In der Runde der Ministerpräsidenten haben Sie unsere Anregung selbstverständlich aufgegriffen, assistiert durch Kollegen Kretschmann, und wir haben uns auch in vielen Punkten durchgesetzt.
Wie gesagt: Dialog sieht doch etwas anders aus. Herr Ministerpräsident, wir kennen auch Ihr Naturell, Ihre Rauflust, Ihren pfleglichen Umgang mit dem Koalitionspartner. Herr Zeil, ich vermute, dass Sie unter Ihrem schönen blauen Sakko und unter Ihrem Hemd sehr viele blaue Flecken tragen. Der pflegliche Umgang mit dem Koalitionspartner deutet uns an, wie wir Ihre Schallmeientöne einordnen können und einordnen dürfen.
Herr Ministerpräsident, die Frage, ob Sie jetzt den Konsens, die Zusammenarbeit wirklich wollen oder aber nicht, muss uns jetzt allerdings gar nicht so sehr kümmern; denn Fakt ist, dass die Energiewende vorangebracht und gelebt werden muss. Dies ist im Interesse des Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger, und das ist jetzt auch im Interesse Ihrer Glaubwürdigkeit. Daran kommen Sie nicht mehr vorbei. Sie haben vorhin ausgeführt: Bayern steht in den Startlöchern. Wir dürfen Sie schon fragen: Wie lange wollen Sie denn noch in diesen Startlöchern stehen bleiben?
Wie lange lassen Sie Eifersüchteleien und das Hinund Herwerfen und das Hin- und Hergezerre von Kompetenz zu? Seien Sie aber versichert: Wir werden nicht müde, entsprechend anzuschieben, weil wir der Meinung sind, dass etwas vorangehen muss.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bayerische Staatsregierung hat auf die furchtbaren und unvorstellbaren Ereignisse von Fukushima und deren verheerende Auswirkungen rasch, umsichtig und verantwortungsvoll reagiert. Dazu haben beide Koalitionspartner beigetragen. Meine Partei, die bayerische FDP, hat bereits auf ihrem Landesparteitag in Amberg Mitte April die zentralen Eckpunkte für eine Energiewende ohne Kernenergie für den Freistaat Bayern entwickelt und beschlossen. Binnen weniger Wochen haben wir dann in der Staatsregierung ein umfassendes Energiekonzept vorgelegt und dargelegt, wie wir den Ausstieg aus der Kernenergie beschleunigen werden. Das ist unbestritten das konkreteste und in dieser Form bisher das einzige Papier eines Bundeslandes in der Bundesrepublik Deutschland. Meine Damen und Herren, dies zeigt die Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit dieser Staatsregierung und der sie tragenden Koalitionsparteien.
Die Freien Demokraten sind nicht gegen das Ziel, sich schneller als bisher dauerhaft und endgültig von der Kernenergie zu verabschieden. Ich darf daran erinnern, dass auch die Entscheidungen im letzten Herbst als Ergebnis den gesellschaftlichen Konsens des Ausstiegs hatten. Wir waren und sind nur der Auffassung, dass man Politik nicht hektisch, nicht getrieben, sondern vorausschauend und vernünftig betreiben sollte. Das sind wir den Menschen, die uns alle in verantwortungsvolle Positionen gewählt haben, schuldig.
Meine Damen und Herren, deswegen haben wir auch immer gesagt, dass die Energiewende so schnell wie möglich, aber eben nicht schneller als möglich kommen kann. Eines darf ich an dieser Stelle noch grundsätzlich anfügen; und ich sage das an alle Seiten: Wir haben bis dato noch keinen Umstieg erreicht. Wir haben lediglich formuliert, was wir bis wann erreichen
wollen. Meine Kolleginnen und Kollegen, machen wir uns nichts vor: Die großen Herausforderungen - auch die Schwierigkeiten auf diesem Weg - werden erst noch kommen. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, diese Schwierigkeiten auf die Seite zu räumen, und die Energiewende entschlossen gestalten.
Ich versichere dem Hohen Hause, dass ich all meine Energie und meine politische Kraft dafür einsetzen werde, diese Energiewende zu einem Erfolg zu machen. Als guter Demokrat akzeptiere ich selbstverständlich auch Entscheidungen auf Bundesebene, die ich so nicht getroffen hätte. Meine Damen und Herren, am Schluss werden wir alle nicht an unserer Ausstiegsrhetorik im Rahmen eines verbalen Wettlaufs gemessen. Wir werden daran gemessen, welche konkreten Ergebnisse wir erreichen und dass es uns gelingt, unseren Freistaat auch ohne Kernenergie international wettbewerbsfähig zu halten.
