Protocol of the Session on June 23, 2010

Die Anzahl der linksextremistisch motivierten Gewaltund Straftaten ist nach der Statistik 2009 deutlich angestiegen. Das bereitet auch uns Sorgen. Die Entwicklung muss aber genau analysiert werden, um darauf richtig reagieren zu können. Ein Blick in den Bundesverfassungsschutzbericht und auch in den Landesverfassungsschutzbericht gibt hier einen ersten Überblick. Für eine genaue Beurteilung der Qualität der Delikte muss man sich aber die einzelnen Straftaten doch genauer ansehen.

Sie finden in der Bundesstatistik unter den linksextremistisch orientierten Straftaten etliche, die den Tatbestand des Landfriedensbruchs erfüllten oder den des Widerstands gegen die Staatsgewalt, ohne ein Körperverletzungsdelikt beinhaltet zu haben. Sie zählen auch zu den Gewaltdelikten. Das muss man sich also einfach genauer anschauen. Ich will hier nichts herunterspielen, aber für einen klaren Blick auf die Proble

me darf man sich nicht auf eine Statistik verlassen, sondern muss sie hinterfragen.

Die Zündung des Sprengsatzes auf der Demonstration in Berlin bringt tatsächlich eine neue Dimension in die Debatte. Dieser Anschlag ist durch nichts zu entschuldigen und aufs Schärfste zu verurteilen. Er ist ein Weckruf, wie Kollege Meißner gesagt hat, aber eine neue RAF steht nicht vor der Tür und sollte auch nicht herbeigeredet werden.

Dem zweiten und dem dritten Teil des Antrags können wir nicht folgen. Zunächst arbeiten Sie mit der immer wieder bemühten Gleichsetzung von Rechtsund Linksextremismus. Dies wird den Problemen nicht gerecht. Dieser Vergleich verkennt die völlig unterschiedlichen Ursachen der beiden Phänomene. Dieser Vergleich relativiert die Gefahren, die von gewalttätigen Nazis ausgehen. Hier handelt es sich zielgerichtet um Angriffe auf Menschen, nur weil sie ausländisch aussehen, schwul sind, obdachlos sind oder, wie man im Fall Mannichl vermuten kann, wegen einer "Ehrverletzung".

(Unruhe)

Nach Angaben der Amadeu-Antonio-Stiftung sind seit 1990 149 Menschen in Deutschland bei rassistischen, homophoben oder obdachlosenfeindlichen Angriffen ums Leben gekommen. Dieses menschenverachtende Potenzial haben wir im Bereich der linksextremistischen Gewalt nicht.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Allerdings müssen wir uns natürlich nach dem Sprengstoffanschlag in Berlin intensiv mit diesem neuen Phänomen auseinandersetzen.

Der Vergleich links - rechts verwässert die Gefahren, die im ideologischen Unterbau der rechten Szene stecken. Es wird versucht, nationalsozialistisches Gedankengut, Blut-und-Boden-Mentalität, Heldengedenken in einem neuen Gewande gesellschaftsfähig zu machen. Die Einschätzung im bayerischen Verfassungsschutzbericht geht diesbezüglich völlig fehl. Dort steht - hören Sie mir bitte zu: "Der Rechtsextremismus weist keine gefestigte, einheitliche Ideologie auf." Was soll denn das?! Hier besteht natürlich eine einheitliche, gefestigte Ideologie, und es wird versucht, diese in Jugendcamps zu vermitteln, auf Musikveranstaltungen, über die Verteilung der Schulhof-CDs etc. So wie es im Verfassungsschutzbericht steht, ist es pure Verharmlosung.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Dann arbeiten Sie mit der indirekt geäußerten Unterstellung, dass es hier Leute gäbe, die linksextremistische Gewalt billigen oder wegen des vermeintlich legitimen Widerstands gegen Rechtsextremismus gutheißen würden. So ist es indirekt in Ihrem Antrag formuliert. Das tut hier niemand. Davon ist natürlich zu unterscheiden, dass eine gewaltfreie Sitzblockade nicht unter den Gewaltbegriff fallen kann und das, was Herr Thierse gezeigt hat, sich dem rechten Mob entgegenzustellen, durchaus vorzeigenswert ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es geht nicht darum, linke Gewalt oder sonstige Straftaten zu beschönigen, zu befürworten oder zu verharmlosen, sondern es geht um die dringend notwendige differenzierte Betrachtung des Linksextremismus und des Rechtsextremismus. Diese differenzierte Betrachtung ist nötig, um die richtigen Mittel zu wählen und um den jeweils negativen Bestrebungen wirksame Maßnahmen entgegenzusetzen.

