Protocol of the Session on November 11, 2009

An die Adresse unseres bisherigen Koalitionspartners in Berlin sage ich aber: Die bürgerliche Koalition der Mitte aus CDU, CSU und FDP hat eine soziale Grausamkeit beseitigt, die Sie nicht beseitigt haben, und zwar das Schonvermögen bei Hartz IV.

(Anhaltenden Beifall bei der CSU und der FDP - Unruhe bei der SPD und den GRÜNEN)

Das Schonvermögen bei Hartz IV haben wir verdreifacht, denn das war überfällig. Menschen, die für ihre Altersvorsorge etwas tun und dann arbeitslos werden, dürfen nicht dadurch bestraft werden, dass sie ihre private Altersvorsorge dafür hingeben müssen.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Warum haben wir das gemacht? - Weil es mit CDU und CSU nicht anders machbar war!)

Das ist die Antwort!

(Lebhafter Beifall bei der CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, wir bleiben ein soziales Land. Es gibt keine einzige soziale Grausamkeit, und es wird auch keine geben.

(Christa Naaß (SPD): So eine Scheinheiligkeit!)

Nächstes Thema: Landwirtschaft. Meine lieben Kollegen aus dem Kabinett, Sie haben zum großen Teil in Berlin mitverhandelt. Wir durften dabei wieder einmal zur Kenntnis nehmen, und das sage ich jetzt völlig parteiunabhängig, dass es in Berlin niemanden mehr gibt, der für die Interessen der bäuerlichen Landwirtschaft mit dem Nachdruck eintritt, wie wir aus Bayern das tun. Das haben unsere Bauern auch verdient.

(Lebhafter Beifall bei der CSU und der FDP)

Bayern und die Bauern gehören zusammen. Die Bauern produzieren nicht nur unsere gesunden Lebensmittel, sie sind nicht nur wichtige Unternehmen in unserem Land, eine wichtige Wirtschaftsbranche, sondern sie gehören im ländlichen Raum auch zu unserer Landeskultur. Deshalb haben wir so für die Bauern gekämpft, und deshalb gibt es ein Sonderprogramm in Höhe von 750 Millionen Euro für die Jahre 2010 und 2011. Es gibt zugunsten der Bauern ein Grünlandmilchprogramm, einen Bundeszuschuss für die landwirtschaftliche Sozialversicherung, Hilfen beim Agrardiesel und Zinshilfen für überschuldete Unternehmen. Meine Damen und Herren, ich bin schon lange in der Politik, aber ein derartiges Hilfsprogramm für die Bauern hat es in diesem Volumen noch nie gegeben, noch nie.

(Lebhafter Beifall bei der CSU und der FDP)

Ich appelliere an die Bundesregierung, nachdem das ein Programm für die Jahre 2010 und 2011 ist, das Hilfsprogramm zügig im Parlament zu verabschieden, damit die Bauern, die jetzt die Schwierigkeiten haben und diese Schwierigkeiten haben nicht nur die Milch

bauern, sondern auch alle anderen Landwirte - diese Hilfen so schnell wie möglich bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Die 750 Millionen Euro haben keine finanziellen Rückwirkungen auf den Haushalt des Freistaats Bayern. Das gilt auch hinsichtlich des nächsten Punktes. Die Bundesregierung wird sich im Hinblick auf Bildung und Forschung, die wichtigste Zukunftsinvestition neben der Investitionen in öffentliche Infrastruktur, bis zum Jahr 2013 mit 12 Milliarden Euro engagieren. Wir haben lange überlegt, wie wir uns diesem Sachverhalt gegenüber verhalten, denn oft wird gesagt: Bildung ist Ländersache, der Bund soll sich, insbesondere nach der Föderalismusreform I, heraushalten. Wir haben uns aber darauf verständigt, und zwar alle Ministerpräsidenten und die Bundesregierung, dass die Bundesregierung die Bildungspolitik der Länder durch zusätzliche 12 Milliarden Euro unterstützt. Das gilt auch für den Bereich der Forschung. Meine Damen und Herren, Deutschland muss das Bildungsland Nummer 1 auf dieser Erde werden, denn wir haben keinen anderen Rohstoff als unseren Geist. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt!

