Protocol of the Session on March 15, 2012

(Volkmar Halbleib (SPD): Es ist eindeutig! Es ist wider besseres Wissen! Schwache Darstellung! Herr Kreuzer, zählen Sie einmal durch! Ihr macht euch doch lächerlich! Peinlich!)

- Es gibt also einen Hammelsprung. Ich bitte die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landtagsamts, die Kästchen mit "Ja", "Nein" und "Enthaltung" entsprechend aufzuhängen.

Wer entgegen dem Ausschussvotum dem Antrag zustimmen möchte, muss durch diese Tür gehen. Wer ihn ablehnen möchte, wie vom Ausschuss empfohlen, muss durch jene Tür dort gehen. Wir können nicht anfangen, solange die Schriftführerin nicht da ist.

(Die Schriftführerin betritt den Sitzungssaal)

Bitte anfangen.

(Folgt Abstimmung gemäß § 129 Absatz 2 der Geschäftsordnung - Zuruf von der SPD: Das war eindeutig! Warum haben wir einen Hammel- sprung gemacht?)

Die Abstimmung ist hiermit beendet. Wir können das Ergebnis vorlesen. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Ja haben 51 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 68 Abgeordnete, und es gab eine Enthaltung.

Sie sind in die Mittagspause entlassen, und ich kann mir die Anmerkung nicht verkneifen: Vor dem Hammelsprung war die Mehrheit für uns eindeutig.

(Beifall bei der SPD, den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN - Unterbrechung von 13.36 bis 14.07 Uhr)

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, nachdem die Oberfranken eröffnet haben, dürfen die Mittelfranken nach der Mittagspause weitermachen.

Wir treten wieder in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:

Beratung der zum Plenum eingereichten Dringlichkeitsanträge

Zur gemeinsamen Beratung rufe ich auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Dr. Karl Vetter u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) "Praxisgebühr" abschaffen! (Drs. 16/11863)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Kathrin Sonnenholzner, Sabine Dittmar u. a. und Fraktion (SPD) Versicherte entlasten - Handlungsfähigkeit der Krankenkassen erhalten (Drs. 16/11877)

Es wurde angezeigt, dass die Fraktion der FREIEN WÄHLER zu ihrem Antrag namentliche Abstimmung beantragt hat. Damit läuft unsere Zeit, die wir in der Debatte jetzt verwenden können.

Als ersten Redner darf ich Herrn Dr. Vetter zur Begründung des Antrags der FREIEN WÄHLER aufrufen. Bitte schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Thema lautet jetzt: "Praxisgebühr" abschaffen! Da es an Aktualität gewonnen hat - ich verweise auf die politische Diskussion darüber in den letzten ein, zwei Wochen, vor allem auf Bundesebene -, haben wir diesen Dringlichkeitsantrag eingebracht.

Zur Erinnerung für uns alle: Die Praxisgebühr, wonach die gesetzlich Versicherten zehn Euro pro Quartal in der Arztpraxis bezahlen müssen, wurde 2004 eingeführt. Deutschland war schon damals Spitzenreiter bei den Arztbesuchen in Europa. Man hatte damals den Plan, diese Gebühr als Steuerungsinstrument zu nutzen. Schon damals gab es jedoch warnende Stimmen von Fachleuten, die das bezweifelten.

Ein zweiter Grund für die Einführung war wohl, dass sich auf diese Weise der Beitragssatz für die gesetzliche Krankenversicherung herunterrechnen ließ. Optisch konnte er um 0,1 oder 0,2 Prozentpunkte sinken, da man sich das Geld von den Patienten in der Arztpraxis holen konnte.

Kolleginnen und Kollegen, seit 2004, vor allem in jüngster Zeit, hat sich die Situation völlig verändert. Wir haben gelesen, dass die Krankenkassen eine Rücklage von fast 20 Milliarden Euro - 20 Milliarden! aufgebaut haben. Mittlerweile gibt es einfach andere Erkenntnisse, sodass wir als FREIE WÄHLER sagen: Die Praxisgebühr ist obsolet, sie ist nicht mehr notwendig. - Ich werde das begründen.

