Protocol of the Session on April 22, 2010

Zum Thema Komasaufen gibt es wunderbare Zahlen vom Statistischen Bundesamt. Aus diesen Zahlen wird deutlich, dass dieses Thema alle Altersgruppen betrifft. Seit dem Jahr 2000 hat sich über alle Altersgruppen hinweg die Zahl der Komasäufer, also derjenigen, die im Krankenhaus mit einem akuten Rausch behandelt werden mussten, mehr als verdoppelt. Natürlich gibt es Probleme bei Kindern und natürlich gibt es Probleme bei Jugendlichen. Wir brauchen aber den Mut zur ganzen Wahrheit. Unsere Sorgenkinder sind auch die Senioren.

(Beifall bei der FDP)

Sehen wir uns einmal die Zahl der Krankenhauseinlieferungen mit akutem Rausch bzw. Intoxikation - Sie nennen es Komasaufen - genauer an. Dabei ist festzuhalten, dass es im Vorjahr bei den Zehn- bis Zwanzigjährigen eine Steigerung von 11 % gab. Hier ist jedoch anzufügen, dass es beispielsweise bei den über Siebzigjährigen einen Anstieg der Komasäufer im Krankenhaus von 14 % gab. Das sind 3 % mehr als bei den Zehn- bis Zwanzigjährigen.

Bei den Fünfzig- bis Sechzigjährigen gab es einen Anstieg um 16 %. Das sind verglichen mit den Zehn- bis Zwanzigjährigen 5 % mehr. Daraus wird deutlich: Wir dürfen die Diskussion nicht auf Kinder und Jugendliche beschränken.

(Harald Güller (SPD): Darum tut das auch keiner!)

- Heute tun wir es nicht. Ich finde das super. Ich habe das auch schon gelobt.

Es lohnt sich, genauer hinzusehen; denn heute wurden Kinder und Jugendliche über einen Kamm geschoren. Trennt man die Zahl der Zehn- bis Zwanzigjährigen, stellt man fest, dass der Schwerpunkt bei den Kindern, also bei den Zehn- bis Fünfzehnjährigen, liegt. Bei dieser Altersgruppe ist ein besorgniserregender Anstieg von 19 % festzustellen. Der Schwerpunkt liegt dabei vor allem hier in Bayern bei Kindern von etwa zwölf Jahren. Wir müssen deshalb vor allem Kinder verstärkt vor Alkoholmissbrauch schützen.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte nicht von der Hand weisen, verharmlosen oder davon ablenken, dass wir auch die Jugend verstärkt vor Alkohol schützen müssen. Das gilt jedoch nicht nur für den Alkohol. Wir müssen die Jugend auch vor einer Instrumentalisierung durch den Staat als Testkäufer schützen. Wir müssen die Jugendlichen außerdem vor der immer wiederkehrenden unsachlichen Sündenbockpolitik schützen, die immer wieder mit dem Finger auf die "böse Jugend" deutet. Ich bleibe dabei, auch wenn ich hier der Rufer in der Wüste bin: Die Jugend von heute ist nicht schlechter als die Jugend von gestern. Was heute eine Flatrate-Party ist, war gestern die Goaßnmaß-Party oder eine Rüscherl-Party.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Herrmann hat sich gewünscht, dass Fakten auf den Tisch gelegt werden. Ich bedaure, dass er jetzt nicht da ist. Ich bin es aber gewohnt, dass er an meinen Argumenten kein großes Interesse zeigt.

Vorhin wurde gesagt, dass die Einhaltung des Jugendschutzgesetzes in den Gaststätten eine Aufgabe des Wirtschaftsministeriums wäre. Herr Herrmann, ich glaube Ihnen, dass sich viele Wirte sehnlichst das Wirtschaftsministerium als Ansprechpartner wünschen. Für die Kontrollen vor Ort sind jedoch die Kreisverwaltungsbehörden und damit das Innenministerium zuständig.

(Beifall bei der FDP)

Vorhin wurde in einem Redebeitrag ausgeführt, dass 23.000 Gewalttaten vorgekommen seien. Ich möchte deshalb auf die Zahl der polizeilichen Kriminalstatistik aus dem Jahr 2009 verweisen. Vielleicht ist dem Redner ein Rundungsfehler unterlaufen oder er hat eine falsche Zahl genannt. Es waren nämlich 20.533 Gewalttaten. Zur ganzen Wahrheit gehört ein Punkt, der heute auch nicht erwähnt wurde: In den letzten beiden Jahren sind die Gewalttaten der Heranwachsenden bis 21 Jahren um 10 % zurückgegangen. Ich wünsche mir

bei dieser Diskussion Mut zur Wahrheit, ohne Rücksicht auf irgendwelche Altersgruppen oder Wählergruppen.

