Protocol of the Session on May 23, 2012

Abschließend möchte ich feststellen: Wir tolerieren körperliche Misshandlungen genauso wenig wie wir die Vermittlung eines rassistisch verzerrten Weltbildes akzeptieren.

Die Schulbehörden des Freistaates Bayern schützen das Wohl des Kindes. Ist dieses gefährdet, wird und wurde unverzüglich gehandelt. Wir stimmen dem Dringlichkeitsantrag zu, möchten aber darauf hinweisen, dass wir selbstverständlich für die Schulpflicht sind. Aus der Begründung des Dringlichkeitsantrags könnte man eventuell herauslesen, dass die Antragsteller das nicht so sehen.

(Beifall bei der CSU)

Danke, Herr Taubeneder. Für die SPD bitte ich Frau Pranghofer ans Mikrofon.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch die SPD-Fraktion stimmt dem Antrag der GRÜNEN zu. Das ist keine Frage. Gleichzeitig möchte aber auch ich noch einmal an das Jahr 2006 erinnern. Ich war damals Mitglied im Bildungsausschuss und wir haben gemeinsam versucht, eine Befriedung der Situation hinzubekommen. Ich denke, es gab damals Bauchschmerzen bei allen. Mir ist auch noch in Erinnerung, dass wir damals sehr wohl an das Kindeswohl gedacht haben. Sie sprachen von der Erzwingungshaft der Väter; es hätte auch die Möglichkeit gegeben, eine Erzwingungshaft der Müt

ter durchzuführen. Es hatten auch Fragen zum Sorgerecht angestanden. Da hat das Jugendamt gesagt, dafür gebe es keinen Anlass. Es war also eine ganz schwierige Situation. Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht, aber alle Fraktionen haben gemeinsam versucht, eine Befriedung zu erreichen.

(Karl Freller (CSU): Genauso war es!)

Wenn nun Misshandlungen oder Rassismusvorwürfe im Raum stehen und ehemalige Schüler anprangern, dass es Gehirnwäsche und Prügel gebe, müssen wir erneut das Kindeswohl in den Mittelpunkt stellen. Das gilt umso mehr, als jetzt auch die Staatsanwaltschaft Vorermittlungen aufgenommen hat.

Herr Sibler, das Kultusministerium sollte auch prüfen, ob wir nicht einen Unterrichtsstopp veranlassen können. Wir müssen prüfen, ob das rechtlich möglich ist und müssen sozusagen die Beweislast den "Zwölf Stämmen" zuschieben.

Es wird ganz schwierig sein, diese Dinge über die Schulaufsicht zu gewährleisten. Es wurde schon gesagt, wie oft die Schulaufsicht vor Ort war. Aber möglicherweise kann man diese Dinge besser über den Unterrichtsstopp in den Griff bekommen, indem man den "Zwölf Stämmen" die Beweislast zuschiebt, ob die Vorwürfe zutreffen. Es wäre mein Vorschlag, diese Prüfung im Bericht mit aufzunehmen.

(Beifall bei der SPD)

Danke, Frau Pranghofer. Als Letzter hat sich Herr Felbinger für die FREIEN WÄHLER zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Den Dringlichkeitsantrag der GRÜNEN dürfte es eigentlich gar nicht geben, behaupte ich. Denn die Missstände, die jetzt zur Sprache gebracht worden sind, hätten längst bemerkt werden müssen. Da muss ich schon einmal die Frage in den Raum stellen, was die Schulaufsicht so macht. Kollege Taubeneder hat davon gesprochen, die Schulaufsicht sei zehn- oder zwölfmal vor Ort gewesen und habe diese Dinge nicht bemerkt. Da muss man auch einmal hinterfragen: Was macht denn die Schulaufsicht wirklich, wenn so gravierenden Dinge, wie sie im "Focus" geschildert werden, nicht aufgedeckt werden?

Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen. Ich habe am Anfang gedacht, es sei ein Märchen, was ich da lese: Da gibt es also eine Sekte, die sich weigert, ihre Kinder in öffentliche Schulen zu schicken, weil sie unter anderem den Sexualkundeunterricht und die Vermittlung der Evolutionslehre ab

lehnt. Die gerichtlich verhängten Ordnungsmaßnahmen interessieren diese Eltern nicht, sie schicken ihre Kinder einfach nicht zur Schule.

(Simone Tolle (GRÜNE): Wenn andere das machen würden, dann wäre aber etwas los!)

- Genau. Wenn das jemand anderer machen würde, dann wäre Polen offen, sage ich einmal.

