Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Helga Schmitt-Bussinger, Franz Schindler u. a. und Fraktion (SPD) Sofortige Einsetzung eines Sonderermittlers zur Aufklärung der rechtsterroristischen Morde und der Rolle des Landesamts für Verfassungsschutz (Drs. 16/11136)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Dr. Martin Runge, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Initiative zu Sonderermittlungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) vorantreiben! (Drs. 16/11150)
Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Als Erster hat sich Herr Kollege Schneider von der SPD zu Wort gemeldet.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Bereits am 30. November letzten Jahres hat der Ausschuss für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit einstimmig beschlossen, dass wir einen umfassenden Bericht zu den fünf Neonazi-Morden in Bayern bekommen. Wie gestern bekannt wurde, soll der Bericht am 7. März durch Innenminister Herrmann im Innenausschuss gegeben werden. So weit, so gut. Reicht dies aus? Wir sagen: Nein. Ich möchte dies begründen.
Vonseiten der Staatsregierung wird schon seit Wochen gebetsmühlenartig wiederholt, dass den bayerischen Behörden keine Fehler unterlaufen sind. Ich muss zugeben, dass ich davon als ehemaliger Polizeibeamter auch überzeugt war. Dieses Bild hat in den letzten Tagen aber leider einen Riss bekommen. So war in den Tageszeitungen zu lesen oder bei "Frontal 21" zu sehen, dass es hier ganz eklatante Widersprüche zwischen ehemaligen Ermittlern der Soko Bosporus auf der einen Seite und Innenminister Herrmann sowie dem Verfassungsschutz auf der anderen Seite gibt.
Wurde das LfV, das Landesamt für Verfassungsschutz, nun von der Soko Bosporus gebeten, die Verfassungsschutzbehörden der anderen Bundesländer einzuschalten, oder nicht? Wurden der Soko Informationen vorenthalten, wurden sie einfach nicht weitergegeben? Insbesondere interessiert hier die Rolle des LfV ab Sommer 2006, als erstmals von einem Profiler der Verdacht geäußert wurde, dass es sich hierbei um eine rassistisch motivierte Gewalttat handeln könnte.
Es gibt also Widersprüche. Diese müssen wir aufklären. Da geht es beileibe nicht um parteipolitisches Gezänk oder darum, wie Kollege Weiß gestern im Innenausschuss bemerkt hat, dass die Opposition ihr parteipolitisches Süppchen kochen will. Nein, es geht um Glaubwürdigkeit und Vertrauen, um das Vertrauen in die bayerischen Ermittler und um die Glaubwürdigkeit der Staatsregierung. Glauben Sie mir: Niemandem ist mehr daran gelegen als mir, dass sich der Verdacht auf vermutliche Pannen bei den Ermittlungen als haltlos herausstellt.
Mir ist es wie vielen hier unerklärlich, wieso die Auswertung von über 3.500 Spuren, 11.000 Personen und Millionen von Datensätzen nicht zum Erfolg geführt hat. Ich gehöre nicht zu denen, die Innenminister Herrmann Untätigkeit vorwerfen. Meine ehemaligen Kollegen sind nicht auf dem rechten Auge blind; auch das möchte ich einmal klarstellen.
Ich erinnere dabei an die Grundsteinlegung für die neue Synagoge in München, als ein geplantes Attentat am 9. November 2003 verhindert werden konnte. Aber was wir wollen, sind Klarheit und Wahrheit. Ein eigener Untersuchungsausschuss ist nicht notwendig. Hier wird auf Bundesebene und in Thüringen Aufklärungsarbeit geleistet.
Auch die Sonderkommission Trio des Bundeskriminalamts mit fast 400 Ermittlern - übrigens auch aus Bayern - ist mit der Aufklärung der Morde und der vermeintlichen Pannen beschäftigt. Aber es ist davon auszugehen, dass die Vorkommnisse in Bayern mit den fünf Morden von 2000 bis 2006 nicht allein im
Genau aus diesem Grund halten wir es für sinnvoll und richtig, einen unabhängigen Sachverständigen mit der Untersuchung der Rolle des Landesamts für Verfassungsschutz zu beauftragen. Er soll uns berichten, ob es ein mögliches Versäumnis oder gar ein Versagen des Landesamts für Verfassungsschutz gegeben hat.
