Protocol of the Session on May 27, 2009

Zur Milchpolitik als das momentan alles überlagernde Thema:

(Maria Noichl (SPD): Jetzt geht er hinaus!)

Sie fordern jetzt eine Mengenreduzierung um 5 %, die ich begrüße und unterstütze. Sie verschweigen aber, dass Sie im vergangenen Jahr selbst noch zugestimmt haben ? mit Ilse Aigner vorne dran ?, die Quote zu erhöhen. Sie verlieren auch kein Wort darüber, wie es nach 2015 weitergehen soll. Sie sagen nur: Für Ställe, die jetzt gebaut würden, werde weder eine Quotenbindung noch ein Quotennachweis gefordert. Sie bleiben aber die Antwort schuldig, ob Sie über 2015 hinaus eine Mengensteuerung wollen. Wie Sie selber an Ihrem Programm unschwer ablesen können, haben Sie sich auf der einen Seite von der Quote verabschiedet und steuern offensichtlich auf den freien Markt zu, indem Sie schon Stallbauten ohne Quotennachweis befürworten. Auf der anderen Seite verlieren Sie kein Wort darüber, wie es nach 2015 weitergeht.

Meine klare Botschaft ist: Sie wollen den Ausstieg aus der Quote und hängen nicht mehr daran, dass man auch noch nach 2015 eine Mengensteuerung betreibt. Ich gehe einen Schritt weiter: Sie stehen an der Seite der Milchindustrie. Sie wollen billige Ware auf Teufel komm? raus,

(Beifall der Abgeordneten Maria Noichl (SPD))

und das erreichen Sie, indem Sie die Landwirte immer mehr in Investitionen in große Ställe und in Schulden hineinjagen, damit die dann um die Wette melken, sich am Ende kannibalisieren und für die Milchindustrie billige Produkte liefern. Das ist ? zumindest de facto ? Ihre Linie. Was Sie an Lippenbekenntnissen abgeben, ist eine andere Thematik.

(Zuruf des Abgeordneten Josef Miller (CSU))

Aber Sie wollen sich von der bäuerlichen Landwirtschaft verabschieden, es sei denn, Sie merken es nicht und spielen den Großen in die Hände.

(Zuruf des Abgeordneten Josef Miller (CSU))

Wenn wir weiterhin diesen Weg gehen, haben wir in zehn Jahren auch in Bayern nur noch eine Agrarindustrie und Milchkolchosen, wo Investoren das Sagen haben, aber nicht mehr der Bauer. Das wäre das klare Ende Ihres milchpolitischen Weges.

(Beifall bei Abgeordneten der Freien Wähler und der SPD)

Meine Damen und Herren, dieser Produktionswettlauf, dieses Kämpfen um die nackte Existenz müsste bei Ihnen eigentlich zu einem Umdenken führen. Aber bisher ist kein Wort gefallen über die Milchbäuerinnen, die in Berlin hierfür demonstriert haben, die sogar in den Hungerstreik getreten sind, um auf ihre dramatische Lage hinzuweisen. Ich sage an dieser Stelle ganz klar: Hut ab und eine Verbeugung vor diesen Milchbäuerinnen, die mit ihren Hungerstreiks auf die Dramatik in der Landwirtschaft hingewiesen haben.

(Beifall bei den Freien Wählern und Abgeordneten der SPD)

Eine Frau Merkel hatte es bis dato nicht nötig, mit diesen Bäuerinnen zu reden. Erst jetzt, weil sie merkt, die Luft wird dünn, hat sie ein Gesprächsangebot gemacht. Als die Bäuerinnen vor ihrer Haustür in Berlin campierten, befand sie es nicht für nötig hinauszugehen. Sie hat auf der anderen Straßenseite das Auto verlassen und ist weggegangen ohne einen Blick über die Straße. Erst durch den Druck aufgrund der bevorstehenden Wahl ist sie in die Gänge gekommen.

