Protocol of the Session on March 26, 2009

(Beifall bei der SPD)

Man hat nämlich keine Zeit zur Persönlichkeitsbildung und Erziehung in übervollen Klassen an unseren Schulen. Wir haben eine Schule, in der die Schülerinnen und Schüler fast ausschließlich an Noten gemessen werden. Schulaufgaben spielen die zentrale Rolle. Wer das geforderte Wissen nicht punktgenau gebüffelt hat, fällt durch. Individuelle und begabungsgerechte Förderung, die Sie in Ihren Texten immer wieder erwähnen, findet wegen des Mangels an Lehrerinnen und Lehrern und wegen schlechter Rahmenbedingungen an unseren Schulen kaum statt. Wer nicht dem Schulraster entspricht, das Sie politisch vorgeben, fällt durch. Das ist die bildungs- und schulpolitische Realität an unseren Schulen.

Leistungsdruck und Schulstress prägen den Schulalltag. Das beginnt nicht erst in den weiterführenden Schulen, sondern bereits in der dritten Grundschulklasse. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da wollen Sie uns hier weismachen, Sie wollten jetzt die Persönlichkeitsbildung und Erziehung stärken. Sie haben dafür gar nicht das Personal; auf die Einstellungen komme ich gleich zu sprechen. Das Personal reicht bei Weitem nicht aus, um diesem hohen Anspruch gerecht zu werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was Sie mit den Grundschulkindern machen, halte ich auch nicht für christlich. Sie haben gesagt, Sie wollten hier christliche Werte einführen. Wer dafür sorgt, dass bereits in der dritten Jahrgangsstufe bei acht- und neunjährigen Kindern ein Leistungsdruck aufgebaut wird, der zur Folge hat, dass Kinder Angst vor der Schule bekommen, handelt nicht christlich.

(Beifall bei der SPD )

Wer das tut, handelt rein ideologisch. Deswegen können Sie Ihren christlichen Anspruch gleich vergessen.

Wir haben keine Schule der individuellen Förderung, sondern eine Schule der Auslese. Dabei wollen Sie bleiben und versuchen, den Menschen mit purer Rhetorik zu erklären, dass Sie jetzt doch etwas anderes machen wollen. Als Beispiel nenne ich das Übertrittsverfahren. Das ist auch eine FDP-Geschichte; herzlichen Glückwunsch, Frau Will, dass Sie sich bei der Verlängerung der gemeinsamen Grundschulzeit so sehr durchgesetzt haben. Ich sage Ihnen: Mit diesem Verfahren verschlechtern Sie die Übertrittssituation.

(Beifall bei der SPD )

85 % aller Lehrerinnen und Lehrer lehnen dieses Übertrittsverfahren ab. Dieses Verfahren hat schon verloren, bevor Sie es überhaupt eingeführt haben, und das ist auch richtig so. Sie verlängern den Schul- und Übertrittsstress an der Grundschule um ein weiteres Jahr. Sie machen die fünfte Jahrgangsstufe zu einer Risikoklasse; das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD )

Sie erklären, das wäre eine Innovation. Dazu sage ich Ihnen: Der Bedarf an Nachhilfe wird zunehmen. Durch dieses Verfahren wird die Bildungsungerechtigkeit verlängert; das ist die Wahrheit. Sie aber wollen uns hier erklären, dass Sie antreten, um für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sorgen. Das ist Schönfärberei und der Versuch, hier die Wahrheit zu verschweigen. Der Hintergrund dafür ist, dass Sie keine Veränderung des dreigliedrigen Schulsystems wollen. Deswegen bleiben Sie hinter Ihren eigenen Erwartungen weit zurück.

Dann sagen Sie, es sei doch berechtigt, darüber zu diskutieren, ob man eine längere gemeinsame Schulzeit vorsieht, und sagen, ideologische Justamentstandpunkte hätten hier keinen Platz. Die Einzigen, die ideologische Justamentstandpunkte vertreten, sind seit Jahren Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU.

(Beifall bei der SPD )

Jetzt gibt es aber wirklich etwas Neues. Sie sind es nicht mehr alleine; die FDP macht jetzt bei diesen ideologischen Justamentstandpunkten auch noch mit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sagen, Sie wollen Bildungschancen unabhängig von kultureller und sozialer Herkunft eröffnen. Auch das sind schöne Worte. Wir unterstützen dieses Ziel voll. In diesem Hause gibt es überhaupt niemanden, der dagegen wäre. Auch hier sieht die Realität aber völlig anders aus. Ist es denn gerecht, dass heutzutage an fast allen Schularten ohne Nachhilfe nichts mehr geht? Nennen Sie das wirklich gerecht? Ist es gerecht, dass jedes dritte bis vierte neunjährige Kind mittlerweile Nachhilfe im Hinblick auf das Übertrittszeugnis erhält? Ist das gerecht?