Ich betone nochmals eindringlich: Wir wollen kein parteipolitisches Süppchen kochen. Wir wollen niemanden beschädigen. Wir wollen Klarheit und Wahrheit. Dazu ist der unabhängige Sonderermittler notwendig.
Danke schön, Kollege Schneider. Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Tausendfreund von der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Bitte sehr.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Geheimdienst braucht Kontrolle, und diese Kontrolle muss auch wirksam ausgestaltet sein. Bei der jetzigen Konstruktion und Konstellation des Parlamentarischen Kontrollgremiums - PKG - ist diese Form der notwendigen Kontrolle nicht möglich,
und dies trotz der neuen gesetzlichen Grundlage, die seit gut einem Jahr gilt. Die Beantwortung von Fragen im PKG ist von der Mehrheit abhängig. Ich habe zum Beispiel nach Anzahl und Bezahlung der V-Leute gefragt. Diese Frage wurde mir nicht beantwortet. Die Mehrheit meinte, das sei nicht nötig. Akteneinsicht und die Befragung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind ebenfalls von der Mehrheit im PKG abhängig.
Das heißt, die Regierungsfraktionen können in diesem Gremium die Kontrolle verhindern. Bei der Berichterstattung erfahre ich sehr häufig nur Dinge, die ohnehin schon in der Zeitung gestanden sind.
Ein weiteres Beispiel ist die Sondersitzung, die ich im letzten Jahr beantragt hatte. Diese Sondersitzung hat zwar stattgefunden, dafür fiel aber dann die nächste reguläre Sitzung aus. Das kann doch wirklich nicht die Kontrolltätigkeit dieses Gremiums sein.
Wann, wenn nicht im Zusammenhang mit den NaziMorden, ist es geboten, die neuen Kontrollinstrumente, die die neue gesetzliche Grundlage geschaffen hat, auch anzuwenden? In unserem Antrag wird erstens gefordert, einen unabhängigen Sonderermittler einzusetzen, es wird zweitens ein Bericht an den Landtag durch diesen Sonderermittler und drittens noch ein in Bezug auf die Geheimhaltung gelockerter Bericht durch das Parlamentarische Kontrollgremium gefordert. Dann sind nämlich auch Sondervoten möglich.
Bereits am 22. November habe ich deshalb beantragt, die Nutzung dieser Kontrollinstrumente einzuleiten, bisher noch ohne Erfolg. Im PKG bin ich insoweit auf Unverständnis gestoßen, was wiederum bei mir auf Unverständnis gestoßen ist. Heute ist es längst überfällig, einen Schritt weiterzukommen. Als vierten Punkt beantragen wir daher noch, dass wir Informationen von der Bundesebene bekommen. Es ist, so denke ich, notwendig, dass unsere PKG-Mitglieder den Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz zur Kenntnis bekommen.
Nach wie vor ist es absolut unbegreiflich, wie die "Zwickauer Terrorzelle" dreizehn Jahre lang aus dem Untergrund heraus unbehelligt zehn Menschen ermorden konnte. Hat es Versäumnisse gegeben? Wo wurde nicht genau hingesehen? Wann hätten auch beim Bayerischen Verfassungsschutz die Alarmglocken läuten müssen? Trotz des vielfältigen V-MannEinsatzes durch die Verfassungsschutzbehören und die umfangreichen Ermittlungen der Polizei blieben der ausländerfeindliche, rechtsextremistische Hintergrund der Taten und die Existenz des NSU unentdeckt. Viel zu schnell wurden die Morde der organisierten Kriminalität zugeordnet, viel zu leichtfertig wurden die Opfer mit dem kriminellen Milieu in Verbindung gebracht.
