Protocol of the Session on December 17, 2009

Wir hatten neulich eine Anhörung zur Geriatrie. Professor Oswald aus Erlangen hat ausgeführt, wie dramatisch sich die Zahl der zur Verfügung stehenden Pflegekräfte verringert. Er hat gesagt, 1880 seien auf

einen zu Pflegenden 79 potenzielle Pflegekräfte gekommen, 2008 kämen auf einen noch zu Pflegenden 10,5 potenzielle Pflegekräfte. Aber 2050 würden es nur noch 3,9 potenzielle Pflegekräfte sein. Von diesen 3,9 Menschen muss noch irgendeiner Brötchen bac ken, irgendeiner Straßenbahn fahren, irgendeiner vielleicht noch Arzt sein, irgendeiner muss noch Apotheker sein, und dann sind diese 3,9 Menschen ausgeschöpft. Dann haben wir niemanden mehr, der für die Pflege zur Verfügung steht, insbesondere dann, wenn die Bedingungen für die Pflege so verheerend bleiben, wie sie jetzt sind; denn der Pflegeberuf genießt in der Öffentlichkeit kein Ansehen. Wir können für die aufopfernde Tätigkeit dieser Menschen noch so hehre Worte finden, wenn wir ihnen nicht helfen, ihre Berufsbedingungen zu verbessern, wird sich daran nichts ändern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die jetzige Situation ist aber auch ein Abbild der Versäumnisse der Vergangenheit. Wir haben in der Vergangenheit versäumt, die ambulanten Dienste auszubauen. Wir haben es zugelassen, dass ambulante Dienste weit unterfinanziert sind, und wir haben zugelassen, dass es in Bayern Versorgungslücken und weiße Flecken in der Pflegelandschaft gibt.

Das ist die Situation. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Auszubildenden. Obwohl wir deutlich mehr bräuchten, haben wir immer weniger Menschen, die bereit sind, die Altenpflegeausbildung zu machen. Gleichzeitig geraten Berufsfachschulen für Altenpflege in Existenznöte. Das hängt auch damit zusammen, dass man sich hartnäckig weigert, die Pflegeumlage einzuführen, die dazu beitragen würde, dass es möglich ist, in allen Einrichtungen auszubilden.

All das sind die Fehler der Vergangenheit, die sich natürlich jetzt massiv rächen.

Vor dem Hintergrund dieser desaströsen Situation helfen sich viele Familien selbst und stellen eine sogenannte ausländische Pflegekraft ein. Es handelt sich dabei meist um Polinnen, um Rumäninnen oder um Ukrainerinnen. An dieser Stelle sei mir eine Anmerkung zu dem Wort "ausländische Pflegekräfte" erlaubt. Es ist sehr geschlechtsneutral formuliert. Aber, meine Damen und Herren, die Pflege ist weiblich.

(Beifall bei den GRÜNEN - Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD): So ist das!)

Die Pflegenden sind weiblich. Die ausländischen Pflegenden sind weiblich. Die pflegenden Familienangehörigen sind weiblich und die meisten zu Pflegenden sind auch weiblich. Denn meist sind die Männer früher gestorben; übrig bleiben die Frauen, die dann gepflegt

werden müssen. Vielleicht ist das der Grund, dass Pflege weiblich ist.

(Unruhe)

Vielleicht ist das der Grund, weshalb in den letzten Jahrzehnten nichts geschehen ist. Vielleicht wäre es besser, wenn Pflege männlich wäre.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr (GRÜ NE))

Die ausländischen Pflegerinnen sind in unseren Familien oft die einzige finanzierbare Lösung. Das aber, meine Damen und Herren, ist die Bankrotterklärung der Pflege in diesem Lande. Stellen Sie sich einmal vor, in Polen, in Rumänien oder in anderen osteuropäischen Staaten würde der Lebensstandard plötzlich ansteigen und es würde diesen Menschen sehr gut gehen. Dann würde hier in Bayern und in Deutschland die gesamte Pflegeblase platzen. Wir hätten dann eine noch schlimmere Situation, als wir sie ohnehin schon haben. Dann käme nämlich niemand mehr, um hier für Hungerlöhne alte Menschen zu pflegen.

