Frau Kollegin Guttenberger, ich will das gar nicht groß problematisieren. Sie erkennen mit uns die Stellung des Kirchenasyls an, lehnen unseren Antrag aber ab. Letzteres ist für mich nicht so bedeutend.
Mit der von mir geäußerten Meinung zum Legalitätsprinzip sind wir auf ähnlicher Linie. Sie wird übrigens auch von den Kirchen geteilt. Es gibt Erklärungen vom Evangelischen Landesbischof und von Bischof Marx, die das Legalitätsprinzip schon anerkannt haben.
Mir geht es darum – das ist ein Appell an die Verantwortlichen –, dass bei der Strafverfolgung wirklich alles vermieden wird, was zu einer Verschärfung der Situation vor Ort führt. Vor Ort wird als Verschärfung empfunden, dass die Personen wieder verstärkt als Beschuldigte vernommen werden. Das empfinden sie als Belastung und zum Teil als Einschüchterung. Das ist tatsächlich so.
Mir ist Folgendes ein Anliegen: Wenn sich ein Ausreisepflichtiger im Kirchenasyl befindet, ist er meines
Erachtens nicht mit jemandem gleichzusetzen, der untergetaucht ist. Da wird mit offenem Visier gearbeitet. Offiziell wird der Ausländerbehörde und dem BAMF gemeldet, dass sich jemand im Kirchenasyl befindet. Der wäre jederzeit greifbar. Ich bin froh, dass das nicht geschieht. Das ist etwas anderes als unterzutauchen. Das sollte die Justiz auch und vielleicht ein bisschen stärker bei ihren Ermittlungen und Entscheidungen berücksichtigen.
Lieber Herr Kollege Meyer, wir haben keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das nicht geschieht. Erst im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens kann man prüfen, ob sich jemand entsprechend dieser Vereinbarung im Kirchenasyl aufhält oder ob es sich um eine untergetauchte Person handelt, wie Sie das nennen. Das kann man nur im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens tun. Wenn man von vornherein diese Überprüfungsmöglichkeit abschneidet, beschneidet man die aus meiner Sicht vom Legalitätsprinzip geschützte Sphäre, in der der Staatsanwalt nach bestem Wissen und Gewissen ermitteln muss und aufgrund des Ergebnisses zu einer individuellen Entscheidung kommt, die zum Beispiel zu einer Einstellung nach § 153 StPO wegen geringer Schuld führen kann. Aber woher soll er das denn wissen, wenn er nicht vorher ermittelt?
Frau Kollegin Guttenberger, die SPD-Fraktion fordert keinesfalls die Staatsanwaltschaft zum Rechtsbruch auf. Wir bekennen uns zum Legalitätsprinzip, aber auch zum Opportunitätsprinzip, das Bestandteil des Legalitätsprinzips ist.
Ist Ihnen bekannt, dass von der Staatsanwaltschaft in folgenden abgesprochenen Fällen keine Beschuldigtenvernehmung durchgeführt wird? Bei Ladendiebstahl bei Tätern über 70 Jahren im ersten Fall kommt es zur Einstellung nach § 153 StPO; da ermittelt kein Staatsanwalt. Das Gleiche gilt beim erstmaligen Aufgreifen mit Betäubungsmitteln wie Cannabis und Sonstigem. Dabei wird sofort ohne Beschuldigtenvernehmung eingestellt. Bei der fahrlässigen Körperverletzung gibt es Einstellungen nach dem sogenannten Knochenerlass. Dabei geht es um den Grad der Verletzung. Darin wird geregelt, wann die Staatsanwaltschaft einzuschreiten hat. Das ist Arbeitsgrundlage für die Staatsanwaltschaft, die sonst bei ihrer personellen Ausstattung allzu viel zu tun hätte – sie hat schon viel
Wie soll denn jemand schuldhaft handeln, wenn in dem Bereich die Bundesbehörde mit den objektiven Rechtsbrechern zusammenarbeitet? Was hindert Sie daran zu sagen: Wenn das so strukturiert ist, sind keine Beschuldigtenvernehmungen durchzuführen, und im erstmaligen Fall ist die Sachlage zumindest mit geringer Schuld zu versehen – genauso wie bei Sachverhalten, die möglicherweise von der Öffentlichkeit mit Blick auf die Strafbarkeit als wesentlich plausibler wahrgenommen werden als Ladendiebstahl durch Menschen, die älter als 70 Jahre sind? In diesem Zusammenhang gibt es doch nichts, was dem Rechtsstaat einen Zacken aus der Krone bricht, und erst recht nichts, was in irgendeiner Art und Weise in Berührung mit Strafvereitelung im Amt führt.