(Isabell Zacharias (SPD): Nee!)

Sie ändern an dieser Situation überhaupt nichts. Sie geben auch gar keine Antwort auf die Frage, was denn eigentlich mit den Familien ist, die sich keine Nachhilfe leisten können. Wissen Sie überhaupt, wie viel im Monat für Nachhilfe ausgegeben wird? Das sind nicht 20 oder 30 Euro, das sind teilweise Hunderte von Euro. Das tun natürlich immer nur die, die sich das leisten können; alle anderen fallen durch das Raster.

Wenn es Ihnen nicht endlich gelingt, die Schule von einer Schulaufgabenschule zu einer fördernden Schule umzubauen, werden Sie die soziale Ungerechtigkeit in diesem Lande niemals beseitigen können.

(Beifall bei der SPD )

Ich darf Ihnen noch einige Sätze zu den Studien sagen. Lieber Herr Staatsminister Spaenle, es gibt eine gemeinsame Schnittmenge von allen Studien. Die TimssStudie sagt, es gibt eine große Risikogruppe. Sie wissen, was mit "Risikogruppe" gemeint ist: Es gibt große Leistungsunterschiede zwischen Kindern mit und zwischen Kindern ohne Migrationshintergrund. Die Iglu-Studie 2006 sagt, es gibt eine Verschlechterung bei den Risikogruppen und große Leistungsunterschiede zwischen Kindern mit und Kindern ohne Migrationshintergrund. Die Pisa-E-Studie sagt, es gibt eine Verschlechterung der Risikogruppen gegenüber der Pisa-Studie 2003 und einen großen Leistungsrückstand von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Alle Studien, die uns vorliegen, zeigen immer wieder das Gleiche auf, und zwar nicht erst seit vorgestern oder seit dem grandiosen Koalitionsvertrag, sondern seit vielen Jahren. Die gemeinsame Schnittmenge enthält die Aussage: Es gibt eine gravierende Bildungsungerechtigkeit in Bayern. Das wissen wir seit Jahren.

(Beifall bei der SPD )

Heute sagen Sie, das wollen Sie ändern. Damit sind Sie einfach unglaubwürdig. Sie hatten Jahre dafür Zeit, das zu ändern, und haben es nicht getan. Sie haben hier immer wieder abgestritten, dass es Bildungsungerechtigkeit überhaupt gibt. Ich kann mich an Diskussionen im Bildungsausschuss erinnern, die geradezu sagenhaft waren. Da wurde dieses Problem einfach wegdiskutiert und weggestimmt. Jetzt predigen Sie hier die große Erneuerung. Die Menschen glauben Ihnen das einfach nicht mehr. Deswegen bin ich davon überzeugt, dass Sie mit den Konzepten, die Sie vorgetragen haben, alles beim Alten lassen wollen. Sie erfinden einfach ein paar neue Begriffe und denken, dass schon alles gut werden wird. Mit diesen Konzepten werden Sie nichts verändern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesen Konzepten werden Sie auch die regionalen Disparitäten nicht ändern. Sie wissen doch, dass der Besuch von weiterführenden Schulen - Realschulen und Gymnasien - in manchen Landkreisen fast dreimal so hoch ist wie in anderen Landkreisen. Das sind regionale Unterschiedlichkeiten. Ja, können denn die Kinder in Oberfranken oder in der Oberpfalz etwas dafür, dass es dort zu wenige Angebote an weiterführenden Schulen gibt? Dazu haben Sie keinen Ton gesagt. Sie haben nur völlig nebulös gesagt, Sie wollten die Bildungsgerechtigkeit ver

bessern, aber haben keine Konzepte dazu vorgetragen.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Ich komme nun zu den Lehrerinnen und Lehrern. Der zentrale Ansatz für die Lösung aller Probleme ist eine ausreichende Ausstattung aller Schularten mit Lehrerinnen und Lehrern.

