Frau Präsidentin, Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aussage von Max Weber, Sozialpolitik sei das Bohren dicker Bretter mit Leidenschaft und Ausdauer zugleich, kann man in Sachen Bericht zur sozialen Lage so auslegen: Die Leidenschaft der Staatsregierung, diesen Bericht endlich vorzulegen, war bisher etwas unterentwickelt.
Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich bitte einiges zur Historie des Berichts sagen. Wir haben zwei neue Fraktionen und viele neue Kolleginnen und Kollegen hier im Hohen Hause, die diese Geschichte nicht kennen.
Seit Anfang der neunziger Jahre fordern wir, die SPDFraktion, den Sozialbericht. 1996 gab es einen einstimmigen Beschluss aller Fraktionen des Landtags, dass in jeder Legislaturperiode ein Bericht vorgelegt werden müsse. 1998 lag der Bericht vor. 1999, nach der Wahl, wurde er dem Landtag offiziell vorgestellt. Ich will nur zwei Punkte nennen, die damals schon bezeichnend waren und es heute immer noch sind. Es sind die großen regionalen Disparitäten und die Bildungsarmut.
Zehn Jahre lang haben Sie sich mit fadenscheinigen Begründungen geweigert, den zweiten Bericht vorzulegen. Eine Ausrede lautete: Wegen der Umstellung der Sozialgesetzgebung im Bund erstelle Bayern keinen Sozialbericht; trotzdem hat der Bund seinen Armutsbericht vorgelegt. Die zweite Ausrede war, dass der Sozialbericht zu teuer sei. Auch das ist falsch, denn nur mit einem entsprechenden Wissen können wir handeln. Jedenfalls haben wir jetzt den Bericht. Er wurde noch im Sommer vor der Sommerpause und vor der Wahl angekündigt. Dann wurde er nach der Wahl im Herbst angekündigt. Im Koalitionsvertrag steht, dass er noch 2008 gegeben werden solle. Dann hieß es Ende Januar, jetzt haben wir Anfang Februar, und seit vorgestern Abend haben wir den Bericht.
Kolleginnen und Kollegen, ich möchte nicht versäumen, meinen Dank an die Wissenschaftler, die Institute, die Verbände, die Sozialpartner und auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien für dieses umfangreiche Werk zu sagen.
Frau Ministerin, Sie haben erst vor 40 Stunden diesen Bericht mit 800 Seiten, Daten, Fakten, Analysen und Bewertungen dem Parlament vorgelegt und geben heute dazu eine Regierungserklärung ab. Mit diesem Vorgehen haben Sie keinen guten Einstand gegeben. Das muss ich Ihnen sagen.
Erst zögern Sie den Bericht monatelang hinaus, weil Sie noch ganz neue Daten einfügen müssten, obwohl im Koalitionsvertrag steht, dass der Bericht jährlich fortgeschrieben wird. Dann aber gibt es diese plötzliche Eile. Was ist das für ein Umgang mit den betroffenen Menschen, den Verbänden, den Organisationen, den Sozialpartnern und nicht zuletzt mit dem Parlament?
Wenn das der neue Stil ist, den Herr Ministerpräsident Seehofer angekündigt hat, kann ich nur sagen: Das ist kein guter Stil.
Selbstverständlich können Sie es so machen, wie Sie es gemacht haben. Ich beanspruche aber auch für mich die Selbstverständlichkeit, dieses Handeln zu kritisieren.
Kolleginnen und Kollegen, Bayern ist kein armes Land. Im Gegenteil, einem Teil der Bevölkerung geht es sehr gut. Ein Teil ist mit seiner Lage im Großen und Ganzen zufrieden. Ein Teil der Bevölkerung aber lebt in Armut, in relativer Armut oder ist von Armut bedroht. Diesem Teil der Bevölkerung gilt unsere besondere Aufmerksamkeit und unser besonderes Augenmerk.
Frau Ministerin, Sie vergleichen Bayern gerne mit dem Bund und mit anderen Bundesländern, natürlich mit handverlesenen Ländern, und das ist aus Ihrer Sicht auch legitim. Was hilft es aber dem von mir angesprochenen Teil der Bevölkerung, wenn Sie sagen, dass es dem Durchschnittsbayern besser geht als Menschen in anderen Ländern? Das hilft Ihnen gar nichts. Das ist genauso, wie wenn Sie eine Hand in den Kühlschrank strecken und eine Hand auf die heiße Herdplatte legen und sagen, dass Sie in der Mitte eine vernünftige Durchschnittstemperatur haben.