Wenn aber Links und Rechts immer wieder in einen Topf geworfen werden, wenn bei jeder Maßnahme gegen Rechtsextremismus immer wieder betont werden muss, dass der Linksextremismus genauso verwerflich ist, wenn peinlich genau darauf geachtet wird, dass in den Verfassungsschutzberichten jeweils in gleichem Umfang berichtet wird - auch wenn das nur an der Seitenzahl ablesbar ist - und Gruppen bei den Linksextremisten aufgeführt werden, die unseres Erachtens nicht hineingehören - ich nenne die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, VVN, die antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e. V., a.i.d.a.-, dann

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

ist dies kontraproduktiv für die Bekämpfung beider Phänomene.

Der dritte Teil des Antrags bedeutet unterm Strich, dass Sie die derzeitigen Maßnahmen gegen den Rechtsextremismus eindampfen und finanzielle Mittel abziehen wollen. Die Maßnahmen, die Sie zur Prävention und zur Aufklärung über den Linksextremismus vorschlagen, stehen unter Haushaltsvorbehalt. Es heißt im Antrag: "Im Rahmen der vorhandenen Mittel." - Zusätzliche Mittel sind nicht vorgesehen, diese müssen Sie sich bei den Aktivitäten gegen rechts abknapsen.

Außerdem enthalten Ihre sehr vagen Vorschläge kein schlüssiges Konzept. Dieses müsste bereits mit einer vernünftigen Demokratieerziehung und der Vermittlung sozialer Kompetenzen ab dem Kindergarten beginnen. Dieses Konzept müssen Sie einfach liefern. Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Bevor ich Herrn Staatsminister das Wort erteile, weise ich auf einen Geschäftsordnungsantrag der CSU-Fraktion hin, dass wir die heutige Debatte beenden - das lasse ich jetzt beschließen, bevor es 19 Uhr ist

(Zurufe von der CSU: Es ist bereits nach 19 Uhr!)

und abweichend von der Geschäftsordnung diesen Antrag beim nächsten Plenum zum Beschluss stellen.

(Thomas Kreuzer (CSU): Mit namentlicher Abstimmung!)

- Namentliche Abstimmung wurde beantragt. Besteht dazu Einverständnis? Wer ist dafür?

(Ulrike Gote (GRÜNE): Ist damit jetzt die Aussprache beendet?)

- Nein, ich würde dem Herrn Minister noch das Wort erteilen.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Aber innerhalb der Aussprache!)

- Ja, innerhalb der Aussprache.

(Zuruf von der SPD: Deutschland!)

- Der Anpfiff ist erst um 20.30 Uhr. Bis dahin sind wir locker fertig. Besteht damit Einverständnis in diesem Hohen Haus? - Vielen Dank, dann darf ich das so feststellen. Ich erteile dem Herrn Staatsminister das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf in aller Kürze

(Dr. Hans Jürgen Fahn (FW): Darin liegt die Würze!)

- sehr wohl, Herr Kollege - auf einige wenige Punkte dieser Debatte eingehen, weil mich insbesondere die Äußerungen von den GRÜNEN und der SPD besorgt machen und letztlich unterstreichen, wie wichtig es ist, dass wir darüber sprechen.

(Zuruf der Abgeordneten Susanna Tausend- freund (GRÜNE))

Es reicht nicht, sich nur auf die Debatte im Deutschen Bundestag zu beziehen.

Mir ging es zunächst auch wie dem Kollegen Fischer; ich hatte den Eindruck, dass sich die ersten Sätze von Herrn Schindler gar nicht so schlecht angehört haben. Aber dafür war das - entschuldigen Sie, wenn ich das so deutlich sage, Herr Kollege Schindler -, was anschließend kam, umso schlimmer. Es waren zwei Gedankengänge: Erstens, wurde hier gesagt, wer einen Sprengkörper auf einen Polizisten wirft, ist kein Linksextremist, sondern einfach ein Krimineller, und zweitens wurde anschließend erzählt, dass linksextremistisches Denken in vielen Fällen einen besonders idealistischen Hintergrund aus der Aufklärung habe. Das ist genau der Punkt, an dem die totale Verharmlosung von gewalttätigen Linksextremisten in unserem Land beginnt.

