Protocol of the Session on March 29, 2017

Wir sind der Meinung, wir sollten wie die Evolution Gutes weiterentwickeln. Deswegen setzen wir uns dafür ein, dass im Prinzip die Leistungen, die es schon gibt, deutlich ausgebaut werden, auch in Bayern. Wir wünschen, dass das wesentlich gestärkt wird. Das beginnt mit der Unterstützung Alleinerziehender und setzt sich fort mit dem Unterhaltsvorschuss. Es ist absolut richtig: In Bayern gibt es das Landeserziehungsgeld. Wir FREIEN WÄHLER unterstützen es. Dagegen sind wir beim Betreuungsgeld anderer Meinung. Die Zahlung von Landeserziehungsgeld ist eine sehr wertvolle Maßnahme, gerade für Familien mit schwächeren Einkommen.

Wir sind auch nach wie vor der Meinung, dass wir viel mehr für die Eltern- und Familienberatung tun müssen. Dieses Thema wurde schon angesprochen. Wir können bestimmten Familien noch so viel Geld geben, ohne dass es beim Kind ankommen wird. Vielleicht wird damit zum Beispiel das nächste Handy oder der nächste Roboter bezahlt; es wird jedenfalls nicht zum nächsten Bildungspaket für das Kind beitragen. Das muss man schon relativ kritisch sagen dürfen.

Wir meinen weiterhin, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf deutlich ausgebaut werden muss. Das ist das A und O. Nach wie vor müssen viele Kinder in

Armut leben, weil die Eltern – oft ist es ein alleinerziehender Elternteil – nicht oder nicht genügend arbeiten können.

Außerdem erwarten wir endlich einen Übergang vom Ehegattensplitting zum Familiensplitting. Dabei sind wir FREIEN WÄHLER schon ein bisschen revolutionär; wir haben das immer wieder angeregt. Dieser Übergang ist unserer Meinung nach der richtige Weg. Dann kommt das Geld in den Familien an.

Schließlich sind wir für einen Paradigmenwechsel in der Kinderbetreuung für die nicht schulpflichtigen Kinder. Wir meinen, diese Kinderbetreuung muss kostenlos sein. Es ist inzwischen erkannt, dass die frühkindliche Bildung Bildung ist und wir dabei nicht von Betreuung sprechen. Darum ist das System, diese Leistung den Kommunen aufzuhalsen, nicht mehr zeitgemäß. Auch diese Bildung muss frei sein, genauso wie die Schulbildung. Sie muss vom Freistaat übernommen werden. Wenn man diese Kosten nicht der einzelnen Familie zumutet, kommt es zur entscheidenden Entlastung, und es wird wesentlich weniger Kinderarmut geben. Diese Kosten stehen in keiner Relation zum Einkommen mancher Eltern. Dass man hier umdenkt, wäre ein wichtiger Schritt. Das Geld muss direkt beim Kind, direkt bei der Familie ankommen. Wir glauben nicht, dass das über eine Grundsicherung geht. Deswegen bitten wir um Verständnis: Wir wollen das Gleiche, aber wir wollen in diesem Fall einen anderen Weg gehen und werden den Antrag deswegen ablehnen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön. Bitte verbleiben Sie am Rednerpult, Frau Gottstein. Wir haben zwei Zwischenbemerkungen. Zunächst spricht die Kollegin Stamm und dann die Kollegin Rauscher.

Geschätzte Kollegin Gottstein, ich würde mir wünschen, Sie wären ein bisschen revolutionärer und würden nicht so sehr bei der Evolution bleiben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist halt nicht jeder so revolutionär, Claudia.

Ich glaube, ich habe jetzt erst einmal das Wort, Kollegin Gottstein.

Entschuldigung.

Die vielen Transferleistungen bringen nichts. Es ist tatsächlich so; es gibt eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung dazu. Die Kinderarmut ist trotz der vielen Transferleistungen angestiegen. Deswegen brauchen wir eine grundlegende Reform. Die Reform des Bündnisses Kindergrundsicherung ist einfach genau der richtige Weg.