Die Öffentlichkeit und insbesondere auch die Hinterbliebenen haben einen Anspruch darauf zu erfahren, wie es dazu kommen konnte. Das Parlament hat dabei die Pflicht, alle zur Verfügung stehenden Kontrollinstrumente wirksam einzusetzen, um eventuelles Behördenversagen aufzuklären oder auch festzustellen, dass ordnungsgemäß gehandelt worden ist. Dass es eben kein Versäumnis gegeben hat, wäre auch ein mögliches Ergebnis, das dann auch offensiv nach außen getragen werden kann. Deshalb ist die Überprüfung der Arbeit des Verfassungsschutzes durch einen Sonderermittler nötig.
Viele Fragen wurden aufgeworfen. Welche Informationen lagen dem Verfassungsschutz vor, insbesondere über die Netzwerke der Neonazis in Thüringen und in Bayern und deren Verbindungen? Welche Informatio
nen gab es über deren Gewaltbereitschaft, welche über den Waffenbesitz und die Waffenbeschaffung? Wie hat sich der Verfassungsschutz mit den anderen Verfassungsschutzämtern ausgetauscht? - Diesbezüglich hat es anscheinend durchaus Defizite gegeben, was auch die Aussage des stellvertretenden Leiters der Soko Bosporus belegt hat. - Welche Informationen wurden an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet und welche gegebenenfalls nicht? Welche Recherchen hat das Landesamt selbst eingeleitet, insbesondere nachdem im Dezember 2006 die Anfrage der Soko Bosporus eingetroffen war? - Man redet sich heraus und sagt, man habe mit den anderen Verfassungsschutzämtern keinen Kontakt aufgenommen, weil das die Soko doch selber hätte tun können. Ich meine, der Verfassungsschutz hätte hier auch selbst tätig werden müssen. - Welche Unterstützung hat das Landesamt der Sonderkommission gegeben, um die Liste mit mehreren Hundert Neonazis aus dem Raum Nürnberg auszuwerten, aufzubereiten und bei den Ermittlungen konkret zu helfen, oder hat es keinerlei Unterstützung gegeben?
Die bisherigen Informationen können absolut nicht ausreichen. In der letzten Sitzung des PKG war dann einfach wieder die Zeit herum; weitere Fragen waren dann nicht mehr möglich, und Informationen an die Öffentlichkeit -
Ich wollte die Fortsetzung in der nächsten Sitzung, ich wollte, dass das bei einem regulären Termin fortgesetzt wird.
- Doch. Natürlich. - Aber eigentlich dürfen wir hier gar nicht aus der Sitzung und vom Ablauf berichten.
Aber ich habe hier keine Informationen gegeben, die nicht schon Herr Dr. Weiß gestern in der Ausschusssitzung genannt hätte. Jedenfalls kommen auch die öffentlichen Informationen vom Innenministerium nur scheibchenweise. Erst hieß es: Wir geben gar nichts heraus. Als dann der Druck der Presse durch die Berichterstattung bezüglich der Soko und des stellvertretenden Leiters zu groß wurde, wurde plötzlich die Presse informiert, bekam aber auch nur ein paar Bröckchen. So kann es nicht weitergehen. Ich denke, die Kontrollaufgaben müssen besser wahrgenommen werden. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu beiden Anträgen.
Herr Präsident, Hohes Haus! Die schlimme Mordserie der rechtsextremistischen Terroristen hat uns alle erschüttert. Es war für uns nicht vorstellbar, dass so etwas in unserem Land passieren kann. Wir haben das alles durch die Zeitungen miterlebt, aber auch wir haben natürlich keine Zusammenhänge erkannt.
Wenn man feststellt, dass so etwas vorgefallen ist, ist es selbstverständlich, dass man klärt, ob und gegebenenfalls wo Fehler gemacht wurden. Dazu gibt es eine Sonderkommission im Bundeskriminalamt unter der Leitung des Generalbundesanwalts. Das ist das Gremium, das Zugriff auf alle Behörden hat. Es gibt, nachdem es konkrete Vorwürfe gegenüber Bundesbehörden gibt, einen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags. Nachdem es auch konkrete Vorwürfe im Bereich Thüringen gibt, gibt es auch einen Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags. In Bayern gab es bisher keine konkreten Vorwürfe.