(Beifall bei der SPD )

Das ist Tatsache, da können Sie noch so lange um den heißen Brei herumreden, wie Sie wollen, und da können Sie noch so viele Wörter erfinden, wie Sie wollen. Sie verkünden hier, Sie wollen bis Ende des nächsten Jahres 2.700 Planstellen schaffen. Jeder zusätzliche Lehrer an unseren Schulen findet unsere Unterstützung. Sie sagen aber nicht, dass Sie vor zwei Jahren über 1.000 Planstellen alleine bei den Hauptschulen gestrichen, weggekürzt haben. Das sagen Sie nicht.

(Beifall bei der SPD )

Die Freunde der Hauptschule, die Hauptschulkongresse und Hauptschulinitiativen durchführen, kürzen heimlich über 1.000 Stellen für Hauptschullehrer aus dem Stellenplan, Kolleginnen und Kollegen. Es ist schon Heuchelei, wenn man sich dann hier herstellt und erklärt, jetzt wolle man wirklich etwas machen.

(Beifall bei der SPD)

Mit der Verlängerung der Unterrichtspflichtzeit für Lehrerinnen und Lehrer haben Sie Hunderte von Planstellen wegkompensiert. Sie haben den Bedarf auf die Lehrerinnen und Lehrer verteilt, die vorhanden sind. Von den Verbänden gibt es die klare Aussage, dass das, was Sie jetzt schaffen, nur ein Bruchteil der Stellen ist, die Sie in den letzten zehn Jahren an den Schulen weggekürzt haben. Und das wollen Sie auch noch gefeiert haben? - Nein, nein, da gibt es nichts zu feiern. Sie geben den Schulen nur einen Teil von dem zurück, was Sie gestrichen haben.

(Zuruf des Abgeordneten Erwin Huber (CSU))

- Lieber Herr Huber, Sie brauchen sich doch gar nicht aufzuregen. Sie waren doch derjenige, der in der Debatte um die tausend Hauptschullehrerstellen gesagt hat: Wer weniger Schüler hat, muss auch weniger Lehrer haben. Sie als damals zuständiger Minister sind verantwortlich für die Kürzungen.

(Beifall bei der SPD - Franz Maget (SPD): Ja so was! Gibt es den Herrn Huber auch noch? - Sag einmal!)

Deswegen würde ich hier mal, lieber Herr Huber, ganz kleine Brötchen backen, und nicht das große Wort führen.

Zu Ihrer Aussage, Sie schaffen 2.700 Planstellen für Lehrkräfte, darf ich Folgendes bemerken: Die Realitäten an unseren Schulen werden ausgeblendet. Immer noch fallen 6 % des Unterrichts nahezu ersatzlos aus. Wollen Sie das überhaupt irgendwann einmal auf die Tagesordnung setzen? - 6 %. Die Mobile Reserve, die Sie immer so hoch halten, ist bereits am Anfang des Schuljahres für das ganze Schuljahr nahezu fest verplant, liebe Kolleginnen und Kollegen. Mittlerweile brauchen wir die Mehrarbeit von Lehrerinnen und Lehrern, um den Unterricht aufrecht zu erhalten. Hätten Sie das Engagement der Lehrerinnen und Lehrer, die über Gebühr an den Schulen sind, nicht, hätten Sie noch größere Probleme. Nicht Ihre Politik sichert also die Unterrichtsversorgung, sondern das unbezahlte Engagement der Lehrerinnen und Lehrer. Aber davon reden Sie auch nicht.

Sie machen Ganztagsschulen. Sie weisen dann zwölf Lehrerwochenstunden zu und reden davon, wie wichtig Ganztagsschulen seien. Glauben Sie denn, mit zwölf Lehrerwochenstunden könnten Sie einen pädagogisch vernünftig konzipierten Ganztagsunterricht gestalten? Das ist die unterste Grenze, um einen Ganztagsbetrieb überhaupt aufrecht erhalten zu können.

(Beifall bei der SPD )

Jetzt kommt der Islamunterricht. Jawohl, den unterstützen wir auch. Wissen Sie denn, dass wir 100.000 islamische Schülerinnen und Schüler und 50 dafür ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer haben? Sagen Sie doch etwas zu der Frage, wie Sie dem Anspruch endlich gerecht werden wollen, Kolleginnen und Kollegen! Mit schönen Worten hier in diesem Hause werden die Probleme nicht besser.

(Beifall bei der SPD )

Dieses Konzept kennen wir seit Jahren, das Wegreden, Wegdiskutieren, Schöndaherreden, ohne dass etwas dahintersteckt. Damit verbessern wir die Situation nicht.

