Wir wollen mit einer Verfassungsänderung dokumentieren, dass uns dieses Thema ein sehr wichtiges Anliegen ist. Wir wollen sozusagen in den grundsätzlichen Rahmen der Gesetzgebung schreiben, dass für uns die Integration in die Gesellschaft von enormer Bedeutung ist. Das ist der Grund für die Verfassungsänderung.
Wir haben auf diesem Gebiet eine Verantwortung; denn für die betroffenen Menschen bedeutet Integration Chancengerechtigkeit. Das ist gerade für uns Sozialdemokraten ein entscheidender Punkt. Wir nehmen das sehr ernst.
Integration ist auch Teilhabe am täglichen Leben, an der Kultur, an der Wirtschaft und an der Politik. Integration ist sozusagen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hier in Bayern, etwa in den Gemeinden. Integration bedeutet auch die Sicherstellung einer urbanen, liberalen und lebendigen Gesellschaft in Bayern. Und genau das fordern wir: urbane, sichere und liberale Strukturen in unseren Regionen und Gemeinden.
Allerdings glaube ich, dass wir dies nur dann erreichen, wenn wir eine Willkommensstruktur und Willkommenskultur generieren und nicht mit dumpfen Parolen am Stammtisch Ängste schüren, dass Muslime und andere Migranten über kurz oder lang das Land übernehmen werden.
Ich will an der Stelle sagen, dass Integration auch eine Frage der Humanität ist. Es genügt also nicht, immer nur darüber zu reden, wie viele Arbeitsplätze und wie viele Fachkräfte wir bräuchten. Das ist zugegeben ein wichtiger Punkt. Integration ist aber auch eine Frage der Menschlichkeit.
An dieser Stelle wird immer wieder der christlichabendländische Wertekanon betont - dazu stehe ich natürlich - und die Wertegemeinschaft beschworen. Dazu sage ich: Es gehört auch zur christlich-abendländischen Wertegemeinschaft, wie man mit Menschen aus anderen Kulturkreisen umgeht. Deswegen bringen wir hier ein Integrationsgesetz ein.
19 % der bayerischen Bevölkerung sind Migranten; ich hatte es bereits gesagt. Beispielsweise sind in München 36 % - 36 %! - der Bevölkerung Migrantenfamilien. Diese 36 %, das sind insgesamt 490.000 Migrantinnen und Migranten, verbinden München mit über 180 Ländern, also mit allen Erdteilen dieser Welt. Wir sind es den Menschen schuldig, dass wir uns um sie kümmern, und zwar weit über das Stammtischniveau hinaus und mit festen Regeln und Vorgaben. Wir brauchen eine Willkommenskultur mit Regeln.
Genau deswegen brauchen wir eine gesetzliche Grundlage sowohl in der Verfassung als auch in den Ausführungsbestimmungen.
Die Menschen, die zu uns kommen, arbeiten in München für uns nicht nur in den Gemeinden, etwa den städtischen Betrieben. Vielmehr sind Sie auch in Sportvereinen ehrenamtlich tätig. Sie sind ferner in Sozialvereinen ehrenamtlich tätig, und sie sind in Kultur und Brauchtum ehrenamtlich tätig. Ich kenne viele Trachtler mit Migrationshintergrund. Auch daran darf ich erinnern. Die Migranten arbeiten für uns. Wir profitieren von der Vielfalt all dieser Menschen, die zu uns kommen. Das ist für dieses Land kein Schaden, sondern ein Nutzen.
Und wenn es für dieses Land ein Nutzen ist, sind wir es den Menschen schuldig, dass wir uns politisch um sie kümmern und keine Ängste schüren. Im Übrigen würde ich das Ängste-Schüren gerne den rechtspopulistischen Kräften in diesem Land überlassen. Ich gehe aber davon aus, dass dieses gesamte Land kein Interesse daran hat, hier die Federführung und Meinungshoheit für den Umgang von Menschen mit Migrationshintergrund zu übernehmen.
Diese Menschen verdienen Respekt und Anerkennung. Man muss nicht mit allem einverstanden sein, was sie glauben und tun. Man muss nicht mit allem einverstanden sein, wie sie ihre Heimat in ihren Herkunftsländern politisch gestalten, aber wenn sie bei uns sind, verdienen sie Respekt und Anerkennung
und grundsätzlich einen humanen Umgang. Das sind wir, wenn wir uns politisch ernst nehmen wollen, diesen Gästen, diesen Menschen unter uns einfach schuldig.
