Da muss ich unter historisch denkenden Menschen schon fragen, auf welchen Begriff von "Einheitsschule" Sie eigentlich rekurrieren. Meinen Sie den Begriff der "Einheitsschule" der demokratisch-freiheitlichen
Revolution von 1848? Dann ist es ein positiv besetzter Begriff. Oder meinen Sie den Einheitsschulbegriff von 1920 derjenigen, die damals gegen die vierjährige Grundschule polemisiert und mit dem Begriff "Einheitsschule" gegiftet haben? Wenn Sie diesen Begriff meinen und das gemeinsame Lernen als "Einheitsschule" diffamieren, wie können Sie sich dann vor die Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer hinstellen, die in Bayern gute Arbeit geleistet haben?
Es geht uns um eine pragmatische Politik für besseres Lernen, für Konzepte der individuellen Förderung, für eine Schulentwicklung von unten und für den Erhalt von Schulstandorten vor Ort. Wir müssen über neue Schulmodelle und neue Schulstrukturen nachdenken. Wir GRÜNEN werden mit der SPD diesen Weg gehen. Ich bin davon überzeugt, dass die FREIEN WÄHLER spätestens 2013 diesen Weg mitgehen müssen. Denn sie können sich dem nicht verschließen, dass vor Ort kommunale Modelle entwickelt werden und Entwicklungen von unten möglich sind.
Die FDP wird keine Relevanz mehr haben, weil sie heute schon in der bildungspolitischen Debatte in Bayern keine Relevanz mehr hat. Denn sie hat sich in der Koalition gerade in der Frage der Weiterentwicklung der Schulstruktur nicht durchsetzen können.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die CSU erlebe ich sehr gespalten: Auf Landesebene, hier im Landtag und im Kultusministerium. Ich erlebe sie ganz deutlich als Kämpferin für das dreigliedrige Schulsystem, die ideologisch an diesem System festhält, aber nicht wahrnimmt, wie die Situation vor Ort ist, und auch nicht wahrnimmt, dass vor Ort bei den CSU-Bürgermeistern, bei den CSU-Gemeinderäten und bei Schulleitern, die früher CSU gewählt haben, umgedacht wird, neue Modelle gesucht werden, neue Wege gegangen werden. Sie machen mit Ihrer Politik von oben alles unmöglich. Sie lassen keine neuen Wege zu.
Wir stehen für eine Politik der Ermöglichung. Wir stehen für eine Politik, die neue Wege vor Ort ermöglicht, neue Schulkonzepte, und deshalb stimmen wir dem Gesetzentwurf der SPD zu.
Danke, Herr Kollege Gehring. Als Nächste hat sich für die FDP Frau Will zu Wort gemeldet. Bitte schön.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die von der SPD geplante neue Schulform gibt es verschiedene Namen. Die SPD selber nennt sie Gemeinschaftsschule.
Inhaltlich entspräche sie der Integrierten Gesamtschule. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen keine neue Schulform. Wir brauchen keine Schulstrukturdebatte.
Debatten über Schulstrukturänderungen lösen Chaos und Unruhe in der Schulfamilie aus, anstatt ihr Zeit und Ruhe zu lassen, die sie aufgrund der Entwicklungen im bildungspolitischen Bereich braucht. Wir haben längst begonnen, mit den Beteiligten in den Regionen passende Lösungen für die Bildungslandschaft zu finden und zu entwickeln. Wir haben längst begonnen, die Schulqualität zu verbessern. Wir haben viel Geld in die Bildung gesteckt. Bildung hat bei uns Haushaltspriorität,
und wir haben dafür gesorgt, dass das differenzierte Schulsystem noch flexibler und durchlässiger wird. Außerdem haben wir längst begonnen, bayerische Schulen dort zu Inklusionsschulen weiterzuentwickeln, wo die Voraussetzungen dafür gegeben sind, denn Inklusion kann nur sukzessive und behutsam gelingen.
Wir haben auf all jene im Gesetzentwurf skizzierten Probleme, die aus den bildungspolitischen gesellschaftlichen Entwicklungen resultieren, längst reagiert und auf vielfältige Weise Antworten gefunden. Augenscheinlich ist die SPD am 24.09.2010 dort stehen geblieben, sonst hätte sie längst feststellen können, dass sich die im Gesetzentwurf angeführte Problemstellung bereits in der Lösungsphase befindet. Dass dies auch ohne revolutionäre Schulstrukturänderungen möglich ist, darauf werde ich später noch kurz eingehen.
Zunächst zum Gesetzentwurf. Allein schon die Formulierung im Gesetzentwurf, dass eine sogenannte Gemeinschaftsschule nicht angeordnet werden kann, sondern eine freiwillige Entscheidung der Schulfamilie vor Ort ist, verschleiert die tatsächlichen Absichten der SPD, flächendeckend die Gemeinschaftsschule für alle einführen zu wollen. 2010 hat die SPD in Bayern beschlossen, dass die Gemeinschaftsschule von
den Klassen 1 bis 10 die Regel werden soll. Zudem sollen alle Schulstandorte erhalten werden, indem sie künftig als Gemeinschaftsschule organisiert werden. Wenn sie also alle Standorte erhalten will, will sie auch an allen Standorten Gemeinschaftsschulen einrichten, meine Damen und Herren. Das ist nicht meine persönliche Schlussfolgerung, sondern der Parteitagsbeschluss der SPD vom 8. Mai 2010, der wohlgemerkt! - vor der Ersten Lesung stattfand.
