Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 83. Vollsitzung. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.
Haushaltsplan 2007/2008; Einzelplan 04 für den Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz
Änderungsanträge von Abgeordneten der SPDFraktion (Drsn. 15/6589 mit 15/6597), Änderungsanträge der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN (Drsn. 15/6601 mit 15/6606), Änderungsantrag von Abgeordneten der CSU-Fraktion (Drs. 15/6616)
Im Ältestenrat wurde für die Aussprache eine Gesamtredezeit von einer Stunde und 36 Minuten vereinbart. Davon entfallen auf die Fraktion der CSU 32, auf die SPD 17, auf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15 Minuten. Die Redezeit der Staatsregierung orientiert sich an der Redezeit der stärksten Fraktion. Die Staatsregierung kann deshalb bis zu 32 Minuten sprechen, ohne dass sich dadurch die Redezeit der Fraktionen verlängert.
Herr Präsident, Hohes Haus! Frau Staatsministerin, ich werde mich weitestgehend auf die reinen Haushaltszahlen beschränken. Justizpolitische Ausführungen trägt für die CSU unser Kollege Zellmeier vor.
Der vorliegende und heute zu verabschiedende Entwurf des Einzelplans 04 für die Jahre 2007/08 bietet trotz der angespannten Stellen- und Personalsituation in vielen Bereichen der Justiz, wie sie uns auch aus den vier eingereichten Petitionen vor Augen geführt wurde, eine solide Grundlage für eine moderne, effektive und bürgernahe Justiz in Bayern. Diese Aussage treffe ich so wie in den vergangenen Jahren unbeschadet der mir bekannten Engpässe mit voller Überzeugung. Es ist ein Haushalt der Kontinuität mit einigen durchaus beachtlichen punktuellen Verbesserungen. Insoweit können wir bei Zustimmung durch das Hohe Haus dem einen oder anderen Anliegen aus den Petitionen Rechnung tragen.
Die bereinigten Gesamtausgaben steigen 2007 gegenüber 2006 um 51,2 Millionen Euro auf 1,705 Milliarden Euro. Das ist eine Steigerung um 3,1 %. 2008 steigen sie um weitere 25,4 Millionen Euro auf dann 1,731 Milliarden Euro. Das ist ein Zuwachs um noch einmal 1,5 %. Die durchschnittliche Steigerung um 2,3 % gegenüber dem 1,8 %igen Zuwachs des Gesamthaushalts kann durchaus den hohen Stellenwert des Justizetats unterstreichen.
Die Einnahmen im Einzelplan 04 steigen im Jahr 2007 um 10,8 Millionen Euro auf 823,2 Millionen Euro. Das sind 13 %. 2008 steigen sie nochmals um 0,4 Millionen Euro auf dann 823,6 Millionen Euro. Das ist eine Steigerung um 0,05 %.
Die Einnahmendeckungsquote sinkt 2007 gegenüber dem Vorjahr von 49,1 auf nunmehr 48,3 % und 2008 auf 47,6 %. Dennoch bleibt der Justizetat der Einzelplan mit dem höchsten selbstverdienten Kostendeckungsbeitrag.
Im Rahmen des Programms „Investieren in Bayerns Zukunft“ sind im Einzelplan 04 in beiden Jahren für die Erstausstattung der Justizvollzugsanstalten in Landshut und München – das ist bekanntermaßen ein PPP-Projekt, ein Projekt der Public Private Partnership – zusammen 7 Millionen Euro zusätzlich veranschlagt.
Ich werfe einen kurzen Blick auf den Personalhaushalt. Zunächst zu den Gerichten und Staatsanwaltschaften: Durch Umwandlung von 104 Stellen für Angestellte in Stellen für Staatsanwälte und Richter können insgesamt 50 neue, zusätzliche Planstellen der Besoldungsgruppe R 1 geschaffen werden. Dadurch kann der erhebliche Fehlbestand in diesem Bereich teilweise ausgeglichen werden.
Im Bereich des nichtrichterlichen/nichtstaatsanwaltschaftlichen Dienstes werden 57 gegenfi nanzierte, also kostenneutrale Hebungen mit Gesamtkosten von jährlich 186 000 Euro realisiert.
Das Hebungsprogramm „Verwaltung 21“ mit jährlich 76 000 Euro wird im Bereich der Gerichte und Staatsanwaltschaften pro Jahr 27 bis 28 zusätzliche Beförderungsmöglichkeiten eröffnen.
Zum Justizvollzug: Für die Inbetriebnahme der neuen JVA Landshut und der neuen Frauenabteilung und Jugendarrestanstalt in München konnten insgesamt 64 neue kostenwirksame Stellen ausgebracht werden. Zudem konnten im Bereich des Jugendtherapiezentrums der JVA Neuburg-Herrenwörth 14 Beschäftigungsverhältnisse dauerhaft gesichert werden.