Dennoch haben wir am 30. November den Beschluss gefasst, dass das Innenministerium sobald wie möglich einen umfassenden Bericht abgeben solle. In der nächsten Sitzung wird natürlich kein umfassender Bericht abgegeben werden. Das ist klar. Aber am 7. März wird im Innenausschuss ein Zwischenbericht der Staatsregierung erfolgen. Dies kann nicht, wie die GRÜNEN es gefordert haben, ein detaillierter Zwischenbericht zum aktuellen Stand der Ermittlungen sein, denn über die Ermittlungen ist nicht der Innenminister informiert, sondern der Generalbundesanwalt. Das Innenministerium wird vielmehr über die Fragen informieren, die in den letzten Wochen aufgekommen sind und die bayerische Behörden betreffen. Zu jeder dieser Fragen wird es die entsprechende Antwort geben.
Was die Untersuchungen angeht, gibt es noch ein Gremium, das von diesem Landtag hierfür eingesetzt wurde, das Parlamentarische Kontrollgremium. Ich weiß nicht, ob Frau Kollegin Tausendfreund immer als Einzige in einer ganz anderen Sitzung sitzt; aber, Frau Tausendfreund, auf jeden Fall hat das Innenministerium in dieser von Ihnen als Sondersitzung be
Es sind Kollegen aus allen Fraktionen hier, die das bestätigen können. Wenn Kollegin Tausendfreund meint, sie hätte noch weitere Fragen gehabt, dann muss ich feststellen, dass sie das zumindest nicht gesagt hat. Und was Sie sich denken, kann niemand von uns wissen. Man hat auch nicht die nächste Sitzung ausfallen lassen, sondern wir haben gesagt: Jetzt ist alles behandelt worden. Wenn es die nächsten drei Wochen etwas Neues gibt, dann machen wir die planmäßige Sitzung. Wenn es nichts Besonderes mehr gibt, brauchen wir keine weitere Sitzung zu machen. - Ich habe angeboten, Frau Kollegin Tausendfreund, dass wir dann, wenn sich über Weihnachten etwas Besonderes ergeben würde, in der ersten Sitzungswoche des Landtags, in der Klausurtagungen waren, eine Sitzung machen. Aber niemand hat eine Sitzung gefordert. Warum? - Weil es keine neuen Informationen gegeben hat.
Das Parlamentarische Kontrollgremium wird innerhalb der nächsten zwei Wochen seine nächste Sitzung durchführen. Dann werden die Fragen behandelt, die in den letzten Tagen aufgetaucht sind. Ich muss deutlich sagen: Eine Frage, die Anfang Januar auftaucht, kann der Innenminister natürlich nicht schon Ende November beantworten.
Kommen wir jetzt einmal zu dem Punkt, wo Sie gesagt haben, der pensionierte ehemalige stellvertretende Leiter der Soko erinnere sich an eine Anfrage an das Landesamt für Verfassungsschutz nach rechtsradikalen Mitgliedern im Großraum Nürnberg. Er hat damals eine umfassende Antwort bekommen. Hunderte von Namen sind genannt worden. Aber das Problem ist: Die Täter Mundlos und Böhnhardt waren nicht dabei, weil sie nicht zur Nürnberger Szene gehört haben. Sie werden wissen, dass die in Thüringen waren. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob eine Gruppe in Nürnberg agiert und dort Straftaten begeht oder ob eine Gruppe in Thüringen ist und woanders Straftaten begeht.
Kurzum: Die Fragen, die jetzt gestellt worden sind, werden in der nächsten Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums behandelt. Es ist also alles in die Wege geleitet, um eine umfassende Klärung des Sachverhalts herbeizuführen.