grundsätze enthält, die in die sem Hause zumindest von der Mehrheitsfraktion in der Umsetzung nicht immer geteilt werden. Ich glau be, deswegen ist es richtig, genau jetzt, zu diesem Zeitpunkt, jenseits der großen Feierlichkeiten, daran zu erinnern, dass diese Bayerische Verfassung von diesem Parlament permanent umgesetzt werden muss.

Ich darf einige Punkte aufgreifen. Wir haben ein An tragspaket vorgelegt. An den Beginn will ich die Steu erpolitik stellen. In der Verfassung des Freistaats Bay ern, die wir alle als Grundlage unserer politischen Arbeit sehen, heißt es ganz klar:

Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Hän den einzelner zu verhindern. Sie ist nach dem Verwandtschaftsverhältnis zu staffeln.

So der Verfassungstext.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das spricht doch ganz klar dafür, die Erbschaftsteuer zu stärken. Was stellen wir in der Verfassungswirklich keit und in der politischen Wirklichkeit dieses Hauses fest? – Es wird über die Regionalisierung der Erb schaftsteuer diskutiert, die nur dazu führt, dass sie im Endeffekt abgeschafft wird. Ein klarer Verstoß gegen den Leitsatz der Bayerischen Verfassung! Dies hat zur Folge, dass die Schere bei der Vermögensent wicklung immer größer statt kleiner wird.

Zu diesem Verfassungsgrundsatz passt auch nicht die Auffassung von Herrn Finanzminister Dr. Söder, der die Kritik der EUKommission an der praktischen Steuerfreiheit von Apple zum Schutz von Apple zu rückgewiesen hat und damit zulasten der normalen

Steuerzahler auf Steuereinnahmen in Milliardenhöhe verzichtet. Auch das ist ein Verstoß gegen Text und Geist der Bayerischen Verfassung. Ich will jetzt gar nicht über die Begrenzung der Managergehälter spre chen. Ich glaube aber, die Mehrheit dieses Hauses ist aufgefordert, die Grundsätze der Bayerischen Verfas sung gerade mit Blick auf die Finanzpolitik ernst zu nehmen. Daran wollen wir jenseits der großen Feier stunden appellieren.

Ich darf auch an den Grundsatz erinnern, den der Bayerische Landtag und das bayerische Volk zur Tä tigkeit des Staates in die Verfassung geschrieben haben:

Er fördert und sichert gleichwertige Lebensver hältnisse und Arbeitsbedingungen in ganz Bay ern, in Stadt und Land.

Was stellen wir in der Verfassungsrealität fest? – Jetzt wandert der dritte Stimmkreis von Nordbayern nach Oberbayern.

(Zuruf des Abgeordneten Manfred Ländner (CSU))

Sie haben noch genug Gelegenheit, sich aufzure gen, Herr Kollege Ländner; sparen Sie sich das.

Die Schere beim Bruttoinlandsprodukt geht nach wie vor weit auseinander.

(Zuruf des Abgeordneten Manfred Ländner (CSU))

Es hilft keine Schreierei, sondern die Umsetzung der Bayerischen Verfassung. Dazu fordern wir Sie auf.

Die SPD hat immerhin für die Einsetzung einer En queteKommission zur Gleichwertigkeit der Lebens verhältnisse gesorgt. Wir sprechen diesen Punkt des halb an, weil wir vor der Verabschiedung des Abschlussberichts stehen. Wir wollen in diesem Ab schlussbericht ganz konkrete Punkte und Maßnah men dieses Hauses sehen, die dazu führen, dass der Verfassungsgrundsatz, den wir in die Verfassung ge schrieben haben, auch umgesetzt wird.

Wir wollen – auch das ist Gegenstand einer namentli chen Abstimmung –, dass folgender Grundsatz end lich umgesetzt wird, der in der Bayerischen Verfas sung steht:

Jede ehrliche Arbeit hat den gleichen sittlichen Wert und Anspruch auf angemessenes Entgelt. Männer und Frauen erhalten für gleiche Arbeit den gleichen Lohn.