(Dr. Paul Wengert (SPD): Nötiger wäre Mut zum Handeln!)

Heute wurde mir öffentlich vorgehalten, ich hätte Sehnsucht nach der Spaßpartei. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe Sehnsucht nach Sachpolitik.

(Beifall bei der FDP - Alexander König (CSU): Das kommt uns aber nicht so vor!)

Für das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bitte ich Frau Kollegin Schopper nach vorne.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kollegen und Kolleginnen! Herr Kollege Thalhammer, ich kann Sie beruhigen. Sie brauchen gar keine Sehnsucht nach der Spaßpartei zu haben; denn Sie sind ja in der Spaßpartei.

(Tobias Thalhammer (FDP): Nur wer Spaß an der Arbeit hat, kann auch gute Arbeit leisten!)

- Ich habe auch Spaß an der Arbeit. Hier sind wir beieinander.

Kolleginnen und Kollegen, das Thema, mit dem wir uns heute beschäftigen, ist ernst. Ich möchte trotzdem noch einmal eine Lanze für die Jugend brechen. Die Situation sollte nicht so dramatisiert werden, dass der Eindruck entsteht, dass eine "Generation Promille" heranwachsen würde. Ich möchte den Jugendlichen, den Mädchen und Buben, den jungen Erwachsenen beiderlei Geschlechts, nicht unterstellen, dass das Trinken ihr einziges Bestreben wäre. Dies haben Herr Kollege Hartmann und ich deutlich gemacht. Dieser Eindruck sollte nicht erweckt werden.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

- Herr Kollege König, ich möchte Sie um Ruhe bitten. Seien Sie doch ein bisschen leiser.

Ich bitte darum, Koalitionsgespräche außerhalb des Saals zu führen.

Das Thema ist für eine Verharmlosung zu wichtig. Das Einstiegsalter sinkt. Wir haben eine Zunahme bei den Mädchen festzustellen. Es gibt natürlich veränderte Verhaltensweisen. Sie sagen - da gebe ich Ihnen recht -, dass die Partys früher nicht "Flatrate-Partys" hießen. Die Verhaltensweisen sind aber schon verändert. Jetzt gibt es tatsächlich Partys, wo der Held des

Abends derjenige ist, der als Erster besoffen im Eck liegt.

Ich finde es besorgniserregend, wenn ich von Abiturfahrten in All-inclusive-Hotels in Spanien - oder wo immer sie hingehen - höre, bei denen schon vorher palettenweise das Bier angeliefert wird, damit der Trunkenheitsgrad bei der Busfahrt wahrscheinlich schon an der Autobahnausfahrt Brunnthal entsprechend hoch ist. Da hat sich eine Verhaltensänderung ergeben, und man muss schauen, wie man das Ganze eindämmt und wie man dem beikommt.

Alle Fraktionen haben sich darüber den Kopf zerbrochen. Ich möchte der CSU-Fraktion und auch der FDPFraktion mitteilen, wie das bei uns im Ausschuss im Vorfeld gelaufen ist. Es lagen Anträge der Freien Wähler, der SPD und von uns, von den GRÜNEN, vor. Bis zum besagten Abend vor der Ausschusssitzung lag nichts vonseiten der CSU und vonseiten der FDP vor. Dann wurde der Faule am Abend fleißig. Dann haben Sie sich wie ein Staubsauger darüber gemacht, haben die Rosinen aus den Anträgen der anderen Fraktionen herausgepickt und damit noch einen Antrag zusammengeschustert, damit Sie so tun können, als hätten Sie eine dicke Hose. Allein das war Ihr Bestreben; Sie hatten nämlich nichts. Sie haben sich um eine echte Debatte herumgedrückt.

(Allgemeine Heiterkeit - Beifall bei den GRÜNEN, Abgeordneten der SPD und der Freien Wähler)

Kollege Bertermann, Sie haben gesagt, Gründlichkeit komme vor Schnelligkeit. Da haben Sie aber lange gegründelt. Bis zu dem Tag hatten Sie noch gar nichts gefunden. Sie waren an diesem Donnerstagvormittag vollkommen blank. Sie haben nicht einmal einen Spicksechser, den zumindest die CSU schon in der Tasche hatte. Kollege Blume hat gesagt: kein blinder Aktionismus. In blinden Aktionismus kann man aber nur verfallen, wenn man etwas weiß. Ich habe das Gefühl, Sie haben gar nichts gesehen. Wir sagen gar nichts gegen die Maßnahmenberichte, die Sie uns jetzt vorgelegt haben. Wir aber haben versucht, für jene Fälle etwas zu formulieren, wo auch Handlungsbedarf besteht.

