Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 93. Vollsitzung und begrüße Sie alle sehr herzlich. Presse, Rundfunk und Fernsehen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Sie wurde erteilt. Die Personalien werde ich zu einem späteren Zeitpunkt aufrufen.
Ich darf kurz darauf hinweisen, dass die Modalitäten geändert worden sind. Die vorschlagsberechtigte Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN hat das Thema benannt: „Hauptschulreform – Ankündigung ohne Substanz“. Zuständig für die Beantwortung der Fragen ist der Staatsminister für Unterricht und Kultus.
Bevor ich den jeweiligen Fragestellern das Wort erteile, möchte ich kurz auf das Ergebnis der Beratungen im Ältestenrat verweisen, was den gegenüber der bisherigen Praxis modifi zierten Ablauf betrifft. Nach dieser Vereinbarung stehen jeder Fraktion zwei Wortmeldungen zu. Dem ersten Fragesteller stehen für seinen Redebeitrag bis zu 2 Minuten zur Verfügung. Der zweite Fragesteller darf jeweils nur 1 Minute sprechen. Beide Fragen werden nacheinander abgearbeitet.
Die Fraktion, die das Thema der Ministerbefragung bestimmen kann, erhält das Recht einer zusätzlichen dritten Fragestellung, deren Dauer ebenfalls auf 1 Minute beschränkt ist. Diese Frage kann sofort im Anschluss an die Beantwortung der ersten Nachfrage oder auch später nach Abschluss des Fragerechts der zweiten oder dritten Fraktion gestellt werden. Das liegt im Ermessen der Fraktion, die vorschlagsberechtigt ist.
Um es zu verdeutlichen: Für die Fraktion der GRÜNEN stellt die Hauptfrage Frau Kollegin Tolle; sie ist auch für die anderen beiden Fragestellungen gemeldet. Wenn sie es wünscht, kann sie dreimal hintereinander fragen. Es liegt bei ihr, ob sie die zweite Nachfrage sofort tätigt oder später. Anschließend kommen dann die Fragesteller der anderen Fraktionen zu Wort. Gemeldet sind für die Fraktion der CSU bislang Prof. Dr. Gerhard Waschler und Kollege Georg Stahl und für die SPD-Fraktion Kollege Reinhold Strobl.
Wir beginnen nun, und ich rufe für die erste Frage Frau Kollegin Tolle auf. Herr Staatsminister, ich darf Sie ans Pult bitten.
Herr Präsident, Herr Staatsminister, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, nachdem Sie seit Oktober eine Reform der Hauptschule angekündigt haben, sind Sie mit Ihren Ankündigungen jetzt im Mai mit schlaffen 12 Modellversuchen in der Realität angekommen. Halten Sie das für einen Erfolg? Halten Sie es – genau wie ich – für ein Zeichen von Planlosigkeit, wenn sie den Hauptschulen im Dezember mehr als 1600 Stellen streichen, um ihnen im Mai 1300 Stellen zurück
Wie viele Ganztagsschulanträge sind im April insgesamt eingereicht worden und wie viele davon werden Sie genehmigen? Wie hoch ist das Antragsvolumen? Wie viel von diesem Antragsvolumen übernimmt kostenmäßig der Freistaat und wie viel müssen die Kommunen tragen? – Wenn Sie keine genauen Zahlen angeben können, frage ich Sie: Haben Sie Prozentzahlen parat?
Wird es für die Ganztagsschulen und für die geplanten Verbundschulen, in die die Kommunen erhebliche Eigenmittel investieren müssen, eine Bestandsgarantie geben? Wie werden die angekündigten 15 Millionen Euro Sondermittel für Fachkräfte in der Ganztagsbetreuung und die von Ihnen versprochenen 7 Millionen Euro Sondermittel für externe Fachkräfte, die die Schulen in der Profi lbildung unterstützen, haushaltstechnisch in welchem Zeitraum abgebildet, und wie kann ich mir die Organisation der Schulverbünde vorstellen? An wie viel Tagen fahren die Schülerinnen und Schüler hin und her? Wer zahlt den Bus? Gibt es eine Bestandsgarantie für die Verbundschulen?
Zu den Profi lbereichen will ich Sie Folgendes fragen: Wie und wann werden die Lehrpläne geändert? Haben Sie genügend Fachlehrerinnen und Fachlehrer, und wann wird die Lehrer- und Lehrerinnenaus- und -fortbildung an die neuen Gegebenheiten angepasst?
