Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen, damit wir mit der Sitzung beginnen können. - Ich darf vorweg sagen: Falls die sommerlichen Temperaturen im Plenarsaal zu hoch werden, dann ist es ausnahmsweise erlaubt, zum Beispiel die Sakkos über den Stuhl zu hängen. Wenn man ans Redepult geht, kann man sich wieder entsprechend kleiden. Das wollte ich nur vorweg sagen.
Ich darf die 104. Vollsitzung des Bayerischen Landtags eröffnen. Presse, Funk und Fernsehen sowie die Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Sie ist wie immer erteilt worden.
Regierungserklärung des Staatsministers für Unterricht und Kultus "Bildungsland Bayern: 'Qualität und Gerechtigkeit - Der bayerische Weg'"
Hierzu darf ich Herrn Staatsminister Dr. Spaenle das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Staatsminister.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bayern ist das Bildungsland in der Bundesrepublik Deutschland. Wir in Bayern denken die Schule vom einzelnen Kind aus. Wir wollen und müssen einem hohen Anspruch gerecht werden: Jedes Kind hat in Bayern die Chance, seine Talente und Begabungen zu entwickeln. Wir wollen deshalb keine Einheitsschule für alle, sondern wir wollen den Bildungserfolg des Einzelnen. Vielfalt, nicht Einfalt, das kennzeichnet unseren Weg, den bayerischen Weg. Wir verfolgen ein klares Konzept: Qualität und Gerechtigkeit. Das ist der bayerische Weg.
Bayern steht für ein differenziertes Bildungsangebot mit einem Höchstmaß an Durchlässigkeit. In Bayern ist jede Schulart wichtig; denn jede Schulart bietet ein Alleinstellungsmerkmal. Das sichert die Qualität unserer Bildungslandschaft.
Bayern sichert für jeden Abschluss einen Anschluss. Die Schulen gestalten selbst die Übergänge und Anschlüsse. Dies bedeutet organisierte Durchlässigkeit und schafft Chancengerechtigkeit.
Bayern unterstützt die individuelle Lernzeit des einzelnen Kindes zur Erreichung seines Abschlusses. Dies schafft Begabungsgerechtigkeit.
Bayern sichert die gleichmäßige Versorgung mit Schulangeboten in Stadt und Land. Jede Schülerin und jeder Schüler kann überall in Bayern jedes Schulangebot besuchen. Dies schafft Bildungsgerechtigkeit.
Das sind die Meilensteine unseres Weges, des bayerischen Weges. Unser Weg ist in Deutschland einzigartig.
Dazu gehören auch Verlässlichkeit und Stabilität an Bayerns Schulen. Nach wichtigen Reformschritten, wie der Umsetzung der Mittelschule und des achtjährigen Gymnasiums, können sich die Menschen in Bayern eines verlässlichen pädagogischen Rahmens für unsere Schulen sicher sein. Ideologische Schulsystemdebatten führen wir in Bayern nicht.
Was hat uns der bayerische Weg gebracht? Wo stehen wir in Bayern? - Die Schulen in Bayern arbeiten erfolgreich. Nationale und internationale Studien haben unsere Strategie bestätigt. Aktuell weist der "Deutsche Lernatlas 2011" der Bertelsmann Stiftung Bayern in Stadt und ländlichen Räumen als Top-Bildungsstandort aus - auf Rang 1 in Deutschland. Bayern liegt in allen Testbereichen, sowohl bei Städten als auch bei ländlichen Räumen, auf Platz 1.
Nicht nur das: Die schwächeren bayerischen Regionen liegen noch vor den besten, etwa in MecklenburgVorpommern oder Brandenburg.
Die eigentliche Botschaft lautet: Bildungspolitik in Bayern erfüllt eines der Kernziele der Politik der Bayerischen Staatsregierung, nämlich den Verfassungsauftrag, überall in Bayern gleichwertige Lebenschancen zu schaffen.
Seit dem Jahr 2000 hat sich Bayern regelmäßig an nationalen und internationalen Bildungsvergleichsstudien beteiligt. Dabei schnitten die bayerischen Schülerinnen und Schüler jeweils hervorragend ab. Bei Pisa-E lag Bayern in allen Kompetenzbereichen fast immer auf Platz 1. Im Ländervergleich 2010 belegten die bayerischen Schülerinnen und Schüler in allen ge
testeten Bereichen Platz 1. Unter allen Schülerinnen und Schülern in Deutschland mit Migrationshintergrund bewegten sich die bayerischen Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund jeweils in der Spitzengruppe. Zudem hat uns der Bildungsmonitor 2011 bestätigt: Bayerns Schulen haben die beste Qualität in Deutschland.