Die erste Erkenntnis ist: Die Steuerungsfunktion, die man damals im Auge hatte, ist nachweislich nicht erfüllt worden. Das wird schon daran deutlich, dass wir in Deutschland nach wie vor 17 bis 18 Mal pro Jahr zum Arzt gehen. Dass das ursprüngliche Ziel nicht erreicht worden ist, sagen nicht nur wir FREIEN WÄHLER; auch der Spitzenverband der GKV hat Ende 2011 festgestellt, dass Bagatellbesuche und Ärzte

hopping durch die Praxisgebühr nicht eingedämmt worden sind.

Kolleginnen und Kollegen, ich glaube sogar, dass die Praxisgebühr mitverantwortlich dafür sein könnte, dass die Menschen häufiger zum Arzt gehen. Warum? - Erstes Argument. Ich halte sie für eine Flatrate. Die Patienten, die einmal diese 10 Euro bezahlt haben, gehen öfter zum Arzt und lassen sich kurz vor Quartalsende noch die eine oder andere Überweisung geben. Ich spreche aus eigener Erfahrung als niedergelassener Arzt. Ich mache die Praxisgebühr sogar dafür verantwortlich, dass wir in Deutschland zum Teil so viele Arztbesuche haben.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Ich frage Sie ganz einfach: Wenn Sie in ein All-youcan-eat-Restaurant gehen, essen Sie dann eher mehr oder weniger, nachdem Sie die Eintrittskarte bezahlt haben? Denken Sie an eine Telefonflatrate.

(Kathrin Sonnenholzner (SPD): All! Nicht mehr oder weniger, Herr Kollege!)

- Mehr. Telefoniert man bei einer Telefonflatrate mehr oder weniger? - Genauso ist es mit der Praxisgebühr, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Zweites Argument. Die Praxisgebühr ist unsozial. Sie betrifft nur die Arbeitnehmer, nur die in der GKV gesetzlich Versicherten; die privat Versicherten sind außen vor. Im Übrigen musste ich direkt lachen, als ich gestern die Schlagzeile über den gesundheitspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion in Berlin gelesen habe, Herr Spahn, der plötzlich ein Ende der ZweiKlassen-Medizin in Deutschland fordert. Genau das fordern wir FREIEN WÄHLER seit drei Jahren im Landtag immer wieder ein. Wir wollen nicht, dass die Privatversicherungen abgeschafft werden, aber wir wollen, dass man sich darüber Gedanken macht, wie das System aus gesetzlicher und privater Versicherung künftig auf eine solide Basis gestellt werden kann. Jetzt kommt die CDU daher. Ich bin gespannt, wann auch die CSU so weit ist. Wir werden sehen, ob die FDP noch mitentscheiden muss.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN - Wider- spruch bei der FDP)

Drittes Argument. Die Praxisgebühr verursacht Bürokratie und Verwaltungskosten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Etwa zwei Milliarden Euro werden pro Jahr eingenommen. Wir können ganz leicht nachrechnen. Zwei Milliarden Euro geteilt durch 10 Euro ergibt 200 Millionen Kassiervorgänge in Deutschland pro Jahr. 200 Millionen - dass dies einen bürokratischen Aufwand erfordert, kann sich, glaube ich, jeder von

uns vorstellen. Die Fachleute sagen, dass die Hälfte von diesen 2 Milliarden Euro, die mit der Praxisgebühr eingenommen werden, in Bürokratie und Verwaltung versickert. Ich erwähne die Kearney-Studie. Die anwesenden Fachleute werden diese Studie kennen. Vor sechs, acht Wochen hat eine große Unternehmensberatung die sogenannte Kearney-Studie herausgebracht. Dort wurde festgestellt, dass im deutschen Gesundheitswesen fast 25 % der Gebühren in die Verwaltung fließen und versickern. Die Praxisgebühr hat daran sicher einen großen Anteil.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Die Praxisgebühr ist also ein sinnloser Kostentreiber, sonst nichts.