Sie haben die vielen angesprochen, die da und dort keinen Vorteil haben. Die Alleinerziehenden sehen null Komma null Cent von einem Ehegattensplitting. Eine Reform und ein mutiger Schritt gehören her. Sehr viele Gesetze wären davon betroffen. Aber das brauchen wir in Deutschland, weil die Transferleistungen es eben nicht bringen und keinen positiven Effekt im Hinblick auf Kinderarmut haben, sondern genau das Gegenteil ist der Fall.

Die Kosten betragen 17 Milliarden Euro; das haben Sie gerade angesprochen. Dabei ist überhaupt nicht eingerechnet – –

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.

Nachdem ich unterbrochen wurde, dachte ich, ich habe noch ein bisschen länger.

Ich habe Sie schon 20 Sekunden überziehen lassen.

Es gäbe viele positive Verwaltungseffekte. Es würde nämlich sehr viel Verwaltung eingespart. Das ist eine Vereinfachung der Bürokratie, was vielleicht auch etwas für den Kollegen Nussel wäre, aber eben auch ein positiver monetärer Effekt.

Bitte schön.

Ich bitte nach wie vor um Verständnis für unsere Meinung, dass wir Bewährtes nicht über den Haufen werfen sollten. Es ist sehr viel Bewährtes dabei. Wir führen viele persönliche Gespräche, auch mit Lehrern oder Kindergärtnerinnen. Daher sind wir der Meinung, eine Grundsicherung, die jede Familie betrifft, gewährleistet nicht automatisch, dass das Geld beim Kind in der richtigen Weise ankommt.

Die nächste Zwischenbemerkung kommt von der Kollegin Rauscher.

Frau Gottstein, ich muss noch eine Zwischenbemerkung machen, weil ich Ihre

Darstellung nicht stehen lassen möchte. Sie haben gesagt, man wisse nicht, ob das Geld bei den Kindern ankommt. Das sind immer die Parolen, die gedroschen werden, Entschuldigung. Es ist nicht so, dass alle Familien, die einen etwas kleineren Geldbeutel haben, dieses Geld in Flachbildschirme und Bier investieren.

(Beifall bei der SPD)

Mit dieser Meinung würde man der Wirklichkeit nicht gerecht werden. Das werden viele von uns hier bemerken, wenn sie an ihr eigenes Umfeld denken. Auch in meinem persönlichen Freundschaftskreis gab es eine alleinerziehende Frau, die sich selbst durchgekämpft hat. Ihre Kinder lebten mit ihr in Armut und waren Hartz-IV-Bezieher. Diese Stigmatisierung ist unglaublich traurig und für die Seele und Psyche der Kinder wirklich heftig. Jetzt haben kluge Menschen aus Wohlfahrtsverbänden und Wissenschaftler so etwas Tolles entwickelt, was mich persönlich schon lange umtreibt. Wir wissen, dass Kinderarmut dadurch um 80 % reduziert werden könnte. Deswegen verstehe ich Ihre konsequente Haltung dagegen nicht. Das wollte ich an dieser Stelle gerne persönlich loswerden. Deswegen würde ich Sie darum bitten, dass Sie kurz darauf Bezug nehmen.

Wir haben es uns sehr wohl überlegt. Ich wollte das Klischee von Bierkästen usw. nicht so deutlich bedienen, wie Sie es jetzt gemacht haben. Sie sitzen vielleicht auch in einem Kreistag oder einem Stadtrat. In unseren Kreistagen ufern die Jugendhilfeetats fast enorm aus, weil ganz viele Familien Hilfe brauchen, mit den Kindern und mit dem Geld umzugehen. Daher glaube ich, dass wir das Geld in diese Richtung investieren müssen. Ich glaube schon, dass nicht immer die 500 oder 600 Euro den Ausschlag geben, die pro Kind ankommen. Das muss man so deutlich sagen. Wir brauchen direkte Hilfe, und die haben wir. – Sie führen Alleinerziehende an. Für sie würde das Familiensplitting, das wir vorschlagen, sehr wohl Änderungen bringen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Celina.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! "Abgehängt, abgeschrieben: Vom Schicksal unserer Jugendlichen in einer Gesellschaft, der es gut geht" – das war der Titel eines Fachvortrags im Rahmen einer Veranstaltung in Nürnberg, die ich vor ein paar Wochen besucht habe. Wie kommt man denn auf so einen Titel und so eine Aussage in einer Gesellschaft, in der die Arbeitslosigkeit, auch die Jugendarbeitslosigkeit, nied