(Zurufe von der CSU: Bravo! - Beifall bei der CSU und der FDP)

Es sollte sich mal jemand erlauben, wenn Rechtsextremisten eine Gewalttat begehen, hier zu sagen: Wer in diesem Land zum Beispiel auf einen Ausländer einschlägt oder wer ein Ausländerhaus anzündet, ist kein Rechtsextremist, sondern einfach ein Krimineller. Das sollten wir hier einmal erleben, meine Damen und Herren. Dann würden Sie ein Protestgeschrei sondergleichen erheben.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Wir haben über diese Themen schon oft genug gesprochen. Es ist doch offenkundig, was in Berlin abgelaufen ist. Es ist doch offenkundig, was in Städten wie Berlin seit Jahren abläuft. Das hat begonnen mit einer über Monate hinweg immer häufiger auftretenden Gewalt gegen Sachen, indem Polizeiautos, Bundeswehrautos und andere Regierungsfahrzeuge angezündet werden. Und dann ist es, wie wir es in unserem Land leider immer wieder erlebt haben, eskaliert; die Gewalt richtete sich dann gegen Personen. Genau das mussten wir jetzt in Berlin erleben.

Meine Damen und Herren! Ich freue mich, wenn wir in Fragen der Bekämpfung des Rechtsextremismus in diesem Hohen Haus immer wieder einen breiten Konsens haben. Aber es ist schlimm, wenn dieser Konsens in der Bekämpfung des Linksextremismus nicht genauso breit ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Wir haben das in der Vergangenheit nie zahlenmäßig gegeneinander aufgerechnet. Dass es Ihnen gegen den Strich geht, dass nach bundesweit völlig unbestrittenen Statistiken die Gewalttaten von Linksextremisten inzwischen die der Rechtsextremisten weit überholt haben, dass Sie immer noch nach Ausflüchten suchen, wie man das irgendwie verbrämen könn

te, wie man sich vor dieser Entwicklung verstecken könnte, ist schon überaus bedauerlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.

(Beifall bei der CSU und der FDP - Zurufe von der CSU: Bravo! - Zuruf des Abgeordneten Franz Schindler (SPD))

Ich habe mich gefreut, dass Kollege Körting in den letzten Monaten in Berlin versucht hat, eine etwas härtere Gangart gegenüber den Linksextremisten anzuschlagen. Er hat gemerkt, dass er mit einer dauernden Deeskalationsstrategie, wie die das so schön nennen, nicht weiterkommt. Dann hat man noch - ich habe darüber im vergangenen Jahr gesprochen - am 1. Mai den niedersächsischen Polizeikollegen verboten, einen Wasserwerfer mit nach Berlin zu nehmen, weil das die Demonstranten unnötig reizen könnte, wenn da ein Wasserwerfer zu sehen ist. Meine Damen und Herren, bei uns bleibt der Wasserwerfer zunächst im Hinterhof, aber in dem Moment, in dem eine Demonstration eskaliert, muss der Wasserwerfer da sein; denn wir wollen nicht, dass unsere Polizisten, die für unsere Sicherheit den Kopf hinhalten, mit gefährlichen Körperverletzungen zu büßen haben, wenn sie für diesen Rechtsstaat eintreten.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Deshalb, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es absolut richtig und wichtig, was in dem heute vorliegenden Dringlichkeitsantrag steht. Deshalb müssen wir das gemeinsam weiter als Herausforderung begreifen. Ich kann Sie nur herzlich bitten, liebe Kolleginnen und Kollegen links der Freien Wähler - die sind heute wenigstens mit an Bord, was diese klare Linie anbetrifft -, dass alles, was daneben ist, sich doch noch eines Besseren besinnt.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Warum müssen Sie so schreien? - Zurufe von der SPD)

Wir brauchen gegen jede Form von Linksextremismus und von Gewalttätigkeit einen breiten Konsens der Demokraten. Es wäre wichtig, diesen auch hier zu erreichen.