Aber das wird von Ihnen immer übersehen. Ich bringe Ihnen hierfür jetzt einige Beispiele. Beispiel 1: die frühkindliche Bildung. Ihr Stellenwert ist von allen anerkannt und absolut unumstritten. Leider folgt die Politik aber nicht dieser Erkenntnis. Wir haben bei der Betreuung der unter Dreijährigen noch immer einen Deckungsgrad von nur 4 %. Das ist miserabel und viel zu wenig. Auf das Spargesetz BayKiBiG möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen, denn das habe ich in der letzten Ausschusssitzung ausführlich getan. Es ist leider so, dass ich mich zu diesem Gesetz bald selbst nicht mehr reden hören kann, weil die Kritikpunkte immer die selben bleiben, bleiben müssen, weil sich nämlich nichts verändert.
Das heißt aber nicht, dass die Kritikpunkte weniger wichtig würden. Nein, sie werden immer wichtiger, denn die Not, die Eltern und Kinder mit diesem Gesetz landauf und landab haben, steigt.
Ihr Landeserziehungsgeld ist eine Maßnahme zur Verringerung der Chancen von Frauen. Wenn Sie nämlich Anreize dafür bieten, dass Frauen zu Hause bleiben, dann verlieren die Frauen gleichzeitig die Chance, wieder in den Beruf zurückzukehren. Das aber kann mit einer fortschrittlichen Kinder- und Sozialpolitik aber nicht gemeint sein.
Zum investiven Charakter der frühkindlichen Bildung gibt es Untersuchungen, wonach jeder Euro, der in frühkindliche Bildung investiert wird, vierfach zurückkommt. Das ist eine Rendite von vierhundert Prozent – das wäre doch was!
Beispiel 2: Schulsozialarbeit. Wo es Schulsozialarbeit gibt, leistet sie viel und ist sehr erfolgreich. Aber bis es sie gibt, muss noch viel Zeit vergehen. Sie haben das Ziel, 350 Schulsozialarbeiter und Schulsozialarbeiterinnen in zehn Jahren einstellen zu wollen. 94 haben wir schon. Man höre und staune, in den nächsten zwei Jahren soll die Zahl auf gigantische 165 erhöht werden.
Das ist Ihr Ziel, bei 1000 Hauptschulen in diesem Land, bei der großen Zahl von Berufsschulen und von weiterführenden Schulen, die alle Schulsozialarbeit bräuchten.
Herr Kollege Ach, Sie lassen die Eltern, die Kinder und die Lehrer alleine. Dabei bräuchten sie alle die Begleitung.
Schulsozialarbeit müsste eigentlich an jeder Schule selbstverständlich sein. Stattdessen fl üchten Sie sich in Kabinettsbeschlüsse wie beispielsweise dem, Schulstörer vom Unterricht auszuschließen. Da kann ich nur sagen: genial. Oder Ihr Beschluss zum Handy-Verbot: hilfl os. Das Verbot von Killerspielen: von vornherein zum Scheitern verurteilt. Das sind doch keine bildungs- und sozialpolitischen Maßnahmen, die bei den derzeit an unseren Schulen herrschenden Missständen Abhilfe schaffen könnten.
Wir brauchen mehr Personal, und zwar geschultes Personal, und wir brauchen ein anderes Schulsystem. Das hat Frau Tolle bereits ausgeführt.
Beispiel 3: die Insolvenzberatung. Wir werden zu diesem Tagesordnungspunkt eine namentliche Abstimmung beantragen, weil es uns schon interessiert, welchen Stellenwert Sie der Insolvenzberatung wirklich einräumen. Nach dem Trauerspiel, welches Sie hier vor zwei Jahren abgeliefert haben, als Sie die Insolvenzberatung auf die Rechtsanwälte übertragen wollten, sind Sie jetzt zurückgerudert. Nun wollen Sie die Insolvenzberatungsstellen eigentlich wieder unterstützen. Um aber eine effektive Unterstützung der Insolvenzberatung zu gewährleisten, wären 3,5 Millionen Euro notwendig. 3,5 Millionen Euro, das sind gerade einmal 70 % der Summe, die andernorts – gerade mal so – für ein Fußballstadion versprochen wird. Für die Insolvenzberatung aber ist das sehr viel Geld. Die Fallzahlen steigen, die Menschen werden allein gelassen, und ab August kann keine Insolvenzberatung mehr stattfi nden, weil die Gelder dann bereits ausgegeben sind.
Die Folgekosten für Menschen, die man allein lässt, die in soziale Ausweglosigkeit zurückfallen, sind wesentlich höher. Hier sind wir wieder bei dem Thema Investitionen. Sie investieren nicht in die richtigen Dinge, Sie könnten sich hohe Folgekosten ersparen, aber Sie tun das nicht. Da überrascht eigentlich auch nicht, dass die CSU-Fraktion im letzten Moment versucht, das schlechte Image ihrer Handlungsweise bei der Insolvenz dadurch zu retten, dass sie 437 000 Euro zusammenkratzt und glaubt, damit einen wesentlichen Beitrag zur Rettung der Insolvenzberatung zu leisten.
