Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 90. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Ich wünsche allen einen guten Morgen und einen guten Tag und uns fruchtbare und gute Beratungen.
Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Sie ist natürlich erteilt.
Die vorschlagsberechtigte Fraktion der CSU hat als Thema hierfür benannt: „Wie bewertet die Staatsregierung unter Klima- und Umweltschutzgesichtspunkten die Entscheidung der Stadt München, den Strom aus der CO2-freien Kernkraft künftig durch eine Beteiligung am Kohlekraftwerk Herne 5 in Nordrhein-Westfalen zu ersetzen?“
Bevor ich den jeweiligen Fragestellern das Wort erteile, möchte ich nochmals darauf aufmerksam machen, dass jeder Fraktion mindestens zwei Wortmeldungen zustehen und der einzelne Fragesteller nicht länger als drei Minuten sprechen darf. Als zeitlicher Rahmen sind etwa 30 Minuten vorgesehen.
Nun bitte ich Herrn Staatsminister Dr. Schnappauf ans Rednerpult. Der erste Fragesteller ist Herr Kollege Kaul.
Herr Präsident, ich erwidere gern Ihre guten Wünsche für diesen Tag im Sinne des Themas, das uns heute zusammenführt.
Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Kohlendioxid, das bei der Verbrennung der Speicherenergien Kohle, Öl und Gas freigesetzt wird, wird – das ist wissenschaftlich unbestritten – als Leitgas in der Beeinfl ussung unseres Klimas bezeichnet. Klimaschutz und Energiepolitik im Allgemeinen haben durch die Ergebnisse des Europagipfels Anfang März dieses Jahres neue Impulse bekommen. Ich meine, dass die Ergebnisse ein großartiger Erfolg für die Präsidentin, unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel, sind, die dafür eintritt, dass Europa eine Vorreiterrolle im Klimaschutz übernimmt, dass Europa aber auch neue Maßstäbe hinsichtlich der Menge an CO2 setzt, die die Industriestaaten in Zukunft noch freisetzen dürfen.
Betroffen bei der künftigen Regelung über die Freisetzung von CO2 sind sicherlich unsere Kraftwerke als Großemittenten. Aber Klimaschutz muss, wie ich meine, auf allen Ebenen betrieben werden, um auch die Wirksamkeit zu erlangen, die wir von der Reduktion der Freisetzung von CO2 erwarten.
Deshalb sind nicht nur Rahmenbedingungen der Europäischen Union wichtig, sondern auch die konkreten Umsetzungen vor Ort, und dies besonders unter dem konkreten Schlagwort, das wir alle über die Fraktionen hinweg unbestritten benutzen, nämlich global denken und lokal handeln. Unser Landtagspräsident hat das gestern bei dem Empfang von Inwent anhand von Beispielen auch sehr deutlich gemacht.
Werte Kolleginnen und Kollegen, angesichts von Plänen der Stadt München, den Strom in Zukunft nicht mehr aus CO2-freien Kernkraftwerken zu beziehen, sondern unter Beteiligung am Kohlekraftwerk Herne 5 in NordrheinWestfalen durch den Strom aus diesem Kraftwerk zu ersetzen, frage ich mich, ob das im Sinne der Beschlüsse, die ich am Anfang zitiert habe, die richtige Weichenstellung für die Zukunft ist.
Herr Staatsminister, ich möchte Sie deshalb in diesem Zusammenhang fragen: Wie beurteilt die Staatsregierung die Entscheidung der Landeshauptstadt München, die ich eben zitiert habe, unter den besonderen regionalen, aber auch unter ganz allgemeinen Gesichtspunkten?
Zweite Frage: Wo liegen nach Ihrer Meinung die Ursachen für eine solche politische Entscheidung der Landeshauptstadt?
Und meine letzte Frage: Welche Maßnahmen halten Sie künftig für erforderlich, um die eben zitierten Beschlüsse der Europäischen Union auch vor Ort umzusetzen?
Die Frage impliziert, dass Kernkraftstrom durch Kohlestrom ersetzt werden soll. Allerdings kann von der Staatsregierung nicht abschließend bewertet werden, ob das die Absicht der Landeshauptstadt München ist. Wir haben eine Information aus der Rathauspresseumschau vom März 2006. Dort antwortet der Wirtschaftsreferent der Landeshauptstadt München auf eine entsprechende Frage aus der Grünen-Fraktion. Die Frage lautete: „Was machen die Stadtwerke mit dem Strom aus ihrer 25prozentigen Beteiligung am Kernkraftwerk Isar II?“ – Die Antwort lautete: „Dieser Strom wird überregional auf dem Großhandelsmarkt für Elektrizität an Industrie- und Großkunden verkauft.“
Es wird dann weiter gefragt: „Wenn ja, an wen?“ – „Auf dem Großhandelsmarkt für Elektrizität.“ Es wird um Verständnis dafür gebeten, dass Vertraulichkeit besteht.