Der Antrag versucht nun, eine Scheinlösung anzubieten, indem ausländische Pflegekräfte, wie Sie so schön sagen - ich werde im folgenden Text immer "ausländische Pflegerinnen" sagen; denn ich kenne keinen ausländischen Pfleger - auch sogenannte notwendige pflegerische Alltagshilfen verrichten dürfen. Das klingt auf den ersten Blick plausibel, ist es aber nicht. Denn wir müssen mit Vorsicht darauf schauen, ob es nicht sein könnte, dass wir damit ein Einfallstor für eine Abwärtsspirale in der Pflegequalität aufstoßen. Es besteht die Gefahr, dass der notwendige Ausbau der ambulanten Dienste durch eine Billigkonkurrenz verhindert wird. Die ambulanten Dienste - das habe ich vorhin bereits gesagt - haben schon jetzt große Probleme. Wir hatten auch im Ausschuss schon das Thema, dass private Anbieter gegenüber den Anbietern von Wohlfahrtsunternehmen deutlich schlechter gestellt sind und Existenznöte haben. Wenn wir überhaupt daran denken können, ausländische Pflegerinnen zu legalisieren, müssen damit untrennbar der Nachweis von Mindestqualifikationen und ein Mindestlohn verbunden sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ansonsten handelt es sich um Ausbeutung.

Es ist positiv zu werten, dass endlich das Problem der sogenannten illegalen Pflegerinnen wahrgenommen wird. Aber wir müssen dann auch Rechtssicherheit für die betroffenen Familien und Pflegerinnen schaffen. Wir müssen versuchen, über die Vermittlung der Arbeitsagenturen soziale und rechtliche Mindeststandards einzuführen.

Ich habe mich schon gefragt, was dieser Antrag eigentlich soll. Es steht schon im Koalitionsvertrag der Bundesregierung, dass eine Besserung angestrebt werden soll. Jetzt ist Herr Unterländer leider nicht da, das ist schade.

(Hubert Aiwanger (FW): Macht nichts!)

Ich würde ihn gerne fragen, was dieser Antrag bewirken soll. - Ach, da ist Herr Unterländer! - Der Antrag unterstützt im Grunde nur das, was im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ohnehin schon steht. Weshalb haben Sie denn diesen Antrag gestellt, Herr Unterländer? Wollten Sie Ihrer Ministerin den Rücken stärken, oder haben Sie noch ein Thema gebraucht? Es bringt überhaupt nichts, diesen Antrag hier zu stellen, denn dieser Antrag ist bereits verabschiedet, Herr Unterländer.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir stehen vor einer Situation, die kaum zu lösen ist. Wenn wir aber richtige Schritte in die richtige Richtung machen wollten, müssten wir die Pflegeberufe aufwerten, wir müssten das ambulante Netz ausbauen, wir müssten niedrigschwelligere, qualifiziertere Pflegeangebote anbieten und müssten flexiblere Pflegeangebote schaffen. Wir müssten eine Pflegeumlage einführen und die Pflegestufen neu ordnen. Wir bräuchten eine grundsätzlich neue Konzeption für mehr Fachkräfte, mehr Wohngruppen und endlich mehr ambulantes Handeln statt stationäres Handeln.

Für uns ist dieser Antrag keine Lösung, sondern dient nur der Verschleierung. Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung der Stimme enthalten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke, Frau Ackermann. Für die FDP hat sich Herr Dr. Bertermann zu Wort gemeldet.

(Vom Redner nicht auto- risiert) Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ackermann und liebe Frau Steiger, großen Teilen Ihres Vortrages kann man zustimmen. Besonders der letzte Teil Ihrer Rede, Frau Ackermann, wo Sie die Perspektive für die Zukunft der Pflege in Bayern aufwerfen, ist richtig. Aber das ist jetzt nicht mein Thema.

Ihre Frage lautete: Was soll der Antrag jetzt, wenn er schon in der Koalitionsvereinbarung zu finden ist, aber noch nicht als Gesetz formuliert ist? Ich denke, dieser Antrag soll unter anderem auch zeigen, dass wir die Dringlichkeit des Problems erkannt haben und dass wir auf den Koalitionspartner in Berlin einwirken, indem wir mit einer Botschaft reagieren, die besagt, dass das

Thema auch für uns in Bayern als Koalition wichtig ist, weil es den Familien auf den Nägeln brennt.

Zu Ihren eigenen Argumenten: Die Koalition will keine "Pflege light". Wir wollen keine Verschlechterung der Qualität. Wir wollen den Arbeitsschutz der ausländischen Arbeitskräfte. Wir wollen keine Ausbeutung. Wir wollen die Migranten und Migrantinnen mit einbeziehen und wir wollen keine Niedriglöhne für eine Leistung in der Pflege, die von ausländischen Arbeitskräften erbracht wird.