Wir müssen Bedingungen schaffen, die eine geregelte Integration ermöglichen. Wir brauchen deswegen gesetzliche Regelungen. Darum haben wir beide Gesetzentwürfe eingebracht. Wir brauchen eine gesetzliche Regelung zum Beispiel zur Förderung der deutschen Sprache bereits in den Kinderbetreuungseinrichtungen. Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, ich erkenne Ihre Bemühungen an. Selbstverständlich ist es ein Schritt nach vorne, wenn man Sprachkurse vor der Schule anbietet, wenn man in den Haushalt Geld für Sprachförderung einstellt. Jawohl, das erkennen wir an. Das ist ein richtiger Schritt. Da gibt es nichts zu kritisieren.
Ich glaube, Kolleginnen und Kollegen, Herr Staatsminister, dass wir aufhören müssen, die Urheberschaft zu diskutieren. Es geht nicht um die Urheberschaft bei der Sprachförderung, sondern es geht um die Frage, wie viel uns Sprachförderung wert ist. Wir meinen, dass diesem Problem besser Rechnung getragen wird, wenn man es auf eine gesetzliche Grundlage stellt,
als mit der einen oder anderen Einzelmaßnahme, die Sie gerne das eine oder andere Mal bei den Haushaltsberatungen immer wieder besparen wollen und besparen können. Auch deswegen brauchen wir eine gesetzliche Grundlage.
Über ein kostenloses letztes Kindergartenjahr kann man diskutieren. Ich will hier nur eine Zahl sagen: Alleine der Besuch einer Kinderkrippe erhöht die Chancen der Menschen, später einen höheren Bildungsabschluss zu machen, um 55 %, wenn Sie das zur Kenntnis nehmen wollen. Wenn man sich mit diesen Fakten auseinandersetzt, dann kommt man automatisch zu dem Schluss, dass wir mehr Kinder in den Kindertageseinrichtungen brauchen und dort mehr Sprachförderung,
und zwar nicht erst kurz vor der Einschulung, Kolleginnen und Kollegen, sondern von Anfang an. Die Kindertageseinrichtungen müssen einen Förderschwerpunkt "Erwerb der deutschen Sprache" von Anfang an in ihr Portfolio an Erziehungsaufgaben aufnehmen.
Wir brauchen eine stärkere Sprachförderung in den Schulen, Kolleginnen und Kollegen. Es macht doch keinen Sinn, wenn Kinder in die Schule gehen, von 8 bis 9 Uhr Mathematikunterricht haben und nur Bahnhof verstehen, weil sie die deutsche Sprache nicht kennen. Es macht keinen Sinn, wenn sie von 10 bis 12 Uhr in den Geografieunterricht gehen und nichts verstehen, weil sie die deutsche Sprache nicht beherrschen. Das macht keinen Sinn. Das ist nicht nur aus menschlichen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht angebracht. Deswegen schlagen wir in dem Gesetzentwurf vor, die Kinder vom Pflichtunterricht zu befreien und so lange in Sprachlernkursen zu unterrichten, bis sie die deutsche Sprache kennen, und dann wieder in den Pflichtunterricht der anderen Fächer zu integrieren.
- Das ist ein alter Hut. Dieser Zwischenruf zeigt, Kolleginnen und Kollegen, dass die CSU offenbar nur an einem interessiert ist, nämlich einen Unterschied zwischen den politischen Parteien aufzubauen. Das ist aber keine vernünftige Integrationspolitik.
Weil die Frau Kollegin Sandt da hinten auch schon wieder aufmuckt, möchte ich hier schon erwähnen, liebe Frau Kollegin Sandt: Sie sind nun seit 2008 in dieser Regierung und haben bis heute kein entsprechendes Konzept vorgelegt.
(Beifall bei der SPD - Tobias Thalhammer (FDP): Sie sind hier seit 1998 und beherrschen als Bildungspolitiker nicht die mathematischen Grundrechenarten! - Karl Freller (CSU): Ihr habt gepennt! Ihr habt die Welt vor 20 Jahren nicht begriffen!)
Ich habe gar nichts dagegen, weil das erneut beweist, dass Sie weder an der Sache interessiert sind noch an Integration, sondern ausschließlich am parteipolitischen Streit und sonst nichts. Das beweisen Sie mit diesem Zwischenruf.
Ich darf doch um Aufmerksamkeit bitten. Herr Kollege Freller, darf ich um Aufmerksamkeit bitten? - Weiter geht es.
Ich glaube, dass die Lernmittelfreiheit ein wesentliches Instrument der Integration ist. Es gibt viele Familien gerade mit Migrationshintergrund, die einen schmalen Geldbeutel haben, übrigens auch deutsche Familien, und die sich den Anforderungen, die die Schule an sie stellt, nicht mehr stellen können. Darum glaube ich, dass die Lernmittelfreiheit auf neue Füße gestellt werden muss. Bildung muss in diesem Land kostenfrei sein und darf nicht mit versteckten Kosten belegt werden. Darum steht in diesem Gesetzentwurf, dass Lernmittelfreiheit ein wesentliches Element der Integration, der Bildung und Chancengerechtigkeit ist.
Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen eine bessere Vertretung der gesamten Gruppe der Migrationsfamilien, der Kinder und ihrer Eltern in den staatlichen und gemeindlichen Institutionen. Das dient dem Zweck, zuzuhören, was diese Gruppen zu sagen haben. Dafür müssen wir ihnen ein Forum bieten, Kolleginnen und Kollegen, ein Forum, wo sie ihre Sorgen und Nöte artikulieren können. Genau deswegen schlagen wir in den Gesetzentwürfen vor, dass man Landesbeiräte, die verpflichtende Einrichtung von Integrationsbeiräten in größeren Gemeinden und die Berufung eines Landesintegrationsbeauftragten festschreibt. Es geht nicht, wie immer wieder argumentiert wird, um eine Vermehrung der Bürokratie. Es geht darum, in den staatlichen und gemeindlichen Institutionen ein Forum zu schaffen, dass diese Menschen Gehör finden. Darum geht es und nicht um weniger. Deswegen ist das eine Maßnahme der Integration.
Kolleginnen und Kollegen, mir ist voll bewusst, dass Gesetze nicht alle Probleme lösen können. Das weiß ich auch. Aber sie bringen mehr Klarheit in der Debatte um Integration in diesem Land. Wenn ein Parlament über einen Gesetzentwurf diskutiert und ein Gesetz beschließt, dokumentiert es, wie wichtig ihm dieses Thema ist. Deswegen bitte ich noch einmal, diese Debatte eben nicht auf die Frage parteipolitischer Erstrechte oder Differenzen abzustellen. Ich appelliere an dieses Haus, dieses Thema wirklich mit
dem festen Willen zu diskutieren, eine Lösung herbeizuführen. Gesetze sollen dazu da sein, eine Lösung herbeizuführen oder zumindest in die Wege zu leiten, ohne den Anspruch zu erheben, damit sei Integration erledigt. Integration ist eine Frage des Miteinanders der Menschen.
Integration ist eine Frage des Miteinanders. Integration ist eine Frage der Akzeptanz und des gegenseitigen Respekts vor den Werten, der Kultur und der Herkunft der Menschen und nicht eine Frage der parteipolitischen Auseinandersetzung.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, sollten Sie sich auf Ihre Fahnen schreiben.
Ich möchte zum Abschluss noch Folgendes sagen: Wir brauchen keine Angst zu haben vor Menschen mit Migrationshintergrund. Das Gespenst, dass diese Leute Bayern oder die Gemeinden übernehmen, ist ein Argument der Rechten und gehört hier nicht her. Wer die Fakten wirklich zur Kenntnis nimmt, der stellt fest, dass wir schon lange mehr Auswanderung als Einwanderung haben, der stellt fest, dass wir längst ein Auswanderungsland statt ein Einwanderungsland sind, der stellt fest, dass zum Beispiel deutlich mehr Menschen aus Deutschland in die Türkei gehen als Menschen aus der Türkei nach Deutschland. Dies blenden jedoch diejenigen, die kein Interesse an Integration haben, schlichtweg aus ihrer Argumentation aus. Das wollen sie nicht hören, weil dies nicht in ihre Argumentationskette passt, in der Migrantinnen und Migranten als Gefahr dargestellt werden. Nein, sie sind keine Gefahr. Sie beleben dieses Land. Sie verhelfen unserem Land zu einem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie bringen ihre kulturelle Vielfalt mit, von der auch wir profitieren. Denken Sie nur an die vielen Restaurants, in denen wir alle ganz selbstverständlich und gerne essen. Denken Sie an die kleinen Gemüsegeschäfte und die vielen kleinen kulturellen Veranstaltungen in den Vierteln der bayerischen Gemeinden. Diese Menschen beleben dieses Land. Vor ihnen braucht man keine Angst zu haben. Wenn dies so ist, müssen wir hier in diesem Hause Gesetze schaffen. Deswegen bringen wir diese Gesetzentwürfe ein.
Übrigens: Wir haben als eine der ersten SPD-Fraktionen der Bundesländer ein Integrationsgesetz in ein Landesparlament eingebracht. Unsere Botschaft ist: Wir wollen nicht nur an irgendeinem Stammtisch, in irgendeiner Runde, in irgendeinem Arbeitskreis mit ir
gendwelchen Betroffenen darüber reden, sondern endlich Fakten schaffen, auch wenn wir wissen, dass dieses Gesetz nur ein Vehikel zur Umsetzung von Integration und nicht die Lösung der Probleme ist.