Das heißt, nach den vorliegenden öffentlich zugänglichen Informationen ist nicht beurteilbar, ob mit dem geplanten Investment in Herne tatsächlich Kernstrom ersetzt wird. Sollte das beabsichtigt sein, stellen sich natürlich weitere Fragen. Soll dann zum Beispiel der Anteil an Isar II veräußert werden? – Das ist auch nicht beurteilbar.
Es stellt sich weiterhin folgende Frage: Warum erfolgt diese Entscheidung so früh? Das Kernkraftwerk Isar II wird nach dem sogenannten Atomkonsens planmäßig im Jahre 2020 abzuschalten sein, wenn sich daran nichts ändert. Nach den Unterlagen zum Kraftwerk Herne 5 geht dieses jedoch bereits 2011 in Betrieb, also rund ein Jahrzehnt vor einer möglichen Abschaltung des Kernkraftwerks.
Insofern stellen sich dann viele weitere Fragen. Mit dem Kernkraftwerk Isar II wird heute kohlendioxidfrei Strom produziert, und zwar wird dadurch jährlich eine Menge von über 10 Millionen Tonnen CO2 eingespart. Allein der Anteil, der auf die Beteiligung der Landeshauptstadt München entfällt, umfasst rund 3 Millionen Tonnen CO2, die klimafreundlich, klimaverträglich durch das Kernkraftwerk Isar II vermieden werden.
Wie Sie wissen, ist gerade das Kernkraftwerk Isar II eines der modernsten und sichersten Kernkraftwerke der Welt. Es war in den letzten Jahren achtmal Weltmeister in der Bruttojahresstromerzeugung, hat also die höchsten Verfügbarkeiten. Das heißt, es gab kaum Störungen, es musste kaum vom Netz genommen werden. Es liefert sicheren und klimaverträglichen Grundlaststrom.
Hier stellt sich die Frage, warum die bayerische Landeshauptstadt eine solche sichere und klimaverträgliche Stromerzeugungsquelle nicht zu nutzen oder gar deren längere Nutzung einzufordern beabsichtigt, sondern jetzt in ein Kohlekraftwerk investiert.
Sollte kein Ersatz geplant sein, stellt sich natürlich ebenfalls eine Reihe von Fragen: Warum investiert die Landeshauptstadt München in eine Anlage in NordrheinWestfalen? Warum trägt sie also dort zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei statt in der Region? – Nach den Unterlagen, die der Staatsregierung zugänglich sind, werden allein mit dem Neubau mehr als 50 zusätzliche Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen und mehrere hundert Arbeitsplätze im Umfeld der Anlage geschaffen. Warum ein solches Investment laut den zugänglichen Informationen beim geplanten Steinkohlekraftwerksbau in Herne vorgenommen werden soll, ohne daran zu denken, Herr Kollege Kaul, das CO2 abzuscheiden, muss gefragt werden. Von einer Sequestrierung ist bislang nicht die Rede.
Insofern stellt sich die Frage: Warum dringt die Landeshauptstadt nicht darauf, dass das Kohlekraftwerk bezüglich des CO2-Ausstoßes sauber wird? – Zum Vergleich
verweise ich auf das Kernkraftwerk Isar II. Da haben wir CO2-Emissionen im Bereich von etwa 20 Gramm pro Kilowattstunde. Bei einem Kohlekraftwerk sind es etwa 1000 Gramm.
Aufgrund der uns zugänglichen Informationen können wir auf jeden Fall eines sagen: Es entsteht eine höhere CO2Belastung, und zwar etwa um den Faktor 50. Auf jeden Fall wird mehr schmutziger Strom als bisher erzeugt. Er wird tendenziell auch teurer. Denn die Anlage steht weit weg vom Verbrauchsort, wodurch à la longue höhere Kosten möglich sind.
Neben dem ganz konkreten Investment der Landeshauptstadt erwähne ich, dass weitere Kommunen in Herne investieren wollen.
Das kann man im Einzelfall unterschiedlich beurteilen, Herr Kollege. – München hat im Gegensatz zum Beispiel zu Regensburg oder Rosenheim eine Beteiligung an einem Kraftwerk, nämlich an einem Kernkraftwerk. Andere Kommunen haben derartige Beteiligungen nicht. München hätte also keine Not gehabt, jetzt ein solches Investment zu tätigen.
