Herr Runge, Sie hatten vorgeschlagen, die Steuern zu erhöhen. Herr Halbleib, Sie haben gesagt, man müsste sich überlegen, ob man andere steuerrechtliche Maßnahmen durchführt. Deshalb möchte ich zur Frage, was bei uns gesagt wurde und was anderswo beschlossen wurde, etwas sagen. Sie sagen, wir müssen etwas tun. Ich muss aber auf die Vergangenheit verweisen. In der Frage der Haushaltskonsolidierung und der Stabilitätskultur ist ein Blick zurück gut, um die Glaubwürdigkeit für die Zukunft zu bestimmen. Mit Finanzminister Eichel hätten Sie damals die Vermögensteuer erhöhen können. Was haben Sie gemacht? Der Kollege Eichel hat zur Überraschung der Börsianer sogar eine Steuerbefreiung für Veräußerungsgewinne der Kapitalgesellschaften eingeführt. Er wurde damit zum Held aller derjenigen, die Sie heute verteufeln. Damals hätten Sie die Vermögensteuer wieder beleben können, Sie haben aber das Gegenteil gemacht.
Zweitens. Denken Sie einmal darüber nach: In Europa haben wir gerade in den letzten Jahren massive Verstöße gegen die Stabilitätspaktidee gehabt. Wir hatten eine massive Explosion der Staatsschulden. Dabei stellt sich die Frage, ob wir Deutsche immer ein Vorbild waren. Zwischen den Jahren 2002 und 2005 hat Deutschland regelmäßig die Defizitgrenzen überschritten, blaue Briefe aus Brüssel bekommen und im Jahr 2005 sogar selber dafür gesorgt, dass der Stabilitätspakt aufgeweicht wurde. Wenn jemand dafür Mitverantwortung in Europa getragen hat, war es die Regierung Schröder und Eichel.
Ein Letztes: Ich habe es erst heute gelesen, und es hat mich sehr bewegt. Wie ist eigentlich Griechenland damals in die Eurozone gekommen?
(Zuruf von der SPD: Weil sie gelogen haben! - Dr. Paul Wengert (SPD): Das wissen Sie! - Karl Freller (CSU): Das wollen Sie nicht hören!)
- Hören Sie zu, es hilft uns allen weiter. Damals gab es heftige Bedenken gegen Griechenland. Aus der Zeit des Herrn Eichel gibt es einen Brief des Bundesministers der Finanzen, nachdem Herr Reckers, ein Mitglied des Zentralbankrats, geäußert hat, Griechenland hätte unter den seinerzeitigen Bedingungen der Eurozone nicht beitreten können. In diesem Brief an den Präsidenten der Deutschen Bundesbank, den "Freund Welteke", steht Folgendes - ich zitiere:
Ich bitte Sie dringend, Herrn Reckers darauf hinzuweisen, dass er als LZB-Präsident und Mitglied des Zentralbankrates der Deutschen Bundesbank in einer Pressekonferenz keine persönliche Meinung äußern kann. Als Mitglied des Zentralbankrats ist er nicht befugt, ein Urteil darüber abzugeben, ob Griechenland die Kriterien für einen Beitritt zur Europäischen Währungsunion erfüllt.
Hätten Sie Fachleuten damals keinen Maulkorb gegeben, hätten wir heute vielleicht eine andere Situation.
Ein letzter Satz; zu den anderen Themen wollte ich mich gar nicht äußern. Aber ich habe heute eine Meldung zum Betreuungsgeld gelesen. Auch im Antrag von Herrn Runge heißt es, das Betreuungsgeld sei eine schlechte Wahl. Ich habe viel Verständnis dafür, dass man immer um die beste Variante ringt und streitet. Allerdings ist Bayern das einzige Land, in dem beim Krippenausbau der Landesbeitrag höher ist als der Bundesbeitrag. Mit dem Betreuungsgeld wollen wir die Eltern nicht bevormunden und ihnen vorschreiben, wie sie ihr Leben zu führen haben, sondern wir wollen ihnen die Chance geben, das Leben mit ihren Kindern so zu gestalten, wie sie es wollen. Herr Rinderspacher, mich hat heute eine Meldung über Herrn Oppermann schockiert - er gehört auch zu euch. Herr Oppermann nannte das Betreuungsgeld eine obszöne Maßnahme.