Ich finde es wirklich beschämend für eine Partei, die ansonsten immer in jeder Lebenslage für den Schutz des ungeborenen Lebens eintritt, wenn sie noch nicht einmal einem Antrag zustimmen kann, der eine Aufklärungskampagne zum Thema "Null-Promille in der Schwangerschaft" fordert.

(Beifall bei den GRÜNEN und Angeordneten der SPD)

Das war ein Antrag von der SPD, dem Sie nicht zustimmen konnten. Da konnten Sie Ihren Finger nicht heben,

sondern Sie mussten das ins eigene Anträgle hineinschreiben, damit man es selbst gewesen ist. Eine solche politische Kultur hat nichts mit einer Sachdebatte zu tun, die Sie eingefordert haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir haben uns klar dazu bekannt, dass wir keine generelle Meldepflicht wollen. Die jetzige Regelung lässt bereits eine Meldung zu, wenn das Kindeswohl in Gefahr ist, wenn ein Jugendlicher häufiger eingeliefert wird oder wenn ein Jugendlicher eingeliefert wird, bei dem man schon beim ersten Mal das Gefühl hat, dass etwas nicht stimmt. Wenn die Ärztinnen und Ärzte in den Krankenhäusern Gefahr in Verzug sehen, ist eine Meldung heute schon möglich. Es ist auch richtig, dass das möglich ist. Wir unterstützen es voll, dass in solchen Fällen Kontakt aufgenommen wird. Wir haben auch Fachgespräche durchgeführt. Die Ärzte, die uns bei dem Fachgespräch über die Situation berichtet haben, haben klar und deutlich gesagt: Alle Jugendlichen, die sie aufgrund dieser Regelung gemeldet haben, waren schon bei den einschlägigen Stellen, bei den Jugendämtern bekannt. Wir halten das für richtig.

Man muss aber die Irritationen durch Meldungen ausräumen - die sind natürlich von Kollegin Haderthauer in die Welt gesetzt worden -, dass wir eine generelle Meldepflicht einführen wollen. Eine generelle Meldepflicht halte ich in der Tat für kontraproduktiv. Dann bestünde wirklich die Gefahr, dass niemand mehr die Rettung für seine Freundin oder seinen Spezl ruft. Deswegen wollen wir dazu eine klare Abstimmung. - Die Ministerin plärrt da über die Bänke hinweg, dass sie das gar nicht so gemeint habe. Sie müssten dann auch einmal die politischen Konsequenzen ziehen und einem solchen Antrag zustimmen. Da fällt Ihnen doch kein Zacken aus der Krone, verdammt noch einmal!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bei der jährlichen Vorstellung der Polizei- und der Kriminalstatistik ist es das Mantra des Innenministers, dass er die Gesetze verschärfen will. Ich finde, man muss erst einmal kontrollieren, wo die bestehenden Gesetze ausreichen und wo man genauer hinschauen und den Vollzug regeln muss.

Herr Zeil, in dem Falle sind Sie zuständig, nicht der Innenminister. § 20 Satz 2 des Gaststättengesetzes Allgemeine Verbote - lautet: "Verboten ist, in Ausübung eines Gewerbes alkoholische Getränke an erkennbar Betrunkene zu verabreichen." Wenn man weiß, dass eine Flatrate-Party stattfindet, dann weiß man auch, dass die jungen Leute nicht da hingehen, um Wasser günstiger zu trinken, sondern es ist der Sinn einer solchen Party, dass man möglichst günstig Hochprozentiges zu trinken bekommt. Die Jugendlichen werden

auch nicht nach Verlassen der Party plötzlich und schockartig einen Rausch beieinander haben; den haben sie schon da drin. Dann muss man schauen, wie man die bestehende Regelung anwenden kann. Wie viele Konzessionen sind denn bisher entzogen worden? - Es gibt auch noch eine andere Möglichkeit, den Flatrate-Partys beizukommen. Wirte müssen bestimmte Auflagen erfüllen, um überhaupt eine Konzession zu bekommen und sie zu behalten. Man könnte also prüfen, inwieweit der Wirt dem Missbrauch alkoholischer Getränke Vorschub leistet. In meinen Augen wird durch solche Partys dem Missbrauch schon Vorschub geleistet. Daher frage ich Sie: Wie haben Sie die Einhaltung der bestehenden Gesetze überprüft? Welche Kontrollen werden gemacht? Wie viele Konzessionen wurden daraufhin entzogen, und wie viele Bußgelder sind verhängt worden?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mein Kollege Hartmann hat zur Höhe der Bußgelder schon ausreichend gesprochen und gesagt, dass ein Bußgeld in dieser geringen Höhe mehr oder weniger so etwas ist wie ein Strafzettel für falsches Parken; das ist keine empfindliche Strafe. Es muss kontrolliert werden, ob diese Gesetze und die Bestimmungen des Jugendschutzes eingehalten werden.