Mit 2.700 Stellen wollen Sie die Ganztagsschulen bedarfsgerecht ausbauen, die Klassenstärken reduzieren, stärker individuell fördern, eine bessere Integration betreiben, mehr Erziehungsarbeit leisten, Persönlichkeiten bilden, große Klassen teilen, vor allen Dingen Klassen mit Migrationshintergrund und, und, und - und das alles mit 2.700 zusätzlichen Lehrerinnen und Lehrern in zwei Jahren. Ja, viel Spaß bei dieser Innovation! Ich sage Ihnen: Die Planstellenmehrung, die Sie hier mit großem Brimborium verkünden, wird noch nicht mal ausreichen, um den Unterricht sicherzustellen. Das

sage ich Ihnen voraus. Wenn Sie es ernst meinen mit dem Zuhören und mit der Zusammenarbeit, lassen Sie uns über diese Frage reden, anstatt alle Probleme wegzureden.

Ich habe noch gar nicht von der Prognose zum Lehrerbedarf gesprochen, die es gibt. Da sieht es ja noch schlechter aus. Sie kennen die Prognose: Bis 2010 fehlen an allen Schulen über 3.000 Lehrkräfte als nicht gedeckter Ersatzbedarf für Kolleginnen und Kollegen, die in den Ruhestand gehen. Mit Ihren 2.700 Lehrerinnen und Lehrern decken Sie noch nicht einmal den Ersatzbedarf für diejenigen Kolleginnen und Kollegen ab, die in den Ruhestand gehen. 3.400 Lehrerinnen und Lehrer brauchen wir, um den Unterricht zu garantieren. Wir brauchen über 10.000 Planstellen, um die Verbesserungen, die Sie hier verkünden und versprechen, realisieren zu können. Das ist die Wahrheit. Wenn nur die Hälfte dieser Prognose stimmt, haben Sie noch nicht einmal ein Drittel des Lehrerbedarfs abgedeckt. Das ist die bittere Wahrheit. Seit Jahren besteht halt nun einmal ein gewaltiger Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Das wird heute wieder in Ihrer Regierungserklärung deutlich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, leider muss ich es Ihnen immer wieder sagen: Sie machen da auch noch mit. Das finde ich geradezu aberwitzig. Wer durch die Lande geht und sich als Bildungspartei geriert, dann in den Landtag einzieht und sich von der CSU dermaßen über den Tisch ziehen lässt, hat doch jeden Anspruch verloren, sich hier als Bildungspartei aufzuführen.

(Beifall bei der SPD )

Wir haben eine CSU, die nichts ändern will, und wir haben eine FDP, die nichts ändern kann. Diese Koalition wird keine Reform in der bayerischen Schul- und Bildungspolitik erreichen, nach der heutigen Regierungserklärung schon mal überhaupt nicht.

(Abgeordneter Prof. Dr. Georg Barfuß (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

- Nein, keine Zwischenfrage.

Ich komme zum Thema Ganztagsschulen. Ich habe es schon gesagt: Hätten Sie nur mal vor zehn Jahren diese Erkenntnis aufgenommen. Jetzt aber geht es los, Kolleginnen und Kollegen. Darf ich mal die Ausgangssituation darstellen: 5 % der bayerischen Schülerinnen und Schüler haben Ganztagsschulplätze. Damit ist Bayern erneut Schlusslicht in ganz Deutschland bei der Vorhaltung von Plätzen in Ganztagsschulen. Der Bundesdurchschnitt liegt hier bei 15 %. Das ist auch nicht besonders gut, muss ich zugeben, aber in Bayern sind es nur 5 %. Jetzt geht es los: Sie wollen diese 5 % in

zehn Jahren auf 21 % ausbauen. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Innovation. Dafür wollen Sie sich zehn Jahre Zeit nehmen. Sie haben schon zehn Jahre versäumt, um die Ganztagsschulen auszubauen, und Sie brauchen weitere zehn Jahre, um nur einen Teil des Bedarfs abzudecken. Das heißt: Sie brauchen 20 Jahre, um dem Anspruch einer modernen Schulpolitik in Sachen Ganztagsschule gerecht zu werden. Das ist beschämend angesichts des hier immer wieder vorgetragenen Anspruchs, Bayern sei das Bildungsland Nummer eins. Gar nichts sind Sie; im Reden sind Sie das Bildungsland Nummer eins, aber im Handeln sind Sie Schlusslicht in Deutschland. Das ist der Punkt.