In Wikipedia wird "obszön" als etwas Verderbliches und Schamloses beschrieben, was bei anderen Menschen Ekel hervorruft. Jetzt muss ich Ihnen eines sagen -
Man kann alles bestreiten. Damit habe ich kein Problem. Wenn Sie aber eine Leistung, die viele Eltern, Väter und Mütter, gerne annehmen würden, als obszön und Ekel erregend bezeichnen, haben Sie nicht die richtige Einstellung gegenüber den Familien.
(Lebhafter Beifall bei der CSU und der FDP - Phi- lipp Graf von und zu Lerchenfeld (CSU): Was ist das für ein Menschenbild? - Alexander König (CSU): Beredtes Schweigen bei der Opposition!)
Ich schließe. Ich habe Verständnis für Ihre Fragen, wie wir mit diesen Haushaltsbeschlüssen umgehen. Sie können viele gute Beiträge bringen. Darüber gibt es keine Diskussion. Ihre Diskussionskultur zu diesen Themen halte ich aber nicht für fair, denn sie machen in Berlin etwas anderes als das, was Sie hier sagen. Uns aber Vorwürfe dafür zu machen, halte ich intellektuell nicht für redlich. Deshalb bitte ich um Verständnis dafür, dass wir Ihre Anträge nicht unterstützen können.
(Vom Redner nicht autori- siert) Herr Minister, ich wundere mich schon, dass Sie in Ihrem Beitrag das Wort der intellektuellen Redlichkeit im Munde führen. Das Erbe des Generalsekretärs ist hier noch deutlich zu spüren.
Zur Seriosität eines Finanzministers gehört es, Anträge der Oppositionsfraktionen, die damit ihr eigenständiges Haushaltsprofil entwickeln, bei der Bilanz nicht zusammenzuzählen, sondern sie jeweils einzeln zu bewerten. Das, was Sie hier machen, ist absolut unseriös.
Jede Fraktion steht für eine eigenständige Haushaltspolitik, die sie auch selbst verantworten muss. Im Übrigen kann ich Ihnen nur sagen, dass die SPD für ihre Anträge unter Beachtung des ausgeglichenen Haushalts jeweils Gegenfinanzierungsvorschläge gemacht
hat. Im Gegensatz dazu haben Sie bei Ihren Beschlüssen in Berlin keine Gegenfinanzierung vorgeschlagen. Das stelle ich so fest. Ich bitte Sie, diese intellektuelle Redlichkeit bei zukünftigen Debatten zu pflegen und zu üben. Soweit der erste Punkt.
Der zweite Punkt. Ich bitte Sie auch um politische Redlichkeit. Natürlich muss der Grundfreibetrag nach den Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts angehoben werden. Davon war überhaupt nicht die Rede, im Gegenteil, in den Statements ist das deutlich zum Ausdruck gekommen. Darüber gibt es überhaupt keine Diskussion. Dass Sie den Eindruck zu erwecken versuchen, wir wollten den Grundfreibetrag nicht anheben, finde ich schon sehr bedenklich.
Wir sagen nur, dass bei weitergehenden Steuersenkungen Gegenfinanzierungen erfolgen müssen. Das verlangen wir. Wir wollen keine Ausflüge in die Geschichte machen.
Wir wollen keine Ausflüge in die finanzpolitische Geschichte machen. Wir wollen im Jahr 2011 darüber entscheiden, was in Bayern und was in Berlin gemacht wird. Ich stelle fest, dass die Gegensätze augenfällig sind. Hier halten wir am ausgeglichenen Haushalt fest, dort werden Steuersenkungen auf Pump vorgenommen.
Danke, Herr Kollege Halbleib. Für ebenfalls zwei Minuten hat nun Herr Staatsminister Dr. Söder das Wort.