(Beifall bei der SPD)

Wir verstehen nicht, dass sich gerade die politische Mehrheit in diesem Hause mit einem Gesetz unheim lich schwer getan hat, das vom Deutschen Bundesrat hoffentlich bald verabschiedet werden wird, nämlich mit einem Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit zwi schen Männern und Frauen. Das ist ein wichtiger Im puls. Die Bayerische Verfassung kann hierfür eine wichtige Orientierung sein.

Wir stellen auch fest, dass der Grundsatz

Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nach teile hin.

im Freistaat Bayern nicht umgesetzt ist und dass dies auch jenseits der Festtage ein Verfassungsauftrag bleibt. Wir müssen das Gleichstellungsgesetz endlich reformieren, und wir müssen auch mehr tun, um die Repräsentation von Frauen in Parlamenten, egal wel cher Ebene, zu stärken. Das ist der Verfassungsauf trag der Bayerischen Verfassung, und diesen müssen wir endlich umsetzen.

(Beifall bei der SPD)

Ich darf noch einen anderen Punkt aufgreifen. Die Ausbildungsgarantie ist ein wichtiges Thema. Arti kel 128 Absatz 1 lautet:

Jeder Bewohner Bayerns hat Anspruch darauf, eine seinen erkennbaren Fähigkeiten und seiner inneren Berufung entsprechende Ausbildung zu erhalten.

Da müssen wir auch noch einiges tun. Es geht um den Ausbau der Berufsorientierung, der Jugendbe rufsagenturen, der Jugendsozialarbeit an Schulen und natürlich auch um die Lehrerausstattung an den be ruflichen Schulen sowie um die Frage der Abschaf fung und Übernahme der Ausbildungskosten. Das sind wichtige Maßnahmen, ohne die dieser Verfas sungsgrundsatz sozusagen Schall und Rauch bleibt. Wir müssen ihn umsetzen.

Das Gleiche gilt für ein barrierefreies Bayern. Wir haben die Verfassung diesbezüglich sinnvollerweise ergänzt. Wir sind aber noch weit entfernt davon, dass sich der Staat für gleichwertige Lebensverhältnisse von Menschen mit und ohne Behinderung einsetzt. Wir müssen diesbezüglich mehr tun. Deswegen haben wir hierzu unser 9PunkteProgramm vorge legt.

Ein wichtiger Punkt – auch das soll an dieser Stelle gesagt sein –:

Jeder Bewohner Bayerns hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung. Die Förderung des Baues billiger Volkswohnungen ist Aufgabe des Staates und der Gemeinden.

Es ist nicht Aufgabe des Staates, die GBW zu verhö kern. Es wäre Aufgabe dieses Landtags gewesen, mehrheitlich für eine bayerische Wohnungsbaugesell schaft mit Substanz zu sorgen. Darum werden wir auch kämpfen, weil auch dieser Verfassungsgrund satz ansonsten Schall und Rauch bleibt.

(Beifall bei der SPD)

Ein wichtiger Punkt, den die Bayerische Verfassung thematisiert:

Die Schüler sind im Geiste der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat und zum deut schen Volk und im Sinne der Völkerversöhnung zu erziehen.

Dies passt aber nicht zur Kürzung des Faches Sozial kunde an allen Schulen. Da passt nicht dazu, dass wir die Schulen nicht noch wesentlich stärker als Lernort der Demokratie haben.

Auch zum Thema Erwachsenenbildung steht etwas in der Bayerischen Verfassung, nämlich:

Die Erwachsenenbildung ist durch Volkshoch schulen und sonstige mit öffentlichen Mitteln un terstützte Einrichtungen zu fördern.

Was stellen wir in der Verfassungswirklichkeit fest? – Eine ganz starke Unterfinanzierung der Erwachsenen bildung in Bayern sowie eine Unterfinanzierung der Grundbildung für die hohe Zahl funktionaler Analpha beten. Wir haben dies mehrfach thematisiert. Es macht keinen Sinn, diesen Verfassungsgrundsatz zu bejubeln, wenn er anschließend in der politischen Re alität nicht umgesetzt wird. Dazu fordern wir dezidiert auf.