(Lebhafter Beifall bei der CSU und der FDP - Beifall des Abgeordneten Hubert Aiwanger (FW))

Das ist Rückenwind für die Politik in Bayern. Wir geben in der Hochschulpolitik eine Menge aus, wir wollen eine Menge verändern. Wir schaffen zusätzlich 38.000 Studienplätze und 3.000 Planstellen in den Hochschulen. Wir sind auch hinsichtlich der Allgemeinbildung sehr aktiv. Wir haben inzwischen 1.459 zusätzliche Lehrerstellen geschaffen. Diese zusätzlichen Lehrer wirken vor allem in den Integrationsklassen.

(Unruhe bei der SPD und den GRÜNEN - Zuruf des Abgeordneten Hubert Aiwanger (FW))

Meine Damen und Herren, diese Investitionen in Bayern entspringen unserer eigenen Zuständigkeit und sie werden den Ganztagsschulen, kleineren Klassen, zusätzlichen Lehrern, der Sicherung von Schulstandorten und den Hochschulen zugute kommen. Durch die Maßnahme des Bundes, der diese auch finanziert, werden unsere Anstrengungen segensreich unterstützt. Auch das gibt Rückenwind für Bayern.

(Beifall bei der CSU und der FDP - Unruhe bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, nun zur Familienpolitik. Die Familien sind die Keimzellen unserer Gesellschaft. Ich bin deshalb froh, und wer hätte das noch vor einem Vierteljahr gedacht, dass diese Koalition mit einem breiten Hilfsangebot für die Familien startet.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Das ist doch eine Mogelpackung! Den armen Familien helfen Sie doch nicht! Sie helfen nur den reichen Familien!)

Das Hilfsangebot umfasst die Erhöhung des Kinderfreibetrags, 20 Euro Kindergeld und das Betreuungsgeld. Das Betreuungsgeld wird mit der Realisierung des Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung in Deutschland eingeführt werden, und zwar in Höhe von 150 Euro pro Monat. Das ist eine ganz wichtige Maßnahme.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Ich möchte zum Betreuungsgeld sagen: Gerade in Bayern, wo mehr als die Hälfte der Kinder in der Anfangsphase zu Hause erzogen wird, können wir nur dann von Wahlfreiheit reden,

(Isabell Zacharias (SPD): Ja, weil sie keine Plätze haben!)

wenn wir, Frau Kollegin Haderthauer, den bedarfsgerechten Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen massiv weiter vorantreiben und damit vielleicht sogar ein Jahr früher fertig sind, als geplant. Wir müssen aber auch an die Menschen denken, die ihre Berufstätigkeit zeitweise unterbrechen, um ihre kleinen Kinder zu Hause zu erziehen. Das sollen die Leute aber selbst entscheiden, das ist Wahlfreiheit.

(Lebhafter Beifall bei der CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, das belastet uns im Freistaat Bayern nicht besonders, jedenfalls nicht mit neuen Ausgaben. Der Bund hat sich nach den bisherigen Gesprächen - heute Nachmittag findet noch einmal ein Gespräch mit dem Bundesfinanzminister statt - bereit erklärt, die Mehraufwendungen beim Kindergeld zu fast drei Viertel selbst zu tragen. Nur der Rest, also ein Viertel, fällt auf uns. Das kommt uns in unserem Haushalt sehr zugute. Man muss wissen, würde dieser Schlüssel nicht gelten, müssten die Länder fast 60 % der Ausgaben für die Familien selbst tragen.

Meine Damen und Herren, ich möchte noch etwas zur angedachten Reform der Pflegeversicherung sagen, weil auch dies Rückwirkungen auf den Freistaat Bayern und auf das Gesundheitswesen hat. Ich war Mitbegründer der gesetzlichen Pflegeversicherung. Die Pflegeversicherung ist segensreich und hilft den Familien, aber sie hilft auch den Kommunen. Das sollten wir nicht vergessen, denn vor der Pflegeversicherung mussten die Kommunen über die Sozialhilfe bezahlen. Jeder weiß, wenn die Lebenserwartung pro Jahrzehnt um zwei bis drei Jahre zunimmt, wenn die Bevölkerung also, Gott sei Dank, älter wird, dann wird die gesetzliche Pflegeversicherung, wie wir sie heute haben, nicht ausreichen, um alle finanziellen Lasten zu tragen. Wir kön