rig ist, in der die Betriebe dringend ausbildungsfähige Jugendliche suchen, um sie zu Fachkräften zu machen, und in der jeder seines Glückes Schmied ist? – Man kommt dazu, weil es in Deutschland in vielen Regionen arbeitslose Jugendliche gibt. Arbeitslose Jugendliche kommen oft aus Familien, in denen die Eltern arbeitslos sind, und aus armen Verhältnissen. Erwachsene und Jugendliche, die arbeitslos sind, sind oft auch arm. Wer arm ist, hat eine geringere Lebenserwartung; wer arm ist, hat eine geringere Perspektive, hat eine zu kleine Wohnung, fährt nicht in den Urlaub und hat kein Geld. Diese Kinder und Jugendlichen sind abgeschrieben. Wer arm ist, bleibt arm; wer reich ist, bleibt reich oder wird noch reicher. Die soziale Mobilität nimmt ab.

Wir brauchen deshalb eine gezielte Förderung der armen Kinder. Wir brauchen eine Investition in gute Kitas und gute Schulen und eine Gleichwertigkeit, zum Beispiel durch eine Kindergrundsicherung. Jetzt ist es aber so: "Wer hat, dem wird gegeben." Das war schon zu Luthers Zeiten vor fast 500 Jahren so. Deswegen hat er diesen Satz geprägt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber, liebe Kollegen, die Verteilung von Reichtum und Armut, die Verteilung von Chancen und Hoffnung ist kein Naturprozess; das ist politisch gewollt. Ein wenig mehr für Arme und viel mehr für Reiche ist das Ergebnis Ihres politischen Handelns. Ich sage es sehr klar: Seit Jahren schaffen Sie, liebe CSU und liebe SPD, es nicht, Kinderarmut wirksam zu bekämpfen, zum Beispiel durch eine Kindergrundsicherung.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Es bleibt dabei: Sie wässern den Rasen dort, wo er schon grün ist, statt allen jungen Halmen gleiche Wachstumschancen zu geben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kollegen, ich sage auch deutlich: Armutsbekämpfung ist wichtig für die Funktionsfähigkeit der demokratischen Strukturen. Trump versprach in seinem Wahlkampf, gut bezahlte Jobs nach Amerika zurückzubringen – in ein Land, in dem fast alle Menschen, die arbeiten wollten, Arbeit hatten. Früher hatten sie gut bezahlte Jobs. Früher hatten sie ein Einkommen, das ihnen einen gewissen Lebensstandard ermöglichte; sie konnten sich etwas leisten. Im Laufe der Zeit verloren sie ihre gut bezahlten Jobs, weil die Produktion in wettbewerbsfähigere Länder verlagert wurde. Es gibt dort genug Jobs – die Arbeitslosenquote in den USA ist gering –, aber das Lohnniveau ist für viele so weit gesunken, dass ihnen die Perspektive fehlt. Es reicht nicht mehr aus, irgendwie erwerbstätig

zu sein. Viele haben nur befristete Jobs – oft sind sie in mehreren gleichzeitig tätig –, während die Reichen in Amerika noch reicher werden. Die Ergebnisse der weiter auseinanderdriftenden Gesellschaft in Amerika kennen Sie: Die perspektivlosen schwarzen Jugendlichen sitzen im Gefängnis. Trump wurde gewählt. Der Riss in der amerikanischen Gesellschaft wurde größer, nicht kleiner.

Liebe Kollegen von der CSU, ich bitte Sie wirklich, mir jetzt genau zuzuhören: Ich bin der festen Überzeugung, dass nicht das Thema Flüchtlinge die Rechtsextremen in Deutschland und damit auch in Bayern so weit nach oben gebracht hat. Ursache sind vielmehr Angst und das Gefühl, dass das Geld, das zumindest in den ersten Jahren für Flüchtlinge umverteilt werden muss, nicht von der Oberschicht und der Mittelschicht bezahlt wird, sondern von denen, die schon arm sind, von denen, die für sich keine Perspektive mehr in dieser Gesellschaft sehen. Statt ein klares Zeichen zu setzen und endlich zu sagen: "Ja, jedes Kind ist uns gleich viel wert!", haben Sie in den vergangenen Monaten diese Angst nur verstärkt.

