Protocol of the Session on January 25, 2011

Deshalb freut es mich auch, Herr Ministerpräsident, dass Sie vor wenigen Tagen gesagt haben, Sie wollten die Themen der Freien Wähler aufgreifen, um uns überflüssig zu machen. Ich rufe Sie auf: Arbeiten Sie weiter an diesem Ziel, weil wir die richtigen Themen setzen, weil wir uns seit Jahr und Tag für funktionsfähige Kommunen einsetzen, für einen starken ländlichen Raum, für wohnortnahe Schulen, die genau das ermöglichen, was Sie heute mit Ihrem Aufbruchprogramm herbeisubventionieren wollen. Hören Sie damit auf, Leuten Gehör zu schenken, die uns schon

während der Ära Stoiber ruiniert haben - ich wiederhole das. Denn das Investieren in US-Immobilienkrediten, in die Hypo Group Alpe Adria zur selben Zeit, als Sie zu Hause gesagt haben, wir könnten uns keine schnellen Internetanschlüsse leisten und müssten von den kleinen Schulkindern das Büchergeld einsammeln,

(Beifall bei Abgeordneten der Freien Wähler)

waren Auswüchse einer McKinsey-Ideologie, bei der es schlichtweg egal ist, ob die zwölf Millionen Bayern halbwegs über die Runden kommen. Da interessiert nur, dass der Aktienkurs einiger börsennotierter Großunternehmen funktioniert. Aber wenn der ländliche Raum im Osten wegbricht, ist das diesen Leuten egal. Uns ist das nicht egal, weil wir Politik für alle Bürger Bayerns machen wollen

(Beifall bei den Freien Wählern)

und nicht für eine Handvoll selbsternannter Eliten.

Meine Damen und Herren, schauen Sie sich doch die Zusammensetzung dieses Rates an: Da sind alle die Vordenker, alle die angeblichen Global Player dabei, deren Weltbild es doch entspricht, am Wochenende mit dem Mercedes Jeep aufs Land zu fahren und die Bauernbevölkerung zu sehen, die ihnen mit dem Strohhut zuwinkt und die Sense beiseite legt, weil gerade die neueste frisierte Umfrage im Radio gekommen ist, wonach die CSU wieder die absolute Mehrheit hat.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Dann sollen sie demütig die Bayernhymne singen.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Meine Damen und Herren, dieses Bayernbild -

Herr Aiwanger, wollen Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Nein, setzt euch hin.

Dieses Bayernbild wollen wir nicht; wir wollen nicht die Dorfbevölkerung zur Bespaßung der Stadteliten, sondern wir wollen die Landbevölkerung als Teilhaberin an der Entwicklung, nicht als abgehängte Menschen zweiter Klasse, wie Sie das politisch ansteuern.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Meine Damen und Herren, so kommt es bei den Menschen draußen an. Das wissen Sie selber ganz genau. So kommt es auch in Ihren Reihen an. Namhafte Vertreter Ihrer Partei gehen auf die Barrikaden

und sagen: Das ist Blödsinn, das kann politisch nicht umgesetzt werden. Mir ist es schlichtweg auch egal, was die zu Papier gebracht haben. Ich messe sie an den Ergebnissen.

Da müssen wir eben feststellen, dass wir heute noch in vielen ländlichen Gebieten Bayerns keine schnellen Internetanschlüsse haben, dass die Strukturen in Gefahr sind, dass die Schulstruktur wegbricht. Denn Sie haben keine Perspektiven für die Zukunft der Hauptschulen, weil ihr Mittelschulmodell auf dem Weg zu einer weiteren massiven Schließung von Hauptschulstandorten maximal eine Zwischenstation ist.

Wir haben das Gegenmodell vorgelegt, das da lautet: Hört auf mit dieser Differenzierung in Sozial, Wirtschaft und Technik,

(Thomas Kreuzer (CSU): Das ist eine Bierzeltrede!)

denn Sie brauchen bei dieser Vielzahl an Wahlkursangeboten am Ende 600 oder 700 Kinder, um dieses Wahlkursangebot überhaupt bedienen zu können. Das hat zur Folge, dass der Großteil ihrer Bildungsinvestitionen in den Bustransport geleitet wird, auf der anderen Seite in die Pensionszulagen für die Lehrer okay, das könnten auch wir nicht ändern - und in den nächsten Jahren, das prophezeie ich Ihnen, in den massiven Neubau von zentralen Hauptschulen.

Wir haben in Bayern von Jahr zu Jahr zurückgehende Kinderzahlen und werden nicht müde, ständig neue Schulhäuser zu bauen. Das müsste uns doch zu denken geben, meine Damen und Herren: Einerseits Geld, das bei den Kindern nicht ankommt, aber andererseits die Einführung der sechsstufigen Realschule mit der Folge, dass wir bis heute in den Landkreisen draußen Millionen und Millionen in den Neubau und den Anbau von Realschulen investieren. Gleichzeitig deklarieren wir die Hauptschulen zu Heimatmuseen um.