Dabei stellt sich eines ganz deutlich heraus: Die letzte, die rot-grüne Bundesregierung hatte sieben Jahre lang alles darangesetzt, die Kernkraft in Deutschland zu verteufeln und einen Atomausstieg in Deutschland zu besiegeln. Sie hat den Eindruck erweckt, als könnte die Leistung, die heute Kernkraftwerke für die Stromerzeugung in Bayern und in Deutschland erbringen, ohne Weiteres durch erneuerbare Energien ersetzt werden.
Das Beispiel München zeigt im Grunde genommen eines ganz deutlich: dass selbst nach Auffassung einer rotgrünen Stadtregierung Kernstrom nicht durch erneuerbare Energien ersetzbar ist, sondern auf die herkömmlichen, fossilen Energieträger zurückgegriffen werden muss. Dadurch würde sauberer, klimaverträglicher Strom durch Kohlestrom, durch schmutzigen fossilen Strom ersetzt werden. Das ist im Grunde genommen eine Art Offenbarungseid, ein Augenöffner für alle, die bislang geglaubt haben, dass eine kurzfristige Ersetzung durch erneuerbare Energien möglich sei.
Das Beispiel der Landeshauptstadt München zeigt, dass Rot-Grün in den letzten Jahren den Menschen etwas vorgemacht hat. Sauberer Kernstrom ist nämlich nicht kurzfristig durch den sauberen Strom aus erneuerbaren Energien ersetzbar, sondern ist in dieser Dimension und dieser Qualität ausschließlich durch fossilen und damit schmutzigeren Strom ersetzbar.
Herr Präsident, Herr Staatsminister, Kolleginnen und Kollegen! Zur heutigen Fragestunde muss ich sagen: Thema verfehlt. Wir haben
Sie etwas gefragt, Herr Minister. Aber nun haben wir von Ihnen Fragen gehört. Wir wollten, dass Sie unsere Fragen beantworten und nicht Fragen, die Herr Kollege Kaul gestellt hat, von denen Sie ja wussten, dass sie kommen.
Im Übrigen darf ich Ihnen sagen, Herr Kollege Kaul, Sie als Techniker müssten um die Dinge Bescheid wissen. Wenn Sie gefragt hätten, warum die Staatsregierung am Atomstrom festhalten will, wäre das eine vom Staatsminister zu beantwortende Frage gewesen.
Es gibt kein CO2-freies Kraftwerk. Es gibt jedoch Kraftwerke, bei denen man CO2 abscheiden kann. Deswegen ist Ihre Frage inhaltlich falsch. Das müssten Sie als Techniker wissen.
Für mich war die Feststellung des Herrn Staatsministers interessant, als er von einem „sogenannten Atomkonsens“ sprach. Dazu hätte ich gern Näheres gehört. Erkennen Sie als Minister denn nicht ein Gesetz oder eine Vereinbarung, die getroffen wurde, an? – Das hätte ich von Ihnen gern gewusst.
Daran schließt sich eine zweite Frage an: Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass es mehr CSU-regierte Städte sind, die in dieses neue Konstrukt, in dieses Kraftwerk investieren, als rot-grün-regierte Städte? Ich darf Ihnen sagen, dass auch die Stadtwerke Erlangen und Regensburg dabei sind. Haben Sie mit denen vorher nicht darüber geredet, dass damit aus Ihrer Sicht ein Problem verbunden ist?
Jeder Wissenschaftler, der eine konsequente Berechnung für den Abschnitt zwischen der Entstehung, also dem Bau eines Kernkraftwerks, dem Abbruch und der Wiedereinlagerung macht, kommt der Logik folgend zu einem Ergebnis, das sich mit Ihrer Einschätzung des CO2Ausstoßes nicht deckt. Das ist inzwischen wissenschaftlich ziemlich gut belegt. Wer das verschweigen will, kann es tun, setzt sich dann aber dem Verdacht aus, dass er in gewisser Hinsicht blind ist.
Herr Minister, ich würde von Ihnen gern noch wissen, wie Sie damit umgehen, dass, wie gesagt, in erster Linie CSU-regierte Städte dieses Thema aufgreifen. Was Regensburg betrifft, so ist der Regensburger Bürgermeister nicht irgendjemand, sondern immerhin Vorsitzender eines großen kommunalen Verbundes. Regensburg ist genauso beteiligt wie viele andere Kommunen, die offensichtlich eine Übergangslösung mit einer Technik suchen, die gerade entwickelt und erforscht wird.