Erstens wäre der Bestand von Gymnasien und Realschulen im ländlichen Raum in Gefahr. Die Gemeinschaftsschule zieht zwangsläufig Schülerinnen und Schüler von dieser erfolgreichen Schulart ab und verhindert somit Bildungsgerechtigkeit; denn wie die Gesamtschulen in der Vergangenheit gezeigt haben, war es eine Illusion, zu glauben, dass die Leistungsstärkeren die Schwächeren nachziehen würden. Stattdessen erfolgt eine Nivellierung auf niedrigem Niveau.
Zweitens geht es nicht nur ausschließlich darum, Schulstandorte zu sichern, sondern vielmehr muss auch eine gute abschlussbezogene Förderung garantiert sein. In diesem Zusammenhang verweise ich erneut auf die BIJU-Studie, die Studie zu Bildungsverläufen und psychosozialer Entwicklung im Jugendalter. Darin ist bereits längst bewiesen, dass Schüler an einer Gesamtschule, die der Gemeinschaftsschule im Wesentlichen entspricht, gegenüber Realschülern am Ende der Sekundarstufe I etwa in Mathematik einen Wissensrückstand von circa zwei Schuljahren aufweisen.
Ich möchte nicht Gymnasien und Realschulen im ländlichen Raum gefährden, um der Schulfamilie ein zweifelhaftes Angebot zu unterbreiten, das zudem bereits vielfach gescheitert ist. Ich möchte, dass Bayern auch in Zukunft bei Vergleichsstudien die vorderen Plätze belegt und nicht, wie die SPD-geführten Länder, die hinteren Ränge der Tabelle.
Drittens soll in der Gemeinschaftsschule grundsätzlich das gymnasiale Lernangebot Standard des Lernprozesses sein.
Bedeutet dies, dass die SPD davon ausgeht, dass der durchschnittliche Gemeinschaftsschüler ein Gymnasiast ist? Wie weit soll der Stoff denn heruntergebrochen werden? Laut SPD soll dies allein durch Binnendifferenzierung gelingen, also durch eine gestaffelte Aufgabenstellung, um den unterschiedlichen Begabungen in ein und derselben Klasse gerecht zu werden.
Wie soll das funktionieren, diese für die Lehrkräfte hoch komplexe Aufgabe, sich an das Potenzial der verschiedenen Schülerinnen und Schüler anzupassen, vom hochbegabten Schüler bis zum Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf? Dann wird die Qualität des Unterrichts sinken, ob man will oder nicht. Qualitätseinbußen wird es mit uns aber nicht geben, meine Damen und Herren.
Aber selbstverständlich müssen innovative Unterrichtsformen in den Schulalltag integriert werden. Wir müssen dafür sorgen, dass moderne Lehr- und Lernformen überall Einzug in die Schulen halten. Dies hat die Exkursion des Ausschusses nach Oettingen gezeigt. Individuelles Lernen ist bereits möglich. Fächerübergreifendes Lernen und auch rhythmisierter Unterricht sind bereits möglich. Ganz deutlich gesagt: Oettingen, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann bereits heute überall in Bayern sein. Dazu muss nicht einmal das Gesetz geändert werden oder, wie Kollege Eisenreich sagte, nicht einmal ein Komma.
Ich möchte dennoch nicht verschweigen, dass es durch den Schülerrückgang Schwierigkeiten für ländliche Räume gibt, Schulstandorte zu erhalten. Deshalb befürworten wir das Konzept der Kooperation aus Realschule sowie Haupt- oder Mittelschule unter einem Dach. 20 Kooperationsmodelle arbeiten bereits in unterschiedlicher Tiefe zusammen.
Mit der von uns Liberalen etablierten Kooperation haben wir es geschafft, dass auch in Bayern das Schulsystem flexibler und durchlässiger geworden ist. Wir haben ein zusätzliches Schulangebot als passende Antwort auf die Entwicklung der Schülerzahlen und des geänderten Schulwahlverhaltens der Eltern und
In unserer Kooperationsschule können wir den Schülerinnen und Schülern einerseits einen sicheren und guten Weg zum Schulabschluss garantieren, andererseits erhalten auch die Kommunen Planungssicherheit für den Erhalt ihrer Schulstandorte.
Ich sage aber auch: Das reicht nicht. Deshalb werden wir auch die Kooperation zu einer echten Alternative weiterentwickeln müssen. Die aktuelle Ausschreibungsrunde für Kooperationsschulen bis zum 30. April 2012 ist ein Anfang. Die gesetzliche Verankerung wird bis 2013 folgen. Die eigenverantwortliche Schule gehört für uns unbedingt dazu. Mit ihr sollen die bayerischen Schulen mehr Freiheit bei der Einstellung ihrer Lehrkräfte erhalten, eine zeitgemäße Führungsstruktur, aber auch mehr Verantwortung für ein finanzielles Budget der Schule.
Wir wollen und müssen die Ganztagsschulen deutlich ausbauen. Das haben wir an allen Schularten in Bayern begonnen, und wir wollen nun damit beginnen, Schulen zu Ganztagsschulen auszubauen, um den rhythmisierten Unterricht zu gewährleisten.
Mit all diesen Vorhaben sorgen wir für mehr Qualität an den bayerischen Schulen und schaffen einen pädagogischen Mehrwert. Pädagogisch fragwürdige Experimente wie die Gemeinschaftsschule sind nicht notwendig. Wir wollen keine Strukturen ändern, sondern das bestehende System optimal weiterentwickeln, meine Damen und Herren.
Frau Präsidentin! Liebe Frau Kollegin Will, ich stelle fest: Sie selbst haben in jener Podiumsdiskussion vor der Landtagswahl den Eltern, Schülern und Lehrern eine längere gemeinsame Schulzeit versprochen.