Eigentlich muss ich dazu gar nicht mehr viel sagen. Ich respektiere natürlich Ihre Haltung. Ich will Sie nur auf eines hinweisen: Die SPD hat bei den Summen, die ich genannt habe, tatsächlich die niedrigste. Die SPD hat Forderungen im Umfang von 330 Millionen Euro im Jahre 2011 und Forderungen im Umfang von 873 Millionen Euro für das Jahr 2012 aufgestellt. Bei den GRÜNEN waren es 646 Millionen Euro für das Jahr 2011 und 961 Millionen Euro für das Jahr 2012. Bei den FREIEN WÄHLERN waren es 920 Millionen Euro für das Jahr 2011 und 1,353 Milliarden Euro für das Jahr 2012. Ich respektiere das.
Wenn ich diese Summen zusammenrechne, komme ich auf eine Gesamtsumme von über fünf Milliarden Euro ohne Deckung.
Zum Zweiten. Sie haben vorhin ordentlich ausgeteilt, das müssen Sie zugeben. Wer austeilt, muss auch erwarten, dass er eine charmante oder manchmal deutliche Antwort bekommt. Ich finde es unfair, wenn Sie hier den Haushaltskonsolidierer geben, während Sie in den Jahren vorher, wo Sie Chancen hatten, etwas zu tun, genau das Gegenteil gemacht haben. Das waren nicht Sie persönlich, sondern Ihre Freunde in Berlin. Das gehört zur Wahrheit.
Herr Finanzminister, nachdem Sie gerade so stark in die Vergangenheit gegangen sind, helfen wir Ihnen beim Auffrischen der Geschichtskenntnisse. Der große Lehrmeister für das Umgehen der Referenzwerte, der Konvergenzkriterien zur stabilitätsorientierten Haushaltspolitik, war Theo Waigel. Er hat in den Jahren 1996 bis 1999 wunderbar vorgemacht, wie die anderen Länder tricksen können. Deshalb erhielt er auch den Namen "Theo Goldfinger". "Mephistos Trick" hieß eine große Serie in der "Neuen Zürcher Zeitung". Dort wurde alles dargestellt, was Theo Waigel durchexerzieren wollte, um zu täuschen und zu tricksen.
Im Übrigen war die Einführung des Euro, der gemeinschaftlichen Währung, wie sie von Kohl und Waigel vorangetrieben wurde, nämlich ohne gleichzeitig für haushalts- und finanzpolitische Konvergenz zu sorgen, der große Fehler. Schauen wir in die Vergangenheit der Causa Griechenland: Papandreou hatte eine Vorgängerregierung. Diese Vorgängerregierung wurde von einer Dame namens Angela Merkel über Jahre dazu angehalten, die desaströse Haushaltssituation zu vertuschen und zu vernebeln. Auch das gehört zur Wahrheit der Geschichte.
Liebe Kollegen, Sie dürfen davon ausgehen, dass ich die Zeit im Blick habe. Dieser Redebeitrag dauerte nicht länger als zwei Minuten. Herr Minister, ich bitte Sie, innerhalb von zwei Minuten Stellung zu nehmen.
Ich sehe einmal davon ab, dass Theo Waigel im Jahre 1999 nicht mehr Bundesfinanzminister war. Zu diesem Zeitpunkt war er schon etwas anderes. Ich gewöhne mir jetzt an, bei Zahlen genau zu sein.
Herr Dr. Runge, es ist schon sehr mutig, so etwas zu sagen. Wer hat in den Jahren, die ich genannt habe, einen blauen Brief aus Brüssel erhalten? Welche Bundesregierung hat sich international dafür eingesetzt, die Kriterien der Stabilität flexibler und atmender zu interpretieren? - Das war die Regierung Schröder. Das war eine rot-grüne Regierung. Diese Regierung hat das Beispiel gegeben. Alles andere ist Geschichtsklitterung.
Uns liegen hier oben keine weiteren Wortmeldungen mehr vor, weshalb wir in die Abstimmung eintreten können. Wir werden jetzt drei normale und eine namentliche Abstimmung durchführen.
Wir beginnen mit der Abstimmung zum Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 16/10179, das ist der Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Wer diesem Dringlichkeitsantrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Das ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN. Ich bitte, die Gegenstimmen anzuzeigen. - Das sind die Fraktionen der CSU und der FDP. Enthaltungen? - Das sind die Fraktionen der SPD und der FREIEN WÄHLER sowie Frau Kollegin Dr. Pauli. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.