Meine Damen und Herren, wenn man nicht einmal zu Hause zu den eigenen Milchbäuerinnen hingeht, obwohl sie vor der Haustür sitzen, dann traue ich der Union auch nicht zu, in Brüssel auch nur einen Finger dafür zu rühren,

(Beifall bei den Freien Wählern und Abgeordneten der SPD)

dass die Quote weiterläuft oder momentan wirklich dramatisch reduziert wird. Das sind Lippenbekenntnisse. Man versteckt sich hinter einer angeblich nicht zustande zu bringenden Mehrheit. Aber man versucht es ja gar nicht ernsthaft. Das sage ich so deutlich und leite davon ab: Wer zu Hause nicht hingeht, der wird sich auch in Brüssel keinen Hax?n ausreißen.

(Beifall bei den Freien Wählern ? Zuruf von der CSU)

Ein weiterer Punkt, zu dem symbolhaft über alle landwirtschaftlichen Bereiche hinweg festzustellen ist, dass die Union und zu einem großen Teil auch die SPD leider zu spät reagiert haben, nämlich erst dann, als Feuer am Dach war, weil ihnen die Bauern massiv in die Eisen gestiegen sind, ist der Agrardiesel. Sie können das gerne wiederholen. Auch Ihre Bundeskanzlerin Merkel hat noch vor wenigen Monaten wortwörtlich gesagt, sie sei gegen eine Absenkung der Besteuerung auf Agrardiesel, denn ?Wir sind doch in Deutschland nicht auf der Insel der Glückseligkeit?. Sie hat es rundheraus abgelehnt. Heute sagt sie: Wir müssen herunter auf das Niveau von Frankreich.

(Josef Miller (CSU): Ist doch gut!)

Meine Damen und Herren, das kommt mir fast so vor wie damals die Debatte um brutto oder netto. Entweder hat sie es verwechselt oder nicht genau Bescheid gewusst. Wenn ich sage: In Deutschland sind wir nicht auf einer Insel der Glückseligkeit, meine Damen und Herren, stelle ich fest: Wir sind weltweit am höchsten besteuert. Hier von einer Insel der Glückseligkeit zu reden, ist so etwas von jenseits von Gut und Böse, dass man die Leute entweder verhöhnt oder in der Sache überhaupt nicht Bescheid weiß.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Da sind auch Ihre 25 Cent bestenfalls nur eine Zwischenlösung. Wir müssen herunter auf französisches Niveau. Wenn wir schon von globalisierten Märkten und von Wettbewerbsfähigkeit reden, dann können wir nicht jedem Durchschnittsbauern ein paar Tausend Euro mehr an Agrardieselkosten hineinwürgen, als es nötig wäre. Also auch hier: erst katholisch geworden, als das Feuer begann. Meine Damen und Herren, diese Landwirtschaftspolitik der Union und, wenn man den Bündnispartner einbeziehen will, der FDP ist gerade vor diesem Hintergrund alles andere als glaubwürdig.

(Beifall bei den Freien Wählern ? Zuruf von der CSU )

Gentechnik wurde, wie richtig gesagt, mit keinem Wort erwähnt. Es ist derselbe Zickzackkurs: bis vor ganz kurzer Zeit in Bayern das große Hohelied der grünen Gentechnik, jetzt die Bitte an Ilse Aigner: Bitte nimm uns dieses Thema vom Tisch, damit wir bei der Europawahl nicht Schiffbruch erleiden. Die Angst vor einer Schlappe bei der Europawahl war die Ursache für den Ausstieg aus dem Anbau von MON 810, nichts mehr und nichts weniger.

(Beifall bei den Freien Wählern und Abgeordneten der SPD)

Als wir vor wenigen Wochen Haushaltsdebatten geführt und Regierungserklärungen abgewickelt haben, habe ich gesagt ? auch Herr Ministerpräsident Seehofer hat dagesessen ?: Zeigt, wie ernst es euch ist in Bayern mit der Abschaffung der grünen Gentechnik und verzichtet auf den Anbau. Das eine Mal könnt ihr euch doch auch sparen. Dann war das Zeichen: Zweimal wollen wir ihn noch anbauen. Jetzt kam kurzfristig das Umschwenken. Ich prognostiziere: Wenn jetzt nicht die Europawahl und danach die Bundestagswahl vor der Tür stünden, wäre weder der genveränderte Mais verboten worden noch die Agrardieselsteuer gesenkt worden noch irgendetwas passiert.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Meine Damen und Herren, es geht um die Zukunft der bäuerlichen Landwirtschaft. Alle Maßnahmen, die zu diesem Ziel führen, sind gut und nötig. Herr Brunner, ich will Ihnen ein gewisses Engagement auch gar nicht absprechen. Aber das Ergebnis ist zu dürftig, weil die bäuerliche Landwirtschaft momentan auf breiter Front wegbricht. Wir hatten in der Vergangenheit eine Halbierung der Zahl der Milcherzeuger alle zehn Jahre. Wenn es so weitergeht, haben wir in Zukunft eine Halbierung alle fünf oder alle drei Jahre und am Ende einige wenige Großbetriebe, die der Milchindustrie und ein paar Investoren gehören. Dann können wir uns die bäuerliche Landwirtschaft im Museum ansehen. Das wollen wir nicht und deswegen eine weitere Benennung von Fakten, um die Sie nicht herumkommen. Sie sprachen vom Ausbau der Beratung, der nötig sei. Die CSUStaatsregierung hat einen Abbau in der Landwirtschaftsberatung in einem Ausmaß vollzogen, das bisher noch nicht da war.