(Beifall bei den Freien Wählern und Abgeordne- ten der SPD)

Das ist heute die Realität der Bildungspolitik in Bayern. Wenn Sie mit den Betroffenen draußen reden, stellen Sie fest: Die sind nach wie vor unzufrieden und sagen: Diese Lehrer existieren maximal als Schattenarmeen irgendwo auf dem Papier, aber sie kommen in der Praxis nicht an. Sie gehen diesen Weg sogar weiter. Die Zusammenlegung der kleinen Hauptschulen wird das nächste Lehrereinsparprogramm sein. Hier gilt es, gezielt anzusetzen, weil wir sonst immer mehr für Bildung im Haushalt, auf dem Papier ausgeben, bei den Kindern aber immer weniger ankommt. Bildungspolitisch sind wir also nicht dort, wo wir hin

wollen. Ich glaube, auch Ihnen fehlt das Programm, um genau zu definieren, wo wir in fünf Jahren sind.

Unser Programm ist - ich wiederhole es -, diese innere Differenzierung in die vielen Fachkurse zurückzunehmen, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren und im Umkreis von zehn Kilometern um den Wohnort eines Kindes wenigstens einen Hauptschulstandort zu garantieren und nicht nur drei Hauptschulen pro Landkreis. Das ist keine Perspektive für die Bildungspolitik.

(Beifall bei den Freien Wählern - Alexander König (CSU): Uns geht es um die Kinder!)

Ich habe vorhin die Kommunen angesprochen. Heute war von diesem angeblich ausgeglichenen Haushalt die Rede. Nicht einmal der Haushalt des Freistaates ist ausgeglichen, weil wir dort in den Jahren 2008 und 2009 - das wissen alle, die die Zahlen kennen - eine Zunahme der Verschuldung etwa um die Hälfte auf mittlerweile 30 Milliarden Euro verzeichnen müssen. Hinzu kommt eine Kommunalverschuldung in Höhe von 20 Milliarden Euro in Bayern. Das ist eine Verdoppelung der kommunalen Schulden in den letzten 20 Jahren. Und da sagen Sie, Sie hätten es über Jahre hinweg geschafft, keine zusätzlichen Schulden aufzunehmen. Das ist schlichtweg eine Fehlinformation.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Meine Damen und Herren, Sie wissen genau, wie marode die Kommunalfinanzen draußen sind. Sie wissen sehr genau, dass die Bezirke händeringend darum gebeten haben, die Finanzierungslücke von 220 Millionen Euro zu schließen, damit die Bezirksumlage nicht so massiv erhöht werden muss. Leider Gottes haben sich die Bezirke nicht durchsetzen können und wurden mit leeren Händen nach Hause geschickt. Leider Gottes muss diese Umlage jetzt von den Landkreisen und Gemeinden aufgebracht werden mit der Folge, dass zu Hause kaum noch Schlaglöcher geteert werden können, weil das Geld in Richtung Bezirke gerollt werden musste. Dieses Geld wurde für eine Eingliederungshilfe und einen Finanzaufwand verwendet, den man längst über ein Bundesleistungsgesetz hätte abfangen müssen. Sie sind in der Bundespolitik am Ruder; Sie hätten hier einen Beitrag leisten können.

Wir haben aber die Debatte erlebt: Sie haben die Kommunen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet und gesagt: Das passiert langfristig irgendwann einmal. Das hilft den Kommunen heute nichts. Wir sitzen doch selber alle in kommunalen Gremien. Fakt ist, dass jetzt ein massives Zähneknirschen kommen wird, weil diese Umlage die Kommunen hart treffen wird. Ihr Potenzial wird sehr stark eingeschränkt.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Wir sind die Vertreter des ehrlichen Weges. Natürlich ist es schön, einen auf dem Papier ausgeglichenen Haushalt für den Freistaat präsentieren zu können. Sie drücken aber die Kommunen damit gleichzeitig unter Wasser. Sie müssen doch beide Seiten dieser Medaille sehen; denn "ausgeglichen" für den einen heißt noch lange nicht, dass es für den anderen auch passt. Wenn die Kommunen und der Freistaat auseinanderdividiert werden, kann das Ergebnis am Ende nicht befriedigend sein.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Meine Damen und Herren, neben der Bildung haben Sie die Familien vorangestellt. Dies kann man teilweise in eine Deckungsgleichheit bringen. Wir haben im Bereich der frühkindlichen Erziehung und der frühkindlichen Bildung einen massiven Nachbesserungsbedarf. Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag ein kostenfreies Kindergartenjahr versprochen. - Herr Seehofer, Sie wissen davon nichts? Er runzelt die Stirn. Herr Seehofer, lesen Sie nach. Dort steht, dass Schwarz-Gelb ein kostenfreies Kindergartenjahr verspricht.

(Georg Schmid (CSU): Da steht nichts drin!)