Wir haben ein Armutsrisiko bei 10,9 % der Bevölkerung insgesamt, bei 18 % der Rentnerinnen und Rentner, bei über 23 % der Alleinerziehenden und bei 25 % der Menschen mit Migrationshintergrund. Kann sich das ein wohlhabendes Land wie Bayern leisten? Selbstverständlich kann es sich das nicht leisten.
Lassen Sie mich mit zwei Schwerpunkten befassen, nämlich mit der regionalen Situation und mit dem vorhin angesprochenen betroffenen Personenkreis.
Wer ist von Armut bedroht? Wem müssen wir Perspektiven bieten? Wo muss dringend etwas getan werden? Es sind die Alleinerziehenden, die Familien mit mehreren Kindern und meistens nur einem Einkommen, die Menschen mit Migrationshintergrund, die Kinder und Jugendlichen aus sozial schwächeren Familien, die Rentner und vor allen Dingen Rentnerinnen, die Langzeitarbeitslosen und die Menschen, die im Niedriglohnsektor beschäftigt sind. Diese Lage ist seit zehn Jahren nahezu unverändert. Das ist der eigentliche Skandal. Seit zehn Jahren ist die Situation nahezu unverändert.
Die Schere zwischen den einzelnen Regionen ist weit geöffnet. Seit zehn Jahren hat sich nichts verbessert. Im Gegenteil -
(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Den Sozialbericht lesen, Herr Huber! - Erwin Huber (CSU): Niederbayern ist vor München! Wir haben die geringste Arbeitslosenquote!)
(Erwin Huber (CSU): Sie haben keine Ahnung von Niederbayern! - Harald Güller (SPD): Sie haben keine Ahnung von den Zahlen und überspielen das noch mit Arroganz!)
Wir haben unterschiedliche Lebenserwartungen in Nordbayern und in Südbayern. Wir haben sehr unterschiedliche Arbeitslosenquoten in Oberbayern, Oberfranken und Mittelfranken. Selbst die bundesweit besten Werte helfen den Menschen in Hof, in Wunsiedel und Westmittelfranken herzlich wenig, wenn sie keine Arbeit haben.
Im Bericht steht etwas ganz interessantes: Es gibt eine strategisch ausgerichtete Politik für die ländlichen Räume. Da frage ich Sie: Wo, wie und was bitte? Meinen Sie damit das Schließen der Teilhauptschulen und der Hauptschulen? Meinen Sie damit die fehlende Infrastruktur? Meinen Sie damit ein kritikwürdiges BayKiBiG? Meinen Sie damit die fehlende Finanzkraft der Kommunen? Die soziale Lage eines Landes ist auch davon abhängig, ob eine Kommune für Familien, Kinder, Jugendliche und alte Menschen ihre Aufgaben
Gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen in allen Landesteilen sind ein hehres Ziel. Davon sind wir aber sehr weit entfernt. Das ist meiner Meinung nach auch ein Grund dafür, dass dieses Problem im nächsten Sozialbericht vertieft untersucht werden muss. In Bayern erhält fast eine halbe Million Menschen Leistungen nach dem SGB II, 130.000 Kinder und 100.000 Aufstocker. Es ist richtig, dass wir die wenigsten Bezieher des Arbeitslosengeldes II haben, aber wir haben auch einen deutlichen Zuwachs an Niedrigeinkommen. Kolleginnen und Kollegen, die Armutsfalle ist Realität, trotz Berufstätigkeit, trotz Vollzeitberufstätigkeit, trotz ergänzender Sozialleistungen. Deshalb steht für uns der Mindestlohn nach wie vor auf der Agenda.
In einem Land wie Bayern müssen Menschen, die ganztags arbeiten, von ihrem Lohn leben können. Der Niedriglohn führt dann auch zu einer Niedrigrente. Ich sage hier ganz deutlich: Der Kombilohn ist der falsche Weg.
Ganz interessant ist das Zitat von Herrn Ministerpräsidenten Seehofer. Er sagte: Der Kombilohn macht aus dem Sozialstaat den Sozialhilfestaat.