Wie bewerten die bayerischen Eltern unser differenziertes Bildungssystem? In einer Studie der Vodafone Stiftung Deutschland sprach sich die große Mehrheit von 63 % der befragten Eltern und Lehrer für das mehrgliedrige Schulsystem aus. Nur 22 % halten die Einheitsschule für die bessere Lösung.
Das sind die Fakten im Bildungsland Bayern, das sind die Tatsachen, die die Leistungen unserer Lehrkräfte und unserer Schülerinnen und Schüler wiedergeben. An dieser Stelle ist es mir wichtig, Dank zu sagen. Dank allen, die Bildung in Bayern gestalten und diese Ergebnisse ermöglichen: den Lehrerinnen und Lehrern, den Eltern, den Sachaufwandsträgern, der Schulaufsicht, den Verbänden, den Verantwortlichen der Jugendarbeit, den Trägern der Erwachsenenbildung, den Trägern privater Schulen und nicht zuletzt den Schülerinnen und Schülern.
Besonders hervorheben möchte ich meinen Dank an die Mitglieder des Bildungsausschusses mit seinem Vorsitzenden, Herrn Kollegen Martin Güll, an die Mitglieder des Arbeitskreises Bildung der CSU mit seinem Vorsitzenden, Herrn Kollegen Georg Eisenreich, für die FDP an Frau Kollegin Renate Will sowie an die Fraktionen von CSU und FDP mit ihren Vorsitzenden Georg Schmid und Thomas Hacker.
Damit Sie aber mein ganzes Bild des Bildungslandes Bayern sehen: Zu verantwortlicher Bildungspolitik gehört für mich selbstverständlich auch, bestehende Schwierigkeiten zu benennen, Herausforderungen anzunehmen und Lösungen zu erarbeiten. - Klarheit und Wahrheit: Das ist der bayerische Weg.
Uns ist zum Beispiel bewusst: Die Prägewirkung der sozialen Herkunft ist in Bayern und in Deutschland
immer noch zu groß. Hier tragen wir weiter dafür Sorge, dass die Menschen die Bildungsziele erreichen, die ihnen ihre Begabungen und Talente ermöglichen. Uns ist bewusst: Die Chancen der jungen Menschen mit Migrationshintergrund weiterzuentwickeln ist wichtig. Uns ist bewusst: Die Teilhabe der Menschen mit besonderem Förderbedarf im Rahmen der Inklusion erfordert weiter große Anstrengungen. Uns ist auch bewusst: Der bedarfsgerechte Ausbau von Ganztagsangeboten hat besondere Priorität.
Ich komme jetzt zum Kernpunkt unserer Politik. Wir wollen einem hohen Anspruch gerecht werden. Jedes Kind hat in Bayern die Chance, seine Talente und Begabungen zu entwickeln. Lassen Sie mich diesen bayerischen Weg und seine vier Grundprinzipien darstellen:
Erstes Prinzip: Bayern eröffnet Wege für jedes Kind. In Bayern ist jede einzelne Schulart wichtig, denn jede Schulart bietet ein unverwechselbares Angebot für die unterschiedlichen Begabungen unserer jungen Menschen. Unser differenziertes Schulsystem mit seinen unterschiedlichen Schularten ist das Herzstück des bayerischen Weges.
Lassen Sie mich einige dieser besonderen Angebote herausgreifen. Als erstes Beispiel nenne ich die Berufsorientierung an der bayerischen Mittelschule. Über 30 % der Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs entscheiden sich nach der vierten Klasse für den Übertritt an die Mittelschule. Die bayerische Mittelschule ist den Menschen vor Ort am nächsten. Es gibt keine andere weiterführende Schulart in Bayern, die mit 941 Standorten ein so wohnortnahes Angebot macht. Ihr zentrales Alleinstellungsmerkmal ist die vertiefte Berufsorientierung. Keine andere Schulart in Deutschland bereitet so intensiv auf den Übergang in die Arbeits- und Berufswelt vor wie die bayerische Mittelschule. Als Präsident der Kultusministerkonferenz 2010 konnte ich dies wiederholt feststellen. Das pädagogische Herzstück der Mittelsschule ist das Klassenlehrerprinzip. Die Eltern nehmen, wie die aktuellsten Zahlen zeigen, dieses Angebot verstärkt an. Schon zum zweiten Mal in Folge liegt die Zahl der Neuanmeldungen an der Mittelschule deutlich über der Prognose. Wir werden im Herbst wohl mit mindestens 10.000 Schülern mehr rechnen können. Weitere positive Signale sind die Abnahme der Zahl von Schülerinnen und Schülern, die die Mittelschule ohne Abschluss verlassen, von 4 % in 2003 auf 1,7 % in 2011 sowie die Zunahme der Zahl der Absolventen, die die
Mittelschule mit einem mittleren Abschluss verlassen, auf zuletzt fast 27 % aller Absolventen und Abgänger.