- Auch der Herr Fraktionsvorsitzende weiß das nicht. Sie sagen, es steht nichts drin. Da schauen wir nach.

(Thomas Kreuzer (CSU): Haben Sie nicht vorher nachgeschaut?)

- Herr Schmid und Herr Seehofer, wir wissen, was Sie unterschrieben haben. Sie haben hier schon zum zweiten Mal nicht gewusst, was Sie unterschrieben haben.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Meine Damen und Herren, wir fordern dieses kostenfreie Kindergartenjahr. Die Kleinsten müssen uns einen Finanzaufwand von rund 100 Millionen Euro wert sein. Das muss uns eine wenigstens symbolische Geste gegenüber den Familien wert sein. Wer dafür kein Geld hat, soll vom Ausbau der Donaustaustufe und von der dritten Startbahn die Finger lassen und sich stattdessen um Familie und Bildung kümmern. Andernfalls hätten Sie in Ihr Programm "Familie, Bildung, Großprojekte" schreiben sollen. Nein, es muss heißen: Großprojekte zurückstellen und Familie und Bildung vorneweg. Das ist unsere Schwerpunktpolitik.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Dort entscheidet sich auch die Zukunft der Wirtschaft. Wir beklagen zunehmend, dass junge Leute im Arbeitsprozess nicht mehr das leisten, was sie leisten sollen, weil sie Mängel im Grundwissen, im Benehmen und dergleichen haben. Solche Probleme sind über wohnortnahe Schulen mit kleinen Klassen und intensiver Betreuung sehr viel besser zu bewältigen. Bisher war es CSU-Politik, zu sagen: Das geht den Staat nichts an. Das macht die Familie. Wer das nicht auf die Reihe kriegt, braucht keine Kinder zu kriegen. Meine Damen und Herren, die Zeit dieser Politik ist vorbei. Hier hat Sie und uns die Realität eingeholt.

Wir müssen für die Familien und die Bildung alles in die Waagschale werfen, was wir gerade an Potenzial aufbringen können. Wenn wir dieses Potenzial an diesen Themen vorbeileiten, ist ein Programm mehr als überfällig. Leider sind die Mittel dafür zu knapp bemessen.

Grundsätzlich kann ich sagen: Dieses Programm "Aufbruch Bayern" ist eine Luftnummer, ein PR-Gag. Sie haben aus dem regulären Haushalt knapp zwei Milliarden Euro herausgestrichen und ein neues Programm im Umfang von einer Milliarde Euro gebastelt. Jetzt versuchen Sie, uns das als Weihnachtsgeschenk zu präsentieren. Das ist die gleiche Situation wie bei einem Heerführer, der sich auf dem Rückzug befindet und gezwungen ist, Siegesmeldungen zu verbreiten. Vielleicht könnten Sie dieses Programm "Aufbruch Bayern" auch mit dem Ausspruch "Vorwärts, Kameraden, wir müssen zurück." überschreiben.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Diese Bewegung ist unübersehbar. Sie verkünden Aufbruch und suggerieren Aktion, müssen die Mittel aber aus dem regulären Haushalt holen. Sie können sie nicht einmal voll weitergeben; denn wenn sie durch fünf Hände gelaufen sind, kommt am Ende nur noch die Hälfte an.

Meine Damen und Herren, das ist keine zukunftsweisende Politik, die uns für die Zukunft fit macht. Ich wiederhole: Wir Freien Wähler setzen auf eine Strukturpolitik, die alle Gebiete mitnimmt und die eine Entwicklung des Wirtschaftspotenzials in den ländlichen Räumen ermöglicht. Da sind wir wieder beim schnellen Internetanschluss. Da sind wir wieder bei der maroden Staatsstraße, die besser repariert werden müsste. Da sind wir wieder bei den Hausärzten, die weggehen. Da sind wir wieder bei der wohnortnahen Schule, die nötig ist, damit die jungen Leute überhaupt am Ort bleiben. Sie beklagen im Nachhinein, dass diese Dinge weggebrochen sind. Stellen Sie

rechtzeitig die Weichen dafür, dass diese Strukturen erhalten bleiben.

Ich glaube, dass eine gute bayerische Politik aktuell eine strukturkonservative Politik sein muss. Das bedeutet, wir müssen all das bewahren, was nötig ist, damit wir dort bleiben können, wo wir sind. In den nächsten Jahren wird es dabei sehr stark um die Altenversorgung gehen. Ich komme noch einmal auf mein Bild zurück: Eine alte Oma sitzt im Zweifamilienhaus, weil die Jungen in München zur Arbeit sind, dort die Wohnung kaum bezahlen und sich kein Kind leisten können, weil in München der Wohnraum zu teuer ist. Am Ort steht das Haus leer, weil es dort keinen Internetanschluss, keinen Hausarzt, keine Schule, keine Straße und kein Krankenhaus gibt. Dieses Bild kann ich Ihnen nicht oft genug aufs Hirn brennen, damit Sie es endlich kapieren.

(Beifall bei den Freien Wählern)