Protocol of the Session on March 27, 2012

Sendung auf münchen.tv gemacht hat. Diese Worte sind ganz aktuell, also nicht von früher.

Herr Minister, Sie sagten gestern:

Wir werden den größten Flop der bundesdeutschen Bildungsgeschichte, nämlich die Gesamtschule in Bayern, sicher nicht mehr auf den Weg bringen.

Wir auch nicht, Herr Minister. Die SPD-Fraktion will das nicht.

Wollen oder können Sie nicht zur Kenntnis nehmen, dass sich die Formen des längeren gemeinsamen Lernens in den letzten Jahren deutlich weiterentwickelt haben? Die Gesamtschulen, die Sie wohl meinen - vielleicht muss man besser sagen: die Ihnen die Lehrerverbände einflüstern -, gibt es so kaum noch.

Es ist doch seltsam: Die Schulpreissiegerschulen der letzten Jahre sind allesamt Schulen des längeren gemeinsamen Lernens. Ich nenne: 2011 Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule Göttingen, 2010 Sophie-Scholl-Schule Bad Hindelang-Oberjoch; 2009 gab es keinen Hauptpreisträger; 2008 WartburgGrundschule Münster, 2007 Robert-Bosch-Gesamtschule Hildesheim.

Alle Hauptpreisträger sind also Schulen des längeren gemeinsamen Lernens.

(Beifall bei der SPD)

Ist das ein Zufall? Es ist kein Zufall. Man muss die Kriterien der Jury einmal unter die Lupe nehmen. Es sind drei Hauptkriterien: Erstens. Die besten Schulen sehen Vielfalt als Chance. Zweitens. Die besten Schulen machen Gescheite gescheiter. Drittens. Die besten Schulen gehen selbst in die Schule. - So zitiere ich die Homepage der Jury.

Die Frage muss erlaubt sein, Herr Spaenle: Stünde es dem Bildungsminister eines so, wie Sie immer sagen, erfolgreichen Landes nicht gut an, auch andere Schulkonzepte genauer anzuschauen? Sie machen es umgekehrt: Alles, was Ihnen nicht in den Kram passt, machen Sie lächerlich oder verteufeln es.

Natürlich ist es legitim, auf die Stärken des bayerischen Schulsystems hinzuweisen. Aber was soll dann die Aussage - ich zitiere wieder aus dem Fernsehinterview -:

Die Bildungsforschung stellt den Gesamtschulen die denkbar schlechtestmöglichen Noten aus, weil hier die schwächeren Kinder nicht genug un

terstützt und die stärkeren Kinder nicht genug gefördert und gefordert werden.

Das sagen Sie jetzt einmal den Jurymitgliedern der Schulpreisträgerschulen.

Ich darf ein kleines Beispiel anführen. Dazu nenne ich: Professor Dr. Eckhard Klieme, Deutsches Institut für internationale pädagogische Forschung in Frankfurt, Professor Dr. Olaf Köller, Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik an der Universität Kiel, Professor Dr. Jürgen Oelkers, Leiter des Instituts für Erziehungswissenschaften an der Uni Zürich/Schweiz. Sie alle sind renommierte Leute, die Sie natürlich mit Ihrer Aussage treffen. Sie verschweigen, Herr Spaenle, dass die Bildungsforscher längst festgestellt haben, dass die Schulstruktur, also die Frage, ob ein gegliedertes oder ein integratives System vorliegt, für die Qualität einer Schule nicht die entscheidende Rolle spielt, wohl aber bei der Frage der Bildungsgerechtigkeit. Die neuesten Erkenntnisse zeigen, dass hier gerade die Gemeinschaftsschulen, also Schulen, die Kinder nicht mehr in Schularten oder auf schulartähnliche Kurssysteme verteilen, wie es die früheren Gesamtschulen gemacht haben, klar im Vorteil sind.

Haben nicht Sie, Herr Spaenle, uns immer wieder gesagt, dass die fehlende Bildungsgerechtigkeit in Bayern immer noch eine Hausaufgabe darstellt? - Ich stelle nur fest: Trotz zugegebener leichter Verbesserungen haben in Bayern Kinder aus höhergestellten Familien immer noch siebenmal bessere Chancen, einen höheren Bildungsabschluss zu erreichen, als Kinder aus nicht begüterten Familien. Wenn man also Verbesserungen erreichen will, muss man nicht nur am Inhalt und der Qualität arbeiten - da stimmen wir überein -, sondern man muss auch die Struktur anpassen.