Die GRÜNEN haben 2006 in einem Dringlichkeitsantrag die Schulpflicht für diese Kinder gefordert. Im selben Jahr hat übrigens die Bundesintegrationsbeauftragte Maria Böhmer, CDU, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur allgemeinen Schulpflicht angesprochen, die dazu beiträgt, Parallelgesellschaften zu verhindern. Das oberste deutsche Gericht hat damals festgestellt, dass Schüler nicht aus religiös-kulturellen Gründen vom gemeinsamen Unterricht ausgenommen werden sollen.

Und was passiert in Bayern? Wie so oft in diesem CSU-geführten Land: nichts. Herr Kollege Freller, Sie haben vorhin gesagt: Wir haben alles Mögliche gemacht. Ganz im Gegenteil: Die Staatsregierung ist eingeknickt und wollte diese Sache offensichtlich schnell vom Tisch haben. Sie handelte nach dem Motto: Augen zu und durch. Anstatt die Kinder zur Schulpflicht zu zwingen, das auch gegen den Willen der Eltern durchzusetzen und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen, genehmigte man eine sogenannte Ergänzungsschule, in der wohlgemerkt, das muss man auch noch einmal sagen - Eltern ihre Kinder selbst unterrichten, und das, obwohl die Staatsregierung genau wusste, dass es um das Wohl und letztendlich auch um die Zukunftschancen dieser Kinder geht.

Wissen Sie, was das Bemerkenswerte an dieser ganzen Sache ist? Wir diskutieren heute darüber, ob Kommunen Modellschulen erlaubt werden bzw. sie werden vom Staatsministerium verweigert. Andererseits genehmigt man einer Sekte, dass ihre Kinder von den Eltern unterrichtet werden sollen. Wenn das das Modell der Zukunft sein soll, dann danke, gute Nacht, Bayern.

(Beifall bei der SPD)

Das ist meines Erachtens der eigentliche Skandal hinter dem Skandal, meine Damen und Herren. Wir fordern auch restlose Aufklärung und werden natürlich dem Dringlichkeitsantrag der GRÜNEN zustimmen. Vielen Dank.

Für die FDP bitte ich Frau Will ans Mikrofon.

(Wortmeldung des Abgeordneten Karl Freller (CSU))

- Entschuldigung.

(Karl Freller (CSU): Nachher!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie von meinen Vorrednern bereits angeführt, besteht Einigkeit darüber, dass wir sicherstellen müssen, dass das Kindeswohl in einer Einrichtung, auch in dieser Einrichtung, gewährleistet ist. Das steht für alle hier außer Frage. Wir müssen den erhobenen Vorwürfen in aller Genauigkeit, Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit nachgehen, und es müssen alle Vorwürfe vorbehaltlos aufgeklärt werden.

Das darf nicht nur gegebenenfalls strafrechtliche Konsequenzen haben. Denn so sehr wir Liberale die Eigenverantwortung der Schulen begrüßen, so sind dieser doch Grenzen gesetzt, wo Schulen das Grundgesetz und das deutsche Rechtssystem verletzen.

Heute, am 63. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, möchte ich auch auf dasselbe hinweisen. Artikel 4 sagt zwar, dass die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich ist. Aber in den Artikeln 1 und 2 steht, dass jeder das Recht auf Menschenwürde und auf körperliche Unversehrtheit hat. Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir ganz besonders die Kinder in unserer Gesellschaft schützen und ihre Unversehrtheit sicherstellen.

Wenn in Klosterzimmern Kinder misshandelt werden, muss der Staat schnellstmöglich eingreifen. Deshalb ist es gut und richtig, dass die Staatsanwaltschaft Augsburg Ermittlungen aufgenommen hat.

Der Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme" wurde damals die Freiheit eingeräumt, ihre Kinder in der rechtlichen Form einer Ergänzungsschule unterrichten zu dürfen. Dies geht mit der Verantwortung einher, sich nicht nur an die deutsche Rechtsordnung und das Grundgesetz zu halten, sondern selbstverständlich auch einen geregelten Unterricht mit dementsprechenden Leistungsnachweisen durchzuführen. Dazu gehören für mich auch der Sexualkundeunterricht und die Vermittlung der Evolutionstheorie.

In meinen Augen war es ein Fehler, der Glaubensgemeinschaft dieses Zugeständnis zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der GRÜ- NEN)

Diesen Fehler sollten wir schnellstmöglich korrigieren.

Ich danke für die Aufmerksamkeit. Die FDP-Fraktion stimmt diesem Antrag selbstverständlich zu.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des Abge- ordneten Karl Freller (CSU))

Für die Staatsregierung hat sich Herr Staatssekretär Sibler zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich ist man tief betroffen, wenn man am Montag diese Veröffentlichungen aus dem "Focus" zur Kenntnis nehmen muss. Selbstverständlich haben wir schon längst begonnen, diesen Vorwürfen noch einmal intensiver nachzugehen.