(Beifall der Abgeordneten Maria Noichl (SPD))

Die CSU-Staatsregierung hat es zu verantworten, dass wir an den Ämtern für Ländliche Entwicklung mittlerweile eine so dünne Personaldecke haben, dass sie die eingereichten Anträge gar nicht mehr abwickeln können. Es liegen viele Anträge vor, von Dorferneuerung bis sonst was, die definitiv nicht abgewickelt werden, weil das Personal dazu fehlt. Meine Damen und Herren, hier müssen Sie nachbessern, um in Bayern wenigstens das in die Wege zu leiten, was in die Wege geleitet werden kann. Wenn wir das nicht tun, sind wir unglaubwürdig. Das ist eine ganz klare Ansage.

Eine weitere Botschaft: Der ländliche Raum wird ja immer als das große Thema gesehen. Auch hier haben wir massive Defizite in der politischen Gewichtung festzustellen. In den vergangenen Jahren sind die Gelder in erster Linie in die Ballungsräume geflossen. Ohne den Städten das Wasser abgraben zu wollen, aber der Ausbau der DSL-Versorgung ist nach wie vor und jetzt wieder mehr denn je ins Stocken geraten. Ich erwarte von Wirtschaftsminister Zeil schnellstmöglich eine Aussage, wie es denn weitergehen soll. Reden Sie draußen mit den Kommunalpolitikern, dann sagen die Ihnen: Wir haben Angebote eingeholt für den Ausbau der Glasfaserverbindungen. Die Telekommunikationsunternehmer liefern nicht einmal mehr Angebote. Sie sind schlichtweg abgehoben und nicht mehr erreichbar. Man kann nicht einmal mehr gegen Geld etwas erreichen. Da hat der Vorgänger, Wirtschaftsminister Erwin Huber, noch vor einem Jahr gesagt: Das ist nicht Aufgabe der Politik. Das regelt der Markt.

Meine Damen und Herren, dieser Markt macht uns im ländlichen Raum kaputt, und dieses Versagen der Politik macht uns ebenfalls kaputt. Das trifft den Landwirt

genauso wie den Mittelständler, trifft jeden, der draußen auf dem Land Struktur will. Wenn er keinen DSL-Anschluss hat und die Politik nicht einmal in der Lage ist, geordnete Maßnahmen zu ergreifen, um das möglich zu machen, dann sind wir hier sehr bald am Ende. Das ist keine Politik, die in sich schlüssig ist, sondern eine Politik des Vertröstens und der leeren Worte. Aber die Taten zählen, und momentan läuft es für die Landwirtschaft und für den ländlichen Raum radikal auf die Mauer zu. Wir müssen eine klare Botschaft aussenden: Ja zur bäuerlichen Landwirtschaft, ja zu einer Landwirtschaft, die mit der Region verwurzelt ist. Wenn wir es dann nicht einmal schaffen, die Lebensmittel so zu deklarieren, dass man weiß, was man isst, dann sind wir arm dran.

Ich habe mir gestern in der Tankstelle einen Liter Milch gekauft. Auf dem Pappkarton stand: ?abgepackt im Allgäu?. Was drin ist, stand nicht drauf. Da könnte Mineralöl drin sein oder Zitronensaft oder indische Geißenmilch. Es steht nicht drauf, was drin ist, geschweige denn, woher es kommt.