Wir haben bei der Gemeinschaftsschule vor allem den Inhalt und die Qualität im Blick, nicht in erster Linie die Struktur. Lesen Sie unser erstes ausführliches pädagogisches Konzept, den Altmühltaler Plan, in Ruhe nach.

Frau Will, Lesen hilft manchmal. Ich zitiere aus Ihrer Presseerklärung:

Bayerische Schulen sind pädagogisch viel weiter, als es die SPD suggeriert.

Sie schreiben:

Was nun auf dem Tisch liegt,

also unser pädagogisches Konzept, der Altmühltaler Plan, der über 70 Seiten hat,

ist nur ein Sammelsurium an Vorschlägen zu Lehr- und Lernformen, die bereits an allen Schularten selbstverständlich sind.

(Lachen bei der SPD)

- Man höre und staune.

Dass Herr Güll als ehemaliger Lehrer wider besseren Wissens die pädagogische Arbeit vieler Lehrkräfte infrage stellt, zeigt, dass er rein ideologisch denkt.

Das mögen andere beurteilen. Aber was jetzt kommt, ist schon ein starkes Stück:

Würde man - bildlich gesprochen

so schreiben Sie,

auf dem vorgelegten Fundament ein Haus bauen, dann würde ich der Schulfamilie empfehlen, dort nicht einzuziehen. Vor der Schule müsste ein Schild aufgestellt werden, auf dem steht: Die SPD haftet für die Bildung unserer Kinder!

(Volkmar Halbleib (SPD): Hört, hört!)

Manchmal, Frau Will, hilft Lesen wirklich weiter. Bei manchem hilft aber auch mehrmaliges Lesen offensichtlich nicht. Damit müssen wir uns bei der FDP wohl langsam abfinden.

Lassen Sie mich jetzt noch einmal ein paar Gedanken zum Gesetzentwurf darstellen. Was liegt denn eigentlich auf dem Tisch? - Ich bin davon überzeugt, dass in diesem Raum nur ganz wenige wissen, was jetzt mit unserem Gesetzentwurf eigentlich auf dem Tisch liegt. Lassen Sie mich es kurz sagen: Zwei Dinge sollen geändert werden: Erstens beantragt die SPDFraktion mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, die Gemeinschaftsschule als weitere Schulart gemäß den Artikeln 9 a und 9 b möglich zu machen. Im Gesetzentwurf steht nichts davon, dass wir irgendetwas abschaffen wollen, sondern nur von der Absicht, die Gemeinschaftsschule als weitere Schulart zu ermöglichen. Zweitens möchte der Gesetzentwurf sicherstellen, dass in der Region sogenannte Modellschulen möglich sind; deshalb sollen Artikel 81 und die folgenden ergänzt werden, die bis jetzt die Schulversuche und die Modellschulen regeln. Der Tenor dieser Änderungen ist, weg von Zentrallösungen für alle Regionen hin zu passgenauen, bedarfsgerechten Lösungen zu gelangen, die die unterschiedlichen Regionen Bayerns berücksichtigen.

Dazu darf ich feststellen, dass es der SPD-Fraktion mit diesem Gesetzentwurf nicht um ideologische

Grundsatzpositionen, sondern um pragmatische Lösungen für Kinder, Eltern und Kommunen geht. Wir wollen mit der Gemeinschaftsschule nach Lösungen suchen, die den Übertrittsdruck in der Grundschule deutlich abbauen, die oft fehlerhafte Einsortierung von neun- und zehnjährigen Kindern in die verschiedenen Schularten vermeiden und vermindern, und die Bildungsgerechtigkeit erhöhen könnten.

Andererseits wollen wir mit der Ausweitung der Artikel 81 und der folgenden die Zulassung der Modellschulen in den Regionen. Damit wollen wir einen Beitrag dazu leisten, dass Schulfamilie und Kommune bei Bedarf und - wohlgemerkt: - auf Antrag passgenaue und bedarfsgerechte Lösungen für ihren Schulstandort entwickeln und dann auch umsetzen dürfen.