Die Regierung von Schwaben hat die Federführung übernommen. Natürlich werden wir ein Stück weit auch das Wissen des Schulamts Donau-Ries brauchen, aber die Federführung liegt bei der Regierung von Schwaben. Natürlich werden wir den Fragen, Frau Tolle und Frau Pranghofer, die Sie zusätzlich aufgeworfen haben, nachgehen und sie klären.

Es ist ganz klar: Wenn diese Vorwürfe - bislang sind es Vorwürfe - stimmen sollten, dann ist diese Lage keinesfalls hinzunehmen. Verfassungsfeindliche Inhalte müssen selbstverständlich sofort abgestellt werden. Die Dinge, die über Martin Luther King zu lesen waren, wären völlig abstrus und in keiner Weise hinzunehmen. Wir werden mit allen notwendigen Konsequenzen vorgehen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Ich darf aber auch darauf hinweisen -Kollege Taubeneder und andere Vorredner haben es schon gesagt -, dass die Vorgeschichte polizeilicher Art brisant ist: Väter sitzen in Erzwingungshaft, ziehen Lieder singend ins Gefängnis ein und provozieren damit natürlich auch Fernsehbilder. Der zweite Schritt wäre gewesen, die Mütter gleich noch dazuzusperren. Ein dritter Schritt wäre gewesen, ihnen das Sorgerecht abzuerkennen. In dieser Phase - das ist genannt worden - gab es schon die Erkenntnis, dass das sehr schwierig werden würde. Nach dieser Vorgeschichte hatte man schon einen hohen Kontrolldruck aufgebaut, wir haben es gerade gehört: Zehn, zwölf Besuche pro Halbjahr sind schon eine ganze Menge, und es gab bei diesen Besuchen keine Anzeichen von Verstößen. Das ist bedauerlich, und es wäre schade, wenn sich die Vorwürfe wirklich als richtig herausstellen würden. Deswegen muss man den Kontrolldruck weiter erhöhen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es handelt sich um eine Ergänzungsschule, die nicht genehmigt werden muss. Sie muss leider nur angezeigt werden. Es bestand auch die Möglichkeit der externen Abschlussprüfung, und diese haben im Jahr 2010 immer wieder Schüler und Schülerinnen abgelegt und auch bestanden.

(Volkmar Halbleib (SPD): Das ist aber nicht der Kern des Vorwurfs!)

- Wie gesagt, im Jahr 2010 haben Jugendliche aus der Sekte das tatsächlich gemacht. Jetzt muss man schauen: Wären Kinder vom Alter her überhaupt in der Lage gewesen, die Prüfung zu machen? Wäre diese angestanden? Es sind nur um die 30 Kinder. Da kann es schon einmal passieren, dass ein Jahrgang dabei ist, in dem keine Abschlussprüfung ansteht. Das muss jetzt alles noch einmal geprüft werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, man kann, wie es in der Begründung des Antrags heißt, nicht von einer "Sondervereinbarung" mit den "Zwölf Stämmen" sprechen. Gleichwohl werden wir bei den nächsten Prüfungen das Kindeswohl intensiv in den Mittelpunkt stellen. Da sind auch das Jugendamt gefordert und die Staatsanwaltschaft. Wir werden den Kontrolldruck noch einmal deutlich erhöhen. Ich will aber auch darauf hinweisen, wie kontrovers und schwierig die Situation 2006 war. Nachdem man schon viel getan hat, werden wir jetzt noch einmal intensiver darauf schauen.

Ich bin froh, dass wir diesen Antrag haben und dass er wohl einstimmig durchgehen wird. - Vielen Dank.

Eine Zwischenbemerkung von Frau Tolle, bitte.

Ich möchte nur der Form halber noch feststellen: Es gibt eine Sondervereinbarung mit den "Zwölf Stämmen" hinsichtlich einiger Inhalte des Lehrplans. Es gibt Lehrplaninhalte, zum Beispiel Sexualkunde - das habe ich im Gedächtnis -, hinsichtlich derer man mit den "Zwölf Stämmen" vereinbart hat, dass sie nicht vermittelt werden müssen. Das betrifft auch, wie ich in Erinnerung habe, bestimmte medienpolitische Schwerpunkte und einige Teilbereiche der Evolutionstheorie.

Ich möchte das also nicht unwidersprochen lassen. Es gibt eine Sondervereinbarung, die sich auf diesen Lehrplan bezieht. Das kann man, denke ich, auch in den alten Ausschussprotokollen nachlesen.

Allerdings können wir dieses Thema, wenn der Bericht kommt, auch noch einmal im Ausschuss besprechen. Mir war es aber wichtig, die Sondervereinba

rung, die wir gemeint haben, jetzt noch einmal zu erklären, damit Ihre Äußerung nicht so allein im Protokoll steht.