Lieber Herr Kollege Arnold, wir wollen sicherlich nicht die Rechtsnatur der Vereinbarung diskutieren. Wir wollen sicherlich auch nicht darüber diskutieren, ob es einem Staatsanwalt zuzutrauen ist, dass er selbsttätig mit Augenmaß entscheidet, wie er seine Ermittlungsverfahren führt.
Ich habe keinen Zweifel daran, dass diese hier in Bayern von den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten mit Augenmaß nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit geführt werden, also unter Beachtung des Legalitätsprinzips und des Opportunitätsprinzips. Aus meiner Sicht bedarf es keiner Vorgaben, damit diese Rechtsfindung auch mit Augenmaß erfolgt. Deshalb halte ich diesen Einwand nicht für überzeugend. Wir werden dennoch diesen Antrag ablehnen.
Danke schön, Frau Kollegin. – Jetzt erteile ich der Abgeordneten Claudia Stamm das Wort. Für die Zeiteinteilung gebe ich bekannt, dass ihr für die eingereichten Dringlichkeitsanträge insgesamt fünf Minuten Redezeit zur Verfügung stehen. – Bitte schön.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen! Bayern ist immer wahnsinnig stolz auf seine Geschichte und seine Tradition. Genau beim Kirchenasyl sollte man sich an Geschichte und Tradition halten und diese Tradition weiterführen. Ich rede jetzt nicht von der christlich-abendländischen, die immer hochgehalten wird, sondern ich rede von der Tradition des Kirchenasyls.
Vor gut 30 Jahren gab es in Bayern eine inoffizielle Abmachung. Damals hat sich Innenminister Beckstein daran gehalten und das Kirchenasyl respektiert,
während sich andere Bundesländer nicht daran gehalten haben. Andere Bundesländer haben gegen Pfarrerinnen und Pfarrer ermittelt. Damals war es eine inoffizielle Abmachung, jetzt ist es eine offizielle.
Der Bundesinnenminister hatte sich gewehrt; das ist bekannt. Herr de Maizière wollte diese Abmachung nicht. Es gibt aber die Abmachung zwischen den Kirchen und dem Bundesinnenministerium. Ich finde: Bayern sollte sich daran halten; denn es gab ein Ringen um eine Lösung. Jetzt ist die Lösung da.
Deswegen, sehr geehrte Mitglieder der Staatsregierung, sage ich Ihnen: Vielleicht fühlen Sie sich beim Ringen um diese Lösung übergangen. Trotzdem fordere ich Sie auf: Tragen Sie das nicht auf dem Rücken der Schwächsten aus, nämlich einerseits auf dem Rücken der Geflüchteten, denen das Kirchenasyl als letzte Zufluchtsmöglichkeit zur Verfügung steht, und andererseits auf dem Rücken der Pfarrerinnen und Pfarrer sowie der Priester, die in dem Fall auch die schwächsten Glieder in der Kette sind; denn einerseits sind sie ihren Kirchen verpflichtet, andererseits auch ihrem Gewissen.
Bitte halten Sie sich an die Vereinbarung zwischen dem Bundesinnenminister und den Kirchen, und tragen Sie es nicht auf dem Rücken der Schwächsten aus.
Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Frau Kollegin Bause um das Wort gebeten. Bitte schön, Frau Kollegin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Kirchenasyl ist nicht strafbar. Der Aufenthaltsort der Geflüchteten ist bekannt. Deswegen ist es eben keine Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt. Die Kirchengemeinden beziehen sich ja gerade auf eine Vereinbarung zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und den Kirchen von vor zwei Jahren. In dieser Vereinbarung ist ein Kompromiss getroffen worden. Auf der einen Seite darf sich die Kirche nicht in staatliche Angelegenheiten einmischen; auf der anderen Seite muss der Staat die jahrhundertealte Tradition des Kirchenasyls respektieren. Ich kenne kein anderes Bundesland, in dem in dieser Art und Weise gegen das Kirchenasyl vorgegangen wird.
In den Kirchengemeinden entsteht zunehmend das Gefühl, dass systematisch und gezielt eingeschüchtert wird. Jede Woche gibt es zwei bis drei neue Ermittlungen gegen Kirchengemeinden und gegen Pfarrerinnen und Pfarrer, die Kirchenasyl gewähren. Das kann doch nicht in Ihrem Sinne sein.