Sie nicken eifrig. Ich lese Ihnen jetzt vor, was die Insolvenzberatungsstellen dazu sagen. Sie erklären, dass Sie bereits am 31. August 2006 ein Defi zit von 600 000 Euro hatten. Sie stellen also 400 000 Euro ein, doch dieser Betrag ist nicht einmal ausreichend, um die bereits am 31. August bestehende Finanzierungslücke zu schließen, und das Geld reicht erst recht nicht, um die Insolvenzberatung für den Zeitraum September bis Dezember sicher zu stellen. Ihr Dringlichkeitsantrag trägt deshalb nicht im Entferntesten dazu bei, die großen Probleme, die bei der Insolvenzberatung bestehen, zu beheben. Es ist ein hilfl oser Antrag. Sie wollen in den nächsten Jahren 1,9 Millionen Euro ansetzen. Bravo! Das ist hoffnungslos zu wenig.
Beispiel 4: Nachholende Integration. Weil der Ausländer früher kein Bayer war und auch keiner werden durfte, leben in Bayern heute Menschen, um deren Integration es wesentlich besser bestellt sein könnte. Diese Menschen werden nicht zur Kenntnis genommen. Sie stellen nur für diejenigen Mittel in den Haushalt ein, die neu hinzukommen, nicht aber für diejenigen, die bereits hier sind. Wenn Sie sich endlich zu der Erkenntnis durchringen könnten, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, wenn Sie das schon früher getan hätten, dann könnten Sie eine sinnvollere Integrationspolitik leisten;
Fünftes Beispiel: Rechtsradikalismus. Die FriedrichEbert-Stiftung hat in ihrer Studie „Vom Rand zur Mitte“ aufgezeigt, dass Bayern, was rechtsradikale Tendenzen anbelangt, im bundesweiten Ranking wieder einmal ganz vorn liegt. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Hier dürfen wir nicht nur beobachten, Herr Kollege Unterländer, wir dürfen auch nicht nur bestrafen, wir müssen in hohem Maß auf Prävention setzen. Wir dürfen nicht wegschauen, wir dürfen das Problem nicht ignorieren, wir dürfen es auch nicht kleinreden. Wir müssen von Anfang an den Kampf gegen rechtsradikale Tendenzen in die frühkindliche Bildung einbeziehen. Dafür gibt es Programme, wie beispielsweise „Papillon“, die das in hervorragender Weise zeigen. Wir brauchen integrative Projekte, wir brauchen Arbeit in den Vereinen. Wir brauchen Menschen, die
an der Basis Beratung und Aufklärung leisten – und hier sind wir wieder bei der Schulsozialarbeit. Die einzigen Mittel, die wir gefunden haben, die im Zusammenhang mit der Bekämpfung rechtsradikaler Tendenzen stehen, befi nden sich im Haushalt des Innenministeriums.
Diese Mittel wurden von 75 000 auf 55 000 Euro gekürzt. Herzlichen Glückwunsch! Auch das ist keine investive Politik.
Sechstes Beispiel, Landessozialbericht; Motto: Wir wollen es nicht wissen. Seit acht Jahren wollen wir nicht wissen, wie es in Bayern ausschaut. Seit acht Jahren wird der Landessozialbericht verschleppt und verzögert. Jedes Kind weiß: Wenn es im Zimmer dunkel ist und ich nicht weiß, was los ist, mache ich das Licht an. Das Licht in diesem Zusammenhang wäre der Landessozialbericht. Sie möchten aber lieber im Dunkeln bleiben. Auch das ist keine investive Politik; denn wenn Sie wüssten, wo es in diesem Land Missstände gibt, könnten Sie viel genauer Abhilfe schaffen.
Sie wollen es aber nicht wissen. Jetzt beginnen Sie damit allmählich und sehr zögernd. An Ihren Taten werden wir Sie erkennen. Wir warten jetzt erst einmal ab, was Sie wirklich unternehmen wollen.
Wie wird der ethische Anspruch eines Sozialstaates in Bayern verwirklicht? – In den Asylbewerberunterkünften sieht es zappenduster aus: unwürdige Unterbringung in Lagern, Essenspakete, kaum Beratung. Ich fordere Sie dazu auf, endlich mit diesen Gemeinschaftsunterkünften, mit der Unterbringung in Containern Schluss zu machen. Lassen Sie die Menschen dezentral wohnen.
In der Behindertenhilfe gibt es einen unvergleichlichen Investitionsrückstau. Erst gestern habe ich von einer Förderschule gehört, deren Träger Schulgeld erhebt, weil der Freistaat die zugesagten Mittel seit Jahren nicht gewährt und der Träger sich nicht mehr anders in der Lage sieht, diese Schule zu betreiben, als Schulgeld für lernbehinderte Kinder zu erheben. Ich weiß nicht, was daran sozial ist.
Ich hätte noch gern etwas zum AGSG, zum Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze, gesagt; denn auch da hapert’s. Ich beschränke mich aber auf den Schlusssatz. Ich fordere Sie auf: Fahren Sie die Sozialpolitik aus der Tiefgarage heraus, bringen Sie die Sozialpolitik auf die Vorfahrtsstraße, und lassen Sie uns endlich die Ziele
Lieber Herr Dürr, Sie sollten wirklich zuerst nachdenken, zuerst zuhören und dann vielleicht reden, und zwar dann, wenn es angebracht ist, anstatt sinnlos dazwischenzuquatschen und es anschließend aus dem Protokoll zu streichen.