Dieser Wettbewerb wird für Bayern durchaus härter werden; denn die Entscheidungen, die für unser Land getroffen worden sind, bedeuten nicht mehr und nicht weniger als einen grundlegenden Umbau unserer gesamten Energie- und Versorgungswirtschaft, wie das der Ministerpräsident ausgeführt hat. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir es am Ende schaffen können und schaffen werden; denn auch die erneuerbaren Energien bergen nicht nur reichlich innovatives Potenzial, sondern versprechen auch zukunftsfähige und qualifizierte Arbeitsplätze.
Meine Damen und Herren, der Freistaat ist Vorreiter bei erneuerbaren Energien, die bereits 25 % unserer Stromerzeugung ausmachen. Bayern ist ein führender Innovationsstandort. Wir haben beste Voraussetzungen, die Energiewende erfolgreich zu gestalten. Aber - darauf ist auch immer hinzuweisen - die Herausforderungen sind für kein anderes Land so groß wie für Bayern, bei einem Kernenergieanteil an der Stromversorgung von 60 %. Es erfordert einen gewaltigen Kraftakt, wenn wir Versorgungslücken vermeiden und eine Versorgungssicherheit auf dem gewohnt hohen Niveau erhalten wollen. Dazu haben wir uns in unserem Energiekonzept bekannt.
Hinzu kommt, dass der Ausstiegspfad deutlich besser ist als noch unter Rot-Grün, aber trotzdem noch sehr ehrgeizig und deswegen herausfordernd. Meine Damen und Herren, Energiepolitik ist und bleibt auch Standortpolitik. Bayern ist ein Industrieland, was sich im aktuellen Aufschwung einmal mehr zeigt. Unsere Stärke ist es, noch über eine komplette industrielle und hochinnovative Wertstoffkette zu verfügen. Die
sen Vorteil dürfen wir nicht verspielen. Die Industrie ist nach wie vor eine entscheidende Triebkraft für Wachstum und Arbeitsplätze im Freistaat. Diese Industrie ist auf eine verlässliche wettbewerbsfähige Stromversorgung angewiesen.
Für Bayern ist dies auch ein zentraler Faktor im Standortwettbewerb. Kämen der Bau von Kraftwerken oder der Netzausbau nicht schnell genug voran, würden Versorgungsengpässe und drastisch steigende Strompreise drohen. Das wäre nicht nur mit kurzfristigen Produktionsausfällen, sondern auch mit Produktionsverlagerungen verbunden. Deswegen müssen wir gemeinsam einer schleichenden Deindustrialisierung Bayerns mit allen Mitteln entgegenwirken, indem wir jetzt die Weichen richtig stellen.
Natürlich sehen wir auch die enormen Chancen für Bayern, die gerade in den jetzt erforderlichen Investitionen in neue Technologien liegen. Wir sind willens, diese Chancen entschlossen zu nutzen. Wir dürfen diese Chancen aber nicht gegen die erfolgreiche bayerische Industrie ausspielen. Wir wollen die Energiewende gemeinsam mit der Wirtschaft, mit den Kommunen und den Bürgern gestalten, nicht gegen sie.
Meine Damen und Herren, der Ausstieg aus der Kernenergie muss sich in ein Gesamtkonzept fügen, das folgenden Zielen Rechnung trägt: Wir müssen den Ausstieg aus der Kernenergie so schnell wie möglich organisieren, ohne das Ziel einer sicheren, bezahlbaren und klimaverträglichen Energieversorgung zu vernachlässigen. Bezüglich der endgültigen Abschaltung von Isar 1 darf ich an dieser Stelle daran erinnern, dass dieses Kernkraftwerk von meiner Fraktion - besonders seitens des Herrn Kollegen Thalhammer schon weit vor Fukushima als nicht mehr notwendig angesehen wurde.
Wir wollen, dass Bayern auch künftig nicht auf Stromimporte angewiesen ist, schon gar nicht auf einen Import von Atomstrom. Meine Damen und Herren, eine Doppelmoral nach dem Motto "Wir sind die atomfreie Insel des sauberen Stroms, verlassen uns aber auf Atomstromimporte aus dem Ausland." darf es nicht geben.