(Zuruf des Abgeordneten Harald Güller (SPD))

Das brauchen wir. Da muss ich Ihnen und Ihren Vertretern in Brüssel vorwerfen: Sie haben versagt, als es um den Kampf um die Deklaration der Lebensmittel und auch der Futtermittel ging. Diese Chargen werden immer undurchsichtiger. Warum? Weil einige Grossisten weltweit die Produkte und auch die Rohstoffe austauschbar haben wollen.

(Beifall der Abgeordneten Maria Noichl (SPD))

Sie wollen gar nicht, dass draufsteht: Milch aus dem Allgäu oder meinetwegen auch Milch aus Polen ? die muss ja nicht per se schlechter sein. Wenn wir es nicht schaffen, das draufzuschreiben, sind wir hier verloren. Dann hört sich Ihr Gerede vom Wochenmarkt zwar schön an, aber es scheitert in der Praxis. Noch mal: Ich fordere Ihren Einsatz auch in der Lebensmitteldeklaration, damit die Verbraucher wirklich feststellen können, was in der Packung drin ist.

Herr Kollege Aiwanger, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Nein, er kann nachher fragen.

Ich komme zu einem weiteren Punkt. Nicht nur Milch, sondern auch Fleisch ist ein Lebensmittel. Hier sind wir genauso weit. Man weiß im Laden nicht, was man kauft. Die Schlachtbranche zieht mittlerweile das gleiche Preisdiktat auf wie der Lebensmitteleinzelhandel. Herr Brunner, Sie haben sich beim letzten Dringlichkeitsantrag der Freien Wähler noch vor der Feststellung gedrückt, dass deren marktbeherrschende Stellung dafür

mitverantwortlich ist. Sie haben zu unserer entsprechenden Feststellung Nein gesagt. In der Schlachtbranche haben wir dieselbe Situation: Auch hier vermisse ich Ihr Engagement. In Ihrer Rede, die viele Seiten umfasst, steht hierzu kein Wort. Wenn man schon von Wochenmärkten redet, müsste es doch auch möglich sein, zu verhindern, dass marktbeherrschende Strukturen diese Wochenmärkte an die Wand fahren.

Ein überzogenes Vorgehen der Behörden in Bayern bei der Auslegung von EU-Richtlinien hat genau dieselbe Wirkung. Reden Sie draußen mit einem Metzger! Der sagt Ihnen: Mit der EU-Hygienerichtlinie an sich könnte ich leben, aber sie wird in Bayern so ausgelegt, dass ich damit Probleme habe.

(Beifall bei den Freien Wählern und Abgeordneten der SPD)

Dasselbe gilt für das Tierarzneimittelrecht. Sie wissen genau, dass Bayern hier auch der Vorreiter sein und den Musterknaben spielen wollte. Damals kursierte unter den Tierärzten das geflügelte Wort:

(Zuruf des Abgeordneten Eberhard Sinner (CSU))

Selbst in Nordrhein-Westfalen mit seiner damals grünen Agrarministerin Höhn ist die Auslegung des Tierarzneimittelrechtes praktikabler gewesen als im schwarzen Bayern.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Deshalb fordere ich Sie auch hier auf: Dort, wo Sie könnten, erwarten wir mehr Einsatz von Ihnen. Das betrifft die Beratung und diese Dinge. Das ist sehr viel. Sie verstecken sich hinter Brüssel, Sie verstecken sich hinter Berlin und verschweigen nebenbei, dass Sie dort mitspielen, dass Sie dort, vielleicht an entscheidender Stelle, mit die Fäden ziehen. Was Sie zu Hause versäumen, schieben Sie auf andere.

Abschließend darf ich Folgendes bemerken, meine Damen und Herren: In diesem politischen Konzert spielen Sie mittlerweile eine Rolle, die alles andere als glaubwürdig ist, auch beim Agrardiesel. Damals haben wir dazu im Landtag einen Antrag gestellt. Parallel dazu haben Ihre eigenen Leute in Berlin dagegen gestimmt. Jetzt schimpfen Sie mit Recht auf die SPD, aber Ihre Vertreter in Berlin waren nicht besser. Sie müssen sich darauf einstellen, dass Ihnen das um der Wahrheit willen in dieser Deutlichkeit gesagt wird.