Viertes Argument: Kolleginnen und Kollegen, haben Sie eigentlich schon einmal an die Würde der Patienten und auch an die Würde der Mitarbeiterinnen gedacht, die von einem Menschen, der in die Praxis hineinkommt, 10 Euro nach dem Motto fordern: Wenn ihr diese 10 Euro nicht bezahlt, dann behandeln wir euch nicht? Darüber sollten wir einmal nachdenken. Ich halte die Praxisgebühr in der Form, wie sie jetzt erhoben wird, nämlich mit Barbezahlung, für nicht ganz würdevoll.

Nächstes Argument. Diejenigen, die im Gesundheitswesen beteiligt sind, die betroffen sind, nämlich unsere Patienten, auch die Ärzte und die Krankenkassen, also die Hauptakteure im Gesundheitswesen, lehnen die Praxisgebühr seit Jahren ab. Aber auch hier gilt offensichtlich das Motto: Wenn man den Sumpf trockenlegen will, darf man nicht die Frösche fragen, meine Damen und Herren. Sonst wäre die Praxisgebühr schon längst vom Tisch.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Heute gibt es also kein einziges Argument mehr pro Praxisgebühr. Die Praxisgebühr trägt meines Erachtens dazu bei, dass ein sowieso schon zu komplexes Gesundheitssystem nicht mehr beherrschbar ist. Das ist ein Baustein.

Ein Wort zu unserem Ministerpräsidenten - in der Pause war er noch da; jetzt hat er uns verlassen. Was macht und machte Herr Seehofer jetzt, gestern, vorgestern, die letzten Tage? Nachdem die FDP im Bund die sofortige Abschaffung der Praxisgebühr ins Spiel gebracht hat, sagt unser Ministerpräsident, dass er ein schnelles Ende der Debatte wünscht. Ein Ministerpräsident, der sich sonst für Schlagworte am Fließband nicht zu schade ist, laufend und immer wieder neue Schlagworte bringt, steckt zurück, wenn es komplexer wird, und möchte dann Diskussionen verbieten. Kolleginnen und Kollegen, ich meine, das kann er in

der CSU-Fraktionssitzung machen, aber nicht hier bei diesem Gesundheitsthema.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Zusammengefasst: Wir FREIEN WÄHLER meinen, dass die Praxisgebühr in dieser Form unsinnig, unsozial, bürokratisch und überflüssig wie ein Kropf ist. Sie ist eine Zumutung für die Patienten. Wir empfehlen, sie wegen Sinnlosigkeit so bald wie möglich zu streichen. Kolleginnen und Kollegen, ein Lenkungsinstrument, das nicht lenkt, hat seine Berechtigung verwirkt. So einfach kann man das sagen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Jetzt hätten wir in Bayern einmal etwas in der Hand. Ich bitte daher um Zustimmung zu unserem Antrag. Wir können im Gesundheitswesen, in der Gesundheitspolitik konkret etwas anregen. Im Bund sind im Moment die FDP und große Teile der CDU dafür, die Praxisgebühr abzuschaffen. Ich weiß, dass auch CSU-Kollegen im Landtag dafür sind. Geben Sie sich bitte einen Ruck. Stimmen Sie unserem Antrag auf sofortige Abschaffung der Praxisgebühr zu.

Ich komme noch kurz zum Antrag der SPD. Er geht in dieselbe Richtung, ist uns jetzt aber zu komplex.

(Kathrin Sonnenholzner (SPD): Das stellen wir uns leicht vor, dass das für Sie zu komplex ist, Herr Kollege!)

- Um das in der Kürze der Zeit abzuarbeiten, Frau Kollegin. Vor allem in der Begründung sprechen Sie von mittelfristig anderen Mehrheiten - im Landtag meinen sie wohl eine Mehrheit mit den FREIEN WÄHLERN.

(Kathrin Sonnenholzner (SPD): Das erkläre ich Ihnen anschließend!)

In der Begründung steht, dass mittelfristig nur die solidarische Bürgerversicherung geeignet ist, die nachhaltige Finanzierung der GKV sicherzustellen. Es gibt andere Modelle. Wir haben die soziale Gesundheitsversicherung der FREIEN WÄHLER schon mehrfach vorgestellt. Das ist ein sehr, sehr guter Kompromiss, der das Beste aus beiden Systemen praktisch in sich vereint. Darum können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.