Ich sehe hier Herrn Blume und Herrn Söder, die Mitglieder der Synode sind. Herr Unterländer ist erst vor Kurzem in eine herausragende Position der katholischen Kirche gewählt worden. Sie sind praktizierende Christen. Daher möchte ich von Ihnen gerne eine klare Antwort auf die folgende Frage hören: Wollen Sie das Institut des Kirchenasyls schützen und bewahren, oder wollen Sie die Kirchen kriminalisieren und der Strafverfolgung aussetzen? Hierzu wäre von Ihnen ein klares Wort erforderlich.
Bayern hat bundesweit die größte Anzahl an Kirchenasylen. Nahezu 50 % aller Kirchenasyle gibt es in Bayern. Das ist sicher nicht aus Jux und Tollerei so, sondern weil die bayerische Abschiebe- und Flüchtlingspolitik besonders rigide ist. Zum Glück gibt es in Bayern die Kirchengemeinden als letzten Zufluchtsort. Wir sollten alles dafür tun, damit diese Zufluchtsorte erhalten bleiben. Die Menschen, die Kirchenasyl gewähren, sollten weder eingeschüchtert noch verächtlich gemacht werden. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die CSU diese Praxis unterstützt und gutheißt. Ich erwarte von Ihnen ein klares Bekenntnis zum Kirchenasyl, ansonsten können Sie sich den Gottesdienstbesuch an Ostern wirklich schenken.
Für die Staatsregierung hat Herr Staatsminister Herrmann um das Wort gebeten. Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um etwas mehr Ruhe. – Bitte schön.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, das Kirchenasyl ist Teil unserer christlichabendländischen Tradition. Diese reicht weit in die Vergangenheit zurück. An vielen Stellen in der Bibel ist die Rede von Flucht, Vertreibung, Verfolgung, maßloser Willkür und Ungerechtigkeit. Durch den Rückgriff auf die Erzählungen in der Bibel werden wir Christen immer wieder dazu angehalten und daran erinnert, unser eigenes Verhalten als Christen an ethischen Maßstäben auszurichten.
Ich versichere Ihnen, dass ich nicht nur als Politiker, sondern auch aus meiner eigenen christlichen Überzeugung Verständnis dafür habe, dass sich die Kirchen in der aktuellen Situation positionieren. Seit Jahren ringen wir um die richtigen politischen Antworten im Umgang mit Migration, Flucht und Vertreibung. Wir führen natürlich auch schwierige Diskussionen miteinander. Ich verstehe, dass die Kirchen in dieser Situation nicht umhinkommen, Position zu beziehen. Die Kirchen als Gesamtheit und auch einzelne Kirchengemeinden beziehen manchmal besondere Positionen, die nicht immer der Mehrheitsmeinung in einer Kirche entsprechen müssen. Die Gewährung von Kirchenasyl ist allerdings kein Mittel der politischen Meinungsäußerung oder Demonstration, sondern man kann und will lediglich in einer konkreten Situation helfen. Klar ist natürlich auch, dass die christlich-abendländische Tradition des Kirchenasyls nicht in unserer Rechtsordnung verankert ist. Das gesamte Asyl- und Ausländerrecht ist selbst Ausdruck der humanitären Überzeugung, wonach unser Staat helfen muss, wenn jemand in Not ist. Unsere Rechtsordnung ist in der parlamentarischen Demokratie von Bundestag und Bundesrat so beschlossen worden. Das sind die geltenden Gesetze. Wir sind kein Willkürstaat. Bei uns herrscht kein Unrecht.
In unserer parlamentarischen Demokratie ist das geltende Recht im Grundgesetz und in den Bundesgesetzen verankert. Der Gesetzgeber, also Abgeordnete des Deutschen Bundestages und bei manchen Regelungen inzwischen auch Abgeordnete des Europäischen Parlaments, hat bei der Entscheidung über das geltende Asylrecht humanitäre Belange intensiv bedacht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesrepublik Deutschland und des Freistaats Bayern wenden die vom Gesetzgeber vorgegebenen Gesetze an und vollziehen sie im Bewusstsein der damit verbundenen Verantwortung. Unsere Richter, die nur Recht und Gesetz verpflichtet sind, prüfen unabhängig, ob Exekutive und Legislative rechtmäßig und verfassungsmäßig entschieden haben. Das Asylverfahren dient somit dieser vom Gesetzgeber normierten und im Detail geregelten humanitären Verantwortung und beruht eben nicht auf Willkür. Vor diesem Hintergrund muss auch von den Kirchen verlangt werden, dass sie die in einem rechtsstaatlichen Verfahren getroffenen Entscheidungen respektieren. Die allermeisten Kirchenmitglieder tun das auch; jedenfalls diejenigen, die ich kenne.