Der Justizvollzug wird vom Hebungskonzept „Innere Sicherheit“ erheblich profi tieren. Rund die Hälfte der ursprünglich beantragten 655 Stellenhebungen, nämlich rund 325, wird realisiert werden können. Das ist ein Kostenvolumen von 900 000 Euro. Ich denke, das gibt den Vollzugsbediensteten einen gehörigen Motivationsschub.
Ein Wort zu den Projekten der Public Private Partnership: Haushaltsrechtlich spielt das PPP-Projekt Frauenabteilung und Jugendarrestanstalt der JVA München im kommenden Doppelhaushalt keine Rolle. Das Vorhaben wird privat vorfi nanziert. Eine Rückzahlung in Raten wird erst ab Fertigstellung der Anstalt im Jahr 2009 erfolgen.
Hinzugekommen ist aber ein neues PPP-Projekt: der Neubau der JVA Augsburg. Mit 609 Haftplätzen soll es einschließlich der Vorfi nanzierung und ausgewählter
Betreiberleistungen im Facility Management durch einen privaten Investor erfolgen. Die Gesamtbaukosten werden auf 85 Millionen Euro geschätzt. Für den Abschluss entsprechender Verträge fi ndet sich bei Titel 823 11 eine Verpfl ichtungsermächtigung über 195 Millionen Euro.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Zahlen und Einzelheiten des Etats, der im Haushaltsausschuss eingehend beraten worden ist, werde ich Ihnen ersparen. Vielmehr darf ich abschließend feststellen, dass im Hinblick auf den großen Unterschied zwischen dem Wünschbaren und dem Machbaren im Entwurf des Einzelplans 04 das fi nanziell noch Darstellbare ausgewiesen ist. Deshalb müssen die eingangs erwähnten Änderungsanträge der Opposition – neun von der SPD und sechs von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –, die in der Summe Mehrausgaben von 33,9 Millionen Euro im Jahr 2007 und von 34,86 Millionen Euro im Jahr 2008 mit sich bringen würden, zur Ablehnung empfohlen werden.
Namens der CSU-Fraktion bedanke ich mich bei Frau Staatsministerin Dr. Merk, bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Justizministerium und bei allen Angehörigen des Ressorts im ganzen Land für ihren engagierten Einsatz in den vergangenen Jahren.
Ich bitte das Hohe Haus, wie vom Haushaltsausschuss – einschließlich des CSU-Antrags – empfohlen, um Zustimmung zum Einzelplan 04 für die Jahre 2007 und 2008.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass das Ministerium fast stärker vertreten ist als das Hohe Haus. Das zeigt auch den Stellenwert dessen, worüber wir jetzt reden.
Herr Kollege Dr. Müller, im Haushaltsausschuss haben Sie den Haushalt des Justizministeriums noch etwas anders charakterisiert. Ich habe genau nachgelesen und mir auch berichten lassen, dass Sie damals davon gesprochen haben, dieser Haushalt sei ein Haushalt der Kontinuität, „aber ohne besondere Highlights“ – so haben Sie damals gesagt –, worauf die Frau Staatsministerin sich sofort gemeldet und gesagt hat, es gebe Highlights, und jetzt haben Sie sie auch gebracht. Insofern funktioniert die Kommunikation innerhalb der CSU-Fraktion durchaus.
Es geht um die angesprochenen 50 neuen Stellen für Richter und Staatsanwälte und die zusätzlichen 74 Stellen im Strafvollzug. Na bravo!
Ich darf daran erinnern, dass wir – ich meine die SPD, aber insgesamt die Opposition – bei allen zurückliegenden Haushaltsberatungen die Schaffung weiterer Stellen für Richter und Staatsanwälte gefordert hatten, aber jedes Mal am Widerstand der CSU gescheitert sind. Nicht nur das: Die seit Jahren am Anschlag arbeitende Justiz ist von der CSU zu einem Konsolidierungsbeitrag von 65,8 Millionen Euro und zum Abbau von insgesamt 409 Stellen verdonnert worden. Allein durch die Anhebung der wöchentlichen Arbeitszeit fallen von 2005 bis 2008 insgesamt 76 Stellen für Richter und Staatsanwälte weg. Das entspricht der Personalstärke von etwa drei mittleren Amtsgerichten. Es ist also schon etwas gewagt, wenn jetzt die Umwandlung von Stellen für Proberichter – die sind ja auch dabei – und Angestelltenstellen in 50 Stellen für Richter und Staatsanwälte als Großtat dargestellt wird. Tatsächlich fehlen dann immer noch 26 Stellen, bezogen auf das Jahr 2005, und damals schon gab es einen Fehlbestand von etwa 600 Richterstellen, der auch jetzt und künftig noch andauert. Dazu kommt noch die Wiederbesetzungssperre, die zu einer eigentlich vermeidbaren Verlängerung von Verfahren führt.