Sie gehen auf diese Inhalte gar nicht ein. Ihre Antwort - ich zitiere noch einmal -:

Die Ansprüche, ein möglichst passgenaues Bildungsangebot vor Ort und möglichst individuelle Bildungsgänge anbieten zu können, verwirklichen wir in Bayern. Hier wollen wir in der Fläche dafür sorgen, dass das Schulangebot erhalten bleibt.

Ja, Sie rufen Bildungsregionen aus und versprechen den Menschen den Dialog. Wenn dann aber die Eltern, die Lehrkräfte, manchmal sogar die Schüler, vor allem aber die Vertreter der Kommunen zu bedarfsgerechten und passgenauen Lösungen kommen, die allerdings meistens nicht aus Ihrem Handwerkskoffer stammen, kommt von Ihnen ein "Nein, das geht nicht!" Sie lassen nur Lösungen in den Leitplanken zu. Wir aber in der SPD-Fraktion wollen die Beteiligung der Menschen, und wir trauen den Menschen auch Lösungen zu. Wir glauben, dass Menschen vor Ort am besten wissen, welche Lösungen sie brauchen. Deshalb legen wir diesen moderaten, aber doch eindeutigen Gesetzentwurf vor.

Nichts von alldem ist derzeit in Bayern möglich, Herr Minister. Das ist eine Sache des Unterschieds zwischen Anspruch und Wirklichkeit, eine Sache von Beteiligung, Dialog, Mitbestimmung, Mitwirkung. All diese Schlagworte muss man auch umsetzen. Ich frage mich: Wie lange werden Sie den Eltern, vor allem auch den Bürgermeistern, den Gemeinderäten, den Stadträten, den Kreisräten noch erklären können, dass sie, wenn sie sich auf den Weg gemacht haben, schlussendlich nicht umsetzen dürfen, was sie sich ausgedacht haben? - Ich wiederhole: Es geht nicht um Ideologie, sondern um pragmatische Lösungen. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob das bei Ihnen auch so ist, ob Ihre Ansätze auch ideologiefrei sind. Aber das ist ja das berühmte Streitthema.

(Zuruf des Abgeordneten Eduard Nöth (CSU))

Sie sagen - da sind wir durchaus der gleichen Meinung -, wir brauchen ein Schulwesen, das möglichst passgenaue Wege anbietet, und dies mit möglichst hoher Durchlässigkeit.

(Eduard Nöth (CSU): Das haben wir doch!)

- Jetzt muss ich zu Herrn Nöth schauen, der sagt: Das haben wir schon. Wie erklären Sie dem Bürgermeister, dass seine Schule nach einem Jahr Mittelschule bzw. Mittelschulverbund dicht gemacht wird? Wie erklären Sie ihm, wenn er sogar eine passgenaue Lösung anbietet, dass Sie sagen: Das geht aber nicht? Hier brauchen wir eine Öffnungsklausel, hier brauchen wir die beiden Gesetzesänderungen, die wir hiermit vorlegen. Aber ich weiß, es ist wohl sinnlos, in Ihre Richtung zu schauen und um Zustimmung zu bitten.

(Inge Aures (SPD): Da ist doch sowieso keiner da!)

Der weise Arthur Schopenhauer hat vor 200 Jahren gesagt - bitte hören Sie gut zu -: Neue Ideen und neue Erkenntnisse durchlaufen drei Stadien: Zuerst werden sie belächelt, dann energisch bekämpft, schließlich als Selbstverständlichkeiten angenommen.

(Volkmar Halbleib (SPD): Der hat die CSU noch nicht gekannt!)

Man könnte das dritte Stadium vorziehen, meine Damen und Herren, und heute zustimmen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Güll. Als Nächster hat Herr Kollege Eisenreich für die CSU das Wort.

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Die Weiterentwicklung und die Verbesserung der Schule ist und bleibt eine Daueraufgabe für alle Beteiligten. Wir haben in Bayern noch einige Ziele, die wir erreichen wollen. Das verbindet uns. Ob das die Verbesserung der Chancengerechtigkeit ist, ob das die weitere Stärkung der individuellen Förderung ist - auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Heterogenität der Schülerschaft -, ob das der weitere Ausbau der Ganztagsangebote ist, ob das die Schulentwicklung, die Profilbildung oder die pädagogische Weiterentwicklung ist oder ob es das große Thema Inklusion ist: Darüber müssen wir reden. Wir tun das auch intensiv im Plenum, im Bildungsausschuss und auch in Gesprächen vor Ort.