Im Übrigen ist es gar nicht sicher, dass wir uns im Fall der Fälle auf Stromimporte verlassen könnten. In Spitzenzeiten wird bei unseren Nachbarn kaum Strom übrig sein, weil dort die Jahreshöchstleistung fast zur selben Zeit erreicht wird wie bei uns.
Wir wollen außerdem verhindern, dass die Energiekosten drastisch steigen, weil wir keine Standortverlagerungen der stromintensiven Industrie wollen.
Wir halten am Klimaziel fest, wie das der Ministerpräsident ausgeführt hat. Die energiebedingten CO2Emissionen pro Kopf sollen auf deutlich unter 6 Tonnen reduziert werden. Dieses Ziel wird jetzt möglicherweise schwieriger zu erreichen sein. Dass Gaskraftwerke das Klima stärker belasten als Atomkraftwerke, gehört zu den Wahrheiten, die wir aussprechen müssen. Deswegen müssen wir uns an anderer Stelle um einen Ausgleich bemühen, beispielsweise bei der Energieeffizienz.
Wir wollen technologischer Trendsetter bleiben. Bayern soll das Land mit der höchsten Energieeffizienz und der umweltfreundlichsten Energieversorgung sein. Ich bin dem Herrn Ministerpräsidenten sehr dankbar, dass er zum Thema Endlager so klare Worte gefunden hat. Er hat hier die volle Unterstützung der FDP-Fraktion, dass wir als Freistaat Bayern als Gebot der Solidarität Flagge gegenüber den anderen Bundesländern zeigen. Ich hatte schon in einer der früheren Debatten die Gelegenheit, dem Hohen Haus unsere Position darzulegen.
Wir wollen, dass der bayerische Stromverbrauch in zehn Jahren zu 50 % aus erneuerbaren Energien gedeckt wird. Dies liest und formuliert sich einfach, es ist aber ein hohes Ziel und eine ganz große Herausforderung. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es gewaltiger Investitionen, zum Beispiel beim Netzausbau, beim Neubau von Anlagen, bei der Energieeffizienz, bei der Energieforschung und bei der Energieentwicklung. Aktuellen Schätzungen zufolge wird uns dies bis zum Jahre 2020 rund 200 Milliarden Euro in ganz Deutschland kosten. Dafür brauchen wir Investoren. Investoren für ein solches Ausmaß an Mitteln in der Kürze der Zeit zu finden, wird eine besondere Herausforderung sein.
Ich appelliere deshalb an alle - gerade auch an den Bund -, dafür die geeigneten Rahmenbedingungen zu setzen. Wir als Bayerische Staatsregierung werden uns im Bundesrat dafür einsetzen. Aber auch wir in Bayern werden unseren Teil im Rahmen des Nachtragshaushalts beitragen. Herr Kollege Dr. Runge, hier können Sie ganz unbesorgt sein.
Lassen Sie mich resümieren: Das von mir entwickelte und von uns gemeinsam beschlossene Energiekonzept der Staatsregierung steht. Jetzt geht es an die konkrete Umsetzung. Wenn dabei nicht jeder Schlag sitzt, fällt Bayern im Wettbewerb um Standorte und um Arbeitsplätze zurück. Deswegen mein Appell an
Politik, Wirtschaft und Gesellschaft: Lassen Sie uns all unsere Kraft darauf konzentrieren, diese Aufgabe gemeinsam zu meistern und Bayern dort zu halten, wo es nach unserer Auffassung hingehört, nämlich an die Spitze des Fortschritts.
Meine Damen und Herren, von diesem Appell darf sich auch die Opposition angesprochen fühlen: Unterstützen Sie unser Energiekonzept, aber nicht nur Teile davon, sondern alle Teile, gerade diejenigen, bei denen es um die konkrete Realisierung vor Ort geht.