Ich halte es für wichtig, das Verkaufspersonal in Supermärkten, in Tankstellen oder das Personal in Gaststätten zu schulen und den Leuten klarzumachen, dass an Jugendliche unter 16 Jahren kein Alkohol verkauft wird; das würde ganz bestimmt Wirkung zeigen. Die Jugendlichen unter 16 Jahren kommen da zum Teil schon gar nicht rein. Ich finde es wichtig, dass der Ausweis kontrolliert wird und dass darauf geachtet wird, dass die 16Jährigen, die drin sind, nicht an Hochprozentiges kommen. Das kann man zum Beispiel mit Hilfe von Bändchen machen; da gibt es viele Möglichkeiten.

Man muss jedenfalls drauf achten, dass die bestehenden Gesetze eingehalten werden. Ich will, dass man da Druck macht, anstatt nur zu überlegen, wie man die Gesetze noch weiter verschärfen kann. Gerade in puncto Ladenschlusszeiten habe ich das Gefühl, dass man damit am eigentlichen Sinn vorbeigeht. Innenminister Herrmann hat wirklich mit großer Verve erklärt, warum man Wodka dann an der Tankstelle kaufen muss. Er will nicht, dass Wodka von 22.00 bis 5.00 Uhr morgens verkauft wird. Ich frage mich aber, ob der Wodka, der um 20.00 Uhr verkauft wird, für die Jugendlichen besser ist als jener, der um 22.00 Uhr verkauft wird.

Der Innenminister müsste sich die Frage stellen, ob überhaupt Hochprozentiges an Tankstellen verkauft werden darf, dann wäre vielleicht ein besserer Schutz

gegeben. So aber präsentieren Sie bloß im Schaufenster eine Aktivität. Das ist nur Augenwischerei. Ich glaube, dass die Einschränkung des Verkaufsverbots nur zu einem anderen Verhalten führt. Die Jugendlichen werden dann Alkohol horten. Wir kennen das alle aus England; ich weiß nicht, ob jemand von Ihnen da schon einmal war. Wenn es in einem Pub in England "last order" heißt, dann stehen vorne fünf Bier, die man bis Mitternacht in aller Ruhe trinken kann. Die Regelung der "last order" führt nicht dazu, dass die Leute weniger trinken, sondern sie bestellen sich einfach mehr kurz vor Schluss. So wird es dann auch bei unseren Jugendlichen sein. Alkohol wird gehortet, sie werden sich andere Einkaufswege suchen, und Gaststätten werden plötzlich versuchen, Konzessionen zu erwirken.

Ihre Regelung hat also keinen echten Effekt. Wenn wir eine Maßnahme diskutieren, müssen wir auch überlegen, ob diese Maßnahme das angestrebte Ziel erreicht. Es hat wenig Sinn, dass Sie bloß mit den Flügeln schlagen, ohne dass Sie überhaupt Luft unter die Flügel kriegen. Wir müssen vielmehr die Prävention stärken und voranbringen. Wir müssen ein Umdenken bei den Verhaltensweisen erreichen und mehr Souveränität beim Denken darüber, was vielleicht gerade in ist und was nicht. Das halte ich für einen wichtigen Ansatz. Dazu haben wir Anträge gestellt, mit denen wir sowohl reagieren als auch agieren. Die "HaLT"-Projekte müssten etwas verbessert werden. Trotzdem glaube ich, dass wir noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt sind. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Den Schwerpunkt nur auf die Jugendlichen zu legen und bei den Erwachsenen nach dem Motto "Schwamm drüber" zu handeln, halte ich für problematisch.

Ich will Ihnen die Zahlen noch einmal nennen. 2007 aus diesem Jahr stammen die Zahlen, die wir momentan haben - sind 47.821 alkoholbedingte Behandlungsfälle in Krankenhäuser eingeliefert worden. Das ist eine Zunahme um 5,2 %. Davon waren 6.300 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis zum 20. Lebensjahr. Die Differenz ergibt immer noch eine Menge Menschen, die über 20 Jahre alt sind und wegen Alkoholkonsums eingeliefert wurden. Auch hier müssen wir noch nachlegen. Sie können hier nicht sagen, ich leihe mein Ohr dem Senior, wie es Kollege Thalhammer vermutlich meinte.