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Fragestellerin, ich denke, es ist ganz wichtig, dass man eine so grundlegende Reform wie die Reform der Hauptschule gut vorbereitet und dass man nicht am grünen Tisch entscheidet, sondern möglichst viele Betroffene einbindet und viele Anregungen vor Ort aufgreift, und ob Sie es glauben oder nicht: Die Hauptschulen in Bayern sind gut aufgestellt; es gibt viele Ideen, die vor Ort umgesetzt werden. Jetzt geht es darum, aus diesen vielen Ideen eine Gesamtkonzeption aufzustellen, die deutlich macht, wie wertvoll die Hauptschule in Bayern ist und wie viele Chancen die Hauptschule in Bayern den jungen Menschen bietet.
Ich darf, damit Sie die Zahlen präsent haben, darauf hinweisen, dass über 20 % der Hauptschüler in Bayern die mittlere Reife machen. Das sind über 11 000 Schüler. Von diesen 11 000 Schülern gehen über 2500 an die Fachoberschule. Sie können damit den direkten Weg von der Hauptschule über die Fachoberschule hin zur Fachhochschulreife gehen und dann studieren. Oder aber sie gehen den Weg über die berufl iche Bildung, können dort die Gesellenprüfung machen bzw. die Meisterausbildung und können seit der Änderung des Bayerischen Hochschulgesetzes, wenn sie zu den 20 % Besten eines Meisterjahrganges gehören, direkt in die Fachhochschule fachgebunden einsteigen.
Die Hauptschulreform hat zum Ziel, jedem Kind zu ermöglichen die Hauptschule mit der Ausbildungsreife zu verlassen. Ich betone bewusst den Begriff „Ausbildungsreife“, weil das mehr ist als nur das Wissen und Können der schulischen Belange. Es gehören auch die Persönlichkeitsentwicklung, das Sozialverhalten und die Arbeitstugenden dazu. Unser Ziel ist es letztendlich, den Anteil derjenigen zu steigern, die über die Hauptschule die mittlere Reife erwerben.
Ich komme nun zu den einzelnen Fragen, die Sie vorgetragen haben. Auch Sie wissen, dass etwas, was haushaltstechnisch geschieht, vom Bayerischen Landtag als demjenigen entschieden wird, der das Haushaltsrecht hat und beschließt, was zu welchem Zeitpunkt umgesetzt werden soll. Deshalb werde ich mich bei der Beantwortung der Frage nach dem Bedarf auf die Schätzungen, die ich habe und erwarte, beschränken. Denn letztendlich wird, wie gesagt, der Landtag die Entscheidung darüber treffen.
Der Haushalt für das Jahr 2007 ist hier im Landtag bereits beschlossen. Dieser Haushalt steht und kann vom Minister nicht einseitig verändert werden. Das heißt, das, was im Schuljahr 2007/2008 möglich ist, muss ich aus dem Etat 2007 gestalten. Das nächste Schuljahr beginnt im September dieses Jahres, deshalb sind die Zahlen vielleicht nicht genau so zu sehen, wie es sich in der Gesamtsituation darstellt.
Wir haben etwa 180 Anträge für das nächste Schuljahr. Diese Anträge wurden von den Regierungen geprüft. Die pädagogische Konzeption ist sehr wichtig. Da gibt es eine Skala von „sehr gut“ bis „ausreichend“ und „schwach ausreichend“. Aus diesen Anträgen wird eine Rangliste für alle Regierungsbezirke erstellt. Ich denke, wir werden zum nächsten Schuljahr mit etwa 70, 75 zusätzlichen Ganztagsschulen starten, die wir genehmigen können.
Derzeit haben wir 63 Ganztagsschulen. 70, 75 weitere Schulen kommen dazu, die mit dem Angebot der Ganztagsschule beginnen.
Geplant ist – Voraussetzung dafür ist, dass der Landtag zustimmt –, dass wir in den nächsten Jahren 100, 125 zusätzliche Schulen, je nach Antrag, einrichten werden.
Wenn man davon ausgeht, dass zwei Drittel der Schulen Anträge stellen werden, werden wir nach unserer Schät
Zweiter Punkt: Sondermittel. Auch hierzu eine Schätzung meinerseits: Wenn diese 600 Ganztagsmöglichkeiten eingerichtet sind, brauchen wir bei 6000 Euro pro Klasse etwa 15 bis 20 Millionen Euro – kommt darauf an, wie viele Anträge gestellt werden. Die 1300 zusätzlichen Lehrer beziehen sich auf den Endausbau. Wenn das von mir Erwartete eintritt, werde ich Planstellen oder Kontingente oder Mittel für etwa 1300 Lehrkräfte brauchen, um pro Klasse diese zwölf Lehrerstunden zur Verfügung zu stellen, und die 15 bis 20 Millionen Euro, um die 6000 Euro zur Verfügung zu stellen.