nen die steigenden Kosten infolge der Demografie nicht über die Lohnnebenkosten finanzieren. Deshalb halte ich es für ein Gebot der Wahrhaftigkeit, dass rechtzeitig für die junge Generation eine Antwort auf folgende Frage gefunden wird: Wie können wir die gesetzliche Pflegeversicherung durch ein kapitalgedecktes Verfahren ergänzen, damit diese jungen Leute nicht ein ganzes Leben in eine Versicherung einzahlen, um am Ende festzustellen, dass sie nichts mehr oder nur noch sehr wenig bekommen? Die Pflegeversicherung soll durch eine kapitalgedeckte Ergänzung auch in 20, 30 oder mehr Jahren finanzierbar sein. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag zur Nachhaltigkeit und zur Generationengerechtigkeit.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, wir sollten uns in Deutschland angewöhnen, bei Vereinbarung eines Grundsatzes der Gesellschaftspolitik erst einmal konkret zu rechnen und ein Modell zu entwickeln. Dann soll der Bevölkerung mitgeteilt werden, was auf sie zukommt. Die soziale Dimension soll berücksichtigt werden. Meine Damen und Herren, das erfordert Zeit. Wir werden uns in Bayern an der Entwicklung dieses Modells sehr stark beteiligen. Wir können es uns angesichts der Gesamtumstände nicht leisten, alles auszutreten, bevor wir in die Konkretisierungsphase eintreten. Das können wir uns nicht leisten.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Deshalb sage ich der Bevölkerung: Wir halten an der sozialen Pflegeversicherung, wie wir sie kennen, fest. Wir werden die Pflegeversicherung insbesondere für die junge Generation durch ein kapitalgedecktes Verfahren ergänzen, und zwar im Interesse der jungen Generation. Eine Generation soll nicht nach einem erfüllten Erwerbsleben zum Sozialamt gehen, wenn sie pflegebedürftig wird. Diesen Zustand wollen wir nicht.

Das Gleiche gilt für die gesetzliche Krankenversicherung. Wir haben für die Arbeitslosenversicherung und für die Krankenversicherung - auch das ist wichtig für Bayern - noch einmal einen Arbeitnehmerschutzschirm gespannt. Wenn wir die Menschen im Jahre 2010 und 2011 bei der Steuer entlasten, weil es sich um Krisenjahre handelt, dann ist es nicht sinnvoll, dass wir Arbeitnehmern und Arbeitgebern durch Beitragserhöhungen bei der Arbeitslosenversicherung und bei der Krankenversicherung genau das wieder wegnehmen, was wir ihnen vorher bei der Steuerentlastung gegeben haben. Aus diesem Grund ist dieser Schutzschirm in den Krisenjahren für die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber, gerade im Mittelstand, notwendig. Wir haben einen Schutzschirm für die Banken. Wir haben einen Schutzschirm für große Firmen. Diese Schutzschirme

sind zuhauf in Anspruch genommen worden. Meine Damen und Herren, es ist verantwortbar gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, einen Schutzschirm für zwei Jahre zu spannen. Unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können ganz gewiss nichts für diese Weltrezession. Sie können zuallerletzt etwas dafür. Deshalb ist dieser Schutzschirm wichtig.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Wir verzeichnen ein Defizit bei der Bundesagentur für Arbeit. Ebenso bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese Defizite werden nicht über Beitragserhöhungen kompensiert. Dieser Punkt erscheint mir wichtig.