Ohne die engagierte Mitwirkung der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wäre die Weiterentwicklung der Haupt- zur Mittelschule binnen dieser kurzen Zeit nicht möglich gewesen. Dafür danke ich den Verantwortlichen in den Kommunen ausdrücklich.
Die bayerische Mittelschule ist unser gemeinsamer Erfolg. Die bayerische Mittelschule ist eine Schule mit Zukunft. Sie bestätigt unsere bayerische Philosophie, eine Schule mit Alleinstellungsmerkmal zu entwickeln, statt sie abzuwickeln. Hier unterscheiden wir uns mittlerweile von fast allen Ländern in Deutschland. Wir gehen dieses Stück bayerischen Weges selbstbewusst.
Zweites Beispiel: das duale System in Bayern. Die duale Ausbildung eröffnet den jungen Menschen den Einstieg in eine erfolgreiche berufliche Zukunft. Die hohe Qualität unserer dualen Ausbildung ist weltweit anerkannt. Immer mehr Länder, weit über die EU hinaus, übernehmen unser duales System. Die Ergebnisse der beruflichen Bildung in Bayern sprechen für sich, und zwar sowohl die Ausbildungszahlen wie auch die Quote der jungen Selbstständigen, die aus der beruflichen Bildung kommen. Wir müssen zusammen mit den Partnern aus der Wirtschaft natürlich auch Herausforderungen wie den demografischen Wandel, bewältigen. Das duale System ist ein besonderes Juwel des Bildungslandes Bayern.
Drittes Beispiel: Die Wirtschaftsschule - eine bayerische Besonderheit. Die bayerische Wirtschaftsschule ist eine bundesweite Besonderheit. An der Wirtschaftsschule wird für den kaufmännischen Bereich ausgebildet. Die Vermittlungsquoten von über 90 % sprechen für ihren Erfolg.
Viertes Beispiel: die bayerische Realschule. Die bayerische Realschule eröffnet für viele Familien einen besonders nachgefragten Bildungsweg und schlägt damit die Brücke zwischen Theorie und Praxis. Wichtige Elemente unserer Offensive "Realschule 21" sind dabei die Stärkung des MINT-Bereichs und die bilingualen Züge. Mit einer zweiten modernen Fremdsprache im Gepäck kann der Weg bis zur allgemeinen Hochschulreife gegangen werden. Die Realschule hat in unserem Land einen exzellenten Ruf. Der Weg in anspruchsvolle Angebote der dualen Bildung ist ebenso möglich wie der Weg zu einer Hochschulreife.
Fünftes Beispiel: die berufliche Oberschule. Die berufliche Oberschule ist ein zentraler Baustein unseres differenzierten Bildungswesens. Sie bietet einen eigenständigen Weg zur Hochschulreife. Heute kommen rund 41 % aller Studienberechtigten über die berufliche Bildung und weitere 2 % kommen über die Schulen des zweiten Bildungsweges. Ich werde darauf noch zu sprechen kommen. Die Schülerzahlen an FOS und BOS haben sich in den letzten Jahren mehr als verdoppelt.
Sechstes Beispiel. das bayerische Gymnasium. - Das bayerische Gymnasium ist das Flaggschiff unter den Gymnasien in Deutschland - ein wahrhaft hoher Anspruch. Es ist eine Schulform, die tiefe Wurzeln in der Bildungstradition unseres Landes hat. 40 % der Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs entscheiden sich dafür. Das Gymnasium ist und bleibt der Königsweg zur allgemeinen Hochschulreife. Das bayerische Gymnasium verwirklicht den Anspruch einer vertieften Allgemeinbildung. Das pädagogische Ziel ist die Vorbereitung auf die allgemeine Studierfähigkeit. Das bayerische Gymnasium hat einen verlässlichen pädagogischen Rahmen von acht Schuljahren. Dies bleibt auch so. Alles andere wäre pädagogisch unverantwortlich.
Um die pädagogische Qualität am Gymnasium dauerhaft zu sichern, habe ich 2009 mit einem intensiven Monitoringprozess begonnen. Wir haben die umfangreichste Untersuchung des Gymnasiallehrplans überhaupt durchgeführt. Alle Fächer und alle Klassen wurden ausgewertet. Auf der Basis von über 15.000 Rückmeldungen sind wir derzeit dabei, Lehrplan und pädagogische Konzepte zu überarbeiten. Kollege Staatssekretär Bernd Sibler hat hier die Federführung. Dafür und für eine ausgezeichnete Zusammenarbeit danke ich ihm sehr herzlich.