Der Befund des Kollegen Dr. Müller, dass der jetzige Haushalt in der Kontinuität früherer Haushalte steht, stimmt also leider. Die Kontinuität liegt in der Mangelverwaltung.
Die Justiz muss weiterhin am Anschlag arbeiten. Das betrifft nicht nur Richter und Staatsanwälte, sondern auch Rechtspfl eger, Mitarbeiter im mittleren und einfachen Dienst und auch Angestellte.
Es bleibt dabei, wie der Präsident des Oberlandesgerichts München und des Verfassungsgerichtshofs, Herr Dr. Huber, vor einem Jahr beklagt hat, dass allein in seinem Bezirk 153 Richter fehlen.
Ich erinnere auch an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum richterlichen Eildienst vom Dezember 2005 und vom September diesen Jahres sowie an den Hilferuf der Vorsitzenden Richter am Landgericht München wegen fehlender Mitarbeiter im Vorführdienst.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das alles müsste man mit Bedauern und achselzuckend hinnehmen, wenn die Not dazu zwingen würde, auch die Justiz schäbig zu behandeln, und wenn es sich bei der Justiz um irgendeinen Teil der Staatsverwaltung handeln würde, wie einige in der Staatskanzlei und im Finanzministerium wohl meinen. Es kann aber nicht hingenommen werden, weil die Justiz die dritte Gewalt im Staat ist und einen Anspruch darauf hat, entsprechend ihrer verfassungsrechtlichen Stellung ausgestattet zu werden,
und zwar nicht um irgendwelche Standesprivilegien zu sichern, sondern um ihre Aufgabe, unabhängig Recht
Es stimmt leider, was das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung vom November 2005 ausgeführt hat, dass es der Staat dann, wenn er der Überlastung der Gerichte nicht abhilft, hinnehmen und gegebenenfalls auch seinen Bürgerinnen und Bürgern erklären muss, dass mutmaßliche Straftäter auf freien Fuß gesetzt werden, sich der Strafverfolgung und Aburteilung entziehen oder erneut Straftaten von erheblichem Gewicht begehen. Ich weise darauf hin, dass wir dieses Problem schon mehrfach in diesem Haus diskutieren mussten. Das betrifft im Übrigen nicht nur Richter und Staatsanwälte, sondern auch die anderen Mitarbeiter im Bereich der Justiz und auch die Bewährungshelfer.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin weit davon entfernt, die Justiz und alle ihre Repräsentanten generell zu idealisieren, und habe mich sehr geärgert, ja fast geschämt, als ein Vorsitzender Richter vor ein paar Monaten vor einem soeben verurteilten prominenten Straftäter geradezu einen Bückling gemacht hat.
Ich weiß, dass es auch bei der Justiz schwarze Schafe gibt, ich will die Beispiele nicht aufzählen. Dennoch: Dass die ordentliche Gerichtsbarkeit – und nur über diesen Teil der Rechtspfl ege reden wir beim Justizhaushalt – in Bayern, von einigen Ausreißern abgesehen, noch gut funktioniert, liegt nicht an der Fürsorge der Staatsregierung, sondern allein am Engagement und der Motivation der allermeisten Mitarbeiter,
vom Justizwachtmeister bis zu den Präsidenten der Oberlandesgerichte, wofür ich auch im Namen meiner Fraktion ganz herzlichen Dank sagen möchte.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, unabhängig vom Haushalt noch einige andere Themen anzusprechen, zunächst die sogenannten Deals in Strafsachen. Ich halte es für eine höchst gefährliche und bedenkliche Entwicklung, dass immer mehr Strafverfahren durch sogenannte Absprachen beendet werden, nicht deshalb, weil eine höhere Gerechtigkeit danach verlangt oder weil neue Konfl iktlösungsmethoden auch im Strafrecht ausprobiert werden sollen, sondern ausschließlich deshalb, weil aufwendige Prozesse aus Personalmangel nicht mehr geführt werden können. Sie haben alle die Beispiele im Kopf, nehme ich an, zuletzt den Ackermann-Prozess, auch der Prozess um den Weidener Oberbürgermeister ist hier zu nennen, und ganz aktuell – ich weiß nicht, ob Sie es heute schon in der Zeitung gelesen haben – der Vorschlag, wie man den Hartz-Prozess abwickeln will, nämlich dadurch, dass der Anklagesatz verlesen wird und am nächsten Tag schon die Plädoyers gehalten werden.