Unabhängig von Schulen, die keine Ganztagsschule stellen, werden wir zur Verstärkung des Praxisbezugs weitere Sondermittel brauchen, die sich jährlich auf etwa 700 Millionen Euro beziffern werden. Die Organisation von Schulverbünden wird letztendlich in den Gesprächen mit den kommunalen Spitzenverbänden geklärt werden. Aus dieser Situation heraus werden auch Konsultationsgespräche stattfi nden, werden auch Gespräche stattfi nden müssen: Unterliegt es dem Konnexitätsprinzip oder nicht? Wir haben in den letzten Jahren begonnen, die Fachlehrerausbildung auszuweiten, auch in Musik und Sport. Wir sind in die Fachlehrerausbildung in Englisch eingestiegen. Ich habe vor, auch in Südbayern eine zweite Ausbildungsstätte für Förderlehrer einzurichten, um mehr Personal zu haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ausbildung ist am Beginn der Umstellung, auf der einen Seite Staatsexamensabschluss, auf der anderen Seite Bachelor und Master. Die ersten Modellversuche der Universitäten sind eingegangen, die geprüft und sukzessive umgesetzt werden. Aber eines ist deutlich: Die Ausbildung wird sich noch stärker auf Diagnosekompetenz und auf individuelle Förderung in der Schule beziehen müssen.
Auf dem Gebiet der Fortbildung werden wir im nächsten Jahr damit beginnen, Fragen der Modularisierung und der Profi lbildung in die Lehrerbildung aufzunehmen.
Der Freistaat stellt pro Klasse das Lehrerpersonal für zwölf Stunden und 6000 Euro zur Verfügung. Wir haben im Rahmen des IZBB-Programms bereits über 300 Hauptschulen gefördert und nach IZBB ausgebaut, sodass die Räumlichkeiten mit Sicherheit vorhanden sind. Das sind in erster Linie größere Schulen gewesen. In vielen anderen Schulen – auch das wird immer wieder deutlich gemacht – stehen durch den Schülerrückgang Räumlichkeiten zur Verfügung. Das heißt nicht, dass die Frage im Einzelfall nicht noch einmal genauer geprüft werden muss.
Sie haben die Frage nicht beantwortet, ob es eine Bestandsgarantie gibt. Ich stelle fest, dass Sie 40 % der eingegangenen Anträge ablehnen. Ich hätte erwartet, dass Sie mir sagen, welchen Vorschlag Sie dem Bayerischen Landtag zur Finanzierung machen.
„Die Hauptschulen sind eine von der Bevölkerung nicht mehr akzeptierte Schulform“ – so stand es in einem internen CSU-Papier.
Auch Dr. Peter Fauser, ein Referent Ihres Kongresses, gibt Ihren Plänen keine Chance. Denn alle Versuche, die Hauptschule zu retten, hätten ihren Niedergang nicht aufgehalten.
Herr Minister, ist es nicht besser, die strukturelle Organisation der Schulen neu zu überdenken und die von einer Schülerin auf Ihrem Kongress beklagte „Aufteilung in drei Welten“ abzuschaffen? Wird die dritte Säule dieses Schulsystems, die Hauptschule, mit Ihren Stützmaßnahmen selbstständig stehen können, und zweifeln Sie ob der Erkenntnisse der eingangs zitierten Wissenschaft nicht an der Richtigkeit Ihrer Pläne? Was macht Sie so sicher, dass Ihre Pläne und Erwartungen aufgehen, wenn die Eltern mit den Füßen abstimmen und die Form der Hauptschule immer weniger wählen?
Wir haben bestimmte Mindestgrößen. An der Hauptschule sind das 15 Schüler. Diese Größe gilt, ob vor der Reform oder nach der Reform. Insoweit ist keine Bestandsgarantie für jede einzelne Klasse zu geben. Wenn die Schülerzahlen zurückgehen, kann ich keine Bestandsgarantie geben.
Der Bayerische Landtag wird darüber natürlich aufgrund meines Vorschlags abstimmen. Aber ich glaube, wir sind jetzt nicht in den Haushaltsverhandlungen, und ich muss bei der Ministerbefragung dem Bayerischen Landtag nicht das Finanzierungskonzept zur Abstimmung vorlegen. Das wird rechtzeitig geschehen.
(Beifall bei Abgeordneten der CSU – Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Komischerweise werden wir schon immer danach gefragt! Das ist aber merkwürdig! – Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Da klatschen die auch noch!)