Auch Kinder sind Träger eigener Rechte. Ihre Familien sind diejenigen, die sie auf die Zukunft vorbereiten. Was für ein Zeichen haben Sie, und zwar CSU und SPD, denn in der Bundesregierung gesetzt? Sie haben gemeinsam lächerliche 2 Euro mehr Kindergeld beschlossen. Sie haben eine Reform beschlossen, durch die Bezieher von hohen Einkommen mehr gewinnen als Bezieher von niedrigen Einkommen. Sie haben den Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende auf chaotische Art und Weise an den Ländern vorbei beschlossen. Erst im letzten Moment sind Sie auf die Zielgerade eingebogen. Sie haben es wieder einmal versäumt, Kinderregelsatz, Kindergeld und Kinderfreibetrag zu einer Leistung zusammenzuführen. Damit hätten Sie nicht nur mehr Gerechtigkeit geschaffen, sondern auch Bürokratieabbau betrieben. Sie haben es wieder einmal versäumt, Kindern aus Familien, die Hartz IV beziehen, das Signal zu geben: "Ihr seid gleich viel wert!" Diese Familien bekommen das Kindergeld weiterhin verrechnet.

Jetzt komme ich zu der Frage, warum Sie sich so konsequent gegen eine Kindergrundsicherung sperren. Ich bin mir sicher, es geht Ihnen nicht allein um die Kindergrundsicherung. Sie haben schlichtweg Angst, dass es irgendwann später zu einem Antrag in Richtung Grundsicherung kommt. Sie haben Angst, dass die Stärkung armer Familien, ob durch Einführung einer Kindergrundsicherung oder durch sonstige Maßnahmen, vor dem Hintergrund des Lohnabstandsgebots dazu zwingt, den Mindestlohn zu erhöhen, sodass arme Familien andere Perspektiven hätten, sich selbst durchzubringen. Das müsste man

finanzieren, aber das wollen Sie nicht. Dieses Problem gehen Sie nicht ernsthaft an. Deswegen blockieren Sie seit Jahren die Forderung nach Einführung einer Kindergrundsicherung. Seit Jahren beschließen Sie neue familienpolitische Leistungen, die besserverdienenden Familien mehr nützen als den Ärmsten unserer Gesellschaft.

Deswegen wäre ich froh, wenn es der SPD mit diesem Antrag gelänge, endlich auf Bundesebene mehr konkrete Vorschläge zu entwickeln, wie man eine Sicherung auch der Kinder aus den ärmsten Familien durchsetzen könnte, und wenn die CSU sich endlich an die konkrete Armutsbekämpfung machen würde. Deswegen stimmen wir zu.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Stamm. Nur zur Information, weil manche schon gefragt haben: Frau Stamm hat noch eine Minute Redezeit.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kollegen und sehr geehrte Kolleginnen! Ich möchte, dass jedes Kind mit einem Geschenk unter dem Arm zum Kindergeburtstag gehen kann.

Fakt ist – das haben die Zahlen gezeigt –: Die Kinderarmut hat zugenommen, auch in Bayern. Vor allem aber – das ist noch nicht erwähnt worden – stellt sich die Situation in Bayern total heterogen dar. Die Kinderarmutszahlen in Nürnberg und in Schweinfurt liegen weit über dem Bundesdurchschnitt. Das sollte Ihnen zu denken geben.

Meine Kolleginnen und Kollegen, manchmal kann Politik richtig frustrierend sein. Wenn man einen Blick in Wikipedia wirft, dann findet man dort alle möglichen Modelle und Definitionen einer Kindergrundsicherung – vom DGB, von Verbänden und allen möglichen Vereinen. Zwei Merkmale haben alle Vorschläge gemeinsam. Das eine ist: Die Kinderarmut soll bekämpft und das Kindeswohl in den Mittelpunkt gestellt werden. Das Zweite ist: Alle Vorschläge sind bisher Makulatur; sie sind in der Schublade geblieben.

Ich wünsche mir von allen Fraktionen in diesem Hohen Haus, dass es endlich eine echte Kindergrundsicherung gibt. Diese soll übrigens einkommensabhängig sein. Es würde also nicht so sein, dass jeder das Gleiche davon hätte.