Auf folgende Punkte kommt es dabei entscheidend an: Damit Bayern im Standortwettbewerb besteht, haben der Ausbau und der intelligente Umbau der Stromnetze höchste Priorität. Lassen Sie mich ein paar Zahlen nennen, um Ihnen das Ausmaß der Herausforderung vor Augen zu führen. Wir sprechen hier von einem Investitionsvolumen von bis zu 50 Milliarden Euro für die Stromautobahnen und von nochmals 27 Milliarden Euro für die regionalen Verteilernetze in Deutschland, deren Ausbau für Bayern besonders wichtig und dringlich ist. So sind im Freistaat allein bei den Verteilernetzen, die für die Integration der erneuerbaren Energien entscheidend sind, bis 2020 für den Bereich der Mittelspannung 14.500 bis 43.000 Kilometer und für die Niederspannungsnetze zwischen 53.000 und 82.500 Kilometer auszubauen. Das Netzausbau-Beschleunigungsgesetz des Bundes trägt entscheidend dazu bei, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren für neue Höchstspannungsleitungen zu bekommen. Dieselbe Beschleunigung brauchen wir auch beim Kraftwerksbau und beim Ausbau erneuerbarer Energien; denn eines steht für mich fest: Mit dem heutigen Planungsund Genehmigungstempo schaffen wir die Energiewende nicht.
Es müssen parallel mit höchstem Tempo neue, moderne und hoch effiziente Gaskraftwerke errichtet und Speicherkraftwerke gebaut werden. Nur wenn hier ausreichend neue Kapazitäten am Netz sind, bevor Kernkraftwerke abgeschaltet werden, können wir in Spitzenlastzeiten Netzstörungen, Zusammenbrüche oder Ausfälle vermeiden. Hier geht es nicht um Panikmache oder Ängstlichkeit, wir müssen aber die Warnungen der Bundesnetzagentur und das Memorandum der größten Netzbetreiber vom Mai dieses Jahres ernst nehmen. Wir können nicht einfach darüber hinweggehen. Stark schwankende und unsichere Energien wie Sonne und Wind können unsere Versorgungssicherheit nicht garantieren.
Deshalb müssen wir verlässliche Rahmenbedingungen für Investitionen in Gaskraft- und Pumpspeicherkraftwerke schaffen, die wir noch nicht haben. Nur wenn sich Gaskraftwerke wirtschaftlich betreiben lassen - das haben auch die Gespräche, die wir in den letzten beiden Tagen geführt haben, ergeben -, wenn sie sich auch unter den Bedingungen eines europäischen Stromverbundes lohnen, werden sich potenzielle Investoren finden. Niemand investiert in eine Technologie, die sich nicht rechnet. Die möglichst schnelle Bereitstellung von Ersatz in Form von Gaskraftwerken ist aber überlebenswichtig für die bayerische Wirtschaft und deren Arbeitsplätze. Deswegen müssen wir die Rahmenbedingungen auf Bundesebene, ja sogar auf europäischer Ebene, richtig setzen.
Meine Damen und Herren, es ist wahr, viele Bürgerinnen und Bürger begrüßen den Atomausstieg. Wahr ist aber auch, dieselben Bürger sehen die Folgen, die sich daraus für sie ganz konkret ergeben, manchmal sehr abstrakt. Wenn es dann aber darum geht, vor der eigenen Haustür oder auch nur in Sichtweite neue Stromleitungen, neue Kraftwerke oder hohe Windräder zu tolerieren, schlägt die abstrakte Zustimmung oft in sehr konkrete Ablehnung um. Deswegen brauchen wir auch eine Wende in den Köpfen unserer Bevölkerung, was den Umstieg angeht. Meine Damen und Herren, auch diese Wende müssen wir mit gestalten und mit befördern.
Für Bayern heißt das ganz konkret, wir müssen das Pumpspeicherkraftwerk Riedl ohne weitere Verzögerung zügig realisieren. Wir, der Herr Ministerpräsident und die Kollegen, haben bei den Gesprächen gestern und heute gehört, wie dringlich gerade Speicherkapazitäten sind. Ich sage deshalb, wer den Atomausstieg will, der muss auch Riedl wollen. Ich freue mich schon jetzt darauf, gemeinsam mit den GRÜNEN bei den Bürgern für neue Speicherkraftwerke, neue Gaskraftwerke und neue Stromleitungen vor Ort zu werben.
Herr Kollege Rinderspacher, Sie hatten gemeint, das Vorhaben Solarpark Straubing in die Debatte einführen zu müssen. Es würde jetzt zu weit führen, alle rechtlichen Aspekte zu erläutern, ich mache das aber gerne einmal. In meinem Haus, wie überhaupt in der Staatsregierung, wird nach Recht und Gesetz entschieden. Ein Vorranggebiet für Rohstoffe hat Vorrang vor jedweder anderen Nutzung. Das hat gar nichts damit zu tun, dass es hier um einen Solarpark geht, es hätte auch jede andere Art von Nutzung sein können.