Jetzt will ich noch auf ein kleines Detail im Antrag der GRÜNEN hinweisen, damit hier in Zukunft keine Missverständnisse auftreten. Ja, das Kirchenasyl hat eine christlich-abendländische Tradition. In der Begründung zum Antrag der GRÜNEN werden allerdings auch muslimische Gemeinden in diese Tradition einbezogen. Hierzu muss ich ausdrücklich sagen: Es gibt keine Tradition des Kirchenasyls im Islam. Ich habe es bisher strikt abgelehnt, für muslimische Gemeinden etwas Ähnliches wie das Kirchenasyl zu akzeptieren. Daraus habe ich auch gegenüber den christlichen Kirchen nie einen Hehl gemacht. Eine solche Tradition gibt es nicht, und wir fangen sie auch gar nicht an.
Das wollte ich nur am Rande sagen. Aktuell gibt es dazu auch keinen konkreten Fall. Ich wollte das nur ausdrücklich betonen, da Sie es in Ihrem Antrag verankert haben, damit es auch in der Zukunft keine Missverständnisse gibt.
Meine Damen und Herren, aus Respekt vor dieser Kirchenasyltradition in unserem Land und mit Rücksicht auf die besondere Stellung der Kirchen in unserem Staat wird in aller Regel in Fällen von Kirchenasyl auf Vollzugsmaßnahmen in Räumen der Kirche verzichtet. Diese Praxis ist rechtsstaatlich jedoch nur vertretbar, wenn die Kirchen ihrerseits nur mit größter Zurückhaltung vom Kirchenasyl Gebrauch machen. Im Februar 2015 war dieses Thema Gegenstand der Gespräche zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, im Einvernehmen mit dem Bundesinnenministerium, und Vertretern der evangelischen und der katholischen Kirche. Die Gespräche haben auf Bundesebene stattgefunden. Dabei ist man übereingekommen, dass das Kirchenasyl nur bei im individuellen Einzelfall begründbaren und belegbaren besonderen Härten als Ultima Ratio in Betracht kommen kann. Die Einzelfallprüfung soll möglichst vor Eintritt in ein Kirchenasyl und bei Dublin-Fällen vor Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist erfolgen. Hierzu sollten zentrale Ansprechpartner aufseiten der Kirchen und des Bundesamtes geschaffen werden. Aus meiner Sicht gehen die heute zur Abstimmung stehenden Dringlichkeitsanträge in wesentlichen Teilen ins Leere. Ich sage es noch einmal: Aus Respekt vor den Kirchen und in der Erwartung, dass sie vom Kirchenasyl verantwortungsvoll Gebrauch machen, bleibe ich dabei, dass auf Vollzugsmaßnahmen in den Räumen der Kirchen verzichtet wird.
Meine nächste Anmerkung formuliere ich bewusst sehr vorsichtig. Ob in jedem Fall von Kirchenasyl die von den Kirchen mit dem BAMF vereinbarten Verfahrensweisen seitens der Kirchengemeinden genau eingehalten worden sind, kann ich gegenwärtig noch
nicht abschließend beurteilen, um das einmal vorsichtig auszudrücken. Das setzt voraus, dass jeder Fall, bevor das Kirchenasyl beginnt, zunächst mit dem BAMF besprochen wird. Das steht so in der Vereinbarung. Daran will ich nur der Vollständigkeit halber erinnern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mehr will ich an dieser Stelle nicht sagen, weil das Thema Kirchenasyl insgesamt sehr diffizil ist. Meines Erachtens eignet es sich nicht für einfache Schwarz-Weiß-Debatten. Obwohl ich sehr großen Respekt gegenüber Plenardebatten im Bayerischen Landtag habe, glaube ich, dass wir heute an dieser Stelle nicht sehr viel weiterkommen.
Ich bin selbst ganz persönlich mit der Leitung der katholischen wie der evangelischen Kirche in Bayern in diesen Fragen in ständigem Kontakt. Ich werde diese Aufgabe auch weiterhin verantwortungsbewusst wahrnehmen, verantwortungsbewusst gegenüber dem Schicksal der Menschen, verantwortungsbewusst gegenüber der besonderen Rolle der christlichen Kirchen in unserem Land, aber auch verantwortungsbewusst gegenüber der geltenden Rechtsordnung in unserem Staat. Der vorliegenden Anträge bedarf es dazu meines Erachtens nicht.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Mir liegen zwei Meldungen zur Zwischenbemerkung vor. Zunächst erteile ich Frau Kollegin Kamm das Wort.