Parallel dazu müssen wir eine Reform des Gesundheitswesens auf den Weg bringen, und zwar für die langfristige Struktur. Im nächsten Jahr wird sich gar nichts ändern. Ich kann das nicht oft genug sagen. Meine Damen und Herren, wir müssen jedoch einigen Dingen ins Auge sehen. Das ist die Frage der Regionalität versus Zentralismus. Ich habe während der Koalitionsverhandlungen selbst formuliert, dass wir wieder mehr Regionalität sowohl in Bezug auf die Arzthonorare und die Vertragshoheit als auch die Beitragsgestaltung in dieses Gesundheitswesen integrieren müssen. Das ist im Hinblick auf den Föderalismus eine wegweisende Entscheidung. Unser Koalitionspartner hat sich dafür eingesetzt, die Beitragshoheit wieder bei den Krankenkassen zu verankern, um mehr Wettbewerb und Pluralität zu erhalten. Dies ist auch ein Auftrag für die künftige Kommission und für die künftige Arbeit. Das ist auch Föderalismus.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Nun geht es um eine Frage, die wir alle beantworten müssen. Die Frage haben wir kurzfristig zwar immer beantwortet, jedoch haben wir sie nie mittel- und langfristig beantwortet. Wie finanzieren wir die steigenden Kosten des medizinischen Fortschritts und der steigenden Lebenserwartung? Gleichzeitig wollen wir - und das wollen wir hoffentlich alle -, dass sich die Menschen in unserem Lande unabhängig von ihrem Alter und unabhängig von ihrem Einkommen in der Zukunft darauf verlassen können, dass sie erstklassige Medizin und erstklassige Pflege bekommen. Es darf nicht vorkommen, dass ein 84-jähriger Mensch keine neue Hüfte mehr erhält. Das wäre kein humanes Land mehr. Wenn man den Menschen sagt, wir wollen Erstklassigkeit für alle, dann müssen wir als Politiker zuverlässig die folgende Frage beantworten: Wie finanzieren wir die Kosten des medizinischen Fortschritts? Wie finanzieren wir die Tatsache, dass wir zu unserer Freude immer älter werden? Das sind hohe Kosten für ein Gesundheits

wesen. Eine Regierung muss sich die Frage stellen können, wie die daraus resultierenden Mehrkosten in Zukunft finanziert werden sollen. Wir haben ausdrücklich in die Koalitionsvereinbarungen hineingeschrieben, dass unabhängig von jeder Lösung der soziale Ausgleich sowie die Solidarität auch in der Zukunft gewährleistet sein müssen. Das steht ausdrücklich im Koalitionsvertrag. Das werden wir auch gewährleisten. Aus diesem Grund kann ich betonen: Es bleibt bei einer sozialen Krankenversicherung. Jedoch müssen wir die Fragen, die ich gerade angesprochen habe, beantworten.

Bayern soll sich massiv daran beteiligen. Gerade bei uns in Bayern hat das Gesundheitswesen nicht nur eine wichtige soziale, sondern auch eine wirtschaftspolitische Funktion. Das hohe Versorgungsniveau soll vor allem durch mehr Eigenbestimmung hier im Lande gestaltet werden. Ich lade Sie alle dazu ein. Das sind die Auswirkungen der Koalitionsvereinbarungen auf Bayern.

Meine Damen und Herren, all dies, was ich zur Bildung und zur Landwirtschaft ausgeführt habe, ist finanziell beim Bund angesiedelt. Es gibt die Rückwirkung aus der Steuerreform zum 01.01.2010. Es geht um 360 Millionen für Bayern. Ich möchte darauf hinweisen, dass noch die Große Koalition bisher 14 Milliarden Steuerentlastungen in Kraft gesetzt hat. Wer die 360 Millionen für Bayern für fragwürdig hält, der müsste sich die Frage stellen, warum plötzlich die 14 Milliarden, die noch von der Großen Koalition verabschiedet wurden, verantwortbar seien.

(Beifall bei der CSU)

Bis vor drei Monaten kann nicht alles richtig gewesen sein, was in Bayern heute für falsch erklärt wird. Sie wissen, wen ich damit meine.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das kommt immer darauf an, für was! - Thomas Kreuzer (CSU): Wir wissen es!)

Deshalb glaube ich, dass die in den Begriffen Wachstum, Bildung und Zusammenhalt niedergelegte Strategie als Ziel der neuen Bundesregierung sehr gut geeignet ist, unsere gesellschaftspolitischen und vor allem wirtschaftspolitischen Ziele in Deutschland zu erreichen. Wir haben durch den Mix der Investitionen in Bildung und Infrastruktur sowie durch die Steuerentlastung positive Wirkungen erzielt. Wir wollen diesen Weg fortsetzen.

Sie können sich ebenfalls international umsehen. Betrachten Sie einmal die skandinavischen Länder. Die skandinavischen Länder haben den Weg der Krisenüberwindung ebenfalls recht erfolgreich beschritten.