Wir haben allerdings zwei Probleme, Frau Steiger. Das eine Problem ist die Frage: Was machen wir mit den hunderttausend ausländischen Arbeitskräften oder Hilfskräften in der Pflege, die jetzt schon da sind und jetzt unterschiedliche Leistungen erbringen?

(Christa Steiger (SPD): Arbeitsverträge anbieten!)

Da gibt es einen Teil, der macht nur hauswirtschaftliche Versorgung, ein anderer Teil macht auch die Grundpflege und die Behandlungspflege. Dieser Teil macht also etwas Illegales, und das geschieht deshalb, weil die Pflegekosten von den Familien nicht mehr bezahlt werden können. Das gilt es zu regeln und darauf zielt der Antrag auch ab mit der Frage, ob wir einen Weg finden, wer die definierten Leistungen erbringen darf oder wer nicht. Die Leistung muss qualitativ hochwertig sein.

Machen wir uns doch einmal ein Bild. Wir haben in Deutschland 2,2 Millionen Pflegebedürftige; von diesen 2,2 Millionen Pflegebedürftigen wird rund eine Million von deren Angehörigen versorgt, das heißt, es sind die Familien, die ihre Angehörigen pflegen. Dieser Antrag zielt letztlich darauf, diese Familienangehörigen zu entlasten.

Wer pflegt denn die Angehörigen in Deutschland? - Es sind die fünfzig- bis siebzigjährigen Frauen.

(Christa Steiger (SPD): Wem sagen Sie denn das?)

Dieser Antrag dient dazu, diese Familien zu entlasten,

(Christa Steiger (SPD): Damit nicht!)

wenn die Qualität stimmt. Wir wollen es als Koalition doch nicht zulassen, dass ein Dekubitus übersehen wird,

(Christa Steiger (SPD): Ja, eben!)

dass die Dehydrierung nicht erkannt wird. Wir wollen nicht, dass der alte Mensch falsch gefüttert oder falsch gelagert wird.

(Christa Steiger (SPD): Sie haben recht! Das wollen wir auch nicht!)

Das sind langfristige Forderungen.

Wir müssen aber kurzfristig auf die Situation reagieren. Deshalb sind für mich, Frau Steiger, die notwendigen pflegerischen Maßnahmen nicht die Maßnahmen, die jemand nach einer zweijährigen Pflegeausbildung erbringt, sondern das sind Maßnahmen im Bereich des Haushalterischen, Maßnahmen, die wir gemeinsam in den Ausführungsbestimmungen definieren müssen.

Es ist eben nicht so, dass jeder füttern kann -

(Christa Steiger (SPD): Eben! Mir müssen Sie das nicht sagen!)

das ist nicht der Fall -, sondern dazu ist eben eine ganz bestimmte Haltung erforderlich. Aber wir müssen auf die Frage reagieren, wie die ausländischen Arbeitskräfte, die jetzt schon da sind, behandelt werden sollen. Wenn Sie diese Kräfte abziehen, was passiert dann? Dann belasten Sie wieder die Angehörigen, und die Pflege bricht zusammen.

Wir müssen kurzfristig handeln. Das ist es, was Herr Unterländer und die CSU und was wir wollen. Wir wollen, dass die bestehende Situation kurzfristig gemanagt wird. Langfristig wollen wir den gleichen Weg gehen, den auch die SPD, die Freien Wähler und die GRÜNEN gehen wollen.

(Christa Steiger (SPD): Dann muss der Antrag anders lauten!)

Wir wollen eine bessere und qualitativ hochwertigere Pflegeausbildung. Dazu gibt es das Gutachten des Sachverständigenrates. Wir wollen letztlich eine grundständige Hochschulausbildung für die Pflege. Die Ausbildung in den Pflegeberufen darf nicht länger als Sonderweg in der beruflichen Bildung gestaltet sein. Gefordert wird die Angleichung der Bildungsstrukturen, auch müssen wir auf die europäischen Herausforderungen reagieren. Nur so bleiben die Pflegeausbildung in Deutschland und das Image der Pflegeausbildung im internationalen Umfeld zukunfts- und wettbewerbsfähig. Mit diesem Antrag, meine Damen und Herren, sorgen wir dafür, dass die Menschen weiter zu Hause betreut und in Würde alt werden können.

Deshalb bitte ich Sie, diesem Antrag zuzustimmen, der in meinen Augen kurzfristig die beste Maßnahme ist. Langfristig müssen wir das Image der Pflegerinnen und die Qualität der Pflege in Deutschland heben. Denn auf uns kommt ein "Tsunami" in der Pflege zu.